Eine Feier des Austausches und die Trauer

Literaturen – Künstler*in – Austausch

Eine Feier des Austausches und die Trauer

Zu HERE AND NOW. Ein Fest zum 60. Jubiläum des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in der Akademie der Künste

Musiker*innen und Komponist*innen sind es vielleicht, die als Stipendiat*innen des Berliner Künstlerprogrammes wie Matana Roberts und Merche Blasco durch das Festival Maerz Musik besonders gut vernetzt sind in den Medien der Stadt. – Wer? – Beim Namen Swetlana Alexijewitsch, Literaturnobelpreis 2015, meint dagegen sofort jede und jeder zu wissen, von wem und was die Rede ist. Sie war – immerhin mit 62 Jahren für den Literaturnobelpreis gehandelt – 2011 Stipendiatin des Berliner Künstlerprogramms. Aus Anlass des 60. Jubiläums unterhielt sie sich am 12. Oktober mit dem Präsidenten des DAAD, Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, über das Sprechen mit Menschen in Weißrussland, der Ukraine und Russland. Gestreift wurde auf der Jubiläumsveranstaltung unter Schock auch der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober auf die israelische Zivilgesellschaft.

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Die Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD Silvia Fehrmann moderierte charmant den Abend im HERE AND NOW mit Grußworten von Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Oliver Friederici, Staatssekretär für Gesellschaftlichen Zusammenhalt im Berliner Senat, und Prof. Dr. Joybrato Mukherjee sowie das Bühnenprogramm mit den teilnehmenden Fellows wie MADEYOULOOK aus Südafrika, Matana Roberts aus den USA, Merche Blasco aus Spanien, Jay Bernard aus Großbritannien und natürlich Swetlana Alexijewitsch, die 2013 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2015 den Literaturnobelpreis erhielt. Im Juni 2021 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz von Frank Walter Steinmeyer verliehen. Sie lebt seither in Berlin.[1] In den Grußworten wie im Podiumsgespräch wurden die Kraft der Kunst, der Literatur und des kulturellen Austausches beschworen sowie der Terrorangriff angeschnitten.

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Einleitend und rückblickend ist bedenkenswert, dass der Terrorangriff der Hamas von den Akteur*innen im HERE AND NOW zwar 5 Tage danach angesprochen, betrauert, die verstörenden Freudenbekundungen auf der Sonnenallee verurteilt wurden, doch anders als die Kriegserklärung Putins gegen die Ukraine und die Kultur des Westens, nicht als ein Angriff auf eine Kultur des Austausches, der Diversität und „des Westens“ formuliert wurde.[2] Die Kultur des Austausches in einer Praxis des gegenseitigen Schenkens und Respekts als Leitbild des Berliner Künstlerprogramms und des DAAD war auf schockierende Weise massiv angegriffen worden. In den „Leitlinien“ des Künstlerprogramms heißt es u.a.:
„Als Team des Berliner Künstlerprogramms des DAAD haben wir die Verantwortung, diese ethischen und demokratischen Werte zu wahren. Wir arbeiten unablässig daran, unser Programm so inklusiv und sicher wie möglich zu gestalten – für Menschen aller Geschlechter, Rassifizierungen, Altersgruppen, Veranlagungen und Klassen sowie für weitere Gruppen, die häufig unerwähnt bleiben. Wir fordern daher alle auf – unsere KollegInnen, PartnerInnen und AuftragnehmerInnen sowie unsere StipendiatInnen und BesucherInnen –, sich gegenseitig zu respektieren.“[3]

