Armee – Existenz – Vielseitigkeit
Die fulminante Rückkehr des Dichters Franz von Gaudy
Zur Literaturausstellung Franz von Gaudy im Museum Viadrina
Die Kuratorinnen-Führung am 28. Mai 2025 durch die Literaturausstellung Franz von Gaudy anlässlich seines 225. Geburtstages in Frankfurt an der Oder ließ den ganzen Enthusiasmus, die umfangreiche Forschung der letzten 15 Jahre, die Beharrlichkeit und die profunde Kenntnis des Lebens und Werks von Dr. Doris Fouquet-Plümacher spüren. Wie lässt sich Literatur ausstellen? Die räumlich visuelle Inszenierung von Literatur ist nicht zuletzt für das nahe Museum zu Heinrich von Kleist stets eine Herausforderung. Die Literatur muss auf eine Weise transformiert werden. Die Literaturausstellung zu Franz von Gaudy im ersten Stock des stattlichen Junkerhauses am Ufer der Oder, das seit 1957 das Stadt- und Regionalmuseum Viadrina beherbergt, setzt erstmals umfassend Leben, Werk und Schriftsteller in Szene.

Zwei Fragmente der zerbrochenen Gedenktafel am Geburtshaus von Franz von Gaudy in der Oderstraße 13, dem Haus „Zum roten Polacken“, wurden bei den Vorbereitungen für die Ausstellung im Archiv des Stadt- und Regionalmuseums gefunden. 1878, als sein Werk schon in prachtvollen Klassikerausgaben vor allem in Leipziger und Berliner Verlagen erschien, wurde die Gedenktafel mit vergoldeten Lettern ans Haus angebracht: „Hier wurde geboren/Franz v. Gaudy/19. April 1800“. Am Ende des zweiten Weltkriegs wurde der mittelalterliche Stadtkern Frankfurts von der russischen Armee schwer zerstört. Die zertrümmerte stolze Tafel gelangte immerhin ins Stadtarchiv. Doch trotz bürgerlicher Klassikerausgaben mit Goldschnitt blieben Leben und Werk fragmentarisch in Erinnerung. Die Biographien blieben lückenhaft. Am Ufer der Oder im Museum Viadrina ist nun eine Fülle an Text- und Bildfragmenten zum Erforschen ausgelegt.

Von 1815 bis 1818 konnte es sich der Vater Franz von Gaudys leisten, seinen Sohn auf die preußische Eliteschule Schulpforta nahe Naumburg an der Saale zu schicken. Dort hatten schon der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock und Philosoph Johann Gottlieb Fichte studiert. Der Besuch Schulpfortas zeigt die Ambitionen des Vaters, der nach einer Militärkarriere in Preußen und Frankfurt sein Vermögen unglücklich verlor. Es gibt literarische Spuren dieses sicherlich prägenden Aufenthalts. Am 23. Juni reichte „Franz B. H. W. von Gaudy“ seine in Latein abgefasste Abschluss-Abhandlung ein: „Warum eignet sich die Malerei besser als die Skulptur zur Darstellung der heiligen Dinge.“[1] Die Herkunft und das Scheitern einer eigenen 15jährigen Militärkarriere bilden den biografischen Hintergrund für eine prekäre Existenzweise als Schriftsteller. Immerhin erhielt er durch den Dienst in der preußischen Armee von 1818 bis 1833 eine geringe Pension. Als Absolvent von Schulpforta hätte er durchaus eine andere Karriere einschlagen können. Er wollte in Göttingen Jura studieren, aber sein Vater bestimmte ihn wegen der studentischen Unruhen (Carl Ludwig Sand) zur Militär-Laufbahn.

