Verrückte Zellen

Arzt – Gespräch – Patient

Verrückte Zellen

Feldstudien und Lektüren zum Arzt-Patienten-Gespräch in Thomas Manns Der Zauberberg und das Wissen der Humanmedizin

Das Gespräch einer Ärztin oder eines Arztes mit Patient*innen ist von hoher lebenspraktischer und gesellschaftlicher Relevanz. Meistens beginnt es so, dass ein Mensch wegen irgendwelcher Beschwerden oder auch nur Unregelmäßigkeiten am Körper zu einer Ärztin oder einem Arzt geht. Er will darüber sprechen, was ihn beunruhigt. Es gibt eine große, schier endlose Bandbreite von Erkrankungen, die auftreten können. Wie die richtigen Worte finden? Wenn es sich nicht um einen plötzlichen Unfall oder Zusammenbruch handelt, wird die Patient*in sich bzw. ihren Körper bereits beobachtet haben und ein ungefähres Wissen über das, was nicht stimmt, entwickelt haben. Sie muss die richtigen Worte artikulieren, um ins Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt zu kommen. Heute könnte sich jede und jeder mit einer Gesundheitsapp wie z.B. Ada vorbereiten. Ada gibt es im App Store oder bei Google Play.

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Wie funktioniert das Arzt-Patienten-Gespräch? Die Linguistinnen Elisabeth Gülich und Gisela Brünner haben 2002 den Band Krankheit verstehen herausgebracht.[1] Sie konzentrierten sich auf die „Sprache in Krankheitsdarstellungen“, insbesondere auf „Verfahren der Veranschaulichung in der Experten-Laien-Kommunikation“.[2] Sie untersuchten, „wie Experten mit Laien über Krankheit sprechen“.[3] Das linguistische Verfahren hatte Einfluss auf die Sprache von Ada bzw. deren Programmierung. „Pass gut auf Dich auf(.) Dein Körper sendet Dir wichtige Signale über Deine Gesundheit. Mit Ada verstehst Du Deine Symptome in nur wenigen Minuten.“[4] Doch das Arzt-Patienten-Gespräch ist, obwohl es meistens kurz ausfällt, komplex. Schon in Thomas Manns Roman Der Zauberberg gehört es zur Eröffnungssequenz. In dieser Besprechung soll das Arzt-Patienten-Gespräch zwischen App, Klinik und Roman untersucht werden.

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Ada ist freundlich. Sie kümmert sich um die User*innen. „Fangen wir mit dem Symptom an, das Dich am meisten beunruhigt.“[5] Sie spricht als eine Kümmerin. Ada ist eine AI bzw. KI, also genau das, wovon derzeit alle Medien schreiben. Eine Künstliche Intelligenz, die durch die Startseite der App als Kümmerin spricht. Sie ist allerdings derzeit nur als Schreib-Lese-Programm verfügbar. Doch wäre es nur ein kleiner Schritt, sie mit einer warmen, zugewandten, weiblichen oder männlichen Stimme sprechen zu lassen. Etwa wie Alexa, Siri oder Cortana etc. Ada wäre also so etwas wie eine Superärzt*in im Gespräch mit „Dir“. Du tippst Dein Symptom ein: verstopfte Nase. Ada stellt dann im kollegialen Du-Modus ca. 10 Fragen von „Wie lange hast Du die Beschwerden?“ bis „Sind die Beschwerden besser geworden?/… schlechter geworden?/… gleich geblieben?“. Ada zeigt eine Auswahl möglicher Krankheiten an. Aus versicherungstechnischen Gründen rät Ada als App zum Arztbesuch.

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Die Gesundheitsapp heißt aus linguistischen Gründen nicht Krankheitsapp. Krankheit klingt schon krank. Bereits in den 70er Jahren wurde NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren) als Kommunikationstechnik entwickelt: Formuliere positiv, was Du sagen willst! Bei Ada wird der Körper zum Sender: „Dein Körper sendet Dir wichtige Signale über Deine Gesundheit.“ Ada vermeidet den Begriff Krankheit. Es gibt auch eine ganze Reihe von digitalen, programmierten Uhren, die einen Teil Deiner Körperfunktionen registrieren und auswerten, also überwachen und vor Verletzungen oder Schaden warnen. Die Sprache dieser Künstlichen Intelligenzen ist stets emphatisch: „Du machst das toll! Dein Training langsam zu steigern, ist genau das Richtige.“ (Polar) Ada kann auch von Medizinern genutzt werden und hat ein breites Netz von Unternehmen im Bereich der Gesundheitsversicherung und der Pharmaindustrie, die „Kosten“ sparen können: „Nutze unsere Enterprise-Lösungen für fundierte medizinische Entscheidungen und niedrigere Kosten.“[6]

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Ada bietet neben der Symptomanalyse eine Art Medizinblog, in dem „medizinisch überprüft(e)“ Artikel wie Was bedeuten meine Kopfschmerzen? von Harry oder von Ada Seltene Krankheiten erkunden und verstehen vom 21. Februar 2025 um 9:00 Uhr veröffentlicht werden. „Am 28. Februar ist „Internationaler Tag der seltenen Erkrankungen“.“ Ada klingt schnell so vertraut und vertrauenswürdig wie Alexa oder Siri. Doch der Name der App geht auf Ada Lovelace(-Byron) zurück, die mit Charles Babbage 1843 eine Analytical Engine entwickelte und als Mathematikerin mit ihren Aufzeichnungen eine Art erstes Computerprogramm schrieb. Sie war die Tochter des englischen Dichters Lord Byron. 1980 wurde eine Programmiersprache nach ihr benannt. Im Namen Ada überschneiden sich insofern der Name einer historischen Frau, die auch gesellschaftlich aktiv war, und eine Programmiersprache. Ada hilft dabei Symptome und Krankheiten zu verstehen, indem sie medizinisches Wissen an ihre Nutzer*innen weitergibt.  

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Zwischen Adas Symptom und Krankheit verstehen hat sich seit 2002 eine Veränderung der Sprache in der medizinischen Praxis abgespielt, die Elisabeth Gülich und Gisela Brünner untersucht haben. Sie analysierten vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Anfallskrankheiten auf empirischer Grundlage, um herauszufinden, „wie ExpertInnen/ÄrztInnen und LaiInnen/PatientInnen einander krankheitsbezogenes Wissen vermitteln und dabei komplexe Sachverhalte durch verschiedene interaktive Verfahren veranschaulichen“. Sie reagierten damit auf eine wachsende „Unzufriedenheit (in der Öffentlichkeit, T.F.) mit der technisch orientierten, nicht-sprechenden Medizin“.[7] Die Rede von einer „nicht-sprechenden Medizin“ lässt sich bedenken. Denn beispielsweise spielt sich Ada einzig und allein in der Sprache der Medizin mit Begriffen wie Körper, Gesundheit, Symptom bei Grundfragen ab. Und die vermeintlich „technisch orientierte() … Medizin“ ließe sich ebenso gut als Symptomatik formulieren. Denn zur Sprache der Medizin in der Moderne gehört ein ständiges Messen der Körperfunktionen auf der Suche nach Symptomen.[8]

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Die Kritik an einer „technisch orientierten“ Medizin, die den Körper des Menschen als Maschine beschreibt, wird von Elisabeth Gülich bezüglich der Rede von Herz-Kreislauf-Erkrankungen als eine der „vier zentralen Metaphernsysteme für das Herz-Kreislauf-System“ formuliert.[9] Das Metaphernsystem des Herzens als „ein Motor“ ließe sich als verwandt zur „Pumpe“ und dem Herz-Kreislauf-System als „Rohr- oder Heizungssystem“ und „Verkehrssystem“ auffassen. Sie schließt aus sechs Beispielzitaten, „dass das Herz nicht nur als der Motor des Kreislaufs veranschaulicht wird (…), sondern auch in einem weiteren Sinne als Motor des Menschen (…) und – noch abstrakter – des Lebens“.[10] Im Arzt-Patienten-Gespräch wird das Herz des Menschen insofern zum Motor, der den Menschen am Leben hält. Probleme am Herzen werden wie die an einem Motor formuliert und behandelt. Die Technik eines Herzschrittmachers hakt an der Wahrnehmung als Motor ein. Und er bringt den Schrecken mit sich, dass der Motor nicht aufhören könnte zu laufen, obwohl der Patient das möchte. Die Patient*in könnte sich insofern von einem Motor bestimmt wahrnehmen.   

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Handelt es sich beim Herzen als Motor um eine linguistische Metapher? Oder war der Mensch als Maschine, den ein Motor antreibt, seit der Aufklärung in Europa ein Freiheitsversprechen? Wie könnte ein Arzt anders als über das Herz in medizinischer Hinsicht sprechen? Von wem wird der Mensch am Leben gehalten? Im Alten Testament wird der Mensch nicht nur von Gott erschaffen, vielmehr wird er durch ein komplexes System von Regeln, Geboten und Verboten durch ihn am Leben erhalten. Deus ex machina bezeichnet seit der europäischen Antike ein Walten der Götter oder Gottes über den Menschen. Der französische Arzt Julien Offray de La Mettrie veröffentlichte nicht nur kritische Schriften zur Medizin seiner Epoche wie 1746 Politique du medecin de Machiavel, ou Le chemin de la fortune ouvert aux medecins…[11] (Machiavellis Ärztepolitik oder Der den Ärzten offenstehende Weg zum Glück. Auf die Form eines Ratschlags reduziertes Werk von Doktor Fum-Ho-Ham, übersetzt aus dem chinesischen Original von einem neuen Meister der Künste von St. Cosme. Teil eins. Es enthält Porträts der berühmtesten Ärzte Pekings.) Vielmehr publizierte er im Jahresrhythmus ebenfalls anonym L’Homme-Machine[12] und ein L’Homme-Plante[13] folgte.[14]

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Das Arzt-Patienten-Gespräch spielt sich über Narrative ab, die anstatt einer barrierefreien Vermittlung medizinischen Wissens immer auch den Körper verfehlen. Denn Krankheiten sind selbst Krankheitsbilder und deshalb Konstruktionen. Während der Erstbegegnung Hans Castorps mit den Ärzten des Sanatoriums, Hofrat Behrens und Dr. Krokowski, kommt es zu einem ebenso aufschlussreichen wie untypischen Arzt-Patienten-Gespräch. Thomas Mann lässt im Zauberberg-Roman die Vettern Joachim und Hans mit den Ärzten ineinanderlaufen. Denn Behrens als eine Art Direktor und Chefarzt hat es in seiner „Sanatorium“ genannten Klinik eilig. „»Hoppla, Achtung die Herren! sagte Behrens.“ Mann gestaltet, das Arzt-Patienten-Verhältnis dadurch, dass er den Arzt Behrens Hans Castorp als Patient definieren lässt. Der Arzt macht Castorp zum Patienten und schätzt sein „Talent“ dazu ein:
„Sie wären ein besserer Patient als der, da möcht ich doch wetten. Das sehe ich jedem gleich an, ob er einen brauchbaren Patienten abgeben kann, denn dazu gehört Talent, Talent gehört zu allem, und dieser Myrmidon hier hat auch kein bißchen Talent. Zum Exerzieren, das weiß ich nicht, aber zum Kranksein gar nicht.“[15]

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Die Klinik als eine Organisationsform „der Elemente, die das pathologische Phänomen konstituiert (…), als Definition der linearen Reihen der Krankheitsereignisse (…); als Einfügung der Krankheit in den Organismus“[16] wurde von Michel Foucault beschrieben. Thomas Mann hat in seinem Roman Der Zauberberg ein gutes Gespür für die sprachliche Verfassung des Sanatoriums als Klinik gehabt und sie Behrens sagen lassen. Sie wirkt nicht zuletzt bis in den aktuellen Klinikalltag fort. Einerseits bezeichnet Behrens Joachim, der Arzt den Patienten als „Myrmidon“, andererseits nimmt seine Rede einen befehlsförmigen Ton oder Modus an. Wie mit Krankheitsbegriffen aus dem Altgriechischen wird Joachim zu einem „Myrmidon“. Das Geschlecht der Myrmidonen ist selbst Kundigen der altgriechischen Literatur und Mythologie eher unbekannt. Es ließe sich somit sagen, dass ein Begriff beiläufig fallen gelassen und eingeführt wird, der in erster Linie Wissen ausstellt. Das exklusive Wissen darf allerdings nicht nachgefragt werden, weil der Patient dann sein Unwissen entblößen müsste.

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Das Sprechen in der Klinik und die Sprache der Klinik generieren einen Raum des Wissens vom Körper, der nicht zuletzt durch den Sprachmodus Befehl geregelt wird. Behrens befiehlt den Patienten Joachim und Hans ein strenges Zeitregime, das heute aus vielerlei Gründen von den Essenszeiten und dem Klinikessen bis zum regelmäßigen Messen durch Pflegekräfte fortwirkt. Der Zeitplan wirkt als Organisationsform normalisierend und natürlich. Die Organisation der Klinik erscheint kaum anders möglich. Die meisten Patient*innen empfinden an der Klinik ein Unbehagen, das sie schwer oder nur falsch artikulieren können.
„Also nun mal los mit dem Lustwandel! Aber nicht mehr als ´ne halbe Stunde! Und nachher die Quecksilberzigarre ins Gesicht gesteckt! Immer hübsch aufschreiben, Ziemßen! Dienstlich! Gewissenhaft! Sonnabend will ich die Kurve sehen! Ihr Vetter soll auch gleich mitmessen. Messen kann nie was schaden. Morgen, die Herren! Gute Unterhaltung!“[17]

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Ist eine Unterhaltung ein Gespräch? Wünscht Behrens Joachim Ziemßen und Hans Castorp eine „Gute Unterhaltung!“? Oder fand er seine Rede eine „Gute Unterhaltung!“ mit den Patienten. Der Begriff lässt für den Ironiker Mann beide Gebrauchsweisen zu. „1. auf angenehme Weise geführtes (längeres) Gespräch, Plauderei 2. angenehmer Zeitvertreib, Amüsement (durch Gespräch, Scherz, Spiel)“[18] Die Unterhaltung erweist sich als doppelbödig, weil Behrens sich famos unterhalten hat, ohne dass die Patienten zu Wort gekommen wären. Die serielle Häufung von Ausrufezeichen unterstreicht das befehlsförmige Sprechen des Klinikdirektors. Ob es die Zeit für den „Lustwandel“, das scherzhaft „Quecksilberzigarre“ genannte Thermometer zum Fiebermessen oder das Aufschreiben betrifft, in der Klinik herrscht ein Regime, dass nicht zuletzt eine „Kurve“ als mit Foucault eine „lineare() Reihe() der Krankheitsereignisse“ generieren soll.

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Wie funktioniert Diagnostik? Wie kommt der Arzt zu seiner Diagnose? Unter dem Titel Das Thermometer am Ende des 4. Kapitels im Zauberberg wird medizinisches Wissen – γνῶσις: gnosis – generiert und bestimmt.[19] Nachdem Hans Castorp einen immer stärkeren Wunsch verspürt hatte, zur Gesellschaft der Kranken im Sanatorium zu gehören, er sich bei der Visite durch die Nichtbeachtung der Ärzte, Behrens und Krokowski, ausgeschlossen gefühlt, diverse Krankengeschichten kennengelernt und gehört hatte, legt er sich ein Thermometer im „rote(n) Etui“ zu. „Schmuck wie ein Geschmeide lag das gläserne Gerät in die genau nach seiner Figur ausgesparte Vertiefung der roten Samtpolsterung gebettet.“[20] Durch Manns Formulierung wie zuvor in den erzählten Episoden bleibt mehrdeutig, ob das Thermometer für Castorp ein Schmuckstück oder ein diagnostisches Instrument ist. Der Ursprung des Fiebers und der damit verbundenen Krankheit wird von Mann offengehalten. Doch es kommt zur erhöhten Temperatur, die sich nun genauestens messen und vergleichen lässt:
„Joachim machte kurz kehrt und ging ins Zimmer. Als er zurückkehrte, sagte er zögernd:
»Ja, das sind 37 Komma 5 ½.«
»Dann ist es etwas zurückgegangen!» versetzte Hans Castorp rasch. »Es waren sechs.«“[21]     

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Hans Castorp begehrt eine Diagnose durch Hofrat Behrens, die nach einer kurzen Untersuchung durch eine Anamnese während des Arzt-Patienten-Gespräch gerahmt wird. Die Diagnose des Arztes, die von Dr. Krokowski protokolliert wird, fällt in der für Behrens charakteristischen Redeweise aus, die bereits bei der Erstbegegnung eingeführt worden war. Sie wird als ein intuitives Vorwissen des Arztes formuliert. Das ist bedenkenswert, insofern das Wissen damit doppelbödig wird. Findet Behrens ein Wissen nur bestätigt, das er bestätigt finden möchte?
„Ich habe Sie auf dem Strich gehabt, Castorp, nun kann ichs Ihnen ja sagen, – von vornherein, schon seit ich zuerst die unverdiente Auszeichnung hatte, Sie kennenzulernen, – und ziemlich sicher vermutet, daß Sie im stillen ein Hiesiger wären und das auch noch einsehen würden, wie schon so mancher, der zum Spaß hier heraufkam und sich mit erhobener Nase umsah und eines Tages erfuhr, daß er gut täte – und bloß >gut täte<, bitte mich wohl zu verstehen – hier ganz ohne unbeteiligte Neugiersallüre eine etwas ausbiebigere Station zu machen.«
Hans Castorp hatte sich verfärbt, …“[22]