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In der deutschen Debatte um den Terrorangriff, die gezielte bestialische Gewalt gegen Israelis, gegen jüngste, junge bis sehr alte Jüd*innen und eine offene Gesellschaft, wie sie mit dem psychodelischem-trance Supernova Festival von Re‘im angegriffen worden ist, wird lediglich auf die propalästinensischen Freudenfeiern mit Feuerwerk auf der Sonnenallee verschoben. „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ im Ressort der CDU des Berliner Senats? Mit derartigen Verschiebungen geht es darum, sich nicht angesprochen bzw. angegriffen fühlen zu müssen. Längst ist der Palästinakonflikt als Kern des Nahostkonflikts kein lokaler mehr. Einerseits brüstet sich die Hamas selbst damit, dass sie durch ihre widerlichen Taten und den offenbaren Missbrauch von hunderten palästinensischen jungen Männern, die sie mit syrischem Captagon, der sogenannten „Dschihadisten-Droge“[4], in sexualisierte Kampfmaschinen verwandelt hatte, wieder auf der Tagesordnung der Weltpolitik steht, nachdem Israel schon mit Saudi Arabien Beziehungen aufgenommen hatte und die Hamas in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohte. Andererseits nutzen die Mullahs in Teheran und Erdogan die Hamas als Schachfigur in einem Krieg der Autokraten und Patriarchen gegen die Demokratie und westliche Werte, weil ihre Regime kulturell selbst massiv unter Druck stehen.

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Permanent wird aktuell hinsichtlich Israel und Palästina mit Gaza medial versucht, eine Homogenität von territorialen Lagern herzustellen, die sich bei näherer Betrachtung in Ängste, Medienschlachten und bestenfalls Heterogenität auflöst. Das ist nicht nur ein deutsches Problem. Kein einziger Staat des Nahen Osten oder der arabischen Welt ist homogen – weder Israel noch der Nicht-Staat Palästina. Widerstreitende Narrative des Islam und des Judentums kursieren lebhaft in der Region. Die Historisierung des Konflikts ist für die Hamas nur noch ein Kampfmittel, das islamistisch aufgeladen wird, während sich eine Weltöffentlichkeit und nicht zuletzt der aus Portugal stammende, ehemals sozialistische UN-Generalsekretär António Guterres im historischen Narrativ verstricken. Die Spaltung geht weit ins Innere der von den USA initiierten Weltgemeinschaft der Vereinten Nationen (UN), die die Hamas und damit das Regime in Teheran mit der Historisierung ihres Terrors erreicht haben. Statt Respekt zu üben, wird ein Terrorkrieg nicht allein um Israel und sein Territorium geführt. In den Berliner Jubiläumsreden auf der Bühne der Akademie der Künste wurde dieser weitreichende, kulturelle Konflikt, der die Leitlinien des Künstlerprogramms massiv angreift, umgangen. – Vielleicht saß der Schock noch zu tief.  

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Als Vorspann präsentierte das kollaborative Künstlerkollektiv MADEYOULOOK aus Molemo Moilea und Nare Mokgotho das Videoprojekt Menagano (2022). Sie waren Stipendiat*innen 2022 im Künstlerprogramm. Die Darstellung einer Landschaft bleibt im Video schemenhaft, um es einmal so zu formulieren. Es geht von einer de-kolonialen Wahrnehmung von Landschaft aus. Die genaue und innere Kenntnis des Landes prägt die ästhetische Imagination von Land und befragt mit dem programmatischen Namen – made you look – des Kollektivs, was eine Landschaft sehen lässt. Insofern wird das koloniale Verständnis der Landschaftstradition in den visuellen Künsten gestört. Das Video will nicht einfach eine Landschaft zeigen. Vielmehr erforscht es Sichtweisen der Landschaft nach ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen. Sie bieten dafür Modelle der Erinnerung von Geschichten, orale Traditionen, „black love“ etc. an, die die Landschaft in ihrer Sichtbarkeit befragen, aus hierarchischen Verhältnissen lösen und zerstreuen. Da das Video vor der Anmoderation gezeigt wurde, zerstreute es sich auch in dem Eintreffen und Gesprächen des Publikums.

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Die Jazz-Saxophonistin, Jazz-Klarinettistin und Komponistin Matana Roberts, die 2018 im Bereich Musik & Klang am Programm teilnahm, ist in den USA recht bekannt. Ihr Kostüm mit bis auf die Augenbrauen gezogenem Zylinder, wallendem Gewand und an Kreolen erinnernden großen, flächigen Ohrgehängen erinnerte den Berichterstatter – möglicherweise völlig zu Unrecht – an New Orleans und James Bond 007 in Leben und sterben lassen (1973). Matana Roberts wird zum Jazzstil der New Creatives gezählt, die hoch individuell und flexibel ihre Performances einrichten. Sie bot damit eine besondere Jubiläumsperformance, mit der sie das Berliner Künstlerprogramm des DAAD als ein einzigartiges mit einer Improvisation aus Text und Sound feierte. Zugleich erinnerte sie an die glimmer: aurum performance  von und mit Otobong Nkanga zum 50. Jubiläum 2013.[5] Otobong Nkanga hat seither eine Reihe namhafter Kunstpreise verliehen bekommen.

