Puppe wird Mensch

Frau – Maschine – Mensch

Puppe wird Mensch

Zum ebenso witzigen wie verstörenden Anti-Patriarchat-Film Barbie

Um es gleich vorwegzuschreiben: Barbie wird aus dem Reich der Babypuppen, begleitet von der Eröffnungssequenz von Richard Strauss‘ Also sprach Zarathustra als Über-Mensch und dessen Karikatur geboren.[1] Der Film beginnt, um es einmal sozusagen, wenig zartbesaitet und mädchenhaft mit einem Massaker im Mädchenzimmer. Puppenköpfe werden zertrümmert. Schluss mit den lebensreformerischen, pausbäckigen Käthe-Kruse-Puppen zur Einübung des Mütterlichen als Schauspiel. Her mit den überzeichnet langen Beinen und Füßen in High Heels, Wespentaille und Blond. Pumps oder Birkenstock (Productplacement) ist nicht die Frage. Seit dem 9. März 1959 müssen sich kleine Mädchen und solche, die eine Frau werden wollen, strecken und blondieren. Barbie war schon 1959 die perfekte Drag Queen.  

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Greta Gerwig als Drehbuchautorin wie Regisseurin und Margot Robbie als Barbie-Hauptdarstellerin wie Mitproduzentin dürften die Filmgeschichte soweit kennen, dass mit genau der Über-Mensch-Musiksequenz Stanley Kubricks Science Fiction-Film 2001: A Space Odyssey (1968, in UHDTV 2018) eröffnet. Das Mädchenzimmer – Set design: Sarah Greenwood und Katie Spencer – wird als schroffe Wüste eines leeren Planeten vorgeführt. Barbie-Puppe: Über-Mensch: Künstliche Intelligenz: Maschine – und dann geht es so um und bei 110 Minuten für Barbie darum, nicht nur Mensch, sondern geschlechteter Mensch zu werden, wenn sie sich, all ihren Mut zusammenraffend, an der – O-Ton – „Gynecologist“-Rezeption anmeldet. Tatsächlich lässt sich der Film Barbie mit 2001 lesen bzw. sehen. Denn in beiden Filmen wird der Schrecken von mechanischer Puppe – Barbie – oder KI – HAL 9000 – und dem Menschlichen verhandelt.

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Barbie ist nicht mehr und nicht weniger als ein Musicalfilm mit einer Fülle von Anspielungen auf die Pop- und Filmgeschichte ebenso wie die Schrecken und Ängste einer aktuellen globalen Welterfahrung. Im Takt der schnellen Schnitte – Schnitt: Nick Houy – blitzen Aha- und Kenn-ich-Effekte auf, um sogleich wieder vergessen zu werden. Nick Houy hat bereits mehrfach mit Greta Gerwig zusammengearbeitet. Erstaunlicherweise werden keine Kreativen für Special Effects in den Castlisten für den Film genannt. Die Barbieland-Szenen dürften indessen nicht nur Atelierbauten sein. Wenn Barbie aus dem ersten Stock ihres Fünfziger-Jahre-Traumhauses in ihr Cabrio schwebt und der Stoff ihres mehrlagigen Faltenrocks wie ein Fallschirm für Sekunden aufbläht, dann wird die Szene heute gewiss nicht mehr mit Seilen im Studio gefilmt, sondern digital bzw. durch eine KI perfekt aufbereitet worden sein.