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Bis auf den heutigen Tag gehört die Anamnese zum Bestandteil des Arzt-Patienten-Gesprächs oder es wird als Fragebogen vorgelegt. Die Frage nach Vorerkrankungen wie nach solchen in der Familie fügt die „Krankheit in den Organismus“ (Foucault) ein, der als Erbe formuliert wird. Von Thomas Mann wird diese Genealogie der Krankheit und ihre Vererbung auf auch komische Weise zur Verwandtschaft der Vettern in der Krankheit. Castorp leugnet das Vererbungswissen zunächst, um dann von Behrens überzeugt zu werden.
„»Er ist aber nur ein Stiefvetter von mir, Herr Hofrat.«
»Nanu, nanu. Sie werden doch Ihren Cousin nicht verleugnen wollen. Stief oder nicht, er bleibt doch immer ein Blutsverwandter. Von welcher Seite denn?«
»Von mütterlicher, Herr Hofrat. Er ist der Sohn einer Stief-«
»Und ihre Frau Mama ist vergnügt?«
»Nein, sie ist tot. Sie starb, als ich noch klein war.«
»Oh, warum denn?«
»An einem Blutpfropf, Herr Hofrat.«
»Blutpfropf? Na, es ist ja schon lang her. Und Ihr Herr Vater?«
»Der ist an der Lungenentzündung gestorben –,« sagte Hans Castorp, »und mein Großvater auch –,«, setzte er hinzu.
»So, der auch? Na, soviel von Ihren Vorfahren.“[23]

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Die Diagnose fällt als Urteil aus. Behrens sagt zu Castorp nicht direkt, dass er Tuberkulose habe. Doch im Sanatorium Berghof oberhalb von Davos haben alle Gäste-Patienten die Tuberkulose. Sie schwebt als Urteil über allen Patienten. Denn die Tuberkulose verläuft zwischen Thomas Manns Besuch bei seiner lungenkranken Frau in Davos 1912 und der Erstveröffentlichung 1924 häufig tödlich. Die durch Robert Koch entwickelte Tuberkulin-Impfung hatte sich 1890 als wirkungslos erwiesen. Die bakterielle Lungenerkrankung konnte durch Aufenthalte in Sanatorien mit besserer Luft als in den Großstädten, guter Ernährung und strenger Ruhe durch „Liegekur“[24] oft geheilt werden. Das Medizinwissen von der Tuberkulose wird von Behrens im Arzt-Patienten-Gespräch mit „Bakterien“ diskret formuliert:
„»Sofort waren Sie wahrscheinlich beschwipst«, bekräftigte der Hofrat. »Das sind die löslichen Gifte, die von den Bakterien erzeugt werden; die wirken berauschend auf das Zentralnervensystem, verstehen Sie, und dann kriegt man heitere Bäckchen. Sie gehen nun erst einmal in die Klappe, Castorp; wir müssen sehen, ob wir Sie durch ein paar Wochen Bettruhe nüchtern kriegen. Das Weitere kann nachher kommen. Wir nehmen eine schöne Innenansicht von Ihnen auf – es wird Ihnen Spaß machen, so Einblick zu gewinnen in Ihre eigene Person…«“[25]

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Das Urteil wird von Hofrat Behrens in eine euphemistische Rede vom Rausch und seiner Ursache gekleidet. Hans Castorp wird gar Spaß durch eine „Innenansicht“ seines Brustkorbs versprochen. Natürlich geht es bei der „Innenansicht“ um ein Sichtbarwerden der Krankheit und keinesfalls nur um die Veranschaulichung des Expertenwissens. Die Röntgenaufnahme von der Brust zur Diagnose der Tuberkulose lässt sich als ein erstes bildgebendes Verfahren beschreiben. Denn Wilhelm Conrad Röntgen hatte das Untersuchungsverfahren mit den unsichtbaren Röntgenstrahlen erst 1895 erfunden. Zur Handlungszeit des Romans 1914 ist das Röntgenbild als „Innenansicht“ von geradezu berauschender Neuigkeit. Der Besuch Castorps im „Durchleuchtungslaboratorium“[26] wird von Thomas Mann ausführlich inszeniert. Das zu erwartende Wissen schwankt zwischen Rausch und Todesdrohung:
„»Nächster Delinquent!« sagte Behrens und stieß Hans Castorp mit dem Ellenbogen. »Nur keine Müdigkeit vorschützen! Sie kriegen ein Freiexemplar, Castorp. Dann können Sie noch Kindern und Enkeln die Geheimnisse Ihres Busens and die Wand projezieren!«
Joachim war abgetreten; der Techniker wechselte die Platte. Hofrat Behrens unterwies den Neuling persönlich, wie er sich zu setzen, zu halten habe.“[27]

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Das Sichtbarwerden der inneren Krankheit, wie es vor gut einhundert Jahren von Thomas Mann formuliert und beschrieben wird, nimmt mit verfeinerten bildgebenden Verfahren wie Sonographie (Ultraschall), CT und MRT weiterhin einen breiten Raum im Medizinwissen ein. Es ist wahrscheinlich noch wichtiger geworden. Doch was wird sichtbar? Im „Durchleuchtungsraum“ wird Joachims Brustkorb nicht nur als Röntgenbild, vielmehr noch als zu studierende Live-Projektion sichtbar. Doch Behrens muss Castorp erst einmal sagen und zeigen, was er sehen soll. Denn da sind vor allem „Flecke“. Sie müssen erst einmal gesehen werden, um dann benannt werden zu können.
„Er studierte die Flecke und Linien, das schwarze Gekräusel im inneren Brustraum, während auch sein Mitspäher nicht müde wurde, Joachims Grabesgestalt und Totenbein zu betrachten, dies kahle Gerüst und spindeldürre Memento. Andacht und Schrecken erfüllten ich. »Jawohl, jawohl, ich sehe«, sagte er mehrmals. »Mein Gott, ich sehe!« (…) So sah nun Hans Castorp den guten Joachim, wenn auch mit Hilfe und auf Veranstaltung der physikalisch-optischen Wissenschaft, so daß es nicht zu bedeuten hatte und alles mit rechten Dingen zuging, zumal er Joachim Zustimmung ausdrücklich eingezogen.“[28]  

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Die Flecken, das Amorphe auf dem heute meistens in einer Computertomographie (CT) unter Einsatz eines Kontrastmittels generierten Bild gilt als verdächtig. Was genau man in den Flecken sieht, lässt sich häufig schwer sagen. Aber es gibt Flecken, wo keine Flecken sein sollten. Man muss das Sehen wie Hans Castorp erst einmal lernen.[29] In Schichten wird durch Kontrastmittel und Röntgenstrahlen ein möglichst deutliches Bild z.B. in der hämatologischen Onkologie generiert. Das Problem der Überlagerung und Unschärfe beim Röntgen durch Fettleibigkeit, das Behrens ausdrücklich formuliert – „Ich habe hier Wänste gehabt, – undurchdringlich, beinahe nichts zu erkennen.“[30] –, wird heute mittels der schichtweisen, computergenerierten Bildgebung gelöst. Doch die Flecken bleiben Flecken. Wird nun von einem Arzt gezeigt, dass die Flecken ein spezielles Lymphom sind, so korrigiert der zuständige Professor und Experte das Lymphom-Wissen des Patienten, dass es sich um Millionen von Zellen handele, die dort „verrückt“ geworden seien. Einzelne Lymphome lassen sich mit dem CT nicht sichtbar machen, weil sie zu winzig sind. Doch die Formulierung von den „verrückt(en)“ Zellen als onkologisches Lymphom-Wissen ist weiter zu bedenken.

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Was sind Zellen? Und wie können sie verrückt werden? Die „Zellenlehre“ wird von Rudolf Virchow 1855 mit dem Satz „Omnis cellula a cellula“ als Prosektor und Professor am Institut für Anatomie der Universität Berlin formuliert.[31] Als Prosektor an der Charité seit 1846 gehörte es zu Virchows Aufgaben, die Körper Verstorbener zu sezieren. Beim Öffnen der Körper durch das Zerschneiden fielen ihm Abnormitäten in und an den Leichen auf. Daraus entwickelte er nicht nur seinen Lehrsatz „Jede Zelle stammt aus einer Zelle“, vielmehr legte er eine umfangreiche Präparate-Sammlung an, die noch heute teilweise im Medizinhistorischen Museum Berlin zu sehen ist. Die Präparate sollten einerseits zeigen, was den Ärzten sonst verborgen blieb, andererseits bildeten sie sozusagen das Ausgangswissen für seine Zellenlehre. Das Wissen von den Zellen und ihrem Wachstum bildete für Virchow nicht nur ein medizinisches Fachwissen, vielmehr identifizierte er sich soweit mit diesem, dass er 1902 ein Exlibris mit einem aufgeschlagenen Buch hinter dem die Sonne aufgeht und mit einem Lorbeerzweig links wie mit einem Eichenzweig rechts sowie auf den Seiten „Omnis cellula a cellula“ anfertigen ließ.[32] In seinem Tagebuch soll er den heute problematischen Satz geschrieben haben: „Die Päparate-Sammlung ist mein liebstes Kind.“[33]

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Für die Frage nach dem Arztwissen im Gespräch mit dem Patienten ginge es hier zu weit, Virchows Zellentheorie, die er in Vorlesungen am „neuen pathologischen Institute der Universität gehalten“ zur „Cellularpathologie“[34] weiterentwickelt hatte, genauer in der Verschränkung von Fach- oder Expertenwissen und persönlicher Rede zu untersuchen. Durch den knappen Exkurs soll allein darauf hingewiesen werden, dass Rudolf Virchow durch sein Arztwissen zugleich während der Revolution von 1848 politisch aktiv geworden ist, so dass er vorübergehend aus Berlin fliehen musste.[35] Die abnorme Erscheinung, dass sich viele Lymphom-Zellen an einer Körperstelle sichtbar machen lassen, sonst allerdings durch ein CT nicht sichtbar gemacht werden können, als eine Verrücktheit zu formulieren, entspricht, obwohl fraglich wie eine Zelle verrückt werden kann, zutiefst nicht nur der „Zellenlehre“ Rudolf Virchows, vielmehr noch der sprachlichen Elastizität des Medizinwissens. Das Wissen vom Menschen als Humanwissenschaft, Human Science oder Science humaine in der Humanmedizin ist zugleich höchst elastisch und dynamisch. In der Praxis der Klinik muss dann doch oft flexibel entschieden werden.

Torsten Flüh


[1] Brünner, Gisela; Gülich, Elisabeth (Hgg.): Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache der Krankheitsdarstellungen. Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2002.

[2] Dies.: Verfahren der Veranschaulichung in der Experten-Laien-Kommunikation. S. 18-64.

[3] Ebenda S. 18.

[4] Ada: Startseite: Deutsch: ada.com/de/

[5] Ebenda.

[6] Ebenda.

[7] Brünner, Gisela; Gülich, Elisabeth: Verfahren … [wie Anm. 2]

[8] Zum Messen im Sanatorium siehe bereits: Torsten Flüh: Das Gespenst der Epidemie. Zur Abwesenheit der Epidemie im Roman Der Zauberberg von Thomas Mann. In: NIGHT OUT @ BERLIN 22. Januar 2021.

[9] Brünner, Gisela; Gülich, Elisabeth: Verfahren … [wie Anm. 2] S. 26.

[10] Ebenda.

[11] Julien Offray de La Mettrie: Politique du medecin de Machiavel, ou Le chemin de la fortune ouvert aux medecins … Amsterdam: Bernard, 1748. (Gallica)

[12] Ders.: L’Homme-Machine. Leyden: Elie Luzac, 1748. (Gallica)

[13] Ders.: L’Homme-Plante. Potsdam: Voss, 1748. (Gallica)

[14] Zu de La Mettrie siehe u.a.: Torsten Flüh: Müssen wir Menschlichkeit neu bestimmen? Zur Konferenz Humanity Defined: Politics and Ehtics in the AI Age des Aspen Institute Germany. In: NIGHT OUT @ BERLIN 13. April 2019.

[15] Thomas Mann: Der Zauberberg. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2012, S. 73-74.

[16] Michel Foucault: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1988, S.16.

[17] Thomas Mann: Der … [wie Anm. 15] S. 75.

[18] DWDS: Unterhaltung.

[19] Thomas Mann: Der … [wie Anm. 15] S. 245-278.

[20] Ebenda S. 256.

[21] Ebenda S. 262.

[22] Ebenda S. 275.

[23] Ebenda S. 275-276.

[24] Ebenda S. 21.

[25] Ebenda S. 278.

[26] Ebenda S. 320.

[27] Ebenda S. 328.

[28] Ebenda S. 332.

[29] Zum Sehen und Sichtbarwerden oder grafischen Darstellungen in der Medizin siehe: Torsten Flüh: Sputnik 5 und Hegels Weltgeist. Georg Wilhelm Friedrich Hegel zum 250. Geburtstag und die Wiederkehr des Sputniks. In: NIGHT OUT @ BERLIN 16. August 2020.

[30] Thomas Mann: Der … [wie Anm. 15] S. 331.

[31] Sinje Gehr, Judith Hahn, Thomas Schnalke. Jens Steinbrink (Hgg.): Der Zellenstaat. Rudolf Virchow und die Charité der Zukunft. (Ausstellungskatalog) Berlin: Charité, 2021, S. 12. (Digitalisat)

[32] Ebenda.

[33] Auf dem Schreibtisch im Medizinhistorischen Museum der Charité lag bei einem Besuch um 2002 ein Zettel mit dem hier aus der Erinnerung zitierten Satz.

[34] Rudolf Virchow: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. 20 Vorlesungen. Berlin: Hirschwald, 1859, S. V. (Digitalisat)

[35] Zur Revolution 1848 siehe auch: Torsten Flüh: Der europäische Bogen der Revolution. Zu Christopher Clarks brillant erzähltem Frühling der Revolution – Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt. In: NIGHT OUT @ BERLIN 11. Oktober 2023.

Verschlungenes Kino

Kino – Agent – Schnitt

Verschlungenes Kino

Zur Weltpremiere von Reflet dans un diamant mort im Berlinale Palast  

Das Digitale organisiert jetzt die Kinokarten auf der 75. Berlinale. Man scannt einfach den QR-Code am Roten Teppich vor dem Berlinale Palast. Restkarten für die 22:00-Uhr-Vorstellung von Reflet dans un diamant mort, Wettbeweb, Weltpremiere, werden so um 19:30 Uhr angezeigt. Bezahlmodus gewählt mit Kreditkarte oder PayPal und schwupps wird die Kinokarte als Strichcode heruntergeladen. Kein Schlangestehen mehr. Kein Drängeln. Keine Hektik für die letzten Kinokarten an der Tageskasse und dann quer über den Marlene-Dietrich-Platz in den Berlinale Palast. Kein Ab- oder Einreißen der Kinokarte mehr. Die Kinokarte lebt weiter als digitales Strichgespenst. Sie lässt sich nicht mehr ins Tagebuch kleben. In der großen Hommage an das Kino, insbesondere das europäische, den belgisch-französisch-italienisch-luxemburgischen Krimi und Agententhriller, den Surrealismus des Reflet dans un diamant mort hätte die Kinokarte vorkommen müssen.   

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Hélène Cattet und Bruno Forzani, beide Regie und Drehbuch, haben mit Reflet dans un diamant mort eine wilde, bilderflutende Hommage an das Kino und den Agententhriller gedreht. Mit Fabio Testi als 70jähriger Ex-Agent John, der in einem einzigartigen Grand Hotel an der Côte d’Azur seinen Lebensabend verbringt, überschneidet sich das Genre deutsch-italienischer Kriminal- und Agentenfilme. Er spielte in Italowestern und Kriminalfilmen in den 70er Jahren. Testi hat seinen großen Auftritt auf dem Roten Teppich der Berlinale: wenn er aus der E-Limousine Cupra Tavascan steigt. Eine Legende.

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1970 hatte Fabio Testi im deutsch-italienischen Kriminalfilm Blonde Köder für den Mörder an der Seite von Ini Assmann, Nadja Tiller und Anita Ekberg gespielt. Der Film basierte auf einem Illustriertenroman der Neuen Revue aus dem Bauer Verlag.[1] Die Haarfarbe blond im deutschen Titel versprach blonde Frauen als Objekte mit viel nackter Haut. In der englischen Version hieß der „Sex-Krimi“ Death Knocks Twice. 1973 spielte er im italienischen Kriminalfilm L’ultima chance an der Seite von Ursula Andress und Barbara Bach, der in Deutschland als Diamantenpuppe ins Kino kam.[2] Ursula Andress war 1962 als Bond Girl in James Bond jagt Dr. No berühmt geworden und Barbara Bach sollte 1977 als solches in Der Spion, der mich liebte weltberühmt werden.

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Diamanten lassen sich vielseitig einsetzen. Sie schmücken Frauen. Sind deren beste Freunde. Diamonds are the girls best friend. Diamantbohrer gibt es im Baumarkt. Sie werden als Zahlungsmittel benutzt. Diamonds are forever hieß der James-Bond-Film von 1971. Diamanten haben Feuer und funkeln verführerisch. John trägt einen Diamantring. Der Diamant ist zu einer spitzen Pyramide geschliffen, so dass er nicht nur als Schmuckstück, vielmehr noch als schneidende Waffe benutzt werden kann. Diamanten werden in Reflet dans un diamant mort auf vielerlei Weise ins Bild gerückt. Für John sind Diamanten seine Altersversicherung für das Zimmer im Grand Hotel.

