Vom Politischen in der Musik

Rundfunk – Musik – Politik

Vom Politischen in der Musik

Zu den Donnerstagkonzerten von ultraschall berlin festival für neue musik im Haus des Rundfunks

Deutschlandfunk Kultur und rbb kultur veranstalteten mit ihren Festivalleitern Andreas Göbel und Rainer Pöllmann das 25-jährige Jubiläum des Festivals ultraschall berlin. Festivals entwickeln ihren eigenen Sog, so dass sie eine Praxis des Community Buildings sind, und zwar nicht nur digital. Community Building ist per se eine politische Aktivität. An fünf Abenden treffen sich seit Jahren zumindest einige Menschen, Musikbegeisterte, Hörer*innen, Komponist*innen, Musiker*innen, über Musik Schreibende etc. im Jahresrhythmus wieder. Vom Sehen kennen sich viele Gesichter. Einige gehören zum harten Kern, der alle Konzerte besucht. Andere suchen sich bestimmte Konzerte aus. Das Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin im legendären Großen Sendesaal des Hauses des Rundfunks, zwischen 1929 und 1931 gebaut, unter der Leitung seines Chefdirigenten Vladimir Jurowski war mit der Uraufführung von Olga Rayevas Am Meer als Auftragswerk von Deutschlandfunk Kultur als Höhepunkt zu erwarten.

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Das Jubiläumsjahr 2023 ist für das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit „nur“ 100 Jahren zwar gerade zu Ende gegangen. Das Bayrische Staatsorchester feierte sein 500jähriges Jubiläum. Aber für ein Orchester, das für das neue Medium Rundfunk 1923 in Berlin zusammengestellt wurde, sind die 100 Jahre in Deutschland das Maximum. Am 29. November 1923 erklang aus der Dachkammer des Vox-Hauses an der Potsdamer Straße die Ursendung mit einem kleinen Sinfonieorchester: „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin … Meine Damen und Herren wir machen ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage die Unterhaltung, die Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos telefonischem Wege beginnt…“[1] Nicht nur auf dem Dachboden versammelten sich Menschen, um Musik zu machen, vielmehr noch sollten sich bald Paare, ganze Familien und schließlich größere bis in die Millionen zählende Gemeinschaften am Volksempfänger genannten Rundfunkempfangsgerät versammeln. Apropos Familie: Als zweites Konzert führten im Kleinen Sendesaal Sarah Maria Sun, Sopran, mit Jan Philip Schulze, Klavier, Family Business – Unheavenly Lullaby auf.

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Der Rundfunk mit dem dazugehörigen Radio entfaltete schnell seine gemeinschaftsbildende Kraft. Nur zehn Jahre später, 1933, wurde er u.a. mit der Gleichschaltung der Mitarbeiter*innen im Haus des Rundfunks in der Masurenallee zur zentral gesteuerten Machtmaschine.[2] An die politische Macht des Rundfunks ist 90 Jahre später nicht zuletzt deshalb zu erinnern, weil das Internet seit geraumer Zeit mit vergleichbarer Vehemenz wirkt, sich Communities anders bilden und der „Rundfunk“ als digitales Medium nicht zuletzt mit einer grundlegend neu strukturierten Website von ultraschall berlin ein aktuelles Covering bietet, wie es noch vor der Pandemie kaum denkbar gewesen wäre. Das Konzert mit dem RSB wurde nicht nur Live gesendet, es lässt sich mit Bildergalerie als Gesamtaufnahme recht komfortabel weitere 3 Wochen abspielen bzw. anhören. Gedruckte Programmhefte mit Zusatzmaterial gibt es gar nicht mehr, nur noch ein schmales Programmheft. Obwohl der Begriff Rundfunk weiterhin gerade von den Öffentliche-Rechtlichen Sendeanstalten genutzt wird, wo auch in den Rundfunkgebühren, wird heute überwiegend gestreamt statt gefunkt. Die Rundfunkanstalten haben sich dem digitalen Wandel angepasst, unterhalten weiterhin hochrangige Rundfunksinfonieorchester und Sendesäle, obwohl sie technologisch längst etwas anderes geworden sind.