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Aktuelle Musicalfilme oder früher Revuefilme wie bei Erich von Sternbergs Blonde Venus (1932) mit Marlene Dietrich sind Maschinen.[2] Auf das Blond der Blonde Venus wird zurückzukommen sein. In Barbieland werden fast ununterbrochen Maschinen vorgeführt. KIs sind für die Perfektion der Barbies geschrieben worden. Doch das Spielzeug-Barbieland leugnet in seiner pinken Perfektion jeglichen digitalen Eingriff. Denn die Puppe als Model der Maschine soll vergessen werden. Seit E.T.A. Hoffmanns Olympia werden Maschinen bzw. Automaten geschaffen und konstruiert, um verkannt und geliebt zu werden. Denn Nathanael verliebt sich in der Erzählung Der Sandmann (1815) in Olympia.[3] Um in die „Real World“ zu gelangen, müssen Barbie und Ken mit Auto, Boot und Flugzeug durch Maschinenlandschaften fahren. Die Bühnenmaschinerie bewegt weder Auto, Boot noch Flugzeug von der Stelle weg. Stattdessen ziehen Wolken, Möwen und Wellen aus Plastik vorbei. Es lebe die alte Illusionsbühne mit Maschinerie.[4]

  

In einer Reihe von islamischen Staaten wie Ägypten, Algerien, Libanon, Irak, Kuwait etc. wurde der Film entweder bereits aus dem Kinoprogramm verbannt oder wird ein Verbot wegen dargestellter Homosexualität diskutiert.[5] – Wie schwul ist Barbieland? Und was macht das mit dem Patriarchat? – Viel expliziter als gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern wird der Wechsel vom matriarchalen „Barbieland“ in ein patriarchales „Kenland“ vorgeführt. Das patriarchale Kenland muss allerdings in seiner ebenso mädchenhaften wie albernen Ken-Genealogie als Nachkommen der Pferde scheitern. In der „Real World“ begehrt die Spielzeug-Barbie gegen das patriarchale Management des Konzerns Mattel auf. Das patriarchale Gesellschaftssystem wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Insofern legt der von Frauen inszenierte und produzierte Barbie-Film seine Spur in die Krise des Patriarchats zwischen Hollywood und Hilla am Ufer des von der Türkei ausgetrockneten Euphrat, dem alten Babylon.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Das temporäre Patriarchat in Barbieland dockt ebenso an stereotype Vorlieben von Mädchen für Pferde an wie der Werbewirklichkeit männlichen Alkoholkonsums und Zigarrenrauchens. Denn – so könnte die These lauten – das Patriarchat ist kapitalistischer als das Matriarchat. Ken wird zum Boss des Patriachats, weil er sich selbst als defizitär wahrnimmt, was in I’m Just Ken von Ryan Gosling gesungen wird. Die Selbsteinschätzung trifft offenbar einen Nerv der Zeit und der Männer. Denn Ryan Gosling kommt damit in die 100 der Billboard Hot 100. Wie die insgesamt 16 Songs von Ava Max über Dua Lipa und Billie Eilish bis zu Sam Smith – Man I Am – bieten die Songs eine Storyline. In den Songs mehr noch als in den Dialogen werden die Mythen der Männlichkeit und patriarchaler Herrschaft erzählt. Kens narzisstische Kränkung neben Barbie immer nur die Nummer Zwei zu sein, führt zu einer Entdeckung seiner „Kenergy“ als Männlichkeit und Verbrüderung mit anderen Männern:
„I’m just Ken (and I’m enough)
And I’m great at doing stuff
So, hey! Check me out, yeah, I’m just Ken
My name’s Ken (and so am I)
Put that manly hand in mine
So, hey! World, check me out, yeah, I’m just Ken
Baby, I’m just Ken (nobody else, nobody else, nobody)”[6]