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Diamanten blitzen in Reflet dans un diamant mort neben der Brustwarze einer jungen Frau in der Sonne für John. Eingedenk des deutschen Filmtitels Diamantenpuppe, in dem es eher trivial für Floyd Gambino (Fabio Testi) um gestohlene Diamanten, die nach einer Liebesnacht mit Michelle Norton (Ursula Andress) verschwunden sind, geht es mit den Diamanten immer auch um den heute 83jährigen italienischen Schauspieler Fabio Testi. Der Agentendarsteller und die Frauen schimmern noch bei seiner Begrüßung der Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, durch. Er will die sichtlich irritierte deutsche Staatsministerin weit nach Me-too küssen. Auf die Wange, aber immerhin. 1975 hatte er an der Seite von Romy Schneider in Andrzej Żuławskis Skandalfilm Nachtblende gespielt.[3]

Screenshot Trailer Reflet dans un diamant mort (Ausschnitt)

Neben Fabio Testi ist die Kamera die andere Hauptdarsteller/in des Films. Manuel Dacosse hat als Kameramann bereits mit dem in Brüssel ansässigen Regie- und Drehbuchpaar Cattet und Forzani für vier Filme zusammengearbeitet. Extreme Nahaufnahmen von Augen beispielsweise werden gegen funkelnde Diamanten neben Brustwarzen geschnitten. Ein Auge lugt aus Diamanten hervor. Die Kamera beobachtet kaum. Sie ist mittendrin im Bild und schaut aus ihm hervor. Auf diese Weise erinnert die Kamera an die Eröffnungssequenz aus Luis Bunuels und Salvador Dalís Un Chien Andalou (1929).

Screenshot Trailer Reflet dans un diamant mort (Ausschnitt)

Kino und Traum überlagern sich. Sprachoperationen generieren Bilder oder als Zwischentitel: „La prise de vues: Duverger“: Filmaufnahme: Duverger. Die Mittel des Films zwischen Nahaufnahme und Schnitt – Gegenschnitt: das Auge der Frau mit Hand, die ein Rasiermesser hält, Schnitt: das Rasiermesser, das ein (Kuh)Auge durchschneidet – generieren die Psychologie des Surrealismus. Das Kuhauge sahen die ersten Zuschauer des Films nicht. Sie sahen erschaudernd das Auge der Frau. Der Schnitt (Bernard Beets) wird schneller und schneller. Die Schlusssequenz von Un Chien Andalou spielt am steinigen Strand. Durch den Schnitt bekommen die Cineast*innen nie zu sehen, was sie sehen wollen. Im Traum wie im Kino ist es immer etwas anderes, was man zu sehen bekommt.

Screenshot Trailer Reflet dans un diamant mort (Ausschnitt)

Das Schauen und das Verschwinden generieren den Plot des Films mit dem kryptischen Titel. Was reflektiert sich in dem toten Diamanten? Warum die paradoxe Formulierung als Titel? Hélène Cattet und Bruno Forzani schreiben filmisch. Sie haben ihr Drehbuch aus dem Medium Kino und seinen Genres herausgeschrieben. Posen werden reproduziert. Posen statt Plot. Wände im Hotelzimmer werden zu Projektionsflächen. Immer wieder wird versucht, durch ein kleines Loch zu schauen. Und der Zuschauer fürchtet, dass ihm etwas ins Auge gestochen wird. „But when the woman mysteriously disappears, John is beset by flashbacks – or perhaps fantasies – of his glamorous and grotesque past, and the alluring women and dastardly villains who lived and died there.”

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Das Verschwinden löst ein immer stärkeres Verlangen nach dem Schauen aus. Die Exposition mit John am Hotelstrand ruft nicht zuletzt Dirk Bogarde als Gustav von Aschenbach in Viscontis Tod in Venedig in Erinnerung. John setzt sich im weißen Sommeranzug mit weißem Hut auf einem Stuhl an einen Tisch. Der Ober serviert einen Drink. Eine Frau legt sich davor in einen Liegestuhl. Dann bleibt der Liegestuhl leer. Man muss das Kino lieben für all die Schrecken, die es bereithält. Erinnerungen, Wahnsinn, Filmemachen. Hélène Cattet ist nach der Weltpremiere auf der ganz großen Leinwand überwältigt nach sechs Jahren, die sie und Bruno Forzani in den Film investiert haben. „Memory,madness and moviemaking become increasingly difficult to separate. Are his old enemies back to wreak havoc on his idyllic life? Are there yet more conspiracies and treacheries waiting to be unmasked? Or has he simply been bewitched by the beautiful and dangerous lure of escapist cinema itself?”

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Die Verlockung des Kinos wird zur ebenso lustvollen wie gefährlichen, aber auch komischen und unheimlichen Handlung des Agententhrillers. Hinter oder nach jedem Bild tut sich ein neues auf. Bilderflut fast wie in einem Music-Clip. Clip Art. Filmblut spritzt viel. Das geschlängelte Teppichmuster des Grand Hotels in Orange und Schwarzbraun verwandelt sich in Schlangen. Die Schlangen werden zum geheimnisvollen Agentenbuchtitel bis die Autos in einer Verfolgungsjagd die Serpentine hinunter- oder auch hinaufjagen. Die Schauspieler in den Latexanzügen bekommen eine Ähnlichkeit mit Kobras. Der Film soll verschlungen werden. Die Verkettung der Bilder zum Film funktioniert gerade nicht als eine Geschichte, die sich als eine geschlossene erzählen ließe.

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Liegt es an der Maske, dass John seine Hotelzimmernachbarin nicht, aber immer wieder neue Frauen findet. Masken generieren wie in der Kunst des Surrealismus von der afrikanischen Maske bis zur Filmmaske, die sich abziehen lässt, als immer wieder neue Masken einen Handlungsstrang. In den Maskenwunden wird gebohrt. Die Schnittwunden werden zu Masken. Johns Agententätigkeit findet hinter den Masken nichts als Masken. Das hatte schon den jungen John (Yannick Renier) gelockt und in Bewegung gehalten. Atemlos. Wer im Film wer sein könnte, wird von den Schnitten der Handlung hinweggerissen.

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Reflet dans un diamant mort ließe sich als eine Reflektion über den Surrealismus und das Filmemachen bedenken. Morde, die nach Gemälden, Bildfindungen aus der Kunstgeschichte gestaltet werden, finden ebenso Erwähnung wie, dass Botschaften aus Buchstabenmontagen überbracht werden. Montage und Collage sind Praktiken des Films wie des Surrealismus. Der Film, das Kino ist eine visuelle Kunst, die sich in endlosen Verschlingungen immer wieder anders erfindet, weshalb Reflet dans un diamant mort keinen Schluss hat, sondern abbricht und – vom Premierenpublikum lautstark gefeiert wurde.

Torsten Flüh  


[1] Wikipedia: Blonde Köder für den Mörder.

[2] Wikipedia: Diamantenpuppe.

[3] Wikipedia: Nachtblende.

Transformationen der Landwirtschaft zwischen Zeilensaat und Reallaboren

Labor – Landwirtschaft – Literaturen

Transformationen der Landwirtschaft zwischen Zeilensaat und Reallaboren

Zu Frank A. Ewerts Mosse-Lecture zum Semesterthema Landleben unter dem Titel Landwirtschaft quo vadis?

Die Landwirtschaft hat viel mit dem Labor seit der Zeit um 1800 zu tun. Die Erhöhung der Erträge des Ackerbaus und die Fruchtbarkeit des Bodens werden gleich einem Labor auf von Bauern aufgekauften Feldern systematisch erforscht. In seinem Vortrag Landwirtschaft quo vadis? Perspektiven für eine nachhaltige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems stellte Frank A. Ewert am 13. Februar im Senatssaal der Humboldt-Universität nicht nur einen Überblick über die Entwicklung der Landwirtschaft seit dem 10. vorchristlichen Jahrhundert in Vorderasien auf dem Gebiet der heutigen Staaten Israel, Jordanien, Libanon, Syrien, Türkei, Irak und Iran vor, vielmehr erinnerte er zugleich daran, dass Hungersnöte in Deutschland erst seit zwei Generationen nicht mehr vorkommen. Für die Transformation schlägt Ewert nun „Reallabore“ vor.

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Die Mosse-Lectures hatten im Wintersemester 2024/25 das Landleben in einem Spannungsverhältnis von „sterbenden Dörfern“ und Sehnsüchten nach einem Leben im ruralen Raum zum Semesterthema gemacht. „Das ›Ländliche‹ geht aus kulturellen Deutungsschemata und Ästhetisierungen hervor, auch ländliche Lebensformen erweisen sich als zutiefst von gesellschaftlichen Dynamiken geprägt“, heißt es im Ankündigungstext. Marcus Twellmann und Claudia Stockinger hatten die „Berliner Umlandliteratur“ ins Licht gesetzt. Daniela Danz beleuchtete die „zentrale Provinz“. Und Anja Decker hatte die „(l)ändliche(n) Peripherien als plurale Erfahrungsräume“ vorgestellt. Frank A. Ewert als Direktor des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg und vielzitierter Experte für Pflanzenbau gab nun mit seinem Vortrag einen facettenreichen Einblick in die Landwirtschaft.

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Bevor der Vortrag genauer rekapituliert werden wird, soll hier als Ergänzung und Vertiefung auf das vermutlich einzigartige Laboratorium an der Schnittstelle von Literaturen des Hamburger Kaufmannssohns, Reisenden, Armutsforschers und Landschaftsgestalters wie Ackerbaureformers Caspar von Voght in Flotbeck, heute Flottbek, hingewiesen werden. Denn es war Caspar von Voght, der Johann Wolfgang Goethe am 11. Juni 1823 sein schmales Büchlein Flottbek und dessen diesjährige Bestellung mit Hinsicht auf die durch dieselbe beabsichtigten Erfahrungen mit der Widmung schickte, dass er es „nicht … lesen … allein ansehn“ solle, weil es „eine neue Wissenschaft begründet“.[1] Mit dem Datum vom „May 1824“ ist das Manuskript „Flotbeck in ästhetischer Ansicht“[2] von Caspar Voght erhalten. Und 1825 veröffentlichte Freiherr Caspar von Voght bei Friedrich Perthes in Hamburg seine über 400 Seiten starke Sammlung landwirtschaftlicher Schriften. Erster Teil.[3]

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Den als Briefe verfassten Abschnitten der „ästhetischen Ansicht“ sind Zitate von Horaz in Latein und Jacques Delille auf Französisch vorangestellte. Aus den Oden des Horaz‘ zitiert er: „ille praeter omnes mihi Terrarum Angulus ridet.“ (Von allen Winkeln dieser Erde, lacht keiner so wie der mich an.) Von Jacques Delille zitiert Voght mehrere Verse aus dem Gedicht Les Jardins, das zuerst 1782 in Paris unter dem Titel Les jardins, ou l’art d’embellir les paysage: poème (Die Gärten oder die Kunst die Landschaften zu verschönern: Gedicht) und 1795 in Hamburg veröffentlicht worden war.[4] Das Gedicht beginnt mit dem Vers: „… Désirez-vous un lieu propice à vos travaux ?“ (… Begehren Sie einen Ort, der Ihrer Arbeit förderlich ist?) Die von Voght in Flottbek um 1800 zusammengekauften Ländereien werden zu einer Schnittstelle der Poesie und Belletristik wie der Wissenschaftsliteratur, die er zwar räumlich und publizistisch trennt, aber dennoch auf seinem Mustergut in Flottbek für kurze Zeit vereinigt:
„Là, que le peintre vienne enrichir sa palette ;
Que l’inspiration y trouble le poète ;
Que le sage du calme y goúte les douceurs ;
L’heureux, ses souvenirs; le malheureux, ses pleurs.“ (Delille: Les Jardins)
(Dort, wo der Maler die Palette reich gemacht/Und wo Inspiration die Dichter überrascht/Wo der Weise der Stille die Süße gekostet;/Der Glückliche – Erinnerung, der Unglückliche – die Tränen!“

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Das paradoxe Zusammenspiel von Landschaft als Garten und Landwirtschaft in Flottbek, das 200 Jahre später mit dem Jenisch Park im Hamburger Villenvorort völlig verschwunden ist, ließe sich vermutlich als Signatur der Moderne für die Wahrnehmung des ländlichen Raumes formulieren. Im Begriff der Agrarlandschaftsforschung klingt er noch nach. Frank A. Ewert erwähnte in seinem Vortrag Landwirtschaft quo vadis? Wissenschaftler wie Albrecht Daniel Thaer, der 1810 mit der Gründung der Berliner Universität zum Professor des Ackerbaus berufen worden war, die die Landwirtschaft seit der Zeit um 1800 entschieden veränderten und effizienter machten. Während Voght zwischen 1801 und 1811 meist kürzere Reisen nach Weimar, Karlsbad, Berlin, Wien und Paris unternimmt und u.a. Goethe und Alexander von Humboldt trifft, in den Großstädten seine Reform des Hamburger Armenwesens vorstellte, um 1811 bis 1812 in Marseille und Paris tatsächlich zu reformieren, veröffentlicht Thaer 1809 den ersten Band seiner vierbändigen Grundsaetze der rationellen Landwirthschaft.
„Bei einigen abstrakten Materien, z. B. in diesem Bande bei der Begründung der Wissenschaft, habe ich mich vielleicht zu kurz gefaßt; aber ich hätte, um diese Materie einem Theile meiner Leser vollständig zu entwickeln, durch Weitläuftigkeit einem andern Theile langweilig werden müssen.“[5]  

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Ewert gab einen Abriss über die historische Entwicklung von Bevölkerungswachstum und Hungersnöten in Deutschland und Europa, um die Bekämpfung des Hungers als Aufgabe der modernen Landwirtschaft deutlich zu machen. Noch im offiziellen Abdankungsbrief Kaiser Wilhelm II. wird der Schutz der Bevölkerung vor Hungersnöten ausdrücklich als Aufgabe der künftigen Regierenden erwähnt, wie Ewert hervorhob. Doch die Landwirtschaft musste sich in den letzten einhundert Jahren nicht nur auf die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln konzentrieren, sondern es veränderte sich immer wieder das Konsumverhalten. Fettwaren wurden ab der Mitte des Jahrhunderts wichtig. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wird die Ernährung nicht mehr allein mit dem Stillen des Hungers in Verbindung gebracht, vielmehr wird sie zu seiner Frage des Seins, des Bewusstseins, der Intelligenz und heute des Live Styles und des Klimabewusstseins. Durch Ludwig Feuerbach und Jacob Moleschott wird bereits 1850 die Ernährung mit der Lehre der Nahrungsmittel für das Volk zu einer Frage der „Demokratie“.[6]
„Diesen Übergang zur Demokratie hat schon der berühmte Physiologe Haller den jetzigen Naturforschern gleichsam zur Pflicht gemacht.“[7]   

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Auf die Frage der Demokratie für die „Ernährungssicherheit“ ging Ewert nicht explizit ein. Stattdessen verwies er en passant mit Robert Thomas Malthus‘ Essay on the Principles of Population von 1798 auf das Problem von „Bevölkerungswachstum und Hungersnöte“ und formulierte die Frage: „Lässt sich eine wachsende Bevölkerung sicher ernähren?“ Nach Malthus wäre die Frage zu verneinen. Denn in der Erstausgabe spricht er, einem Menschen, der nicht durch „seine Familie (…) die Mittel hat“ sich „zu ernähren“ oder „, wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat“, das „Recht“ zu leben, ab.[8] Malthus gebraucht lediglich den Begriff der society und nicht den der Demokratie. Dennoch hatte u.a. der Hunger in Frankreich zur Revolution geführt. Weiterhin hat Hans Fallada in seinem Roman Bauern, Bonzen und Bomben 1931 die demokratiegefährdende Macht einer durch Missernten und Misswirtschaft entfesselten Bauernschaft beschrieben. Bei der „Wiedergabe der Atmosphäre, des Parteihaders, des Kampfes aller gegen alle“ hatte er „höchste Naturtreue“ angestrebt.[9]

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Ewert hat am ZALF die gegenwärtigen Herausforderungen für die Landwirtschaft analysiert und in einer Grafik von Zielkonflikten und Synergien in seinem Vortrag vorgestellt. Zwar müsse man nach Ewert nicht alle Grafiken und Bilder seines Vortrags verstehen, aber sie machen ein wichtiges Element der Agrarlandschaftsforschung aus. Denn das Wissenschaftliche der Landwirtschaft wird nicht zuletzt durch ein ständiges Messen und Vergleichen generiert. Wie bei der Malthus-Kurve der Populationsdynamik im Verhältnis zum Ackerland nach der Formel P(t+1) = q P(t) wird die Berechnung und ihre grafische Darstellung zum Wissen der Landwirtschaft. Aus der Grafik „Herausforderungen für die Landwirtschaft“ bleibt während der Mosse-Lecture auf die Schnelle hängen, dass eine Vielzahl von Zielkonflikten und Synergien die Herausforderungen ausmachen. Die Konflikte sind denn auch komplex. Um der Komplexität der Konflikte der heutigen Landwirtschaft wie z.B. den ständig abnehmenden landwirtschaftlichen Betrieben und Erwerbstätigen in der Landwirtschaft im Verhältnis zur steigenden Zahl der Menschen, die in Deutschland versorgt werden müssen, Geltung zu verschaffen, schlägt Ewert Reallabore vor.