Die Kuratorin hat als Forscherin mit Reisen zu einigen Schauplätzen des Lebens wie zur Festung Silberberg (Twierdza Srebrmogórska) und als Herausgeberin nicht nur Buch- und Literaturwissen zusammengetragen, vielmehr noch speist sie die Ausstellungsführung aus einem Anschauungswissen. Bereits 2020 hatte Fouquet-Plümacher mit den Venezianischen Novellen und italienischen Erzählungen den ersten Band der Ausgewählten Werke im Olms-Verlag herausgegeben. Im Oktober 2020 konnte sie den Band im Kleist Museum mit einer Lesung von Henning Westphal und einer Pop-Up-Ausstellung von Claudia Czok vorstellen.[2] Gleichzeitig präsentierte sie im Foyer der Zentralbibliothek der Freien Universität Berlin eine Ausstellung zu den Venezianischen Novellen unter den Beschränkungen der Covid19-Pandemie. In diesem Jahr sind die Ausgewählten Werke mit dem 3. Band Satire, Versdichtung, Novelle abgeschlossen.[3] Mit neuen Illustrationen von Rainer Ehrt hat sie Aus dem Tagebuche eines wandernden Schneidergesellen (2023) herausgegeben.[4]

Die von Dr. Sonja Michaels und Dr. Tim S. Müller aus dem Städtischen Museum Viadrina redaktionell betreute und von werk 1, Frank Käubler und Giraffe Werbeagentur technisch gestaltete Ausstellung ist in 9 thematische Sequenzen aufgeteilt. Einleitend gibt es eine Darstellung der familiären Ursprünge, soweit sie rekonstruiert werden konnten. Die Sequenzen mit literarischem Bezug werden mehr oder weniger chronologisch in „Armee“, „Dichtung“, „Übersetzung“, „Polen“, „Dichtung“, „Italien“, „Dichtung“ und „Klassikerausgaben“ aufgefächert. In der Sequenzierung überschneiden sich biographische Information bis hin zu wirkungsgeschichtlichen Zeugnissen z.B. von Friedrich Nietzsche mit Textbeispielen aus dem vielfältigen literarischen Schaffen Franz von Gaudys.

Eines der für heutige Verhältnisse überraschendsten Dokumente in der Ausstellung gibt das Taufzeugnis für Franz Bernhard Heinrich Wilhelm von Gaudy vom 28. April 1800 mit 28 anwesenden und abwesenden Paten ab. Es ist im „Militärkirchenbuch 718“ im Geheimen Staats-Archiv überliefert. Kirchenbücher verraten oft viel über die Herkunft und das Leben durch Tauf- oder Heiratszeugnisse sowie Sterbe- und Beisetzungsurkunden. Franz wird in ein militärisches Umfeld hineingeboren und in der Garnisonskirche Frankfurt (Oder) getauft. Die Paten sollen für das Kind sorgen, falls der Vater, Major im Regiment von Zenge, stirbt. Es ist also ein Geflecht von 28 Personen aus dem Regiment und angrenzenden Institutionen, die im Falle eines Falles für Franz sorgen wollen. Anders als bei Handwerkern und Bürgern werden Militärangehörige ständig versetzt.
„Die Taufe fand statt am 28. April, dem 35. Geburtstag seines Vaters, … Die 28 Paten stammen aus dem gesellschaftlichen und familiären Umkreis mit den Namen Schmettow, Kleist, Gaudi und Tauentzien sowie der militärischen Führung vom Regiment Zenge.“[5]

Die Sequenz Armee und Frankfurt als Garnisonsstadt geben einen Wink auf eine nicht nur prekäre Herkunft aus dem in mancher Hinsicht prägenden, wenn nicht gar vorbildlichen preußischen Militär um 1800. Die Militärfamilien Gaudi, Kleist und Zenge spielen nicht zuletzt für das Leben Heinrich von Kleists eine ähnlich schwierige Rolle. Militärischer Gehorsam, Einblick und Teilnahme an staatlich-feudalen Herrschaftspraktiken, aber auch politisches Unbehagen durch Zensur prägen Existenzen nicht nur bei Heinrich von Kleist und Franz von Gaudy. Die Aufstiegs- und Sicherheitsversprechen des preußischen Militärs erfüllen sich nicht oder nur unzulänglich.
„Beide begannen die militärische Ausbildung im Regiment Garde zu Fuß in Potsdam, wenn auch unter grundverschiedenen Umständen: Kleist im Krieg, schon 1793 mit 16 Jahren beim Rheinfeldzug, Gaudy in den ruhigen Friedens-Zeiten, die in der Armee nur mit Exerzieren und Paraden gefüllt waren.“[6]