Barbie – Screenshot Official Trailer

Die Männlichkeit von Ken (Ryan Gosling) und seinen Doubles existiert nur nach den Regeln des Patriarchats und denen der Puppe. Was es heißt Mann zu sein, wird vom britischen Singersongwriter Sam Smith mit Man I Am nach I’m Just Ken, Nummer 8, im Soundtrack an Position 11 beantwortet. Das heißt zweierlei: erstens haben die Produktionsfirmen zwischen Mattel Films und Margot Robbies LuckyChap Entertainment die Superstars der Singersongwriter mit Billie Eilish und Sam Smith als geschlechtliche Identifikationsfiguren für den Soundtrack eingebunden. Billie Eilish ist immer die weibliche Identifikationsfigur der Generation Z bis zum Trip, durch die What Was I Made for? absolut credible rüberkommt. Sam Smith wendet sich explizit an die männliche Hörerschaft: „This is for the boys“. Dazu gehört auch die Verleugnung, schwul zu sein: „No, I’m not gay, bro“. Sam Smiths Ken ist nicht schwul, was nur deshalb bemerkenswert ist, weil Barbie nicht sagen muss: „No, I’m not lesbian, sis“. Dramaturgisch kommt Man I Am zum Zuge, wenn es um die Einsetzung des Patriarchats geht:
„It’s time you realize
That in this world we’ve all been taught a lie
You think that women rule the world
But, baby, where I’ve been
All the things I’ve seen
This Ken has crossed the borderline”[7]

