Angenommen – Zur Architektur und den ersten 100 Tagen des Humboldt Forums

Museum – Geschichte – Architektur

Angenommen

Zur Architektur und den ersten 100 Tagen des Humboldt Forums sowie Durchlüften – Open Air im Schlüterhof

Seit dem 20. Juli 2021 ist das Humboldt Forum geöffnet. Einen Pressetermin gab es wegen „Corona“ und dem defätistischen Geraune im deutschen Feuilleton nicht. Gleichsam todesmutig hatten die Akteur*innen beschlossen, trotz Kolonialismus-, Provenienz-. Geschichts- und Rückgabe-Debatte jetzt einfach einen der größten Museumsneubauten Europas, wenn nicht der Welt zu eröffnen. 15 Tage später am Mittwoch, den 4. August so um sechs Uhr herum ist das Humboldt Forum gut frequentiert. Nicht überlaufen, aber einige Hundert, wenn nicht an die Tausend Besucher*innen verteilen sich angenehm auf dem Schlüterhof und in den Museumsfluchten. Eintausend Menschen verschwinden fast mühelos in der Skulpturensammlung, der Humboldt Ausstellung, der Berlin Ausstellung, den Sonderausstellungen und der Ausstellung schön schrecklich Elefant – Mensch – Elfenbein. – Vielleicht hat das deutsche Feuilleton das Humboldt Forum noch nicht angenommen. Die wohl überwiegend touristischen Besucher*innen haben es.

Wie soll man sich dem Museumsbau mit barocker Schlossfassade und neobarocker Kuppel nähern? Was lässt sich denn nun jenseits einer gewissen Debattenwut anlässlich der Eröffnung des Humboldt Forums sehen, ergehen und erfühlen? Das Berliner Schloss ist vor allem kein Schloss mehr wie Schloss Charlottenburg und all die anderen Schlösser in und um Berlin herum. Geschichte und Geschichten stecken in allen Ecken, Nischen und barocken Gewandfalten der Allegorien im Schlüterhof zum Beispiel. Wiederholt lassen sich blinde Fenster in der Fassade entdecken, die ein wenig Ruinenästhetik einstreuen. Gleichzeitig bleibt die funktionale Moderne des Museumsbaus immer gegenwärtig. Sodann sind die sechs Portale zu erkunden, von denen vier – Nikolaiviertel, Breite Straße, Lustgarten und Berliner Dom – zum Durchgang offen sind. Keine Gitter, keine Eisentore. Ich spaziere einfach durch die Portale hindurch. Das verändert alles. Erst sehr viel später komme ich zum Eosanderportal vor dem Portal Kuppel.

Am 16. Dezember 2020 ab 19:00 Uhr fand die „Digitale Öffnung des Humboldt Forums“ auf Facebook und YouTube im Livestream mit Mitri Sirin als Moderator statt.[1] Livestream ist anders als Leben und das Spazieren durch ein, nennen wir es, Gebäude- und Architekturensemble. Der Livestream zu Beginn des zweiten Lockdowns gehorchte einer Nachrichtenmagazin-Ästhetik, die ich kaum aushalten konnte. Dennoch wurde zwischenzeitlich das Video über 26.300 aufgerufen. Gerade die Größe der 96.356 m² Brutto-Geschossfläche lässt sich nur in der Praxis erkunden. Kamerafahrten und -schwenks können eben doch nicht den ergangenen Raum vermitteln. Ohne zuvor das Architekturdossier, mit des Architekten, Franco Stella, Programmatik, gelesen zu haben, wurden die Portale für mich zur Signatur des Gebäudes. Offene Portale locken an.
„Durch die Rekonstruktion werden die Beziehungen zwischen den prominentesten Orten und Bauten der Mitte Berlins wieder erlebbar und verständlich. Durch die offenen Portale verbinden sich die Plätze rund um das Schloss und seine inneren Höfe miteinander zu einem großzügigen öffentlichen Raum im Herzen Berlins.“[2]

Die städtebauliche Funktion des Humboldt Forums in der Rekonstruktion des Berliner Schlosses ist Stella gelungen. Es ist paradox, dass das Berliner Schloss einerseits in Teilen rekonstruiert worden ist, um zugleich hinter seiner Funktion als Humboldt Forum zu verschwinden. Denn eigentlich sollte sich die Rekonstruktion an ein Geschichtsgefühl wenden, das die Leere eines riesigen Freiraums und vorherigen sozialistischen Palastbaus stopfen musste. Das Geschichtsgefühl schwankte selbst bei Angehörigen der Familie Hohenzollern um 2009 , wie der Berichterstatter einmal im Gespräch mitbekam, ob das Schloss wieder aufgebaut werden solle. Über die Funktion, die der Schlossbau haben sollte, machte man sich kaum Gedanken. Nun ist es Stadtraum, Architekturraum und Museum geworden.