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Im Vergleich zu Voghts Mustergut als Labor[10] in Flottbek setzt das Reallabor auf einen demokratischen Austausch der Akteure. „Wir erforschen die nachhaltigen Landschaften der Zukunft. Gemeinsam mit der Gesellschaft“, heißt es auf der Startseite des ZALF.[11] Bereits bei der Zeilensaat und dem Unterpflügen von Gründüngung zur Verbesserung der Bodenqualität und Wegerechten kommt es um 1800 zu Prozessen vor Gericht der ansässigen Bauern mit dem Kaufmann und Landwirt Voght. Er überträgt nicht nur die wirtschaftlichen Berechnungen buchhalterisch auf den Ackerbau, er ordnet nicht zuletzt schon vor der Jahrhundertwende die Aussaat durch die Zeilensaat. Der Paradigmenwechsel von der bäuerlichen Aussaat, bei der die Saat auf dem Acker verstreut wird, zur Zeilensaat führt um 1800 zu einer Umstrukturierung des Ackerbaus. Viele kleine, zerstückelte Ackerflächen werden nun zu größeren geradlinigen zusammengefügt.[12] Die Gründüngung sorgt bei den Bauern für Empörung, weil man nicht unterpflügen dürfe, was Gott hat wachsen lassen. Durch sein Erfahrungswissen, das er auf Reisen nach England und Schottland, aber auch Lektüren aus Braband und Flandern gewonnen hatte, kommt es zu Konflikten. Denn Voght knüpft an die neue landwirtschaftliche Literatur an.
„Auch sind die besten landwirthschaftlichen Schriftsteller dieser Länder diejenigen, die das, was wirklich geschieht, am genauesten beschreiben.“[13]

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Die Zeilensaat eröffnet neue Methoden, den Ertrag zu steigern, indem u.a. genauer zwischen Nutzpflanze und „Unkraut“ unterschieden werden kann, während der Begriff heute kaum noch gebraucht wird. Im August 1796 berichtet A. H. in einem Brief, der im Altonaer Genius der Zeit veröffentlicht wird, von seiner Reise nach Flottbek zum „edle(n) Verfasser des reichhaltigen und scharfsinnigen Aufsatzes über den gesellschaftlichen Ton in Edinburg“, Caspar Voght. A. H. stellt fest, dass „hier“ das „Zeilensäen“ besser geraten sei als in Lehmkuhlen (Holstein): „die Zeilen sind reiner gehalten und freier von Unkraut“. Die Landwirtschaft als Wissenschaft zählt, ordnet und säubert tradierte Weisen des Ackerbaus. A. H. formuliert beide Aspekte von Flottbek und seinem Besitzer, um auf die Ausstattung von Bibliothek als Wissensressource, Instrumente, Labor und Ackergeräte zu verweisen:
„Bibliothek, Instrumenten=Sammlung, chymisches Laboratorium, Ackergeräthe öffnen eine Bekanntschaft, die ie schneller man sie macht, desto ungerner wieder verlassen wird.“[14]  

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Die epochale Transformation des Ackerbaus zur Landwirtschaft um 1800 wird in geometrischen Bildern der Äcker und Berechnungen in Listen und Tabellen anschaulich. Voght hat Thaer durchaus wahrgenommen. Thaers Grundsätze(n) der rationellen Landwirthschaft und seiner Definition eines „Begriff(s) der Landwirthschaft“[15] von 1809 setzt er 1817 „Meine Ansicht der Statik des Landbaues“[16] entgegen. Beide Wissenschaftsdefinitionen sind in Paragrafen gegliedert. Der erste Band der Grundsätze endet mit § 394 zum „Stallfütterungssystem“. Voght schließt 1817 bei § 25 mit der „Tabelle über das erreichbare Maximum der Fruchtbarkeit einem gegebenen Gr. von Kraft u. Reichthum.“[17] Tabellen und Listen gibt es auch bei Thaer. Die Landwirtschaft zur Steigerung der Fruchtbarkeit erweist sich mit dem „chymischen Laboratorium“ und den Feldversuchen nicht zuletzt als ein Projekt der europäischen Aufklärung.

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Voght dockt sehr wohl an Methoden der Landwirtschaft Thaers an, zielt allerdings mit der „Statik des Ackerbaus“ auf ein Gleichgewicht „zwischen einnahme und ausgabe an pflanzenerzeugenden kräften des bodens“.[18] Ob sich bereits mit Voghts Statik ein ökologisches Denken im Sinne eines Gleichgewichts von Landwirtschaft und Naturräumen ankündigt, lässt sich schwer sagen. Die „Qualität des Bodens“ und das Klima werden allerdings von Voght berücksichtigt, um Klassifizierungen vornehmen und Prognosen treffen zu können. So heißt es in § 2:
„Diese Vergleichung lehrte mich sehr bald, in welchem Verhältnis dieselbe Behandlung, Bedüngung und Vorfrucht auf den verschiedenen Feldern verschiedene Wirkungen gehabt hatten; die ähnlichen Wirkungen bewiesen, daß solche Felder zu derselben Kategorie gehörten, und daß ich in dieser Hinsicht, um den künftigen Ertrag meiner Felder nach Maaßgabe der vorbenannten Umstände richtiger zu beurtheilen, sie klassificiren müsse.“[19]

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Die Schlussfolie des Vortrags von Frank A. Ewert mit dem Titel „Transformation – Gemeinsam gestalten“ löste beim Moderator Lothar Müller und im Publikum als Bild von der Zukunft einer mit dem Urbanen verzahnten Landwirtschaft Fragen aus. Ein U-Bahnhof wird dort visuell mit einer Indoor Farm kombiniert, während auf kleinteiligen Feldern Kühe grasen und ein autonom fahrender Traktor das Feld bestellt. Den Einsatz von KI hatte Ewert bereits als einen Ansatz zur Behebung des Arbeitskräftemangels und Kosten in der Landwirtschaft angedacht. Das Zukunftsbild eines ebenso reibungslosen wie konfliktarmen oder gar -freien Ackerbaus mag als visuelles Versprechen auf die Krise der deutschen Landwirtschaft verlockend erscheinen. Zumindest geht es Frank A. Ewert darum, einem Alarmismus durch das kommunikative Konzept der Reallabore entgegen zu wirken.

Torsten Flüh

Mosse-Lectures:
Landleben
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[1] Voght an Goethe (Flottbek 11. Juni 1823) (Staatsarchiv Hamburg, Voght, 622-1, VIII 13, Blatt 5a/b und 6/b).

[2] Caspar Voght: Flotbeck in ästhetischer Ansicht. Herausgegeben und kommentiert von Charlotte Schoell-Glass. Hamburg: Christians Verlag. 1990.

[3] Caspar von Voght: Sammlung landwirtschaftlicher Schriften. Erster Teil. Hamburg: Friedrich Perthes, 1825. (Digitalisat)

[4] Zitiert nach Caspar Voght: Flotbeck … [wie Anm. 2] Anm. 3 S. 30.

[5] Albrecht Daniel Thaer: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Begründung der Lehre und des Gewerbes. Oekonomie oder die Lehre von den landwirthschaftlichen Verhältnissen. Berlin: Realschulbuchhandlung, 1809, S. a.2. (Digitalisat)

[6] Siehe: Torsten Flüh: Schönes Essen mit Kokosblütenstaub. Zu veganer Ernährung und dem Daluma-Laden im Weinbergsweg. In: NIGHT OUT @ BERLIN 9. März 2015. Ausführlicher: ders.: Nüsse – Jacob Moleschott, In: Flugblatt – Zeitung – Blog. Materialität und Medialität als Literaturen. Wien: Passagen, 2017, S. 125-132.

[7] Ludwig Feuerbach: Die Naturwissenschaft und die Revolution. In: Blätter für literarische Unterhaltung. Nr. 268, Jahrgang 1850, S. 1070, Fußnote erste Spalte unten.

[8] Zitiert nach Zitat in: Wikipedia: Thomas Robert Malthus.

[9] Hans Fallada: Bauern, Bonzen und Bombern. Berlin: Rowohlt, 1931, Dieses Buch …

[10] Zum Labor, das sich als chemischen um 1800 herausbildet, siehe auch: Torsten Flüh: Aufklärung als Wissenschaftsprojekt und die Erfindung des Labors. Zur allzu didaktischen Ausstellung Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert im Deutschen Historischen Museum. In: NIGHT OUT @ 16. November 2024.

[11] ZALF: Startseite.

[12] Siehe im Vergleich Abb. 3 und Abb. 4 in: Caspar Voght: Flotbeck … [wie Anm. 2] S. 46 und S. 48.

[13] Caspar von Voght: Sammlung … [wie Anm. 3] S. X.

[14] A. H.: Schilderung von Irland, Bruchstücke aus dem Tagebuch eines Reisenden im Herbst 1794. In: Der Genius der Zeit. Ein Journal herausgegeben von August Hennings. Achter Band. Mai bis August 1796. Altona: J.F. Hamerich. (S. 578-579)
Siehe auch DWDS zum Gebrauch von Unkraut.

[15] Albrecht Daniel Thaer: Grundsätze … [wie Anm. 5] S. A 2.

[16] Caspar von Voght: Sammlung … [wie Anm. 3] S. 1 (32)

[17] Ebenda S. 79.

[18] Siehe: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm: statik.

[19] Caspar von Voght: Sammlung … [wie Anm. 3] S. 1 (32)

Neue Musik nachträglich hoch politisch

Politik – Nachträglichkeit – Musik

Neue Musik nachträglich hoch politisch

Zum Abschlusskonzert von ultraschall berlin 2025 mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin mit Kompositionen von Charlotte Seither, Philipp Maintz und Sarah Nemtsov

Nachträglich stellen sich Interferenzen zwischen den Kompositionen des Abschlusskonzerts von ultraschall berlin 2025 und dem beispiellosen politischen Handeln und Reden im Deutschen Bundestag am 29. und 31. Januar ein. Mit Drohungen, Lügen und Verrat gelang es dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz fast, einen rechtswidrigen Gesetzesentwurf mit dem euphemistischen Kompositum Zustrombegrenzungsgesetz durch die Legislative zu bringen. Wenige Abgeordnete der CDU und FDP zeigten Haltung genug, nicht mit der rechtsradikalen AfD zu stimmen. Der Geld- und Bierdeckelmensch Merz hatte sich weniger von Alice Weidel als vielmehr von Elon Musks Rede auf dem AfD-Parteitag beeindrucken lassen. Knapp 2 Wochen zuvor waren noch zu welcher stunde (2022), upon a moment’s shallow rim (2014/2015) und black trees (2020) zu hören gewesen. 

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Die Komponist*innen Charlotte Seither, Philipp Maintz und Sarah Nemtsov arbeiten mit Praktiken, die Narrative in der Musik meiden wie in zu welcher stunde oder auf ganz andere Weise behandeln. Die Frage nach dem Narrativ in der Musik und der Funktion von Narrativen in der Gesellschaft wurde insbesondere durch die Übernahme des offensichtlich gefälschten Abschiebe-Narrativs durch die von Friedrich Merz entchristlichte CDU verworfen. Stattdessen wurde das Narrativ aus parteistrategischen Gründen übernommen, um eine vermeintliche Krisenlösung zu suggerieren. zu welcher stunde könnte an ein christliches Narrativ der Todesstunde anknüpfen. Doch Charlotte Seither komponiert anders. Die Tragweite der ständigen Wiederholung von „Magdeburg und Aschaffenburg“ in Reden und Einlassungen von Merz als Argument für Abschiebungen und Grenzschließungen ist nicht nur eine Wahlkampfattitüde, sondern eine populistische Umwertung der Debatte unter Demokraten und Parlamentariern. ultraschall berlin 2025 wurde nachträglich deshalb hoch politisch.

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Zu den Veranstaltungen von ultraschall berlin 2025 gehörte am Sonntagnachmittag im Radialsystem V das Gesprächsformat Perspektivwechsel. ›Engagierte‹ vs. ›Absolute‹ Musik fragte im Gespräch mit den Komponist*innen Iris Ter Schiphorst, Lucia Ronchetti und Márton Illés nach der „gesellschaftlichen Relevanz“ und „gesellschaftliche(n) Verantwortung der zeitgenössischen Künste“.[1] Die Internetadresse macht mit „…2025-01-19-freiheit-eskapismus/“ noch einen stärkeren Unterschied auf. Soll sich zeitgenössische Musik für Freiheit in seiner ganzen gesellschaftlichen Bandbreite engagieren? Oder soll sie sich als ein Eskapismus aus den gesellschaftlichen Debatten heraushalten und einfach nur eine Flucht aus den gesellschaftlichen Kontexten anbieten? Rainer Pöllmann erinnerte daran, dass die Biennale Musica in Venedig – vielleicht nicht ganz zufällig – den Begriff „Absolute Musik“ als Titel wiederbelebt hatte.[2]
„Terminologisch mag ein solcher Begriff Fragen aufwerfen, aber als Metapher für die »Freiheit der Tonkunst«, die Ferruccio Busoni leidenschaftlich verteidigte, kann er eine spannende Debatte auslösen. Dabei geht es natürlich nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen, sondern um die Wiedergewinnung eines dialektischen Denkens. Und darum, wie sich Künstler*innen immer wieder neu aus Erwartungshaltungen befreien (können).“

© Stefan Stahnke

Von Márton Illés war am Donnerstag zuvor Ljubljana24 für 24 Streicher in der Halle des Radialsystems V mit den Streichern des Rundfunk-Sinfonieorchesters als eine Art Klangforschung zu hören gewesen.[3] Geht es bei Klangforschung um eine gesellschaftliche Relevanz? Insofern klassische Hörerwartungen bezüglich Bachs Brandenburgischen Konzerten mit den erweiterten Spielpraktiken von Illés durchbrochen werden, lassen sie sich als soziales Handeln bedenken. Charlotte Seither, Philipp Maintz und Sarah Nemtsov befragen mit ihren Kompositionen ebenfalls Klangwissen und lenken die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auf gesellschaftliche Konventionen wie die Erwartung einer Erzählung. Denn Erzählungen, so richtig oder falsch sie sein mögen, strukturieren gesellschaftliches Handeln. Charlotte Seither hatte beispielsweise 2015 bereits mit Journal nach „der Überforderung des Einzelnen, der Ohnmacht angesichts der Fülle von Schreckensnachrichten“ gefragt, das 2024 wieder aufgeführt worden war.[4]

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Charlotte Seither fragt mit zu welcher stunde nicht nur zufällig 2022 am Rande der Pandemie nach der Wahrnehmung von Zeit. Die Erfahrung strenger Zeitregime durch Lockdowns und Kontaktbeschränkungen wird von der Komponistin im Zeitmedium Musik befragt. Musik lässt sich als eine Strukturierung von Zeit durch Klänge bedenken. Je nach dem Komponieren von Klängen können Fragen nach der Zeit formuliert werden.
„Es ist also nicht der Inhalt, der mich in diesem Stück interessiert hat („no narration“), sondern eher die Richtung des Schauens, mit der ein und derselbe Gegenstand (oder Fixpunkt) betrachtet werden kann. Im Ausklang mündet das Stück in eine überhängende Klanglinie (ausschwenkende Handglocke), in der sich Bewegung und Innehalten gegenseitig durchdringen. Alles nur eine Frage des Hinhörens und -sehens? Sind Ruf und (offene) Antwort letztlich dasselbe?“[5]

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Unter der Leitung des international zwischen Linz, Berlin, Salt Lake City und Tokio gefragten und mehrfach ausgezeichneten Dirigenten Markus Poschner entfaltete das  DSO in seiner Besetzung als Kammerorchester den Klang von zu welcher stunde. Das Stück von Charlotte Seiter beginnt mit einem Ruf in den Streichern, der an den Beginn der Toccata und Fuge d-Moll von Johann Sebastian Bach erinnert. Der Modus des Rufens wird in dem 12-minütigen Stück abgewandelt und mehrfach wiederholt. Den Ruf als Ruf z.B. später durch das Horn zu hören, setzt allerdings voraus, dass der Ruf musikkulturell verstanden wird. Er arbeitet mit einem Klangwissen. Die Klangereignisse werden mit dem Ruf- und Fragegestus in den kammermusikalisch besetzten Orchestergruppen Streicher, Bläser und Schlagwerk wie der großen Trommel herausgearbeitet. Gar eine Sirene wird angespielt. Eine Antwort wird nicht provoziert. Markus Poschner arbeitet das Potential der Komposition detailliert heraus.