Franz von Gaudy hat in vielfältigen Genres geschrieben und publiziert. Als bedeutend gilt seine Verskunst, beachtenswert sind seine zahlreichen Übersetzungen (alt-, mittel- und neufranzösisch, polnisch), denen in der dicht gestellten Ausstellung eine eigene Sequenz gewidmet ist, sodann die Prosa. So finden sich bei ihm ebenso die Versnovelle Paulina wie später die Venezianischen Novellen. Mit der an E.T.A. Hoffmann von 1814 andockenden Nachricht von den allerneuesten Schicksalen des Hundes Berganza schreibt sich Gaudy in die Literaturgeschichte der Satire seit Cervantes ein. Der Hund Berganza kritisiert bei Gaudy auf satirische Weise u.a. Theaterpraxis, die wortreichen aber tatenarmen Aktionen der Studenten und die Zensur bei Demonstrationen für Deutschland. Nach den „neuesten Schicksalen“ von E.T.A. Hoffmann setzt Gaudy die Erzählung fort mit den „allerneuesten Schicksalen“. Berganza ist nach Cervantes und Gaudy ein Bullenbeißer. Nachdem im „Fürstenthum Drallenburg eine allgemeine Hundesteuer eingeführt“ und Haus- wie Schoßhunde von ihren Besitzer*innen umgebracht worden sind, macht das Erzähler-Ich Bekanntschaft mit Berganza.
„Wie ist mir? Ist es Täuschung, ist es Wahrheit? Du wärst –
Wer sollte ich wohl anders sein, als Berganza, der ewige Jude unter den Hunden.
Ha, meine Ahnung, rief ich mit tragischem Pathos, und umarmte ihn zärtlichst.“[7]

Schon die Begrüßung Berganzas wird mit „tragischem Pathos“ und dem falschen Superlativ der „zärtlichst(en)“ Umarmung als Satire überzeichnet. Nach einigen Erzählungen aus dem Theaterleben Berganzas, in denen er sich „begnügte (…), mit (s)einen Vorderpfoten dem Publikum Küsse zuzuwerfen, auf (s)ein Herz zu weisen, um anzudeuten: Hier liegt der Hund begraben!“, werden der Ich-Erzähler und der Hund politischer, wenn es um Deutschland geht. Sie haben in satirisch verschlüsselter Weise beide Zensur erlebt.
„Berganza. Da fällt mir eine hypergenial aufgefaßte, aber höchst miserabel ausgefallene Fahrt aus meinen Universitätsjahren bei. Ich meine die demagogischen Umtriebe.
Ich. Was Teufel! Warst Du auch darin verwickelt? Die zum Heil Deutschlands früh und spät wachenden Untersuchungs-Commissionen haben dem Publikum in ihren höchst interessanten Memoiren schon so manchen Schleier gelüftet, und uns höchst pfiffiger Weise den Staar gestochen; ich kann aber nicht leugnen, daß mir noch so manches unklar sei, und es würde mir sehr lieb seyn, wenn Du mich vollkommen au fait setztest.
Berganza. Ganz klar Dir das Unerklärliche zu machen, vermag ich nicht, Geliebter; um so mehr, da keiner von allen Verschworenen recht wußte, was er wollte…“[8]