Vielleicht ging es um die Schönheit der barocken Fassaden und ihrer skulpturalen Elemente, während der Berliner Dom vom Ende des 19. Jahrhunderts doch nur mit einem Neobarock aufwarten konnte. Vielleicht ging es darum, den Palast der Republik loszuwerden. Vor allem erwies sich das Geschichtsgefühl als ambig, vieldeutig und vermischt. Eifer erzeugte es schon damals, der sich heute nun im Feuilleton völlig umgekehrt hat. Die Geschichte schlägt zurück. Bis zum 12. November – die ersten 100 Tage – ist der Eintritt in alle Ausstellung und die Ausleihe des Medienguides kostenlos. Doch zunächst muss man in gar keine Ausstellung, weil die barocke Fassade selbst eine ist. Wie lässt sich die Fassade lesen? Wie lässt sich die Architektur erkunden?  

Das teilweise rekonstruierte Berliner Schloss ist reine Gefühlssache, die sich vor allem deshalb schwer ergründen und beherrschen lässt, weil sie vielfältig und widersprüchlich zugleich ausfällt. Ich ging also von Unter den Linden durch das Portal Berliner Dom in den Schlüterhof und über das Portal Nicolaiviertel wieder hinaus auf den Schlossplatz. Durch die Portale ergeben sich Rahmungen der Alten Nationalgalerie z.B. oder des Alten Museums (Portal Lustgarten). Die Portale werden zu historischen Rahmungen, die so vielleicht nie zuvor existiert haben oder wahrgenommen worden sind und trotzdem eine Art historischen Blick erzeugen. Durch das Portal Lustgarten joggt gerade eine Läuferin, während ein Fahrradfahren sich die Präsentation zu den „300 Modelle(n) aus Ton und Gips in Originalgröße“ anschaut. Sie sind sozusagen das Kernstück der Geschichte am Schloss. Die Läuferin und der Fahrradfahrer, der nur einmal so vorbei gekommen zu sein scheint, verraten viel darüber, wie das Humboldt Forum angenommen wird.

Die Architektur des Humboldt Forums ringt um Geschichte und mit ihr. Das wird gleich an mehreren Orten deutlich. Im Portal Berliner Dom wird die „Geschichte des Ortes“ mit „Spur 08“ wachgerufen. Erinnert wird mit einer Zeichnung und zwei Fotos an die „Revolutionen 1848, 1918 und 1989“. Das Schloss wird als Ort der Macht thematisiert. Barock trifft auf Revolutionsgeschichte. Denn der Barock von Andreas Schlüter aus den Jahren 1695-1702 lässt sich nicht zuletzt mit einem neuartigen Machtkonzept des Herrschers bedenken. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg und Herzog von Preußen hatte Ambitionen auf noch mehr Macht. Am 18. Januar 1701 ließ er sich selbst zu König Friedrich I. von Preußen in Königsberg krönen. Ein diplomatischer Streich. Das barocke Bauprojekt fällt insofern genau in die Phase seiner machtpolitischen Selbstermächtigung gegen Kaiser Leopold I. in Wien. 
„Über Jahrhunderte Zentrum herrschaftlicher Machtausübung, war dieser Ort gerade deshalb auch Ziel von Protesten und Umbruchsversuchen. Im März 1848 kämpften rund um das Schloss Bürger für eine Verfassung und die politische Einheit. Nach dem Ende der Monarchie im November 1919 wurde das Schloss Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen um die politische Neuausrichtung. Während im Herbst 1989 die Staatsführung der DDR im Innern des Palastes der Republik den 40. Jahrestag der Staatsgründung feierte, forderten draußen Demonstranten Freiheit und Reformen.“[3]  

Geschichte, Machtpolitik und Revolutionen überschneiden sich nicht nur an dem „Ort“, vielmehr werden sie selbst in der Architektur gleichsam materialisiert. Es geht jeweils um Gesten der Selbstermächtigung in ihrer Ambivalenz. Das Schloss war nicht zuletzt deswegen von der Staatsführung der DDR weggesprengt worden, weil sie ihre Macht und ihren Fortschritt im 1973-1976 erbauten „Palast der Republik“ verkörpert sehen wollte. Die Öffentlichkeit und die Bürger wurden immer auch aus diesen Verkörperungen der Macht kontrolliert und ausgeschlossen. Deshalb ist das Berliner Schloss als Humboldt Forum zum ersten Mal ein Ort, dessen Portale nicht mehr der Kontrolle und Machtausübung dienen, sondern frei zugängig sind. Es ist ein demokratischer Ort für die Debatten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geworden. Aus der Geschichte der Macht an diesem Ort springt zum ersten Mal die der Bürger oder eines Spaziergängers hervor. Er wird überall durchgelassen. Der Umzug des Ethnologischen Museums und das Aufbrechen der Kolonialismusdebatte gehören aus dieser Perspektive zu einem anderen Fragenkomplex. Sie sind nicht die Hauptsache.