Barbie – Screenshot Official Trailer

Barbie lässt sich nicht leicht in ein Filmgenre einordnen. Obwohl ab 6 Jahre freigegeben, handelt es sich allein schon wegen seiner Überlänge von fast 2 Stunden und Dialoge um keinen Kinderfilm (59 Minuten). Ebenso die verbale Verhandlung von Matriarchat, Patriarchat, Kommerz, Kapitalismus und Geschlecht adressiert sich schwerlich an Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahre. Barbie könnte dem Genre der Screwball Comedy entsprechen, die ihre Ursprünge in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hat. Zu deren Praxis gehören: „respektloser Humor, schneller Rhythmus, Dialogorientiertheit, exzentrische Charaktere und d(ie) battle of sexes“.[8] Die Schlacht der Geschlechter im Film zwischen Barbie und Ken etc. entgeht einem Publikum aus Kindern. Stattdessen ließen sich am Kino in der Kulturbrauerei Jugendliche sehen, die sich anscheinend wie Figuren des Films gekleidet hatten. Insofern könnte Barbie eine Rezeptionspraxis anstoßen, wie sie in den 70er Jahren für die Rocky Horror Picture Show (1975) entwickelt wurde. Das Publikum imitiert die Filmfiguren und nimmt ihre Identität für die Dauer der Filmvorführung an. Der Berichterstatter sah den Film in der Kulturbrauerei auf Einladung zu einem 65. Geburtstag in Begleitung eines emeritierten evangelischen Pfarrers und einer emeritierten Professorin für Islamwissenschaften. Anders gesagt: Greta Gerwig schafft es mit Barbie, nicht nur einen „fantasy comedy film“, was nicht das Gleiche wie ein Spielfilm im Genre der Komödie ist, gedreht zu haben. Eher schon ließe sich mit seinem außerordentlich breiten Erfolg von einem spaßigen, hoch präzisen Debattenfilm sprechen.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Barbie trägt durchaus Züge eines Historienfilms, wenn „Based on Barbie by Mattel“ als Quelle angegeben wird. In mehrfacher Hinsicht verhandelt der Film das 20.Jahrhundert und die Utopien der 50er Jahre. Barbieland orientiert sich in der Architektur, den Einrichtungsstücken des Traumhauses, dem Auto, den Frisuren und der Mode an der amerikanischen Moderne zur Mitte des 20. Jahrhunderts. In den 50er Jahren gab es mehr Zukunft als heute mit der Generation Z bzw. der Letzten Generation.[9] Zur amerikanischen Moderne der 50er Jahre gesellt sich die Abfolge der Barbie-Editionen, die im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr Berufsfelder für Barbie als Frauenmodel erschließen. Doch Barbies Berufskleidung wird im Spielzeugland nicht zur Arbeit angezogen. Sie arbeitet nicht, aber konsumiert endlos. Zwischen Kapitalismuskritik und einem utopischen Kapitalismus bleibt die Barbie-Geschichte in der Schwebe. Dazu gehört auch, dass Barbie in einer pinken Bonbonwirklichkeit schlank bleibt. Die Abwesenheit der Arbeit und arbeitender Menschenpuppen legt nicht zuletzt nah, dass die Befreiung von der Arbeit durch Computer, Roboter und Künstliche Intelligenz geschieht.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Die visuelle Absenz von Arbeit in Barbieland lässt sich nicht nur als kindliche Utopie auffächern, denn Barbie muss vielmehr eine geradezu mythologische Arbeit aufnehmen, wenn sie in der „Real World“ nach dem spielenden Mädchen suchen muss, das auf sie Todesgedanken und Plattfüße übertragen hat. Die Billie Eilish-Frage „What Am I Made For?“ verpasst insofern das Problem der Übertragung von Gedanken auf eine Puppe im mehr oder weniger therapeutischen Spiel. Identität und Übertragung rücken erstaunlich nah zusammen. Gleich einem märchenhaften oder mittelalterlichen Ritter muss Barbie aufbrechen, um durch Arbeit ein Identitätsproblem zu lösen bzw. eine Identität zu finden. Die blonde Barbie wird allerdings von einer schwarzhaarigen, älteren Latina gespielt und gedacht. Sie hegt Todesgedanken, weil ihre Tochter (America Ferrera) erwachsen wird. Die Arbeit mit der Latina lässt sich schwer auflösen, generiert allerdings eine Latina-Familie für Barbie. Paradoxerweise wird Barbie durch das familiale Übertragungsproblem von der geschlechtslosen Puppe zum weiblichen Menschen in der Gynäkologie-Praxis transformiert.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Die Barbie-Geschichte des Spielzeug-Konzerns Mattel wird in einer Art Traumszene mit der Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman) im Headquarter des Konzerns verklärt. Denn in der neuartigen Puppe für Mädchen überschneiden sich unterschiedliche Puppenmodelle. Einerseits entspricht Barbie einer Anziehpuppe für Modeentwürfe en minature, andererseits wird Barbie zu einem mehr oder weniger pädagogischen Model für die Einübung der Rolle der Frau. Puppen sind sozusagen role models insbesondere für Mädchen – gelegentlich auch für Jungs. Historisch stand ebenso der Bild-Karikaturist Reinhard Beuthien mit seiner Figur Lilli für Barbie von Ruth Handler Pate. Von Anfang an überschneiden sich in der Barbie-Puppe mit blondem Pferdeschwanz als Produkt überzeichnete Körpermaße und eine Lust am Kleiderwechsel. Aus Ruth Handlers Prototyp-Barbie generieren sich bis auf den heutigen Tag alle Barbie-Modelle, um ein ebenso buntes, pinkes wie diverses Barbieversum zu generieren.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Barbie setzt nun insbesondere den Prototyp mit Margot Robbie als einer Schauspielerin in Szene, die dem Prototyp zumindest in der Maske (Oscar-Kategorie Best Makeup) des Films zum Verwechseln ähnlich wird. Wer für das Makeup verantwortlich zeichnet, wird bislang nicht angeführt. Ob das Makeup weitgehend digital in Barbie und Barbieland eingesetzt worden ist, wird noch nicht verraten. Doch Margot Robbie wie Ryan Gosling agieren mit makellosen, prototypischen Körpern, die ständig zwischen Puppen- und Menschenkörpern oszillieren. Als Barbie/Margot Robbie und Ken/Ryan Gosling in der „Real World“ von Venice Beach Skatepark in Los Angeles ankommen, verwechselt ein Passant auf der Promenade sofort den Puppenkörper von Barbie mit einem Frauenkörper, indem er ihr auf den Hintern schlägt. Barbie lädt zu übergriffigem Verhalten ein, um es in ihrer Unschuld mit einer Backpfeife zu quittieren. Eine Backpfeife, die Filmgeschichte werden könnte. Wenig später wird Barbie zu – stereotyperweise – Bauarbeitern sagen, dass sie keine Genitalien habe.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Die Konzerngeschichte als eine Quelle für das Drehbuch von Greta Gerwig und Noah Baumbach spart genau dort mit Humor und Ironie pophistorische Spuren aus, wo es mehrdeutig und schwierig wird.[10] Ken wird zwar zu einer mehr als komischen Figur, aber die durchaus witzige Ebene seiner Herkunft wird unterschlagen. Es geht um den boy als doll oder im Deutschen den Jungen als ambige Puppe. Unschlagbar in der Mattel-Firmengeschichte ist 1961 die nur für Kinderohren unzweideutige Werbung für Ken mit „HE’S A DOLL“.[11] Die Mattel-Werbung machte Ken zu einer Puppe mit blonden Haaren und blauen Augen im blauen Sakko. Ein männlicher Barbie-Clon, der fortan ihr geschlechtsneutraler Boyfriend sein sollte. Bereits 1959 traute so manch eine Gay-Person ihren Ohren nicht, als Cliff Richard seinen Hit Living Doll sang: „Got myself a cryin‘, talkin‘, sleepin‘, walkin‘, livin‘ doll/Gonna do my best to please her just ‚cause she’s a livin‘ doll.” Cliff Richard stand Pate für Ken. Der Maler David Hockney regte der Song 1960 dazu an, seinen DOLL BOY mit dem Zusatz „Queen“ in Öl auf Sackleinen zu versehen.[12]