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Das Politische spielte im Programm des RSB-Abends u.a. mit den Kompositionen Am Meer von Olga Rayeva und Farzia Fallahs Traces of a Burning Mass (2022) eine Rolle. Die in Moskau geborene Komponistin Olga Rayeva verbrachte die Urlaube ihrer Kindheit am Asowschen Meer, an dem die von der russischen Armee massiv zerstörte Stadt Mariupol in der Ukraine liegt. Um es hier schon einmal vorwegzunehmen, Rayeva entfaltet mit dem Schlagen der Wellen an den Strand und dem Wind am Meer ein zunächst nahezu naturalistisches Panorama, das sich dann allerdings in ein eher abstraktes Nachdenken über Meere überhaupt entwickelt. Meere trennen und verbinden z.B. Länder. Doch die Winde am Meer werden allein schon durch das Knopfakkordeon als Soloinstrument, gespielt von Roman Yusipey, der in der ukrainischen Stadt Cherson geboren wurde, zu einem entscheidenden Klang des Meeres. Farzia Fallah reagierte 2022 mit ihrer Komposition auf den Tod von Jîna Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste der Frauen im Iran. Mehr Politikbezug geht in der Musik kaum.

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Das Konzert wurde mit der Komposition C-Dur für Streicher (2020) von Alexey Retinsky eröffnet, um den es seit mehr als zwei Jahren stiller geworden ist.[3] Retinsky wurde 1986 in Simferopol auf der Krim geboren, erhielt seine Ausbildung u.a. bei Beat Furrer[4] und arbeitete zuletzt mit Theodor Currentis in St. Petersburg zusammen. Dieser dirigierte bei den Pfingstfestspielen am 28. Mai 2023 in Baden-Baden die Uraufführung von The water has no hair für großes Symphonieorchester (2023) als ein „Vorspiel zum Vorspiel der Oper Tristan und Isolde von Richard Wagner“ von Alexey Retinsky mit dem SWR-Symphonieorchester. Insofern arbeitet Retinsky als Komponist mit Musikmaterial, das anders komponiert wird. Auch der Chefdirigent des RSB bzw. RSO, Vladimir Jurowski, hat schon Kompositionen von ihm aufgeführt. Während die Tonart c-dur im hohen, hellen Tongeschlecht in der klassischen Kompositionslehre wie bei der Symphonie Nr. 41 von Wolfgang Amadeus Mozart als eine Art Triumph des Lichts gehört werden kann, wird die Tonart als Titel von Retinsky durch die Spielweisen, im Wechsel von Crescendo und plötzlichem Abbruch eher bedrohlich.

© Thomas Ernst

Die Geste Alexey Retinskys Kompositionen derzeit aufzuführen, seinen Klang mit C-Dur zwischen Licht und Bedrohung im Konzertsaal und „Rundfunk“ sich entfalten zu lassen, ohne dass seine Biographie oder sein Werk näher von den Veranstaltern und Aufführenden kommentiert werden, kann, ja, muss aktuell unter den kriegspolitischen Bedingungen in Russland gesehen werden. Nichts zu kommentieren, muss, was die Geschwätzigkeit „der“ Medien anbetrifft, bereits als politische Haltung verstanden werden. C-Dur ist mit einer Schärfe, ja, politischen Radikalität komponiert, die das Tongeschlecht in einer Zeit ausreizt und befragt, in der in St. Petersburg und Moskau keine Fragen mehr gestellt werden dürfen, ohne sich damit einem allmächtigen Apparat auszuliefern. Noch 2020 hatte Jurowsky C-Dur mit dem State Academic Symphony Orchestra of the Russian Federation beim Festival Another Space in Moskau aufgeführt. Das ist unmöglich geworden. Fragende wie queere Menschen werden von Wladimir Putin und seinem Apparat seit kurzem als Staatsfeinde definiert, verfolgt und ermordet, was die Geschichtsschreibung seit der Homosexuellen-Sonder-Gesetzgebung von Heinrich Himmler und seinem „Männerstaat“ von 1937 auf bestürzende Weise kennt![5]

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Die Aufführung von C-Dur durch Vladimir Jurowski, der die Alpensinfonie von Richard Strauß mit dem Bayrischen Staatsorchester beim Musikfest treffend und in gewisser Weise musikpolitisch interpretiert hatte[6], zollte nicht nur dem Politikverständnis in der Musik des Festivals ultraschall Respekt, vielmehr formulierte er durchaus zeitpolitisch und witzig sein Verständnis von Politik in der Musik. Im Konzertgespräch mit Rainer Pöllmann nannte er, was für einen international gefragten Spitzendirigent äußerst deutlich ist, nicht nur „Kriege“ und „Angriffskriege“ als Einfluss der Zeit auf die „Musiker“, mehr noch erregte er mit der Nennung von „Bauernaufstände(n)“ eine ungewohnte Heiterkeit im Publikum.
„Wir leben in einer bestimmten Zeit. Es ist uns eine Zeit gegeben, und es wird keine andere geben. Das heißt, unser Leben verläuft im Hier und Jetzt und wir müssen das, was draußen auf den Straßen passiert, seien es Kriege, Angriffskriege, Bauernaufstände…“ (hier erklingt belustigtes Kichern aus dem Saal) „…oder einfach schlechtes Wetter – wir müssen es einfach in Kauf nehmen. Und das färbt schon auf unsere Tätigkeit als Musiker ab. Aber ich möchte doch das Recht der Musik verteidigen wollen, nur Musik zu sein. Der Mensch kommt nicht umhin, ein homo politicus zu sein, einfach weil wir in einer Gesellschaft leben. Und trotzdem, die Musik bleibt Musik und sie darf in solche Regionen vordringen, in die uns unsere sozialen, politischen und ethischen Umstände oft nicht hineinlassen.“[7]