Die Geschichte des Ortes lässt sich ebenso online mit 148 Objekten erkunden. Doch das ist nicht das selbe wie beim Spazierengehen. Die Fotos und Zeichnungen im Portal Berliner Dom haben eine andere Geschichtlichkeit, als die Objekte, die bei den Bauarbeiten vor Ort gefunden wurden und in der Sammlung „Geschichte des Ortes“ online einzusehen sind. Zwischen überraschend vielen Spinnwirteln fand sich unter anderem ein „Sterbetaler“ Friedrich II., zu dem es heißt, dass „(s)chon immer (…) Menschen Geld verloren (haben), so auch an diesem Ort“. „Münzfunde aus dem 13. bis 19. Jahrhundert“ belegten das. „Wer sein Geld nicht verloren hatte, konnte 500 Meter weiter südlich auf dem Petriplatz oder – ein paar Jahrhunderte später – bei den Buden rund um das Schloss einkaufen gehen.“[4] Mit der archäologischen Geschichte des Ortes ändert sich noch einmal das Narrativ zum Beispiel durch das Emailleschild „Öffentlicher Fernsprecher“, zu dem es heißt:
„Das amtliche Schild der Deutschen Reichspost kennzeichnete öffentliche Fernsprecher. Es stammt aus den 1930er Jahren, als das Schloss einem breiten Publikum zugänglich war. In dem Gebäude mit weit über tausend Räumen zeigten solche Schilder Mietern and Besuchern, wo sie telefonieren konnten.“[5] 

Neben der Pracht der rekonstruierten Skulpturen als Allegorien auf die Macht im Schlüterhof gibt es das Fragmentarische, das daran erinnert, dass es sich um eine – gewiss – hochkarätige Rekonstruktion handelt. Ein Fenster bleibt blind. Ein Torbogen wird nicht ausgeführt, bleibt Kulisse und, ja, die Westseite des Schlüterhofs „in der rationalistischen Architektursprache Stellas greift die Bauordnung der barocken Baukörper auf und versteht sich als deren zeitgenössische Vervollständigung“.[6] Die barocke Architektur bleibt allerdings ein wenig unterbelichtet. Stehen die Skulpturen nur zur Zierde da? Ist das einfach hübsch? Unvermittelt gibt eine Inschrift im Sockel des Nikolaiportals einen Hinweis: „Bertold Just (1963-2018) hat als Leiter der Schlossbauhütte von Beginn an maßgeblich die Rekonstruktion der historischen Fassaden ermöglicht. Die Portalfigur „Klugheit“ ist ihm gewidmet.“

Die Allegorie der Klugheit schürzt ihren Kleiderrock ein wenig beim Schreiten. Das ist deshalb bemerkenswert, weil sich die anderen drei barockgewandeten Damen in keiner Gehbewegung befinden. Die Klugheit setzt mit dem rechten Bein zum Schritt an und hebt ihren Rock, um nicht darüber zu stolpern. Sie sollte zur Komposition einer Allegorie der Macht gehören, obwohl Guido Hinterkeuser bezweifelt, dass Andreas Schlüters Skulpturenprogramm für das Berliner Schloss im Schlosshof, dem jetzigen Schlüterhof, auf den Schmalseiten „bei allen Figuren um Tugendallegorien handeln würde“.[7] Die Inschrift am Portalsockel ist auch ein wenig verwegen, indem sie den jung verstorbenen Leiter der Schlossbauhütte ehrt. Vielleicht ein etwas eigenwilliger Zug der Stiftung. Sie durchbricht die Konventionen des Bauens und bestätigt sie zugleich, wenn mit der Inschrift an einen Schlüsseltext der deutschen Architektur- und Literaturgeschichte erinnert wird. Denn es war 1772 Johann Wolfgang Goethe, der in seinem Text Von deutscher Baukunst an Erwin von Steinbach, dem vermeintlichen Erbauer des Straßburger Münsters, erinnerte, indem er nach dem „Stein suchte“ und ihn nicht fand.[8]  