Barbie – Screenshot Official Trailer

Das Problem der Mechanik wird im Song Living Doll von Cliff Richard zum Symptom der Liebe. Das Ich ist zu einer Living Doll geworden, die sich und ihre Gefühle nicht beherrschen kann. Es wird von den Gefühlen beherrscht. Noch bevor Mattel Ken herausbringen konnte als einen neuartigen Typus von Puppe und Boyfriend, hatte David Hockney sich in einen „Doll Boy“, einen Puppenjungen verliebt oder sein Begehren als prekär gemalt. Diese ebenso popkulturelle wie begehrensökonomische Überschneidung in der Figur Ken, er soll von den Barbie-Mädchen gekauft werden, wird in ihrer Tragweite im Film und den Songs von Ryan Gosling und Sam Smith nicht einmal angerissen. Das Dilemma der Homosexualität, wie es nicht zuletzt von Muslimen mit dem Film debattiert wird, ist nicht nur in der körperlichen Ähnlichkeit von Barbie und Ken, sondern ebenso im Feld der Sprache angelegt, wenn Puppe und Junge sich gegeneinander abgrenzen müssen.

Barbie – Screenshot Official Trailer

Die Haarfarbe Blond hält ebenso in dem Revuefilm Blonde Venus ein Versprechen bereit. Im Unterschied zu Barbie war der Film kein großartiger Erfolg an den Kinokassen. In dem Film von 1932 wird eine Evolutionsszene als Revuenummer karikiert: ein Mensch in einem Gorilla- bzw. Menschenaffenkostüm wird wie aus dem Dschungel Afrikas zu rhythmischer Trommel-Musik an einer Kette von afrikanisch-gekleideten Revuegirls mit schwarzen Afroperücken auf die Bühne geführt, um nach einigen schwankenden Bewegungen zunächst die Affenhandschuhe von weißen Frauenhänden zu ziehen. Zum Song Hot Voodoo – “Hot voodoo, black as mud/Hot voodoo, in my blood/That African tempo, has made a slave…” – entkleidet sich Marlene Dietrich des Affenkostüms und setzt sich demonstrativ eine blonde Afroperücke mit funkelnden Amor-Pfeilen auf ihre blonden Haare.[13] Das gleich mehrfach wiederholte und gesteigerte Blond macht den verführenden Anspruch komisch statt erotisch. Das überreizte Blond wird im Kontext zeitgenössischer Evolutions- wie Rasseideologien als lächerlich entlarvt. Barbie und Ken waren immer blond und geschlechtsneutral