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Die Kompositionen von Holger Maintz und Sarah Nemtzov knüpfen an Gedichte von Emily Dickinson und Sylvia Plath an. Holger Maintz beschreibt zu upon a moment’s shallow rim, dass ihn das Gedicht How Much The Present Moment Means auf besonders intensive Weise „angefasst“ hab.[6] Der fünfte Vers des Gedichts aus 8 Versen wird von Maintz zum Titel. Das Gedicht ist als Manuskript überliefert. Insofern hat es selbst einen unsicheren Status.[7] „auf dem seichten Rand eines Augenblicks“ formuliert eine Zeitwahrnehmung, die sich schwer bestätigen lässt. Zur Rahmung der Aufführung des Cellokonzertes mit einer Glasharmonika als weitere klangliche Besonderheit im großen Orchester lässt sich weiterhin sagen, dass Holger Maintz sein Kompositionsstudium bei Robert HP Platz begann. Insofern schlug sich ein Bogen vom Eröffnungskonzert mit der Uraufführung des Violinkonzertes von Platz zum Abschlusskonzert.[8]
„How much the present moment means
To those who’ve nothing more—
The Fop—the Carp—the Atheist—
Stake an entire store
Upon a Moment’s shallow Rim
While their commuted Feet
The Torrents of Eternity
Do all but inundate—”

© Claudius Pflug

Andreas Göbel fragt im Gespräch mit Holger Maintz danach, wovon das Stück handele, was gewiss auch eine Konvention im Medium Rundfunk ist. Die Gespräche von Andreas Göbel oder Reiner Pöllmann mit den Komponist*innen sollen die folgende Musik den Hörer*innen näher bringen. Interesse wecken. Dabei stellen sich Ungenauigkeiten und Überschreibungen ein. Zu technisch sollte die Beschreibung der Komposition nicht ausfallen, weil das Hörer*innen ausschließen könnte. Wichtiger als die Frage der Handlung ist vor allem in Maintz‘ Komposition die Formulierung des „seichten Rand(s) eines Moments“. Es hätte ebenso ein harter oder scharfer Rand eines Momentes werden können. Doch das Adjektiv shallow erlaubt eine poetische Bandbreite zwischen seicht, flach, untief, oberflächlich bis tagnah. In der Poesie wird shallow rim ambig. Stattdessen fragt Göbel im Gespräch weiter nach der Glasharmonika. Es gibt verschiedene Konstruktionen der Glasharmonika als ein Instrument, das nicht zum üblichen Konzertapparat gehört. Die Glasharmonika klingt nicht nur „schön“, vielmehr erweitert sie das Klangvolumen des Orchesterapparates in einen zerbrechlich hohen Klangraum.

© Claudius Pflug

Die Glasharmonika und ihr Einsatz verraten etwas über das Komponieren von Holger Maintz. Während das Violoncello von Johannes Moser mit erweiterten Spielweisen immer klar gegenüber dem großen, fast dominanten Orchester zu identifizieren ist, legt sich nur in zwei Passagen der überhohe und zarte Klang der Glasharmonika wie, mit Maintz formuliert, eine „seifenblase()“ darüber. Man muss schon genau hinhören, um ihn identifizieren zu können. Die Glasharmonika wird nicht solistisch eingesetzt, vielmehr als Volumenerweiterung. Im nonchalanten Plaudern kommt die Glasharmonika eher zu kurz. Dabei setzt Maintz ihren Klang als Orchesterinstrument in Korrespondenz mit dem Violoncello ein. Die Glasharmonika und ihr Einsatz in upon a moment’s shallow rim ließe sich musikhistorisch bedenken, insofern seit dem 16. Jahrhundert immer wieder von Instrumenten aus Glas mit 3 Oktaven berichtet wird, sich Spielweisen und Klänge indessen schwer formulieren lassen. Der Klang der Glasharmonika mag im 18. Jahrhundert immer wieder zu faszinieren, während sie sich schlecht in den Orchesterapparat einordnen lässt.
„heute, zehn jahre, nachdem ich das stück geschrieben habe, höre ich auch immer wieder momente großer trauer oder einsamkeit (ich kanns nicht mehr sagen, was das wohl war), dann rhythmische tanzschritte des orchesters, es wirbeln fröhliche girlanden durch die gegend, auf einmal klingt da die urmutter aller schillernden seifenblasen an: eine glasharmonika – und das cello balanciert und balanciert um sein leben und hält diesen ganzen laden zusammen.“[9]     

© Claudius Pflug

Im Nachhinein findet Maintz andere Formulierungen für seine Komposition. Die „momente großer trauer oder einsamkeit“ im Kontrast zu „rhythmische(n) tanzschritte(n) des orchesters“ scheinen im Prozess des Komponierens weniger gewusst als geschehen zu sein. Das Klangwissen des Komponisten hat sich, man könnte sagen, verschoben. Zwischen Sprache, Poesie und Musik bleibt der Prozess offen. – Sarah Nemtzov knüpft auf andere Weise für black trees an Formulierungen aus 2 Gedichten von Sylvia Plath an. Ihr geht es um die poetische Kombination der Nichtfarbe Schwarz mit Bäumen. „Schwarze Bäume wie Schattenrisse, kontrastreich in der Dämmerung, aber mit zunehmender Dunkelheit unscharf. Es ist ein Nachtstück.“[10] Zugleich bearbeitet die Komponistin ihren Bezug zu Beethoven im Jubiläumsjahr 2020[11], weil sie einen Kompositionsauftrag für das „historisch belastete() Sinfonieorchester“, wie sie es nennt, vom Philharmonischen Orchester Altenburg Gera erhalten hatte.
„So gibt es in meinem Werk black trees auch falsche Fugati und weitere musikalische Bezüge zu Beethoven, auch Beethovens „nicht-zum-Ende-kommen-können“ war ein Aspekt für mich, daher (und nicht nur) die Ad-libitum-Coda, die übrigens beim Festival Ultraschall Berlin 2025 zum ersten Mal erklingen wird.“[12]

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Sarah Nemtzow ist eine wahre Zauberin der Klangfarben. Einerseits lässt sich mit black trees der Reichtum der Klangfarben schwer beschreiben, andererseits dockt sie im Gespräch mit Andreas Gäbel mit einer Formulierung von Anselm Kiefer an dessen Vorstellung der Farbe Grau an, in der alle anderen Farben enthalten seien. In der Beschreibung der Farben wie Klangfarben wird deutlich, dass sie sich schwer eindeutig festlegen lassen. Das Grau/Schwarz als Klang im Werk ließe sich mit einem anderen Begriff als ein Schleifen benennen. Im Gedicht kommen Beethoven, Grosse Fuge und schwarz vor. Die poetische Formulierung der black trees wird von Sylvia Plath in Little Fuge mit Beethoven verknüpft:
„He could hear Beethoven:
Black yew, white cloud,
[…]
I envy big noises,
The yew hedge of the Grosse Fuge.
Deafness is something else.
Such a dark funnel, my father!
I see your voice
Black and leafy, as in my childhood.
[…]
Death opened, like a black tree, blackly.”[13]  

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Sylvia Plaths poetische Kombination und Verdichtung des Hörens von Beethoven mit dem Kontrast der schwarzen Eibe und weißen Wolke bis zum Sehen der Stimme des Vaters als schwarze beschreibt mit einer Elastizität dichte visuell-akustische Wahrnehmungen, die sich kaum entschlüsseln lassen. Nemtzov dockt nicht nur an Plaths Poesie an, vielmehr wird dadurch der Bezug zu Beethoven formuliert. Sie will mit ihrer Musik nichts erzählen oder darstellen, vielmehr werden die Modi entscheidend für die Klangfarben, die entstehen. Darin liegt eine große Faszination des Stückes. Das Sinfonieorchester wird zu einem Klangfarbenapparat. Zugleich erwähnt die Komponistin eine weitere Schicht der Einflüsse auf ihre Komposition. Denn bereits ihre 2017 verstorbene Mutter, die Malerin Elisabeth Naomi Reuter, hatte sich 2016 mit dem Bild The moon has no door auf das Plath-Gedicht The Moon and The Yew Tree bezogen. Die Mutter hatte das Bild ihrer Tochter geschenkt.
„Auch das spielte eine Rolle. Die Farbwahl, Licht und Dunkel, Schattierungen, die Blicke.“

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Elisabeth Naomi Reuter gehörte als Malerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin 1992 zu den Gründungsmitgliedern der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg, was als Rahmung des Werks der dort geborenen Komponistin nicht unerwähnt bleiben soll. Sarah Nemtzov ist nicht zuletzt mit dem Pianisten und Musikwissenschaftler Jascha Nemtzov verheiratet, der sich besonders um die Jüdische Kunstmusik verdient gemacht hat und am 27. Januar 2012, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag Werke von Frédéric Chopin und Mieczysław Weinberg spielte. Die Kompositionen von Sarah Nemtzov sind insofern vielfach und nicht zuletzt durch die Shoa gerahmt. Sie schweben nicht im leeren Kunstmusikraum, richtiger ist, dass sie in einen historisch-gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind. Nicht zuletzt gibt ihre Kammeroper Herzland (2006) nach Paul Celans Briefwechsel mit seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange einen Wink auf die vielfältigen Bezüge im Komponieren.

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Aus diesem Kontext wird die geschichtsumwertende Tragweite des Abstimmungsverhaltens der Merz-CDU unter dem Gejohle der revanchistischen AfD zu einem Menetekel. Nicht nur dass sich erstmals das Zentralkomitee der deutschen Katholiken in nie gekannter Eindeutigkeit gegen die Christlich Demokratische Union gestellt hat. Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Deutsche Bischofskonferenz und dutzende Verbände wie auch der Zentralrat der Juden haben sich klar gegen das Verhalten der CDU im Deutschen Bundestag ausgesprochen. Mit Michel Friedmann hat ein nicht nur prominentes, vielmehr eine der einflussreichsten Stimmen der deutschen Publizistik seine Partei als Mitglied verlassen. Auf der Wiese vor dem Deutschen Bundestag sprach Friedmann als Mitorganisator des Aufstands der Anständigen neben dem Mitglied des Weltkirchenrats Heinrich Bedford-Strohm und wiederholte mehrmals, dass die CDU eine „demokratische Partei“ sei. Sie trägt den Anspruch in ihrem Namen und hat sich auf Weisung von Merz und Linnemann selbst einer die Demokratie gefährdenden Partei angebiedert. Im Deutschlandfunk Kultur wurde das Abschlusskonzert am 31. Januar 2025 ab 20:03 Uhr gesendet. 

Torsten Flüh

Zum Nachhören:
ultraschall berlin 2025
19. Januar 2025
Abschlusskonzert
Haus des Rundfunks: Großer Sendesaal des rbb
Johannes Moser // DSOB // Markus Poschner


[1] Ultraschall berlin 2025: So.. 19.01.2025 um 15:00 Uhr – Radialsystem V ›Engagierte‹ vs. ›Absolute‹ Musik.

[2] Ebenda.

[3] Siehe: Torsten Flüh: Lustvolles Komponieren mit Sprachoperationen. Zum Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und der Pianistin Maria Radutu unter der Leitung von Enno Poppe bei ultraschall berlin 2025. In: NIGHT OUT @ BERLIN 26. Januar 2025.

[4] Siehe: Torsten Flüh: Die neue Radikalität und Ethik in der Musik. Zu den Konzerten Pulp Science und (Musical) Ethics Lab 6 bei MaerzMusik 2024. In: NIGHT OUT @ BERLIN 2. April 2024.

[5] Charlotte Seither: zu welcher stunde. (2022) 12‘ – für Kammerorchester. In: ultraschall berlin 2025: So.. 19.01.2025 um 20:00 Uhr – Haus des Rundfunks: Großer Sendesaal des rbb Johannes Moser // DSOB // Markus Poschner.

[6] Holger Maintz: upon a moment’s shallow rim. In: ultraschall berlin 2025: ebenda.

[7] Emily Dickinson: How much the present moment means. (Digital Commonwealth)

[8] Siehe: Torsten Flüh: Encore – ein Zauber. Zum Eröffnungskonzert des Festivals Ultraschall Berlin 2025 mit dem DSO unter Leitung von Anna Skryleva. In: NIGHT OUT @ BERLIN 21. Januar 2025.

[9] Holger Maintz: upon … [wie Anm. 7].

[10] Sarah Nemtzow: black trees. (2020) – für Orchester. In: ultraschall berlin 2025: So. 19.01.2025 … [wie Anm. 6.].

[11] Zu Beethovens Komponieren siehe: Torsten Flüh: Beethovens göttlichste Komposition. Zur Ausstellung der Beethoven-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 8. Juli 2020.

[13] Zitiert nach ebenda.

[12] Sarah Nemtzow: black … [wie Anm. 11].

Lustvolles Komponieren mit Sprachoperationen

Oxymoron – Rhapsody in Blue – Sprache

Lustvolles Komponieren mit Sprachoperationen

Zum Konzert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und der Pianistin Maria Radutu unter der Leitung von Enno Poppe bei ultraschall berlin 2025

Das Plakat für ultraschall berlin 2025 zeigt einen ebenso ikonischen wie überraschenden Blick aus dem berüchtigten Fußgängertunnel des ICC in Orange gekachelt nach oben ans Tageslicht mit weißen Wolken und Kugellampen.[1] Eine Komposition wahrscheinlich mit Hilfe von Photoshop, weil die Kacheln ebenso scharf sind wie die Wolken. Trotzdem ein Blick, wie er sich aus dem „Tunnel des Grauens“ (Berliner Zeitung) auf dem Weg vom S-Bahnhof Messe/Nord zum Haus des Rundfunks bieten könnte. Im besagten Tunnel verlustieren sich Skater auf ihren Boards, überleben Obdachlose, wird die Notdurft verrichtet und gehen Konzertbesucher*innen zum Festival ultraschall berlin, während darüber sich der Verkehr über die 32-spurige Kreuzung ergießt. Autogerechte Stadt hieß die Utopie der späten 70er Jahre im 20. Jahrhundert. 

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Auf dem Weg zum zweiten Konzert des Festivals im Radialsystem V an der Spree muss man vom Ostbahnhof die 6-spurige Holzmarktstraße überqueren. Das 20. Jahrhundert wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Verkehrsschneisen und Allmachtsfantasien durchzogen, die entweder von den USA oder der UdSSR geprägt wurden. Die Rhapsody in Blue von George Gershwin von 1924 kündigte als Klavierkonzert zweifellos die Widersprüche des langen 20. Jahrhunderts in der Musik zwischen Einsamkeit in der Masse, Verlassenheit und Allmachtsfantasien an. Die erfolgreiche in Wien lebende und arbeitende Komponistin Margareta Ferek-Petrić komponiert in ihrem Klavierkonzert The Orgy of Oxymorons (2022) lustvoll Widersprüche, indem sie an Gershwins Rhapsody anknüpft. Die Deutsche Erstaufführung in der in Blau ausgeleuchteten Halle des Radialsystem V mit der im hellblauen Hosenanzug gekleideten Pianistin Maria Radutu wurde am 16. Januar zum durchschlagenden Erfolg. Die Kompositionen von Georg Katzer, Misha Cvijović, Christian Mason und Márton Illés fanden ebenfalls lebhafte Zustimmung.

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Im Gespräch mit Rainer Pöllmann verrät Margareta Ferek-Petrić, dass sie sich als Tochter einer Pianistin gefragt habe, was es heißt, im 21. Jahrhundert ein Klavierkonzert zu schreiben. Im ersten Akkord spielt die Komponistin verfremdet auf die Rhapsody in Blue in ihrer Komposition The Orgy of Oxymorons an. Gershwins widersprüchliche Komposition einer amerikanischen Großstadt-Musik kommt fast 100 Jahre später nie ganz zum Zuge bei Ferek-Petrić, aber sie lässt sich nicht ignorieren. Spielpraktisch lässt die Komponistin die Pianistin Maria Radutu, für die sie das Stück komponiert hat, mit erweiterten, schlagzeugartigen Verfahren die Saiten des Klaviers bearbeiten. Das Klavier als Schlagwerk wurde vor allem im dritten Viertel des 20. Jahrhundert entdeckt, wie es unter anderem vom Ensemble PianoPercussion Berlin mit der Pianistin Ya-ou Xie programmatisch weiterentwickelt wird.[2]

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Den Titel ihrer Komposition The Orgy of Oxymorons erläutert Margareta Ferek-Petrić ausführlich programmatisch als „rhetorische Figur“ für „›oxy‹: scharfsinning/›moros‹: dumm“.[3] Es geht ihr um einen lustvollen Umgang mit Widersprüchen, in der Musik und der Welt. Insofern arbeitet sie mit der widersprüchlichen Verortung des Klaviers als Saiten- und Schlaginstrument ebenso wie mit der Interpretation der Widersprüchlichkeit in Rhapsody in Blue. Ob sich Gershwin des Oxymorons in seiner Komposition bewusst war, wissen wir nicht. Eher nicht. Zumal eine Partitur der Uraufführung nicht überliefert ist. Erst in der jüngsten Zeit wurde sie stärker in Konzerten und von Komponist*innen herausgearbeitet. Fast 100 Jahre hatten sich die Pianisten und das Publikum einfach mitreißen lassen. Von was? Vom Rhythmus? Vom Jazz? Von den Allmachtsfantasien einer amerikanischen Identität?[4] Schimmert gar MAGA (Make America Great Again) hindurch?