Wie sehr war Gaudy im literarisch-politischen Gesellschaftsleben wenn schon nicht Deutschlands, so doch Berlins vernetzt ab 1834? Trotz postumer Werkausgaben 1844 blieb Gaudys Version der Schicksale Berganzas eher unbekannt. Nahm er an den gesellschaftlichen Debatten teil? Hannah Lotte Lund hat Gaudys Spuren in Berlin im Kontext der „Berliner Geselligkeit“ nachgeforscht.[9] Sie macht in seiner Berliner Zeit ab 1834 „vor allem drei Vernetzungsformate“ aus. Der Musenalmanach von Chamisso, durch den er „zweitens im weiteren Sinne zu dem Kreis junger Dichter um Chamisso“ gehörte, „die ihn als Lehrer und Meister anerkannten“.[10] Obwohl sich wenige Spuren Gaudys in Berlin erhalten haben und das Vereinsarchiv der von Eduard Hitzig 1824 gegründeten Mittwochsgesellschaft als verschollen gilt, hat Lund einen wichtigen Hinweis in einem Brief gefunden.
„Als „Genossen unseres anspruchslosen Vereins“, begrüßte ihn sein Kollege Karl von Holtei im Februar 1834. Und auch sein letzter Ausgang galt der literarischen Gesellschaft, die er dabei noch „durch seine gute Laune erheitert hatte“. Obwohl seine Biographen sein Wesen als dem Netzwerken entgegenstehend, zu ehrlich und schroff, zu witzig und kritisch bezeichnen, scheint er hier gleichermaßen akzeptiert wie verwoben gewesen zu sein.“[11]

1835 erschienen die Kaiser-Lieder von Gaudy „Mit der Totenmaske Napoleon’s“ immerhin bei F.A. Brockhaus in Leipzig als ambitionierte Lyrik wie als Beitrag zu Debatten in der Politik.[12] Die Kaiser-Lieder bilden ein eigenes Genre auf die Herrschaft Napoleons in Europa. Gaudy macht daraus eine Biographie als Versepos mit „Vorspiel“, den Schlachten vor allem Preußens gegen Napoleon „Brienne“, aber auch „Die Schlacht bei den Pyramiden“ oder „Moskaus Brand“ bis „Das Grab“ und „Lätitia“. Mehrfach sind den Gedichten als Motto Zitate aus Shakespeare-Dramen ergänzt von Byron-, Heine-, v. Holtei und Ossian-Zitaten vorangestellt, wie bei Lätitia mit „Nie büßte eine Mutter so viel ein. Richard III.“ Insofern lassen seine Kaiser-Lieder neben dem Triumph Preußens über Napoleon eine literarische Kontextualisierung und Wertschätzung des umstrittenen Napoleon-Mythos‘ erkennen, während es bei anderen Dichtern ein Hass-Problem gibt, wie es Friedrich Nietzsche als Vierzehnjähriger am 14. August 1859 in seinem Tagebuch andeutet:
„Von seinen Gedichten ziehen mich die Kaiserlieder besonders an, die, obwohl sie einen Gegenstand des Hasses verewigen und zu den Sternen erheben, ich dennoch zu einen der besten Verherrlichungsgedichte verstorbener Helden rechne.“[13]