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In mehrfacher Hinsicht war das vielschichtige Gespräch von Joybrato Mukherjee mit Swetlana Alexijewitsch über ihre Literatur der Höhepunkt des Festprogramms. Denn sie hat mit der „Komposition ihrer Interviews (…) eine() eigene() literarische() Gattung gefunden“, wie es Gottfried Honnefelder am13. Oktober 2013 in der Paulskirche in der „Urkunde“ des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels formulierte.[6] In seiner „Begrüßung“ stellte Honnefelder die Frage, ob „es Frieden geben“ könne, „wenn Menschen – und mit zunehmender Moderne ganze Menschengruppen – stumm gemacht werden und als Randphänomene politischer Prozesse aus dem Blick geraten, ja vom Rest der Welt vergessen werden“.[7] Die wenig später nobelpreiswürdige Arbeit mit der und für die Literatur von Swetlana Alexijewitsch besteht nicht in einer Befriedung widerstreitender, ja, sich bisweilen in wenigen Sätzen eines Interviews bekämpfender Narrative, sondern im Zulassen und Aufschreiben des Widersprüchlichen. Kein Urteil. Keine Kommentierung. Keine Konklusion.
„»Was wäre, wenn der Putsch gesiegt hätte? Er hat doch gesiegt! Das Dserschinski-Denkmal wurde gestürzt, aber die Lubjanka ist geblieben. Wir bauen den Kapitalismus unter Führung des KGB auf.«“[8]

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Die Frage der Literatur oder Literaturen bricht mit Alexijewitschs Schreib- und Kompositionsverfahren auf. Kolportiert sie nur? Oder komponiert sie schon, wenn sie schreibt: „Ich sitze in der Küche bei Moskauer Bekannten. Eine große Truppe ist versammelt – Freunde, Verwandte aus der Provinz. Wir erinnern uns, dass am nächsten Tag der Jahrestag des Augustputsches ist.“[9] Und dann folgt neben anderen eine weitere namenlose Stimme, die den „Putsch“ vom 19. bis 21. August 1991 in Moskau einordnen will, die eine atemberaubende Formulierung findet: „Wir bauen den Kapitalismus unter Führung des KGB auf.“ Das ist ein kurzer, ich möchte wohl sagen, kleiner Satz, der in seinem nachträglichen Wahrheitsgehalt auf einen gewissen KGB-Mitarbeiter in Dresden, Wladimir Wladimirowitsch Putin, zuzutreffen scheint. Das konnte selbst 2015 noch niemand so klar wissen. Wir wissen nicht, ob der Satz tatsächlich so oder etwas anders in Moskau gefallen ist. Heute springt er bestimmt nicht nur für mich wie eine Prognose und Wahrheit hervor.

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Swetlana Alexijewitsch hat das Zuhören zum Verfahren ihrer Literatur gemacht, worauf sie nicht zuletzt Joybrato Mukherjee im Podiumsgespräch wiederholt ansprach. Das Zuhören und Aufschreiben geschieht ohne einen „Haltepunkt, eine(r) oberste(n) und rettende(n) Instanz“, wie es Karl Schlögel in seiner Laudatio 2013 nannte.[10] Die Fragen nach der Ungeheuerlichkeit des russischen Angriffs auf die Ukraine nach Befehl Putins ließen die Schriftstellerin fast ungerührt. In ihren Texten mit den Gesprächen aus den 90er Jahren sind alle Narrative bereits enthalten, die sich in der Kriegserklärung verdichteten und entluden. In den Aufzeichnungen einer Beteiligten schreibt sie bereits 2013:
„Veraltete Ideen leben wieder auf: vom großen Imperium, von der »eisernen Hand« … Die sowjetische Hymne ist zurück, es gibt wieder einen Komsomol, nur heißt er jetzt »Die Unseren«, es gibt eine Partei der Macht, die die Kommunistische Partei kopiert. Der Präsident hat die gleiche Macht wie früher der Generalsekretär. Die absolute Macht. Statt Marxismus-Leninismus haben wir jetzt die Orthodoxie …“[11]