Welche Geschichte wollte uns bzw. dem König und seinem Hof sowie den herrschaftlichen Besuchern und Gesandten Andreas Schlüter im Schlosshof mit der Architektur und den Skulpturen erzählen? Von Hinterkeuser wird diese Frage nicht formuliert. In seiner historischen Erzählweise verschwindet sie einfach. Mit den weiblichen Skulpturen der Portale an den Schmalseiten korrespondieren die nackten männlichen Göttergestalten des Risalits des Großen Treppenhauses und Hofportals. Der Gott des Handels, Hermes, steht gleich neben dem mit einer großen Keule bewaffneten wilden Mann, der zugleich Herkules verkörpern wie aus dem Wappen des Kurfürstentums Brandenburg entnommen sein könnte. Die beiden wilden Männer aus dem Wappen der Kurfürsten von Brandenburg werden 1701 in domestizierter Weise in das Wappen des Königreichs Preußen transferiert. Die Skulpturen sind keinesfalls beliebig. Denn sie erzählen zur Bauzeit vom Machtanspruch Friedrich I.

Die Fassaden und Skulpturen erzählen eine Geschichte der Macht. Während gebaut wird, entsteht die Geschichte, die in Zukunft erzählt werden soll. Davon sprechen die Inschriften, die den Architekten verschweigen, um in emblematischer Form die Transformation des Berliner Schlosses und den Beginn einer neuen Zeit, eines neuen Jahrhunderts, eines preußischen anzukündigen. Architektur und Machtanspruch verschmelzen z.B. in der Fassade zum Schloßplatz so sehr, dass über dem rechten oberen Saalfenster des neugeschaffenen Portalrisalits eine Inschrift angebracht wurde und wieder steht:
PERFECTA . ANNO
NOVI . SECVLI . REGNI
PRUSSICI . PRIMO
(Fertiggestellt im ersten Jahre des neuen Jahrhunderts des preußischen Königtums).[9]

Das Foyer mit dem Haupteingang zu den Ausstellungssälen ist in seiner Kombination der schlichten Moderne von Franco Stella mit dem barocken Hauptportal für König Friedrich I. von Johann Friedrich Eosander spektakulär und programmatisch geworden. 1708 bis 1713 wurde das Portal erbaut und nun rekonstruiert. Tageslicht flutet vom Glasdach ins Foyer, das sich über 4 Etagen erstreckt. Der LED-Kosmograph im Foyer erstreckt sich ebenfalls bis in die Höhe des vierten Stocks. Das Eosanderportal wird so von innen musealisiert. Diese Musealisierung des Schlosses in seiner Rekonstruktion ist geglückt und eine kluge architektonische Lösung. Nach mehr als einhundert Jahren kam König Friedrich Wilhelm IV. mit eigenen Entwürfen und im Austausch mit Friedrich Schinkel auf den Gedanken, eine Kapelle auf das Eosanderportal zu setzen. Um 1840 hatte sich alles verändert in Berlin. Auf der Chausseestraße vor dem Oranienburger Tor entstanden die ersten Eisengießereien und Dampfmaschinenfabriken als Folge der Gründung der Königlich Preußischen Eisengießerei und Maschinenbauanstalt, die 1805 von Friedrich Wilhelm III. gegründet worden war. August Borsig, der als Zimmermann aus Schlesien nach Berlin gekommen war, hatte 1837 direkt vor dem Oranienburger Tor seine Eisengießerei und Maschinenbauanstalt gegründet. 1844 war Borsig in der Lage, die erste deutsche Lokomotive mit dem Namen – Lokomotiven hatten in der vorseriellen Phase Namen wie Schiffe – Beuth.

Der neobarocke Kuppelbau auf dem Eosanderportal mit prerafaelitischen Engeln aus Gusseisen von 1844 bis 1857, unter dem sich eine Kapelle befand, ist nicht einfach ein christliches Symbol, obwohl sich insbesondere Friedrich Wilhelm III. mit den sogenannten Schinkel-Kirchen – St. Elisabeth, St. Paul, Nazareth, St. Johannes – vor der Stadtmauer in den 1830er Jahren dafür eingesetzt hatte, dass die arme Bevölkerung vor dem Rosenthaler Tor von evangelischen Geistlichen, Pastoren betreut und beaufsichtigt wurde. Zur Zeit des Kuppelbaus hat die Industrialisierung durch die Maschinenbauer vor dem Oranienburger Tor und in Moabit erheblich an Fahrt aufgenommen. Der Bau der Kuppel als Eisenkonstruktion vor allem durch Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow fällt in die gleiche Zeit, in der Stüler mit dem Neuen Museum durch Eisenkonstruktionen eine neuartige, leichtere Bauweise erprobt. Die Eisenkonstruktionen für das Neue Museum wurden bei Borsig auf der Chausseestraße gegossen und per Loren auf Schienen zur Museumsinsel befördert. Insofern ist der Kuppelbau vor allem ein Zeugnis der Industrialisierung Berlins, durch die die Residenzstadt zur Metropole im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufstieg.