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Das kurze kaum sechsminütige, narrativ angelegte Stück a mark of our breath (2021) der iranischen Komponistin Elnaz Seyedi geht im Pandemie-Jahr 2021, als das Atmen mit oder ohne Maske ein Politikum wurde, einerseits von einem Landschafts- und Naturerlebnis im Wendland aus und andererseits vom Einbrechen menschlicher Stimmen in die in Klang übersetze visuell-haptische Wahrnehmung. Die Stimmen werden dabei von Blechblasinstrumenten als klangliche Bereicherung, aber auch als eine Zerstörung der als ursprünglich empfundenen Landschaft komponiert. Als Hörer*in kann man sich durchaus eine Weiterentwicklung der Komposition vorstellen, wie überhaupt junge Komponist*innen zunächst wie z.B. Alexey Retinski bereits 2011 das Streichquartett »C-Dur« für zwei Geigen, Bratsche und Cello komponiert hatte, das nun „für Streicher“ mit einem Kammerorchester erklang. Komponieren heißt hier auch immer einen musikalischen Gedanken entwickeln, um ihn später ins Sinfonische weiter auszuarbeiten. 

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Mit Olga Rayevas kam es zur Uraufführung des Stückes Am Meer, das sie mit Vladimir Jurowski und dem RSO sowie dem Akkordeonspieler Roman Yusipey erarbeitet hat. Im Konzertgespräch mit Rainer Pöllmann verneint Rayeva zwar, dass sie mit der Komposition der durch den russischen Angriffskrieg mit dem Theater, der Universität und dem Museum weithin kulturell und musikalisch zerstörten Stadt Mariupol, in der sie bei den Eltern der Mutter als Kind ihre Sommer verbracht habe, ein „Epitaph“ habe setzen wollen. Aber sie hatte zum Projekt sehr wohl geschrieben, dass für sie die Ereignisse der letzten Jahre „eine persönliche Tragödie“ seien. „Die Ereignisse der letzten Jahre haben mich zu einem großen Teil innerlich zerstört. Und die einzige Möglichkeit für einen Komponisten, mit Trauma umzugehen, ist es, Musik zu schreiben.“[8] Der musikalische Umgang mit einem Trauma ist keine Darstellung der Erinnerung, der Sehnsüchte und der Trauer am Meer. Dennoch spielen sie in den Bau und den Klang einer Komposition hinein, die durch Zeit und Raum durch Ereignisse geprägt wird.

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Musik zu machen, wird von Rayeva vor allem als eine Praxis der Gemeinschaft formuliert. Über die angedeuteten „Ereignisse“ wird die ukrainisch-russische Zusammenarbeit zu einer politischen Geste. Generationell gehören Rayeva, Jurowski und Yusipey, die in den 70er Jahren geboren und ausgebildet wurden, noch einer sowjetischen Generation an, die 1991 den Zusammenbruch der UdSSR in Moskau und Kiew erlebte. Sie arbeiten allerdings seit vielen Jahren in Deutschland und international. Vielleicht kann Swetlana Alexijewitsch mit Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus am ehesten einen Blick auf das, sozusagen, verbindende Trauma geben.[9] Doch dabei handelt es sich um eine literarische Annäherung. Am Meer als Komposition ist wahrscheinlich näher und abstrakter zugleich am Trauma. Es ist nicht nur ein Naturereignis der Winde und des Blicks aufs Meer, vielmehr wird das Asowsche Meer zugleich zur Sehnsucht nach Hoffnung und deren katastrophischen Enttäuschung. Am Meer ist kein sentimentales, sondern ein vielschichtiges Stück.  