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Im deutschen Feuilleton brach 2015 eine heftige Debatte über die Literatur[12] aus, als die Feuilleton-Chefin der ZEIT, zweifellos eine „Instanz“, Iris Radisch, wiederholt schrieb und sagte, dass Alexijewitschs Texte „keine Literatur“ seien. Literatur müsse „etwas Schöpferisches haben“. Sie müsse „«fiction», eine eigene Erfindung sein“. Sie müsse „eine besondere Sprachqualität haben“. Und sie müsse „- das ist ganz wichtig – eine eigene imaginative und weltverwandelnde Kraft haben“.[13] Gegenüber Karl Schlögels Diktum – „Swetlana Alexijewitschs Schreiben beginnt mit einem Abschied von der schönen Literatur.“ – von 2013 hatte sich Radisch doch noch ein wenig Zeit gelassen, um die polyvokale Literatur der „Küchengespräche“[14] als eine aus Literaturen zu verwerfen. Kann es mehr Weltverwandlung geben als mit der Formulierung „Wir bauen den Kapitalismus unter der Führung des KGB auf“?  

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Swetlana Alexijewitschs Literatur beginnt bei der Selbsterzählung der Menschen, nicht zuletzt als „Homo sovieticus[15], die sich nicht einfach nur als eine Reportage abtun lassen. Denn das Erzählen von sich selbst und einer Katastrophe mit einem nachträglichen Wissen legt kollidierende Narrative z.B. von Milch als Medizin frei. Wir wissen selbst bei Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft (1997/2019) nicht, wie viel nachträgliches Wissen bereits in die stockende Erzählung von den ersten Stunden der Katastrophe eingeflossen ist. Der paradoxe Untertitel „Eine Chronik der Zukunft“ gibt einen Wink auf die narrative Uneinholbarkeit der Katastrophe. Denn eine Chronik wird immer erst nachträglich, chrono-logisch[16] und nicht im Voraus angelegt.[17] Nicht zuletzt prallen Narrative von der Zukunft, der Sicherheit, der Medizin etc. aufeinander.
„Meine Freundin Tanja Kibenok kam … Ihr Mann lag im selben Zimmer … Sie kam mit ihrem Vater, der hatte ein Auto. Wir fuhren ins nächste Dorf, um Milch zu besorgen. Etwa drei Kilometer außerhalb der Stadt … Wir kauften mehrere Dreilitergläser mit Milch … Sechs, damit es für alle reichte … Aber die Männer erbrachen die Milch … Sie verloren immer wieder das Bewußtsein, man hängte sie an den Tropf. Die Ärzte behaupteten merkwürdigerweise, daß es Gasvergiftungen seien, von radioaktiver Strahlung sprach keiner.“[18]  

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Das Jubiläumsprogramm bekam auf diese Weise mit dem Gespräch mit Simultanübersetzung ins Englische und Deutsche eine zugleich andere als vorhersehbare Wendung und Aktualität. Eine sich in eine Vielzahl von Narrativen aufspaltende, sich schwer in Worte fassen lassende Katastrophe war passiert. Sie holte das Bühnenprogramm ein, war allgegenwärtig und ließ sich dennoch nicht einfach durch Verbalisierung vergegenwärtigen. Das Programm musste weiterlaufen. Wahrscheinlich geht es nicht ohne Programm und dem Festhalten an Narrativen, während diese attackiert werden. Alexijewitsch beharrt auf den „Stimmen … Stimmen … Die Gesichter verschwinden aus meiner Erinnerung, die Stimmen aber bleiben.“[19] Vom Gespräch bleiben die Stimmen, die mehr sind als die Narrative und das Auditive.[20]