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Margareta Ferek-Petrić macht das Oxymoron als rhetorische Figur und literarische Form für ihr Klavierkonzert fruchtbar. Das Widersprüchliche soll gerade nicht geglättet werden, weil sie es überall entdeckt und schätzt. Wenn MAGA gerade daran geht, die uramerikanischen Widersprüche in der Rhapsody in Blue gewaltsam auszumerzen, dann läuft die faschistische Gewalt auf dem Niveau einer Reality Show Country Sängerin im Capitol wenigstens George Gershwins Komposition aus Klassik und Jazz als Klavierkonzert entgegen. Es geht in The Orgy of Oxymorons hintergründig auch um die USA, aber vor allem um ein Nachdenken über das Komponieren mit Klängen:
„Die erweiterten, experimentellen Klänge der zeitgenössischen Musik werden von den gewöhnlichen Klangvorstellungen entfremdet und können zusammen mit den Ohrwürmern eine groteske Wirkung erzeugen. Die grundsätzliche Suche nach der Kreation eines oder mehreren Oxymora in der Komposition hat für mich mit diesen Gedanken angefangen und wird mich sicherlich noch weit über das Klavierkonzert hinaus beschäftigen.“[5]

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Gegen Schluss zitiert die Komponistin das bekannte Eröffnungsthema im Glissando, den Ohrwurm, der Rhapsody und transformiert es in den stampfenden Rhythmus einer Orgie, worauf die Orchestermitglieder die Worte „The — Oxymoron — is — an Orgy“ sprechen. Danach ließen sich als witziger Kommentar die Anfangstakte und die Triangel aus Cy Colemans und Dorothy Fields Song Big Spender hören. „Spend a little time with me.“ Margareta Ferek-Petrić will diesen witzigen Schluss feministisch gehört wissen. Denn einerseits wird damit die inhärente Allmachtsfantasie der als amerikanisch und männlich komponierten Musik abgelöst, andererseits setzt sie einen Kontrapunkt zur historischen Marginalisierung und Unterdrückung von Frauen in der Musik und Gesellschaft an den Schluss:
„Komponiert für eine Pianistin und Dirigentin, für die ich höchsten Respekt und Bewunderung hege, ist dieses Stück eine Explosion von Ohnmachtsgefühlen, sowie Allmachtsfantasien und es feiert den einfachen Genuss und die pure Liebe (was auch immer das ist). Gleichzeitig spuckt es auf diese verdorbene, primitive und kranke Welt, die wie ein majestätisches Oxymoron-Denkmal weiter existiert und die eigentlich Zeit und Ruhe für Orgien nötig hätte.“[6] 

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Rainer Pöllmann moderierte Georg Katzers Baukasten von 1972 nonchalant als eine Komposition der Widersprüche an und erinnerte an die Debatte um das Stück in der DDR, das zunächst gefeiert und in den Lehrplan der allgemeinen Schulen übernommen wurde, um dann kritisiert zu werden.[7] Doch rechteigentlich fand es das modellhafte Stück wohl in das Programm von ultraschall berlin 2025, weil der Komponist am 10. Januar 1935 geboren wurde, und seinen 90. Geburtstag hätte feiern können, wenn er nicht bereits 2019 verstorben wäre. Die strukturierende Macht der Jahrestage im Diskurs. Katzer gründete an der Ostberliner Akademie der Künste 1982 das Studio für Elektroakustische Musik. Baukasten für Orchester ist eine technisch streng durchdachte Komposition als ein Zusammensetzen von Bauklötzen aus einem Baukasten, die auch 1972 nichts an ihrer Originalität verloren hat. Vielmehr wurde in der Aufführung des Rundfunk-Sinfonieorchesters unter der Leitung von Enno Poppe in gut 9 des auf 12 Minuten angelegten Stücks bravourös durchgespielt.

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Baukasten und seine modellhafte Funktion für die Musikanalyse wie -komposition könnte man auch als einen Mythos bezeichnen, während Georg Katzer die Musik mit der Komposition von ihren Mythen befreien wollte. Umso bedenkenswerter ist deshalb, dass junge Komponist*innen wie Misha Cvijović weiterhin und verstärkt an Mythen anknüpfen wie in der Deutschen Erstaufführung von Lica Persefone (2013/2014). Die Mythen sind aus der neuen Musik nicht herauszubekommen, vielmehr stoßen sie Kompositionen an und werden in Musik verwandelt, wie es die in Belgrad geborene und in Berlin lebende Komponistin mit ihren Zwei Szenen für Orchester vorführt.
„Die Musik des Balkans ist bekannt für ihre komplexen Rhythmen, die für mich als Komponistin schon immer eine große Inspiration waren. Ich habe den 7/8-Takt verwendet, um Persephone, die Tochter von Zeus und Demeter, musikalisch zu beschreiben. Persephone ist mit Hades, dem Gott der Unterwelt, verheiratet.“[8] 

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Der 7/8-Takt wird von Misha Cvijović in den zwei dem Mythos der Persephone eingeschriebenen Bereiche von Szene in der Unterwelt für Winter und der Oberwelt für Sommer durchdacht eingesetzt. Phonetische ließe sich mit -phone auch der Laut, Ton oder die Stimme hören, während etymologisch von einem Kompositum von pertho für zerstören und phatta für Garbe ausgegangen wird. Die winterliche Zerstörung wird zur sommerlichen Blüte. Doch die Komponistin argumentiert vor allem mit dem Metrum des 7/8 Taktes für ihr Stück.
„Für die Wahl des Metrums 7/8 gab es zwei Gründe. Zum einen wollte ich eine unerwartete Mischung von Traditionen schaffen, indem ich mich der metrischen Elemente der alten serbischen Volksmusiktradition bediente, um eine Figur aus der griechischen Mythologie darzustellen. Das 7/8-Metrum schien mir eine gute Wahl, um einen Kontrast zwischen der Welt (Isochronie) und der Unterwelt (Nicht-Isochronie) zu schaffen, in die sich Persephone nach der Ernte zurückzieht, aber auch, um die alten Agrarkulte der landwirtschaftlichen Gemeinschaften musikalisch darzustellen.“[9]

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Christian Mason zitiert und vertont in Eternity in an hour die eröffnende Strophe aus William Blakes Gedicht Auguries of Innocence von 1803, das postum 1863 veröffentlicht wurde. Mason komponiert mit dem literarischen Material ein ebenso dramatisch schreitendes wie farbig erzählendes Orchesterstück, das dem Paradox von Ewigkeit in einer kurzen Dauer innerhalb von 16 Minuten nachgeht. Diese Programmatik ist keinesfalls eine komische Kunst, wie es in der Anmoderation von Pöllmann klingen könnte. Vielmehr werden in der englischen Literatur mehrfach Formulierungen aus dem Gedicht als populäres Wissen zitiert und Masons elaborierte Komposition kann im englischsprachigen Raum als ebenso „serious“ wie „romantic“ gelten.
„o see a World in a Grain of Sand
And a Heaven in a Wild Flower
Hold Infinity in the palm of your hand
And Eternity in an hour“[10] 

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Die poetische Erzählung der Auguries of Innocence von Blake wird von Mason bis zum Rascheln des Sandes und tänzerischen Passagen, die sich aus der Unendlichkeit in der Handfläche mit dunklen Bläserakkorden hörbar machen, bis zum Gezwitscher in den Flöten in Musik modelliert. „A Robin Red breast in a Cage/Puts all Heaven in a Rage/A Dove house filld with Doves and Pigeons/Shudders Hell thro all its regions”. Eternity in an hour dockt an eine paradoxe Welterzählung der Unendlichkeit und Ewigkeit im Kleinen an. Die Unendlichkeit und Ewigkeit im Kleinen – der ganze Himmel in Rage wegen einer Rotkehlchenbrust – in der Literatur um 1800 haben insbesondere Gunnar Schmidt und Marianne Schuller in ihren Mikrologien erforscht.[11] Blakes Gedicht wird ebenso poetisch-literarisch formuliert, wie mit den knappen Versen als Wissen ausgestellt. Doch anders als Margareta Ferek-Petrić befragt Christian Mason sein Material für die Frage nach Zeit und Ewigkeit in einer Formulierung des beginnenden 19. Jahrhunderts nicht. Vielmehr bestätigt seine Musik eine nicht nur paradoxe, sondern problematische Wissensformulierung. Verführerisch und für das Orchester herausfordernd klingt Eternity in an hour schön. Es erinnert vielleicht gar an eine sinfonische Tondichtung[12] des 20. Jahrhunderts, aber soll sie für das 21. Jahrhundert fortgeschrieben werden?

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Ljubljana24 für 24 Streicher von Márton Illés lässt sich mit seinem „primordialen Klangraum“ als Klangforschung beschreiben. Einerseits wurde das Streichkonzert vom Slowenischen Philharmonischen Streichorchester in Ljubljana als zeitgenössische Interpretation der 6 Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach in Auftrag gegeben. Andererseits sucht Márton Illés nach erweiterten Klangformen. Darin erweist er sich nicht zuletzt als Schüler des kürzlich verstorbenen Wolfgang Rihm.[13] Er arbeitet selbst als Konzertpianist, Dirigent und Komponist. Ljubljana24 wurde am 28. November 2024 vom Münchner Kammerorchester unter der Leitung von Bas Wiegers uraufgeführt. Wegen Krankheit musste Enno Poppe das Dirigat von Bas Wiegers übernehmen. Das musikalische Material der Brandenburgischen Konzerte wird von Illés hinsichtlich seiner Klangmodi erforscht und verwandelt. Dafür werden insbesondere erweiterte Spielpraktiken der Streicher verwendet.

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Die 24 Streicher des Rundfunk-Sinfonieorchesters spielen unter der Leitung von Enno Poppe das Streichkonzert im 21. Jahrhundert nicht ohne Witz. Womit durchaus an die Brandenburgischen Konzerte, die oft von Radiohörern als Ohrwürmer wahrgenommen werden, angeknüpft wird. Denn Johann Sebastian Bach wollte in seiner Widmung nicht nur den zeitgenössischen „Geschmack“ des Markgrafen von Brandenburg wecken, vielmehr entwickelte er für die kammermusikalischen Hoforchester zugleich neuartige Spielweisen mit solistischen Einfällen, die ebenfalls witzig oder geistvoll gehört werden können. Bach komponierte in seinen Konzerten ebenfalls einen Klangraum, der neuartig war. Márton Illés Ljubljana24 klingt anders, doch die Spuren Bachs können noch vernommen werden. Das lässt sich auf ultraschall berlin 2025 nachhören.

Torsten Flüh

Maria Radutu, Klavier
Rundfunk-Sinfonieorchester
Enno Poppe, Leitung
im Rundfunk:
radio 3 vom rbb: 16. Februar 2025, 20:03 Uhr, radio3 Konzert 


[1] Zum ICC siehe: Torsten Flüh: Die Raummaschine. Über die Erkundung des ICC zur Feier von 70 Jahre Berliner Festspiele mit THE SUN MACHINE IS COMING DOWN. In: NIGHT OUT @ BERLIN 11. Oktober 2021.

[2] Siehe u.a. Siehe Torsten Flüh: Über sinnliche Spektren. Ensemble BERLIN PIANOPERCUSSION spielt Spektralmusik im Konzerthaus. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juni 21, 2013 22:36. (PDF)

[3] Margareta Ferek-Petrić: The Orgy of Oxymorons. In: ultraschall berlin: Maria Radutu // RSB // Enno Poppe. 16. Januar 2025.

[4] Zur Rhapsody in Blue und Einsamkeit siehe: Torsten Flüh: Tradition und Frische. The Cleveland Orchestra, Kansas City Symphony und Filarmonica della Scala beim Musikfest Berlin 2024. In: NIGHT OUT @ BERLIN 3. September 2024.

Siehe auch: Torsten Flüh: Zerspringende Identitäten. Ming Wongs Rhapsody in Yellow im Haus der Berliner Festspiele. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. Januar 2023.

[5] Margareta Ferek-Petrić: The … [wie Anm. 3]

[6] Ebenda.

[7] Siehe zu Baukasten auch: Torsten Flüh: …

[8] Misha Cvijović: Lica Persefone. In: ultraschall … [wie Anm. 3]

[9] Ebenda.

[10] Christian Mason: Eternity in an hour. In: Ebenda.

[11] Marianne Schuller, Gunnar Schmidt: Mikrologien. Literarische und philosophische Figuren des Kleinen. Bielefeld: transcript, 2003.
Siehe auch: Torsten Flüh: »ça a été« Zur Tagung Lesen und Schreiben. Figuren des Kleinen zu Ehren von Prof. Dr. Marianne Schuller in der HFBK, Hamburg. In: NIGHT OUT @ BERLIN 12. August 2024.

[12] Zur sinfonischen Tondichtung Alpensinfonie siehe: Torsten Flüh: Vom Sonnengesang, der Trauermusik und dem Alpengipfel ironisch. Zur Uraufführung des Cantico delle Creature durch das Ensemble Modern Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra und dem Bayrischen Staatsorchester beim Musikfest Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 14. September 2023.

[13] Zu Wolfgang Rihm siehe: Torsten Flüh: In Schriften lesen. Zur Frage der Schrift und der Musik Sir Simon Rattle dirigiert Lutosławski, Mahler, Rihm und Janáček mit den Berliner Philharmonikern. (9. September 2013)

Encore – ein Zauber

Wiederholung – Distanz – Mythos

Encore – ein Zauber

Zum Eröffnungskonzert des Festivals Ultraschall Berlin 2025 mit dem DSO unter Leitung von Anna Skryleva

Das Festival für neue Musik, Ultraschall Berlin 2025, setzt in seinem Programm auf die Uraufführung und Wiederaufführungen jüngst entstandener Kompositionen. Für die Dirigentin des Abends, Anna Skryleva, liegt der besondere Reiz an neuen Werken darin, mit den lebenden Komponist*innen zu sprechen zu können, sie um Rat zu bitten oder gar mit ihnen über das Stück zu debattieren. Denn Anna Skryleva begann bereits mit 10 Jahren selbst zu komponieren. 2024 gewann sie den Opus Klassik Award mit der Wiederentdeckung, Uraufführung wie Einspielung der Oper Grete Minde von Eugen Engel aus dem Jahr 1933. 2022 hatte sie die Uraufführung an der Oper Magdeburg, wo sie seit 2019 Generalmusikdirektorin ist, uraufgeführt. Sie erhielt internationale Aufmerksamkeit und debütierte nun brillant beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin mit Kompositionen von Younghi Pagh-Paan, Olga Neuwirth, Robert HP Platz und Konstantia Gourzi.

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distancing… von Robert HP Platz stand als Uraufführung auf dem Programm, wobei durch gegenseitiges Applaudieren und Händeschütteln keine Distanz, vielmehr die Aufführung als Teamarbeit des Komponisten, der Solistin Carolin Widmann, der Dirigentin und des Orchesters mit der Konzertmeisterin Carolin Grauman herausgestellt wurde. Viel Nähe auf dem Konzertpodium, wie sie während der Pandemie nicht möglich gewesen wäre. Händeschütteln war bekanntlich plötzlich im März 2020 wegen der Covid-19-Pandemie nicht mehr gebräuchlich. Es wurde stattdessen unter Masken mit der Ghetto-Faust geboxt. Der Komponist Robert HP Platz wanderte durch das menschenleere Köln, wie er erzählt, und begann Klänge im Raum für den „Abstand“ der Menschen zueinander während der Pandemie zu entwickelt. Daraus ist distancing… für Violine und Orchester entstanden, das zugleich ein Encore als Geschenk des Komponisten für die Solistin und das Publikum enthält.

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Die Wiederholung – encore – in Form der Zugabe reflektiert bei Platz sowohl das Konzert als Format[1] wie den Modus des Komponierens. Mit distancing… ist der Komponist, Dirigent und Hochschullehrer Robert HP Platz seit längerer Zeit mit dem Konzert im Großen Sendesaal des Hauses des Rundfunks und der Livesendung auf rbb3 fulminant wieder mit einer Komposition an die Öffentlichkeit getreten. Doch die Wiederholung stand zugleich mit Younghi Pagh-Paans Frau warum weinst du? Wen suchst du? (2021) ebenso wie in Olga Neuwirths Dreydl (2021) und Konstantia Gourzis Mykene (2002) strukturell verschieden im Programm. Mehr noch: Das Dirigat von Anna Skryleva beim DSO lässt auf eine Wiederholung hoffen. Mit großem Einfühlungsvermögen in die zeitgenössischen Kompositionen bringt sie die ganz unterschiedlichen Klangwelten der vier Komponist*innen zum Klingen.

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Während die Anmoderation des Festivals von Rainer Pöllmann und Andreas Göbel im schmalen Programmheft mit „(d)ie Welt ist aus den Fugen“ angesichts von Kriegen, „Katastrophen und neue(n) Herausforderungen“ vage pessimistisch einsetzt, klangen die Gespräche auf dem Konzertpodium mit Anna Skryleva, Robert HP Platz und Konstantia Gourzi während der Umbaupausen eher optimistisch. Denn Platz hat beispielsweise mit seinem distancing… die durchaus traumatischen Kontakt-Beschränkungen[2] während der Pandemie in produktive Klänge verwandelt. Doch schon das erste Stück des Abends von Younghi Pagh-Paan setzte sehr leise ein und entwickelte sich klanglich eher zu einer Musik des Trostes, denn der Trauer.

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Frau warum weinest du? Wen suchst du? wurde 2023 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt und erfuhr nun mit dem DSO seine Wiederaufführung. Das Zitat bezieht sich auf die Ostergeschichte im Neuen Testament bei Johannes. Insofern der von den Toten auferstandene Jesus mit den beiden Fragen die trauernde Maria von Magdala anspricht, wird die Trauer durchbrochen und in Trost verwandelt. Der Trost steht für die Komponistin im Vordergrund. Für sie ist es weniger ein religiöser Trost des Glaubens als vielmehr ein energetischer, der die Lebenskräfte wieder wecken soll. Obwohl das Stück nur ca. 7 Minuten dauert, komponiert Younghi Pagh-Paan einen Klang des Trostes, den sie insbesondere an Frauen adressiert.
„Ich denke an die aus Not weinenden Menschen jetzt, besonders an Frauen. Und ich denke an sie aus meiner eigenen Schwäche heraus. Es ist ein Trost, der die eigenen Lebens- und Existenzwünsche wieder stark werden lässt.“[3]   

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Das An- und Abschwellen der Streicher bis zum Atmen der Blasinstrumente und rhythmischen, fast tänzerischen Ansätzen arbeitet den Trost als einen Prozess aus, bevor das Stück plötzlich abbricht. Die Komponistin zitiert die Ostergeschichte mit dem Angesprochenwerden für die Reflektion über den Trost, während Johann Sebastian Bach ihn mit der Kantate Süßer Trost, mein Jesus kömmt, BWV 151, für den 27. Dezember als dritten Weihnachtstag komponierte. Der Trost wird insofern deutlich mit dem wiederholenden Zitat verschoben. Mehr noch als die beiden Fragen lässt sich die Ansprache eines „aus Not weinenden Menschen“ als tröstende Geste bedenken. Die Geburt Jesus‘ wird von Bach als Trost in einer seiner schönsten Arien komponiert. Jesus selbst kommt als Trost in die Welt. Pagh-Paan nimmt als Komponistin wohl Bezug auf den Text des Evangeliums, aber sie vertont ihn nicht. Sie nimmt ihn als Anstoß für eine lebhafte, nuancenreiche Klangskulptur des Trostes.  