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Die Abstraktion in der Musik, in der Komposition wurde ebenfalls von Farzia Fallah für ihr Stück Traces of a Burning Mass (2022) als Argument angeführt. Obgleich sich der Titel und das Stück auf die Massenproteste im Iran beziehen, hätte Fallah, wie sie sagte, es nicht komponieren können, wenn sie nicht bereits zuvor ein Konzept entwickelt gehabt hätte. Vielleicht ist gerade das ein Erkenntnisgewinn der 25. Ausgabe des Festivals ultraschall, dass Ereignisse immer politisch in das Musikmachen hineinspielen, aber nie allein politisch sein wollen. Wenn es eine Gemeinsamkeit der aufgeführten Kompositionen der „neuen Musik“ gibt, dann lässt sie sich in dem hohen praktischen Kompositionsanspruch hören. Individuelle Kompositionspraktiken werden mit einem fundierten, in einem System der Landschaft aus Musikhochschulen und -universitäten durch Stipendien erlernten, sagen wir, Handwerk ausgeführt. Es geht nicht (mehr) um ein Zertrümmern, sondern eher um ein Erforschen des Musikmachens, das sich vom Politischen nicht isolieren kann und will. Nicht zuletzt sind Komponist*innen wie Elenaz Seyedi oder Oscar Bianchi ehemalige Stipendiat*innen der Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

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Oscar Bianchi hat seine Komposition Exordium als einen Begriff aus der Rhetorik 2016 neu komponiert. Die Anknüpfung an die Rhetorik als Kunst der Rede und dem Exordium als Einleitung oder Anfang formuliert er mit einem Zeitbezug: „in Zeiten erheblicher kultureller und politischer Polarisierung, in denen rüpelhafter Populismus und >deep fakes< die Wahrnehmung unserer Sinne ebenso zu untergraben und zu bedrohen scheinen wie den sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand, die Wiederentdeckung der Faktizität eines Diskurses, die mögliche Transparenz der Kunst, Gedanken und Ideen zu vermitteln, mir ein notwendiges Unterfangen, ein moralischer Imperativ zu sein scheint, den ich als Kreativer wie als Bürger verfolgen muss“.[10] In der Musik lässt sich mit dem wiederholten Crescendo, schnellen Einwürfen der Blechbläser und hartem Schlagwerk, eine zäsurierte Rede wahrnehmen. Der starke Wechsel und der Reichtum an Klangfarben lässt Bedeutung erwarten, die indessen nicht eingelöst wird. Das Stück endet nach einer Pause mit einem einzelnen, herausgestoßenen Ton. Auf diese Weise macht Bianchi auf die Rhetorik als Praxis der Erzeugung von Bedeutung aufmerksam. Doch was Exordium außer der Praxis der Bedeutungserzeugung bedeuten soll, sagt Bianchi nicht und wissen wir nicht. Vielmehr sagt er: Hört mal, so wird Bedeutung gemacht!

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Einer Art Mikropolitik in der Musik ist das erstaufgeführte Liedprogramm Family Business – Unheavenly Lullaby von und mit der auf neue Musik spezialisierten Sopranistin Sarah Maria Sun und dem Pianisten Jan Philip Schulze. Fabio Nieder steuerte mit Parlando – Ein Schlummerlied sogar eine Uraufführung bei. Die Lieder und Liedtexte decken einen langen historischen Zeitraum ab von 1925 mit Hans Eislers Zeitungsausschnitte, op. 11 über 1947 mit Benjamin Brittens A Charm of Lullabies von verschiedenen englischen Dichtern und daraus A Charm von Thomas Randolph bis zu Nieders Parlando nach slowakischer Folklore. Die Kompositionen sind angelegt zwischen lautmalerischem Wiegenlied „Eia Popeia.“ bei Fabio Nieder und narrativen Texten wie z.B. Postkarten von Jurek Becker am seinen Sohn Johann „Du alter Kullerpfirsich, / weißt Du, was der indische Mann auf der Postkarte macht? / Er spielt Flöte, bis sich die Schlange, die in dem Korb liegt, steil aufrichtet. (…)“ von Miroslav Srnka.[11] Das Format Lied wird insoweit von der neuen Musik hinsichtlich seiner Möglichkeiten erkundet.