Es spricht für eine Kanonisierung Gaudys in Preußen, dass der junge Nietzsche die „Kaiserlieder“ überhaupt kennt. Seit dem 5. Oktober 1858 besuchte Nietzsche mit einem Stipendium Schulpforta. Insofern sind Gaudys Schriften und insbesondere Lyrik mit den Kaiser-Liedern Ende der 1850er in Schulpforta präsent. Die Verknüpfung der Vita Napoleons mit Literaturzitaten, die metrischen Konstruktionen in unterschiedlichen Formen und die Paraphrasierung des „Verherrlichungsgedicht(s)“ praktizieren ein Lyrikwissen hoher, wenn nicht höchster Ansprüche. Gaudy beweist damit eine starke Eigenständigkeit, die sich nicht zuletzt aus einer umfassenden Literaturkenntnis als Grundlage für die literarische Produktion, aber auch der Berliner Vernetzung speist, wenn er Karl v. Holtei zitiert.
„Das Veilchen.
(Februar 1815)
- — Auf der Brust die Blume,
Und in der Brust ein unbeflecktes Herz.
v. Holtei
____________
Hier, wo er fiel, an seiner Väter Herde,
Wölbe meinem Bruder sich das schlichte Maal.
Noch ringt sich nicht aus starrem Traum die Erde,
Noch schwankt der Halm des Grases welk und fahl;
Doch wiegt, den Sammt getaucht in diese Bläue;
Sich auf dem Grabe eine Blüte schon:
Ihr dunkler Kelch, er mahnet mich an Treue,
Ihr Blatt an Hoffnung auf Napoleon.
Mein Kaiser weilt auf fernen Felsenklippen,
Es blickt nach ihm ganz Frankreich übers Meer.
Du, Veilchen, flüsterst mir mit duft’gen Lippen;
Hold tröstend zu: Er säumt nicht lange mehr.
…“[14]

Die Kanonisierung setzte erst postum ein, während Gaudy als Streiter für die „Preßfreiheit“ und gegen die Zensur in der Festschrift für die Gutenbergfeier 1840 in Leipzig, in der die oppositionelle Prominenz versammelt ist, im Juni prominent zitiert wird. Die Edition und Drucklegung der Festschrift zur „vierten Säcularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst“[15] erfolgte bereits nach dessen Tod am 5. Februar 1840. Zeitlich ist davon auszugehen, dass Gaudy seinen Beitrag vor seinem Tod mit Unterschrift eingereicht hatte. Monika Estermann erinnert daran, dass die „Zensur seit den Karlsbader Beschlüssen die jede Kommunikation und Publikation unterdrückende Macht“ war.[16] Neben den Gebrüdern Grimm u.a. gehört Gaudy zu den Beiträgern:
„Es ist nicht genug, daß der leuchtende Blitz „die Presse“ die Nacht durchzuckte und blende und verschwinde, — auch sein weithinschallender Donner „Preßfreiheit“ soll in allen Menschen Herzen nachdröhnen und den Faulen und Verdummten erschütternd in’s Ohr reden: wir Deutschen spitzen die unsrigen vergeblich und gewahren nur das ferne Wetterleuchten im Westen!“[17]

Die Ausstellung ist nicht zuletzt in den Überschriften zweisprachig in Deutsch und Polnisch angelegt, denn nicht zuletzt zu Polen in der Grenzstadt Frankfurt an der Oder und als im Haus „Zum roten Polacken“ Geborener hatte Gaudy ein besonderes Verhältnis zum polnischen Staat nach der dritten polnischen Teilung. Der Staat existierte zwar nicht mehr, doch auf seinem Territorium wurde seine Identität weitergelebt. Seit seiner Stationierung in Glogau 1825 hatte Gaudy Polnisch gelernt, übersetzte polnische Literatur und schrieb über polnische Themen. Obwohl Gaudy auf polnischem Gebiet für die Besatzungsmacht Preußen eingesetzt wird und er 1830-1833 in Posen/Poznań in Kernpolen stationiert ist, schreibt er dort die Versnovelle Paulina. Gaudy spiegelt „die politische Lage (…) in der aussichtslosen Liebe einer Polin und eines Balten-Russen. Die historische Situation, die russische Macht und die Besatzungs-Gräuel werden präzise geschildert. Es endet mit dem grauenhaften Tod beider Liebenden“, heißt es in der Ausstellung neben einem polnischen Orden und dem Preis der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791. [18]
„Es funkelt mit unvergänglichen Strahlen
Ein Tag in Polonia’s Annalen:
… “