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Merche Blasco verwandelt das Studio der Akademie der Künste im HERE AND NOW in einen Club. Der Club als ein Raum der Musik, der Lichteffekte, der Interaktion mit den Tanzenden und der zumindest erotisch aufgeladenen Interaktion der Tanzenden untereinander auf der Tanzfläche und in den Sitz- wie Liegeecken hat sich wenigstens seit The Long Now beim Festival MaerzMusik 2016[21] zur innovativen Schnittstelle von Experimentalkunst und Unterhaltung etabliert. Merche Blascos Live-Set als Teil einer umfangreicheren Komposition im Künstlerprogramm lässt sich durchaus tanzen, wenn das Format Jubiläumsveranstaltung nicht mit einem eher clubfernen Publikum in den Sitzreihen im Auditorium stattgefunden hätte. – Provokation? Nein, Praxis und Realität des kulturellen Austausches in generationellen Verhältnissen.

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Die Multimedia-Künstlerin Merche Blasco kommt zwar aus Spanien, lebt aber seit längerer Zeit in New York und zur Zeit in Berlin. An den Schnittstelle von DJ und Komposition wird von Merche im Live-Set als Kunstform mit Lichtquellen und elektromagnetischen Kraftfeldern ein komplexer Klang erzeugt, der zu tranceartigen Zuständen führen kann. Die Künstlerin kleidet sich für dieses Live-Set in der Tradition des Futurismus mit einer Art übergroßen spiegelnden Halskrause, fluoreszierenden Linien im Gesicht und im toupierten Haar. Die Bewegungen am Set wirken choreographisch durchgearbeitet. Mit wenigen Haltungsveränderungen werden komplexe Klangereignisse mit rhythmischen Elementen am Laptop und Set erzeugt. Die bewusstseinsverändernden Klang- und Lichteffekte gehören zum Setting des Clubs, zu dessen Intensivierung in Berliner Clubs als billiger Kokainersatz aktuell Captagon kursiert und konsumiert wird.

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Trance und Erweiterung des Bewusstseins könnten durchaus als Signatur des Futurismus‘ mit seinem Versprechen für Kunst und Kultur in der europäischen Moderne beschrieben werden. Zugleich geben die akustischen und visuellen Verfahren einen Wink auf den Russischen Kosmismus.[22] Multimedialität der Arbeit von Merche Blasco unter Einsatz digitaler Verarbeitungsprozesse generiert eine Intensivierung der Wahrnehmung, die paradigmatisch eine Loslösung von einer Normal-Wahrnehmung verspricht. Man könnte es zugleich als eine Art des Feierns und Rausches benennen wie eine fließende Programmierung. Die clubartige Musik- und Bühnen-Performance von Merche Blasco reflektierte nicht zuletzt Musikevents wie das Supernova Festival vom 7. Oktober an der Grenze zu Gaza.     

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Den Abschluss des Bühnenprogramms machte Jay Bernard mit einer eingespielten Lesung seines Kurzessay Über Kunst in Englisch und einer Projektion in Deutsch, was zu einer misslichen Kollision des Gehörten mit dem Gesehenen führte. Der queere und farbige Künstler und Schriftsteller Jay Bernard wuchs im Süden von London auf. Er präsentiert seine Position zur Kunst in Anknüpfung an Derek Jarman, der unter anderem 1986 den Film Caravaggio mit Dexter Fletcher und Tilda Swinton drehte, bevor er 1994 an AIDS verstarb. Projiziert wurde der deutsche Text auf blauem Hintergrund. Der blaue Hintergrund bezieht sich bereits auf ein Gedicht von Derek Jarman: „ The sky-blue butterfly/sways on a cornflower/Lost in the warmth/of the blue heat haze/Singing the blues/Quietly and slowly/Blue of my heart/Blue of my dreams…” Denn Jay Bernard hat mit BLUE NOW eine umfangreichere Arbeit zur Kunst veröffentlicht. Zu bedenken ist dabei u.a.. dass im Word-Programm Links blau unterlegt werden.

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Torsten Flüh


[1] Vera Nerusch: Alexijewitsch: Weg zur Freiheit ist lang. (Interview mit Swetlana Alexijewitsch) In: DW 06.01.2022.