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Dreydl von Olga Neuwirth wurde im Mai 2022 in Lyon vom Orchestre National de Lyon uraufgeführt, wobei sich die Komponistin mit dem Schicksalhaften wie Platz ebenfalls auf die Pandemie bezogen hat. Sie habe die „kontinuierlichen rhythmischen Muster in Dreydl … genutzt, um die fatale Zirkularität des Schicksals zu unterstreichen, wie wir sie in den zwei Jahren der Pandemie erlebt“ hätten, als „die Zeit stehen geblieben“ sei und niemand gewusst habe, „was die Zukunft bringen“ werde.[4] Die Pandemie hat in den Partituren ihre Spuren hinterlassen. Zugleich knüpft die Komponistin aus Graz mit dem Titel Dreydl nach ihrer Filmmusik für den ebenso satirischen wie hellsichtigen Stummfilm Die Stadt ohne Juden von 1924[5], der 2019 im Rahmen von MaerzMusik in Anwesenheit von Olga Neuwirth aufgeführt wurde, an jüdische Traditionen und das jiddische Kinderlied Ikh bin a kleyner dreydl an.
„Ein Dreydl ist ein Kreisel, mit dem Kinder auch heute noch während des Lichterfestes Chanukka spielen. Wie das Würfeln, ist der Dreydl ein Spiel mit dem Zufall. Unaufhörlich dreht und dreht er sich und ist deshalb für mich ein Symbol des Lebens: „Die Räder drehen sich, die Jahre vergehen / Ach, ohne Ende und ohne Ziel / Des Glücks beraubt, so bin ich geblieben …“ heißt es an einer Stelle im Lied Dem Milners Trem („Die Tränen des Müllers“) von Mark Markowytsch Warschawskyj.“[6]  

© Claudius Pflug

Dreydl erinnert trotz seiner hohen kulturpraktischen Aufladung mit seinem Ostinato-Rhythmus musikalisch an den Boléro von Maurice Ravel. Das unaufhörliche Drehen des Kreisels als eine sich wiederholende Bewegung des Lebens setzt mehrfach erneut ein, um sich zu steigern und abzubrechen. Das Drehen lässt sich zugleich als eine Tanzbewegung denken und als ein einziges, progressives Crescendo wie bei Ravel wahrnehmen. Obwohl die Komponistin sich nicht ausdrücklich auf Ravel bezieht, wird ihr selbst nicht verborgen geblieben sein, dass sie mit ihrer Komposition das Crescendo zu einer Art Lebensmusik verdichtet. Es lässt sich gar der Bogen zur Filmmusik von Die Stadt ohne Juden schlagen, für die Neuwirth in der Szene der Parlamentsabstimmung ebenfalls ein Crescendo einsetzte.[7] In Dreydl überlagern sich für die Komponistin mehrere Assoziationen zu Modi der Zeit als Lebenszeit. Nicht zuletzt hat sie die Komposition „In Memoriam Joséphine Markovits“ gewidmet, die am 18. April 2024 verstarb und das Festival d’Automne in Paris mehr als 50 Jahre kuratiert hatte.

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Carolin Widmann, die die Solovioline in der Uraufführung von distancing… spielt, wurde im Großen Sendesaal regelrecht gefeiert. Das Gebot der Distanzierung wird in der räumlichen Anordnung des Komponisten zu einem Gemeinsamen. Konkret spielten zwei Violininst*innen rechts und links auf dem Balkon im Rang mit der Solistin. Die gebotene Distanz führt auf diese Weise nicht nur zur Vereinzelung und Einsamkeit, vielmehr eröffnet sie in der Praxis ein gemeinsames Musizieren. „Der Klang der Solo-Violine selbst spaltet sich dabei auf, verteilt sich im Raum, ganz so, als wolle er über die erzwungene Distanz hinauswachsen und in einem größeren Gemeinsamen aufgehen“, schreibt Robert HP Platz zu seiner Komposition. Wahrscheinlich hängt es von den Hörer*innen ab, ob sie ein Aufgehen „in einem größeren Gemeinsamen“ oder ein räumlich Gemeinsames hören. Allein das gemeinsame Hören und Musizieren unter den Bedingungen des Abstandwahrens konnte noch im September 2020 zu Tränen rühren, während zugleich sogenannte „Querdenker“ ein Gemeinsames bestritten.[8]   

© Claudius Pflug

Robert HP Platz lässt die Solovioline in ihrer Einzelheit kaum hörbar das Stück eröffnen, die sich zu einer Art Monolog steigert, um ein Gemeinsames in den Tuttiviolinen entstehen zu lassen. Insofern geht es um eine Verräumlichung des Klangs im Einzelnen, die mit der Zugabe wiederum auf die Solovioline vereinzelt wird. Mit der von Platz komponierten Zugabe als Encore und Einzelleistung wird das Gemeinsame quasi auf die Einzelne zurückgeworfen. Wie lässt sich distancing… über die Praktiken während der Pandemie hinaus denken? Das Distanz-Halten wird bei Robert HP Platz zu einem künstlerischen Gebot. Es wohnt ihm eine hohe Sensibilität inne, die sich selbst im Orchester fortsetzt. Insofern Violinkonzerte oder andere Soloinstrumentenkonzerte aus einem Wechsel von Solist*in und Orchester gebaut sind, erfüllt distancing… dieses Kompositionsschema gerade nicht. Vielmehr steht die Praxis des Gemeinsamen im Vordergrund, während sie gerade historisch durch die Pandemie unmöglich geworden war.

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Konstantia Gourzi gehört zu den Komponistinnen, mit denen Anna Skryleva in engem Austausch steht. Gourzi ist ebenfalls als Dirigentin international tätig. Insofern war die Wiederaufführung von Mykene. 7 Miniaturen von 2002 eine wohldurchdachte. Der griechische Mythos von Mykene als Schauplatz der Tragödie um Elektra überschneidet sich in der Komposition mit der Ausgrabungsstätte und dem Tourismusziel. Zugleich gehört Mykene zu den Reise- und Forschungszielen Heinrich Schliemanns, die unter heutigen wissenschaftlichen Standards als zweifelhaft gelten dürfen.[9] Konstantia Gourzi eröffnet ihre Miniaturen mit Elektras Ängste und dadurch mit dem Mythos. Doch in der Aufführungspraxis geht Gourzi über den Mythos und den antiken Ort Mykene hinaus, wenn sie der Dirigentin an bestimmten Stellen überlässt, wann bestimmte Instrumentengruppen für rhythmische Elemente einsetzen sollen.[10] Auf diese Weise komponiert die Dirigentin quasi am Orchesterstück mit, zumindest wird ihr ein Entscheidungsspielraum eingeräumt.

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Die 7 Miniaturen lassen sich nicht nur als mythologische Geschichte Klytämnestras hören und „dem historischen Geschehen in Mykene“ verstehen, vielmehr geht es der Komponistin zugleich um die antiken Anfänge des Musikmachens. Zu bedenken ist bei den antiken Ausgrabungsstätten wie Mykene oder Troja insbesondere durch Heinrich Schliemann, dass es sich um lokale Konstruktionen nach einem literarischen Mythos handelt, die einem Geschichtsverständnis des 19. Jahrhunderts entsprachen. Die Ursprünge des Mythos sind keinesfalls durch die historischen Stätten belegt. Heinrich Schliemann selbst hat die Anverwandlung des Mythos mit den Funden der antiken Siedlungen wie ihrer Schätze in höchst fragwürdiger Weise als Selbstinszenierung betrieben, wie mit der leider wenig kritischen Ausstellung Schliemanns Welten in der James-Simon-Galerie und dem Neuen Museum 2022 zumindest erahnbar wurde.[11]  

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Die Dirigentin und Komponistin bringt nicht zuletzt für die Musik von Mykene ihre Herkunft als gebürtige Athenerin in Anschlag. Doch die Komposition ist nicht einfach aus dem Bauch komponiert, vielmehr sehr genau durchdacht und konstruiert. „Alle sieben Miniaturen zusammen erzeugen eine dramaturgische Einheit und sollen als solche interpretiert werden. Zwischen den Miniaturen ist öfter attacca geschrieben: Der Nachklang jeder Miniatur soll als Spannung vom Dirigenten zwischen den jeweiligen Stücken nach Belieben gehalten werden. Sobald diese Spannung endet, setzt das nächste Stück ein; wie eine Geschichte, die in einem bestimmten Energiefluss weitererzählt werden soll“[12], schreibt Konstantia Gourzi. Durch das „Belieben“ der Dirigent*in wird indessen jede Aufführung des Stückes einzigartig und entzieht sich einer Wiederholung und einem Vergleich, wie er in der Musikkritik oft mit Referenzaufnahmen geübt wird. Der Interpretation von Anna Skryleva mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin lässt sich auf ultraschall berlin nachhören.

Torsten Flüh    

Carolin Widmann, Violine
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Anna Skryleva, Leitung
Im Rundfunk:
Deutschlandfunk Kultur
31. Januar 2025, 20:03 Uhr
Konzert


[1] Zum Format des Konzerts siehe: Torsten Flüh: Le bonheur du concert. Zur Uraufführung von Heiner Goebbels‘ A House of Call. My Imaginary Notebook mit dem Ensemble Modern Orchestra beim Musikfest Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 2. September 2021.

[2] Zur Debatte über die Kontakt-Beschränkungen während der Pandemie siehe: Torsten Flüh: Fledermäuse, Pangoline, Labore und die Gattung Homo sapiens sapiens. Wie Verschwörungstheorien Sinn stiften und Narrative vom Patient Zero bis zur Artengrenze übertragen werden. In: NIGHT OUT @ BERLIN 22. April 2020.
Und zur Kontaktperson siehe: Torsten Flüh: Die Kontaktperson als Schnittstelle der Pandemie. Zu Thomas Oberenders Text Die Liste eines Jahres im Lichte einer kurzen Begriffsgeschichte. In: NIGHT OUT @ BERLIN 20. Februar 2021.

[3] Younghi Pagh-Paan: Programmnotiz zu «Frau, warum weinst Du? Wen suchst Du? » für Orchester. Pagh-Pan.com.

[4] Übersetzung nach: Olga Neuwith: Dreidl (2021) Boosey & Hawkes.

[5] Siehe: Torsten Flüh: Schrecken der Nachträglichkeit und Zeitgespür. Zur Berliner Aufführung von Die Stadt ohne Juden (1924) mit Musik von Olga Neuwirth bei MaerzMusik. In: NIGHT OUT @ BERLIN 8. April 2019.

[6] Zitiert nach Olga Neuwirth: Dreydl (2021) ultraschall.

[7] Torsten Flüh: Schrecken … [wie Anm. 5].

[8] Siehe: Torsten Flüh: Heitere Harmonie und Zersplitterung. Zum Eröffnungskonzert des Musikfestes Berlin mit der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim. In: NIGHT OUT @ BERLIN 5. September 2020.

[9] Zu Heinrich Schliemann und Mykene siehe: Torsten Flüh: Heinrich Schliemanns merkwürdige Methoden. Zur Ausstellung Schliemanns Welten in der James-Simon-Galerie und dem Neuen Museum. In: NIGHT OUT @ BERLIN 18. Juli 2022.

[10] Siehe Konstantia Gourzi: Mykene. 7 Miniaturen. (2002) ultraschall.

[11] Torsten Flüh: Heinrich … [wie Anm. 9].

[12] wie Anm. 10.

Visionäre Meere

Leben – Literaturen – Bilder

Visionäre Meere

Zu Lektüre- und Lebenspuren im visuellen Schaffen des Malers und Zeichners August Jankowski anlässlich der Ausstellung im Galerieraum erstererster

Zu Beginn des neuen Jahres 2025 passt der Galerieraum erstererster in der Pappelallee 69 im Prenzlauer Berg. Ich beginne am 1. Januar 2025 diese Besprechung zu schreiben, ohne dass ich wüsste, wohin mich die Zeichnungen und Gemälde von August Jankowski führen werden. Was lässt sich schon an einem Ersten Ersten über das Jahr wissen! Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt, trifft meistens zu. Kürzlich stellte Marco Wehr in der NDR-Sendung DAS! auf dem roten Sofa sein Buch Komplexe neue Welt – und wie wir lernen, damit klarzukommen vor. Er riet in etwa, sich nicht von allen Nachrichten kirre machen zu lassen. Vielmehr solle man unterscheiden, was man selbst beeinflussen könne, und was nicht. Magdeburg und New Orleans und Elon Musk können wir nicht ändern.

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Im Galerieraum erstererster stechen für mich zuerst die Bilder und Objekte von August Jankowski ins Auge, die mit dem Meer assoziiert werden. Eine Möwe oder ein Albatros hängt von der Decke, daneben eine Fischfigur, die an einen kleinen Wal erinnern könnte. Dann die blauen Wellen in mehreren Gemälden. Blauer Himmel, weiße Wolken und Möwen, Ruder, Boote, Schiffe, Dampfschiffe und eine ungestüme Maschine wie ein Bagger im Meer. „PORT BOU“ prangt in Rot auf einem Gemälde mit Buchstabenhaufen. Darüber ein Vogel, der eine Taube oder Eule sein könnte. Ein Klavier wie angeschwemmt an einer Küste. Dann kommen immer wieder Dampflokomotiven im visuellen Schaffen als Objekt, Zeichnung oder Gemälde vor. Michael Pfänder hat die Ausstellung kuratiert. Welche Korrespondenzen gehen die oft wiederkehrenden Figuren in einzelnen Bildfindungen ein? August Jankowskis Bildwelten regen zu Fragen an.

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Wann genau August Jankowski mit dem Zeichnen und Malen begann, ist bislang nicht gefragt geworden. Vielmehr wurde es in Kontexte der Sinneswahrnehmungen eingebunden und frühzeitig mit Literaturen von Eduard Mörike und Herman Melville eingebunden. Die Ursprünge des Zeichnens allerdings bleiben ungesagt, vielleicht unsagbar. Möglicherweise begann das Zeichnen und Malen August Jankowskis mit seiner Fluchtgeschichte durch den Zweiten Weltkrieg des 1942 in Bielitz Geborenen. Bielitz lag in Schlesien an der Grenze zu Galizien, wie eine Karte des Königreichs Galizien und Lodomerien in der Zeit von 1846 bis 1918 zeigt. Bielitz gehörte zum Einzugsgebiet des sogenannten „Dreikaiserecks bei Myslowitz“, das der Marburger Literatur- und Kulturforscher Jürgen Joachimsthaler in seinem Standardwerk Text-Ränder – Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur (2012) erforscht hat. Er beschreibt es als „imaginäre Mitte eines (etwas zittrig gezeichneten) Halbkreises Lemberg, Budapest, Wien und Prag, aber auch zentral auf einer Linie Berlin-Czernowitz“.[1] 

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Das Darstellungsproblem der deutschen Literatur in Mitteleuropa, das Jürgen Joachimsthaler in seinem zweibändigen Werk Text-Ränder beschreibt, lässt sich auf die wenigen noch kaum bewusst erlebten Jahre des Zeichners und Malers August Jankowski übertragen. Da der Vater bereits vor seiner Geburt im Zweiten Weltkrieg starb und die verwitwete Mutter spätestens 1945 mit ihrem Sohn nach Westdeutschland floh, wo er über mehrere Flüchtlingslager schließlich in Bielefeld ankam, um bis 1962 dort zur Schule zu gehen, übten Dampflokomotiven auf August Jankowski bestimmt eine große Faszination aus. Das Verkehrsmittel der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Eisenbahnen mit Dampflokomotiven, die die Handels-, Reise- und Kommunikationswege entschieden veränderten und Mitteleuropa durch Bahnlinien mit den Metropolen verbanden, worauf Joachimsthaler hinweist.