Barbie – Screenshot Official Trailer

In einer Welt, in der sich die Debatte um Texterzeugungsprogramme und Künstliche Intelligenz, über Sprachsoftware und Intelligenz, über Rechte am Bild und digitaler Verwertung von Schauspieler*innen in den letzten 5 Jahren zugespitzt hat, wird mit dem Film Barbie mit echten Schauspieler*innen weniger eine Spielzeugpuppe verhandelt als vielmehr die beunruhigend, brüchige Grenze von Puppe bzw. Künstlicher Intelligenz und Mensch. Der vermeintliche Mangel an Intelligenz von blonden Menschen wird im Film offensiv vorgeführt und in Dialogen witzig thematisiert. Ruth Handler wusste möglicherweise sehr genau, was sie mit den kleinen, weißen, blonden und blauäugigen Puppen tat, als sie sie in Serienproduktion gab. Als Anziehpuppen im Mädchenzimmer verloren die großen, sich als überlegen gebenden Blondundblauäugigen den Schrecken, den sie noch kurz zuvor bei der Selektion an der Rampe von Auschwitz verbreitet hatten. – Ob Barbie in der Debatte ebenso den Schrecken vor dem Patriarchat und der KI nehmen kann, bleibt offen.    

Torsten Flüh

Barbie (2023)
frei ab 6 Jahre
im Kino in Ihrer Nähe


[1] Zu Nietzsches Buch Also sprach Zarathustra siehe auch: Torsten Flüh: Der Name der Maschine und sein Versprechen. Zur Uraufführung von Also sprach Golem von Kommando Himmelfahrt & Kaj Duncan David nach Stanislaw Lem bei ultraschall berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 4. Februar 2020.

[2] Siehe zur Revue als Maschine: Torsten Flüh: Traumheftig! Die neue Grand Show THE ONE im Palast. In: NIGHT OUT @ BERLIN 18. Oktober 2016 (als PDF unter Publikationen).

[3][3] Zur Figur der Olympia siehe: Torsten Flüh: Aus Beethovens Geisterreich. Zur Uraufführung von Hoffmanns Erzählungen als Stummfilm mit der Musik von Johannes Kalitzke im Konzerthaus. In: NIGHT OUT @ BERLIN 2. Oktober 2021.

[4] Siehe: Torsten Flüh: Shakespeare’s Machines. Zu UNCANNY VALLEY von Rimini Protokoll (Stefan Kaegi) und Thomas Melle auf der Seitenbühne der Berliner Festspiele. In: NIGHT OUT @ BERLIN 5. Januar 2020.

[5] Zu Homosexualität und Staat siehe: Torsten Flüh: Wie Homosexualität zum Feind des Staates gemacht wurde. Zum Vortrag von Ralf Kempe, Erster Polizeihauptkommissar Polizei Berlin, über die Ermordung von 4 schwulen Polizisten auf dem Polizeiübungsgelände in Spandau. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. Juli 2023.

[6] Google: I’m Just Ken. Lied von Ryan Gosling. (Suchergebnis).

[7] Zitiert nach Genius: Man I Am. Sam Smith (21. Juli 2023)

[8] Hans Jürgen Wulff: Screwball Comedy. In: Filmlexikon der Universität Kiel: 2022/03/23 01:17.

[9] Siehe zur generationellen Wahrnehmung: Torsten Flüh: Generationenwechsel per Gong im LCB. Zu XYZ-Casino: Drei Generationen Erbe im Literarischen Colloquium Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 27. April 2023.

[10] Siehe: Matel: History (18.08.2023).

[11] Ebenda History 1960s.

[12] The David Hockney Foundation: Doll Boy, 1960-1961. (online).

[13] Siehe: Internet Archive: Blonde Venus (1932) by Josef von Sternberg ca. 26:16.

2 Kommentare

  1. Hey lieber Torsten, ein wirklich sehr guter Bericht zu einem sehr guten Film. Sogar habe ich Lust gekriegt ihn nochmals mit Sohn und Enkel anzuschauen und so nochmal zu debattieren.
    Dankeschön für all Deine profunden Texte und Recherche.
    Auf ein andermal! Es grüßt Inge Gellért

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