Gaudy knüpft wiederholt mit Mottos an den britischen Dichter Lord Byron an. So zitiert er auch Byron als Motto für die Versnovelle Paulina. Der so prominente Bezug zum Liebes- und Freiheits-Dichter Byron ist nicht ohne Brisanz. Denn Lord Byron setzte sich für die griechische Unabhängigkeitsbewegung ein und war dafür medienwirksam bestraft worden. Das Motto „Love will find it’s way,/Where wolwes will fear to stay.” kann sowohl auf das Liebespaar Paulina und Edgar wie die Nationen Polonia (Polen) und Russland hin gelesen werden. Mit dem Schicksal des Liebespaares wird zugleich die Nationalgeschichte Polens in Versen erzählt. Edgar wird gefangen genommen und hingerichtet, wobei die Verse vielschichtiger als ein „grauenhafter Tod beider Liebenden“ ausfallen. Edgar opfert sich für Paulina/Polonia, wenn man nachliest:
„,Paulina! des Lebens höchster Glanz
Hat mich in Deiner Näh‘ umflossen.
Die Blüthen wandest Du zum Kranz.
Du, Urbild sehnsuchtsvoller Träume,
Dein Bildniß, in der Seele Keime
Längst schlummernd, ach! wie farblos, bleich,
Erschien mir’s, als ich Dich erblickte!
Als mich Dein Zauberreiz umstrickte,
Die Wirklichkeit wir wunderreich!‘“[19]

Ab den 1870er Jahren erschienen Klassikerausgaben vor allem in der Bücherstadt Leipzig, die offenbar eine eigene Dynamik auf dem bürgerlichen Buchmarkt entwickelten. Meyers Klassiker-Ausgaben in bibliophiler Gestaltung erschienen zuerst in Gotha und ab 1874 in Leipzig im eigens erbauten Bibliographischen Institut als Verlagssitz. Sie fassten visuell das Werk eines Dichters zusammen und trugen zu einer Popularisierung von Literatur wie der Dichternamen bei. Fouquet-Plümacher hat eine ganze Reihe davon antiquarisch erworben. Einerseits sorgten die Klassikerausgaben dafür, dass des Dichters Name im Bereich der Klassiker und damit eines Literaturkanons kursierte, andererseits gehörten sie in möglichst zeitgenössischer Gestaltung z.B. im Jugendstil zum Interieur des Bürgertums. Vielleicht lässt sich gerade an Paulina ein Dilemma Franz von Gaudys als Autor formulieren. Einerseits mischte sich der Besatzungssoldat als Autor äußerst risikoreich in die Polenpolitik von Russland und Preußen ein, andererseits stand die Empathie für Polen als Staat bald schon konträr zur Realpolitik.

Zu entdecken und zu durchforschen ist im Museum Viadrina an der Grenze zu Polen auf dem Frankfurter Ufer ein vielschichtiges Werk des Frankfurter Kopfes Franz von Gaudy. Mit Gaudy lässt sich nicht zuletzt ein deutscher Schriftsteller entdecken, der sich thematisch und praktisch in den Grenzbereichen von Liebesroman und Satire, Freiheitsdichtung und Polemik, Politik und Dichtungspraktiken, Gesellschaft und Zurückgezogenheit schrieb. Vor allem aber ist Franz von Gaudy mit der von Doris Fouquet-Plümacher kuratierten und ihren Mitstreiter*innen beförderten, überquellenden Ausstellung zu entdecken. Die Ausstellung kann noch bis 14. September 2025 besucht und erkundet werden. Zur Ausstellung hat die Kuratorin den Band 1 der Frankfurter Studien zur Stadt- und Regionalgeschichte herausgegeben. Er enthält Grußworte und aufschlussreiche Aufsätze ebenso wie eine Franz von Gaudy-Anthologie mit Zeichnungen, Gedichten und Auszügen aus seinen Novellen, Versepen, Erzählungen, Satiren und Reiseberichten. Die Ausstellung ist eine Reise wert.
Torsten Flüh
Franz von Gaudy
Zum 225. Geburtstag des Frankfurter Dichters
bis 14. September 2025
Städtisches Museum Viadrina
Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Straße 11
15230 Frankfurt (Oder)
Dienstag bis Sonntag 11:00 bis 17:00 Uhr
Sonderöffnungszeit Pfingstsonntag