Kosmograph: A PLACE OF WORK

Albert Geyer stellt in seiner Geschichte des Schlosses zu Berlin 1936 keinen Kontext zur Industrialisierung her. Für ihn entsteht der Kuppelbau im zweiten aus dem Nachlass veröffentlichten Band aus einem Plan Friedrich Wilhelm IV., der mit Schinkel abgestimmt wird. Geyers Geschichte wurde 2010 im Zuge der Rekonstruktionsarbeiten als maßgebliches Werk zum Schloss wieder und überhaupt erst aufgelegt. Stülers Anteil an dem Kuppelbau und seine Konstruktion wird zugunsten des Königs als Baumeister regelrecht unterschlagen, wenn es zum Beispiel heißt:
„Wie sorgfältig der König den Bau der Kapelle verfolgte und überwachte, beweist eine im Schloßarchiv vorhandene Zeichnung (…), die einen Vergleich der Berliner Schloßkuppel mit der Kuppel der berühmten Kirche S. Maria della Salute in Venedig veranschaulicht. Beide Kuppellinien sind Kreisbögen, deren Mittelpunkte in der Zeichnung angegeben sind, beide haben an ihrem Fuß denselben Durchmesser. Die Abweichungen sind nur gering die Berliner Schloßkuppel ist etwas höher, dagegen hat die Laterne der [Kirche S. Maria] della Salute einen größeren Umfang in Breite und Höhe.“ [10]

Kosmograph: A PLACE OF WORK (1950)

Die Form der Architekturgeschichte macht Albert Geyer geradezu blind. Verglichen werden nämlich zwei Kuppeln und Kirchenbauten, die unter gänzlich anderen Konstruktionsbedingungen entstanden sind. Zur Geschichte des Schlosses und seiner Architektur wie seiner Rekonstruktion, gehören auch falsche Fährten und blinde Flecken. Die blinden Flecken entstehen beispielsweise, wenn „Kuppellinien“ verglichen und wichtiger werden als die Möglichkeiten ihrer Konstruktion. Am ganzen Schloss gibt es kein besseres Zeugnis für die Industrialisierung Berlins insbesondere mit dem Dampfmaschinen- und Lokomotiven- sowie Eisenbahnstreckenbau, für den der König teilweise Finanzierungsmodelle fand, die nicht zu seinen Ungunsten waren. Es sollte allerdings auch transparent gemacht werden. Der schon fast konspirative Entwurf für die Kuppel von König und Schinkel unterschlägt, dass Karl Friedrich Schinkel bereits mit der Bauakademie, dem Eisernen Kreuz und Grabmalen aus Eisen sowie skulpturalen Bauelementen zum Designer einer standardisierten und seriellen Herstellung zum Beispiel in der Königlich Preußischen Eisengießerei und Maschinenbauanstalt auf der Invalidenstraße geworden war.

Torsten Flüh

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[1] Humboldt Forum: Digitale Öffnung. Einblicke ins Humboldt Forum. 16.12.2020 auf YouTube.

[2] Zitiert nach: Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss: Architektur Pressedossier. Berlin 2020, S. 3.

[3] Zitiert nach Schild „Spur 08“.

[4] Humboldt Forum: Sammlungen Online: Münzenkollektion: „Sterbetaler“ Friedrich II. 1786 online.

[5] Ebenda Emailleschild „Öffentlicher Fernsprecher“ online.

[6] Stiftung Humboldt Forum …: Architektur … [wie 2] S. 8.

[7] Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüters Skulpturenprogramm für das Berliner Schloss. In: Hans-Ulrich Kessler (Hg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin. München: Hirmer, 2014, S. 296.

[8] Siehe: Torsten Flüh: Flugblatt – Zeitung – Blog. Materialität und Medialität als Literaturen. Wien: Passagen, 2017, S. 38-54.

[9] Zitiert nach: Guido Hinterkeuser: Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur. In: Hans-Ulrich Kesller (Hg.): Andreas … [wie Anm. 7] S. 263

[10] Albert Geyer: Die Geschichte des Schlosses zu Berlin. Zweiter Band. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2010, S. 79.

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