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Sehr unterschiedliche Kompositionsverfahren wie die durch zelluläre Automaten erzeugten Monadologien der Monadologie XXXVIII: Ein Kinderspiel von Bernhard Lang und der eher klassisch-modernen von Hans Eisler wie das Kinderlied aus dem Wedding „(…) Nur Mutter Schmidtn, die hat gelitten! / Die hab’n se siebenmal geschnitten, (…) “ kommen im Programm zum Zuge. Bernhard Lang textet mit den Monadologien bereits die künstliche Selbstproduktion von Liedern. Insgesamt lassen Sarah Maria Sun und Jan Philip Schulze zehn Komponist*innen mit kurzen Ausschnitten von bisweilen ganzen Liedzyklen wie So sieht’s aus. von Andrea Lorenzo Scartazzini mit Texten von Nora Gomringer zur Aufführung kommen. Das hat den Vorteil, dass die Vielfalt der Lieder zum Thema Familie deutlich wird, wovon sich Sun und Schulze begeistert zeigten. Andererseits stellt der ständige Wechsel ohne ausführlichere Anmoderation nicht nur höchste Ansprüche an die Sopranistin, sondern verlangt den Zuhörer*innen ebenso ein hohes Maß an Flexibilität beim Hinhören ab. Sie müssen sich immer wieder auf andere Texte und Musiken einstellen.

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Es ist gar keine Frage, dass das Liedprogramm thematisch und musikalisch höchst interessant komponiert ist. Doch ohne eine Art Storyline, warum welches Lied auf ein anderes folgt, fühlt sich der Zuhörer allein gelassen. Bei Liedzyklen einer einzelnen Komponist*in funktioniert das narrative Moment quasi von selbst, obschon man sich hineinhören muss. Im Programmablauf entstehen allerdings Sprünge, die ein Gefühl hilfloser Desorientierung verursachen kann. Das so unterschiedliche Liedmaterial, das von Sarah Maria Sun mutig und geradezu waghalsig mit Engagement und Perfektion dargeboten wird, könnte durch ein verknüpfendes Narrativ transparenter und zugänglicher gemacht werden.

Torsten Flüh

Konzerte zum Nachhören:    
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin // Vladimir Jurowski
Do. 18.01.2024 um 19:00 Uhr
Haus des Rundfunks: Großer Sendesaal des rbb
rbbkultur: 12.03.2024, 23:03 Uhr, Musik der Gegenwart

Sarah Maria Sun // Jan Philip Schulze
Do. 18.01.2024 um 21:30 Uhr
Haus des Rundfunks: Kleiner Sendesaal des rbb
Deutschlandfunk Kultur: 25.01.2024, 20:03 Uhr, Konzert
rbbkultur: 06.02.2024, 23:03 Uhr, Musik der Gegenwart      


[1] Zitiert und transkribiert nach RSB-Online: 100 Jahre Jubiläum

[2] Brunhilde Pomsel begann ihre Karriere als Sekretärin im Haus des Rundfunks und wurde die Sekretärin von Joseph Goebbels. Siehe: Torsten Flüh: Eine moderne Frau mit Fragen an die Gegenwart. Zum Buch und Film Ein deutsches Leben mit der Elitesekretärin Brunhilde Pomsel. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. April 2017.

[3] Seit dem 28.09.2021 gibt es keine bevorstehenden Events mehr auf seiner Homepage.

[4] Zu Beat Furer siehe: Torsten Flüh: Heimkehr ohne Heim. Zur Uraufführung von Beat Furrers Metaoper Violetter Schnee mit funktionierender Opernbühnenmaschinerie. In: NIGHT OUT @ BERLIN 27. Januar 2019

[5] Siehe: Torsten Flüh: Wie Homosexualität zum Feind des Staates gemacht wurde. Zum Vortrag von Ralf Kempe, Erster Polizeihauptkommissar Polizei Berlin, über die Ermordung von 4 schwulen Polizisten auf dem Polizeiübungsgelände in Spandau. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. Juli 2023.

[6] Siehe: Torsten Flüh: Vom Sonnengesang, der Trauermusik und dem Alpengipfel ironisch. Zur Uraufführung des Cantico delle Creature durch das Ensemble Modern Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra und dem Bayrischen Staatsorchester beim Musikfest Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 14. September 2023.

[7] Obwohl live gehört: zitiert nach: Laris Bäucker: Sind die Zeiten der Empörung vorbei? In: Ulraschall 19. Januar 2023.

[8] Siehe: Olga Rayeva: Am Meer. In: ultraschall 18. Januar 2024.

[9] Zu Secondhand-Zeit: Torsten Flüh:  Eine Feier des Austausches und die Trauer. Zu HERE AND NOW. Ein Fest zum 60. Jubiläum des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in der Akademie der Künste. In: NIGHT OUT @ BERLIN 26. Oktober 2023.

[10] Oscar Bianchi: Exordium. In: ultraschall … [wie Anm. 8]

[11] Siehe „Texte zu den gespielten Werken“: Sarah Maria Sun // Jan Philip Schulze Do. 18.01.2024 um 21:30 Uhr – Haus des Rundfunks: Kleiner Sendesaal des rbb.

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