Franz von Gaudy aus/in Frankfurt an der Oder.
Literarischer Strauß zu seinem 225. Geburtstag am 19. April 2025
Hrsg. von Doris Fouquet-Plümacher
Verlag Hendrik Bäßler Berlin 2025. 205 S.
Bd. 1: Frankfurter Studien zur Stadt- und Regionalgeschichte
€ 14,80

Franz von Gaudy:
Ausgewählte Werke
Band 3: Satire, Versdichtung, Novelle
Herausgegeben von Dr. Doris Fouquet-Plümacher
Georg Olms Verlag, 1. Auflage 2025, 534 Seiten
69,00 €
ISBN 978-3-487-17040-4

Franz von Gaudy:
Aus dem Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen.
Berlin: Schwarzdruck, 2023.
[1] Doris Fouquet-Plümacher: Franz von Gaudy – biographische Skizze. In: Museum Viadrina Frankfurt (Oder): Franz von Gaudy aus/in Frankfurt an der Oder. Literarischer Strauß zu seinem 225. Geburtstag am 19. April 2025. Frankfurter Studien zur Stadt- und Regionalgeschichte, Band 1. Herausgegeben vom Verein der Freunde und Förderer des Museums Viadrina e.V. Frankfurt/Oder, 2025, S. 20.
[2] Siehe: Torsten Flüh: Rückkehr eines aus dem Kanon Gefallenen. Zum doppelten Jahrestag des Franz Freiherr Gaudy und der Neuedition seiner Ausgewählten Werke. In: NIGHT OUT @ BERLIN 25. Oktober 2020.
[3] Franz von Gaudy: Ausgewählte Werke. Band 3: Satire, Versdichtung, Novelle. Herausgegeben von Dr. Doris Fouquet-Plümacher. Hildesheim, Georg Olms Verlag, 2025.
[4] Franz von Gaudy: Aus dem Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen. Berlin: Schwarzdruck, 2023.
[5] Doris Fouquet-Plümacher: Franz … [wie Anm. 1] S. 17.
[6] Sigurd von Kleist: Franz von Gaudy und die Familie Kleist. In: Museum Viadrina Frankfurt (Oder): Franz … [wie Anm. 1] S. 52.
[7] Franz von Gaudy: Nachricht von den allerneuesten Schicksalen des Hundes Berganza. In: Franz von Gaudy: Franz Freiherrn Gaudy’s sämmtliche Werke. Band 12. Berlin, Kiemann, 1844, S. 11.
[8] Ebenda S. 25-26.
[9] Hannah Lotte Lund: Montags Unter den Linden. Der Freiherr Gaudy und die Berliner Geselligkeit. In: Museum Viadrina Frankfurt (0der): Franz … [wie Anm. 1] S. 61.
[10] Ebenda S. 66.
[11] Ebenda.
[12] Franz Freiherr Gaudy: Kaiser-Lieder. Leipzig, F.A. Brockhaus, 1835.
[13] Zitiert nach Zitat in der Ausstellung.
[14] Franz Freiherr Gaudy: Kaiser-Lieder … [wie 12] S. 156.
[15] Monika Estermann: Gaudys Plädoyer für Preßfreiheit bei der Gutenbergfeier 1840. In Museum Viadrina Frankfurt (Oder): Franz … [wie Anm. 1] S. 87.
[16] Ebenda S. 88.
[17] Zitiert nach ebenda S. 86.
[18] Ausstellungslegende zu Paulina – Polen.
[19] Franz von Gaudy: Paulina. In: Franz von Gaudy: Franz … [wie Anm. 7] Band 4, S. 56.