[2] Zum Wortlaut der Kriegserklärung siehe Torsten Flüh: Das Putin-Rätsel. Zur großen Demonstration „Stoppt den Krieg“ und den dezentralen Protesten. In: NIGHT OUT @ BERLIN 16. März 2022.
Und: Komische Verspätung à point. Zum Hörspiel Mädchenzimmer mit Soldaten von Anna Pein in der Akademie der Künste. In: NIGHT OUT @ BERLIN 2. April 2022.

[3] Berliner Künstlerprogramm: Leitlinien. (Internet)

[4] Siehe: ARD: Syrien und der Drogenhandel mit der „Dschihadisten-Droge“ Captagon

Syrien und der Drogenhandel mit der „Dschihadisten-Droge“ Captagon. In: Tagesschau24 Stand: 10.07.2023 11:12 Uhr

[5] Siehe Torsten Flüh: The Golden Jubilee. 50 Jahre Berliner Künstlerprogramm des DAAD. In: NIGHT OUT @ BERLIN 16. Dezember 2013. (Publikationen)

[6] Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Swetlana Alexijewitsch. Ansprachen aus Anlass der Verleihung. Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Frankfurt am Main 2013, S. 6.

[7] Gottfried Honnefelder: Begrüssung. In: ebenda S. 11.

[8] Swetlana Alexijewitsch: Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus. Berlin: Suhrkamp, 2015, S. 32. (Zuerst: München: Carl Hanser, 2013.)

[9] Ebenda S. 29.

[10] Karl Schlögel: Laudatio. In: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Swetlana … (wie Anm. 6) S. 30.

[11] Swetlana Alexijewitsch: Secondhand … (wie Anm. 8) S. 17.

[12] Zur Debatte über die Literatur siehe auch: Torsten Flüh: Flugblatt – Zeitung – Blog. Materialität und Medialität als Literaturen. Wien: Passagen Philosophie, 2017, S. 15-16.

[13] dpa: Radisch über Alexijewitsch: Das ist keine Literatur. In: Frankfurter Rundschau 10.10.2015 11:51 Uhr.

[14] Karl Schlögel: Laudatio… [wie Anm. 11] S. 41

[15] Swetlana Alexijewitsch: Secondhand … (wie Anm. 8) S. 9.
Siehe auch: Torsten Flüh: Oktobern als Befreiung und Disziplinierung des Menschen. Zur Ausstellung Das sowjetische Experiment und der Filmedition Der Neue Mensch. In: NIGHT OUT @ BERLIN 16. März 2017.
Ebenso: Torsten Flüh: Kontroverse Erinnerungskünste der Sowjetmacht. Zu Karl Schlögels Schmöker Das sowjetische Jahrhundert und einer Ausstellung im Haus Zukunft. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. November 2017. (als PDF unter Publikationen)

[16] Zur Chronologie als Format der Moderne: Torsten Flüh: Die Geschichte mit dem Dreh. Zur aufsehenerregenden Ausstellung Die Chronologiemaschine im Kulturwerk der Staatsbibliothek zu Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 8. September 2023.

[17] DWDS: Chronik.

[18] Swetlana Alexijewitsch: Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft. Berlin: suhrkamp taschenbuch, 2019, S. 21. (zuerst 1997 unter dem Titel Tschernobylskaja molitwa in der Zeitschrift Druschba narodow in Moskau)

[19] Swetlana Alexijewitsch: Dankesrede. In: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Swetlana … (wie Anm. 6)  S. 65.

[20] Zur Stimme siehe auch: Torsten Flüh: Audio? – Stimmen neu gehört. Zu Thomas Machos Eröffnungsvortrag der Mosse-Lectures mit dem Thema Nach der Stimme und Denise Reimanns Auftakte der Bioakustik. In: NIGHT OUT @ BERLIN 17. November 2022.

[21] Siehe: Torsten Flüh: Unbestimmtheit und Verclubbung. Zu The Long Now 2016 im Kraftwerk Mitte bei MAERZMUSIK. In: NIGHT OUT @ BERLIN 22. März 2016. (als PDF unter Publikationen)

[22] Siehe: Torsten Flüh: Über die literarische Vollendung des Materialismus im Russischen Kosmismus. Zur Ausstellung und Finissage Art Without Death: Russischer Kosmismus im Haus der Kulturen der Welt. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. Oktober 2017. (als PDF unter Publikationen)

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