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Bielitz bildet heute mit der Stadt Biala Bielsko-Biała im Schlesischen Vorgebirge in der Woiwodschaft Schlesien in Polen. Es gehörte schon um 1940 zum Oberschlesischen Industriegebiet, wohin der Großvater und Textilfabrikant Jankowski nach der Oktoberrevolution aus St. Petersburg geflohen war. Die politisch-territorialen Verschiebungen in Mitteleuropa wirken nach und hinterlassen Spuren in Erzählungen für August Jankowski. Obwohl oder gerade, weil weder Bielitz noch Bielefeld oder Ochsenwang, wo der Zeichner und Maler seit 1975 lebt, am Meer liegen, begann das Meer als Imaginäres eine wichtige Rolle für ihn zu spielen. Um 1985 schlägt August Jankowski mittlerweile als Gymnasiallehrer für Kunst und Englisch den Bogen zur Literatur von Eduard Mörike und Herman Melville. Besonders Mörike und sein Haus in Ochsenwang verknüpfen für den Maler das Meer mit dem Kalksteinablagerungen aus dem Jura der Schwäbischen Alb:
„Mein Haus verwandelt sich
eilig zum Schiffe,
sich zur Kajüte die Kammer,
ich fühle das Schwanken
des Fahrzeugs,
des Matrosen Pfeife
vernehm‘ ich,
die dumpfe Bewegung
auf den Verdecke,
man eilet vor meine Tür –“[2]

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Die traumartige Verwandlung von Mörikes Haus in Ochsenwang in ein Schiff gibt sowohl einen Wink auf das Imaginäre der Lyrik wie geologisches Wissen vom Ort, an das Jankowski für sein visuelles Schaffen anknüpft. Denn Ochsenwang liegt auf einer Berghalbinsel zwischen Zipfelbachschlucht und Bissinger Tal auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb aus dem Jura. Der erdgeschichtliche Name Jura wurde von Alexander von Humboldt 1795 für Gesteinsschichten im Juragebirge in Frankreich eingeführt. Es ist nicht zuletzt einer der Namen, der Humboldtian Science, wie sie Otmar Ette formuliert hat.[3] Als Bergbauassessor mit der Berechtigung amtliche Gutachten zu erstellen, war Humboldt 1795 zum Oberbergrat aufgestiegen und besetzte damit eine Schlüsselfunktion in der Erstellung geologischen Wissens von den Ursprüngen der Erde. Die erdgeschichtlichen Gesteinsschichten wurden daraufhin als Kalkablagerungen des Tethysmeeres gelesen. Auf diese Weise lag für Mörike und liegt für Jankowski Ochsenwang am Meer.

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Ochsenwang liegt mit dem modernen, geologischen Wissen des 19. Jahrhunderts am Meer, das von dem evangelischen Pfarrer Eduard Mörike (1804-1875) um 1832, als er in Ochsenwang wirkte, lyrisch übersetzt wird. 1981 wurde in Ochsenwang das Mörike Haus im alten Schulhaus, wo der Pfarrer und Lyriker für kurze Zeit lebte, eingerichtet. Literatur- und Regionalgeschichte finden in Jankowskis Mörike- und Meer-Bezug ihren Widerhall und Übertragungen. 1985 zitiert Jankowski gleichzeitig Herman Melville[4], um die literarisch-visionäre Transformation einer Schneelandschaft in den Atlantik zu beschreiben.
„Jetzt, da alles mit Schnee bedeckt ist, habe ich hier auf dem Lande das Gefühl, als wäre ich auf See. Morgens, wenn ich aufstehe, schaue ich aus meinem Fenster wie aus dem Bullauge eines Schiffes auf dem Atlantik. Mein Zimmer gleicht einer Schiffskajüte, und des Nachts, wenn ich aufwache und den Wind heulen höre, bilde ich mir beinah ein, es wären zuviel Segel auf dem Hause und eigentlich müsse ich aufs Dach entern und den Schornstein reffen.“[5]  

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August Jankowski kam über das Kunststudium in Swansea und Dublin zur englisch-sprachigen Literatur, in der Herman Melville und James Joyce für ihn eine entscheidende Rolle spielen. Die beiden frühzeitigen Zitate zum Meer aus der Literatur und weniger aus der Bildgeschichte des Meeres in der Kunst lassen einen individuellen Zug des Malers und Zeichners August Jankowski erkennen. In der Kunst bezieht er sich en passant auf die Gemälde und Aquarelle von Seestücken des Malers William Turner, in denen das Meer auf neuartige Weise fast als eine Traumlandschaft gemalt wird. Doch er malt nicht wie Turner. Vielmehr kommen Literaturen von Eduard Mörike über Herman Melville, James Joyce und Franz Kafka sowie Marcel Proust bis Walter Benjamin in seinen Bildkompositionen zum Zuge, was sich in der Ausstellung im Galerieraum erstererster beobachten lässt. Die zeichnerische und malerische Praxis generiert aus komplexen Prozessen Bildkompositionen, die eine Art heterogener Multiperspektivität entstehen lassen.

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Das Acrylbild mit dem Titel Hagana von August Jankowski öffnet sich für eine Vielfalt von Assoziationen. Der Titel als Sprachakt rahmt das Bild, zielt auf Darstellung und begrenzt die potenzielle Vielfalt auch. Jacques Derrida hat in den Texten zur Malerei in seinem Buch La Vérité en peinture – Die Wahrheit in der Malerei auf das Problem des Titels hingewiesen: „Was geschieht, wenn man einem „Kunstwerk“ einen Titel verleiht?“[6] – Ausstellungsbesucher*innen suchen oft zuerst nach dem Titel und dem Namen der Maler*in, bevor sie sich z.B. auf ein Acrylbild einlassen. Die Materialität des Bildes ist nicht nur die Acrylfarbe auf der Leinwand, vielmehr wird sie praktisch in den Wissensmedien von Titel, Maler*in, Entstehungszeit etc. zu lesen gesucht. Die Bildelemente von Rudern, Booten, einem Dampfer mit Segel in der Ferne, Wellen, Meer, einem Paket, einem ungestümen baggerähnlichen Fahrzeug, einem weißen mit Tauen mehr denn Bändern verschnürten Paket, zwei Männern mit Vollbärten, einer zierlicheren Figur mit längerem Haar, die den Betrachter*innen im Boot den Rücken zuwendet, einer wohl männlichen Figur, die das verschnürte Paket hochhält, korrespondieren miteinander, grenzen sich indessen auch voneinander ab.

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Ohne den Titel beginnen wir bereits mit der Benennung der Bildelemente vor dem Acrylbild, von anderem als der Malerei zu sprechen. Die Wahrheit der Malerei von August Jankowski lässt sich kaum fassen oder als Palimpsest entschlüsseln. Er schabt nicht nur alte Schichten seiner Bilderschrift ab, um sie in neue Konstellationen zu bringen, vielmehr werden Boot, Meer, Paket neu verschnürt oder vertäut, um in der Sprache der Seemänner zu bleiben. Schiffe werden an Anlegern vertäut. Das Paket wird zum hervorstechenden Element des Acrylbildes. Was das Paket enthält, sehen und wissen wir nicht. Es ist allemal ein Geschenk und Geheimnis. Als Geschenk wird es hoch gehalten auf dem schwankenden Boot auf den Wellen. Wer wird das Paket annehmen? Wird es angenommen werden? Wird es angenommen werden wie das Acrylbild? Es ist vertäut, wird gehalten am Anleger. Der Bärtige im zweiten Boot zeigt mit dem Ruder auf das Paket, könnte man sagen. Oder will er es mit dem Ruder ins Boot holen? Im Bild bleibt das Paket hochgehalten. Mehr sehen wir nicht!

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Wie viel können wir uns von dem Bild mit dem Titel Hagana erzählen? Wollen wir den Titel als Benennung öffnen? Welche Erzählungen werden sich dann über das Bild ergießen? Zunächst einmal gibt uns der Maler August Jankowski ein Bild als Geschenk. Es fasziniert uns. Aus dieser Besprechung wissen wir bereits, dass es bei dem Maler wiederkehrende Elemente gibt: Meer, Boot, Haus, Blau, Weiß, Dampfschiffe, Ufer, Maschinen etc. Vor allem immer wieder die Transformation zum imaginären Meer. Die schmale Figur im Boot wendet sich ab, von der Aktion mit dem Paket und dem Ruder. Sie verhüllt uns ihr Gesicht. Desinteresse kann es bei diesem aufgewühlten Seestück nicht sein, kann man denken. Da passiert allerhand. Gibt die Figur im Bild also einen Wink auf das, was wir in ihm nicht zu sehen bekommen? Geht es um das Bild als Vorhang, hinter den wir schauen wollen? Das Bild als Screen?[7] Die Funktion des Screens lockt uns, wissen zu wollen und verhüllt Wissen zugleich.

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Bleiben wir auf der Leinwand, auf die August Jankowski gemalt hat. Die Leinwand war leer, so wie Blätter in den Skizzenbüchern leer waren, die eine eigene Kategorie in seinem Schaffen und auf seiner Homepage ausmachen. Einerseits sind die Leinwände und Skizzenblätter immer leer, andererseits malt und zeichnet der Maler nicht aus dem Leeren, vielmehr machen Wiederholungen und Transformationen, das Palimpsestische seines Bilderapparates, Literaturen und Lektüren einen wesentlichen Zug seines Malens und Zeichnens aus. Seine Sinneswahrnehmungen treffen immer schon auf eine komplexe Konstellation, die im Machen zum Zuge kommt. Wahrscheinlich weiß er zu Beginn am wenigsten, was er auf Leinwand oder Blatt gemalt haben wird. Doch er stützt, das von dem er nichts weiß, mit Titeln und Texten wie Hagana Anlandung und Rettung der Gesetzestafeln[8] und einem Zitat aus Othmar Keels Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen.
„Die klassische Manifestation der Chaoswasser aber ist das Meer.
[…]
Da der ursprüngliche Lebensraum des Menschen nicht das Meer ist, galt in der Antike das Befahren der „tödlichen Salzflut“ grundsätzlich als gefährlich. Bei den Israeliten als einem Volk, das aus der Steppe ins Kulturland gekommen und starke Bindungen an seine Vergangenheit bewahrt hatte und zudem über keinen bedeutenden Hafen verfügte, war das in besonderem Maße der Fall.“[9]    

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Der katholische Theologe und Bibel- wie Religionswissenschaftler Othmar Keel bezieht sich mit seiner Bildsymbolik des Meeres am ehesten auf Psalm 93 und die Querverweise zum Meer im Alten Testament z.B. in der Übersetzung der Lutherbibel Vers 3 und 4: „3 HERR, die Fluten erheben, / die Fluten erheben die Stimme, die Fluten erheben ihr Brausen. 4 Mächtiger als das Tosen großer Wasser, mächtiger als die Wellen des Meeres ist der HERR in der Höhe.“[10] Kombiniert wird das Meer im Titel mit der Anlandung und Rettung der Gesetzestafeln. Mit anderen Worten: Das Malen schafft bei August Jankowski andere Bilder als die Bildsymbolik, die Keel in Anschlag bringt. Kursieren bereits zu Psalm 93 unterschiedliche Übersetzungen, die um „die Wellen des Meeres“ kreisen, indem sie einen Gegensatz von Meer als Chaos und Gesetz des monotheistischen Gottes als Weltordnung formulieren, so wird die Anlandung auf dem Meer bei Jankowski zu einer rätselhaften Szene, weil das Meer dominiert. Denn auch die Figur, die das Paket entgegengenommen (?) hat, steht weniger auf einem festen Anleger als auf einem im Meer schwankenden Boot, wenn man die beiden Ruder am unteren Bildrand in Betracht zieht. Das Symbolische wird beim Malen vom Imaginären transformiert.

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Und „PORT BOU“ im Acrylbild mit dem Titel Walter Benjamin, die Eule der Minerva, beginnt erst mit einbrechender Dämmerung ihren Flug? – August Jankowski schreibt in den Titel und malt in das Bild assoziativ viel hinein. Ist der Angelus Novus von Paul Klee, an den Walter Benjamin mit seinem Engel der Geschichte andockt, eine Eule der Minerva? In seiner Vorrede zu Grundlinien der Philosophie des Rechts formuliert Hegel den viel zitierten Satz: „die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“.[11] Walter Benjamin wird bei ihm zur Eule der Minerva, indem er ihr dessen Gesichtszüge einmalt. Traumwandlerisch oder visionäre wird mit dem Bild, das an Walter Benjamin adressiert wird, eine komplexe Szene gemalt, die sich nicht nur in PORT BOU abspielt. Der Ort Portbou am Meer der Costa Brava unweit der spanisch-französischen Grenze wurde für den Flüchtenden 1940 zum Ort seines Suizids. Jankowski nennt sein Bild selbst ein „Bilderrätsel oder Vexierbild“.[12] Das gilt ganz gewiss für die Praxis seines Malens, für die mir die Formulierung eines literarisch-visionären Surrealismus einfiel. Im Ringen um die Darstellung in der Malerei kommen immer andere Spuren hinein, die das Dargestellte traumartig durchkreuzen.

Torsten Flüh

erstererster
Ausstellungen, Lesungen, Pop-ups
Pappelallee 69
10437 Berlin


[1] Joachimsthaler, Jürgen:  Text-Ränder – Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur. Heidelberg: Winter, 2012, S.5.

Siehe auch: Torsten Flüh: Europas und der Texte Ränder. Zu Jürgen Joachimsthalers Text-Ränder – Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur. In: NIGHT OUT @ BERLIN 7. November 2012. (PDF)

[2] Zitiert nach August Jankowski: Mittelmeer 21. März 2017 zuvor in E. Katzmeier: Der Maler August Jankowski stellt aus. In: Weilheimer Monatsblättle 3/85, S. 11.

[3] Zur Humboldtian Science siehe: Torsten Flüh: Wasserzeichen vom Orinoco. Zum 2. Alexander von Humboldt-Symposium „Forschen & Edieren“. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. Mai 2015. (PDF)  
Zur Frage des geologischen Wissens und dessen Implikationen bei Alexander von Humboldt siehe: Torsten Flüh: Leben und Tod in der Platovskischen Steppe. Zu Alexander von Humboldt und Russland in der Botschaft der Russischen Föderation. In: NIGHT OUT @ BERLIN 25. Juni 2015. (PDF)

[4] Zu Herman Melville siehe auch: Torsten Flüh: Maximalistic Queerness Mythology. Zu Taylor Macs & Matt Rays Europapremiere der umwerfenden Show Bark of Millions bei der Performing Arts Season. In: NIGHT OUT @ BERLIN 25. Oktober 2024.

[5] Obwohl es sich hierbei eher um Prosa (Brief oder Tagebuch) als um Lyrik handelt, setzt Jankowski den Text mit Zeilenumbrüchen, wie für ein Gedicht. Zitiert nach August Jankowski: Atlantik 27. April 2017 zuvor wie Anm. 2.

[6] Jacques Derrida: Die Wahrheit in der Malerei. Wien: Passagen, 1992, S. 41.
Zur Wahrheit in der Malerei siehe auch: Torsten Flüh: Praktiken der Moderne beim Malen. Zu Peter Grosz‘ Ausstellung ZitronenBlau in der Galerie des Kunsthauses Artes. In: NIGHT OUT @ BERLIN 9. August 2022.

[7] Zur Funktion des Screens siehe: Torsten Flüh: Modernismus für die Medizinmaschine. Zur Architektur als Bild vom Menschen anhand des Benjamin Franklin Campus‘ der Charité. In: NIGHT OUT @ BERLIN 12. Oktober 2024.

[8] Zitiert nach August Jankowski: Hagana 14. Dezember 2018.

[9] Ausschnitt nach ebenda.

[10] Siehe Lutherbibel 2017: Psalm 93.

[11] Siehe Torsten Flüh: Fragen der Intelligenz. Zu Our Space to Help in der Neuen Nationalgalerie und Putins Intelligenz als Streitfall. In: NIGHT OUT @ BERLIN 9. März 2020.

[12] Siehe August Jankowski: Walter Benjamin Die Eule der Minerva 11. Oktober 2019.

Schloß Berlin Zimmer Nr. 669 und der private Kolonialismus des Kaisers

Kaiser – Kolonialismus – Kotau

Schloß Berlin Zimmer Nr. 669 und der private Kolonialismus des Kaisers

Zum ORTS-Termin Die koloniale Weltsicht Wilhelm II. mit Gästen des Museums Huis Doorn

Das Private und das Politische überschneiden einander in der kolonialen Weltsicht des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. auf unappetitliche Weise mit dem kunsthandwerklich bearbeiteten Elefantenfuß, den er im privaten Sternsaal unter einer Vitrine aufstellen und 1919 ins Exil nach Huis Doorn bringen ließ. Insbesondere an den privaten Besitztümern und deren Aufstellung in den Privaträumen Wilhelm II. im Berliner Schloss, die er mit seiner Familie nur wenige Wochen im Jahr nutzte, springt ein koloniales und rassistisches Gedankenensemble hervor. Die privaten Besitztümer ließ der Kaiser nach seiner Absetzung 1919 vom Hofmarschall und seiner Gattin aus Berlin güterwagonweise in sein Exil Huis Doorn bringen. Erstmals haben die Mitarbeiter*innen des Exil-Kaiser-Museums und der Universität Utrecht systematisch The Kaiser’s Colonial Worldview erforscht.

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In der Reihe ORTS-Termin fand nun ein Gespräch mit den Leiter*innen und Forscher*innen des Huis Doorn und der Universität Utrecht zum Kolonialismus Kaiser Wilhelm II. im Saal 6 des Humboldt Forums statt. Herman Sietsma, der Direktor von Huis Doorn, war mit seinem Team auf Einladung des Humboldt Forums aus den Niederlanden und dem kleinen Ort Doorn bei Utrecht angereist. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das kleine Schloss, wo der letzte deutsche Kaiser am 4. Juni 1941 verstorben war, von den Niederlanden konfisziert und in ein Museum verwandelt. Der Privatbesitz, den Wilhelm II. aus dem Neuen Palais und dem Berliner Schloss nach Doorn hatte bringen lassen, wird seither im Museum geschlossen aufbewahrt und wie zu Lebzeiten ausgestellt. Die Debatte um den Kolonialismus der Niederlande erreicht mit dem Forschungsprojekt Huis Doorn.

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Britta Schilling und Cornelis van der Bas haben mit Student*innen der Universität Utrecht durch ein Praktikum im Huis Doorn die Studie The Kaiser’s Colonial Worldview zusammen gestellt und im März 2024 veröffentlicht. Durch das Praktikum zum Studiengang Geschichte und Geschichte der Kunst wurde die „material culture“ des Kaisers in Haus Doorn stärker in den Fokus gerückt.[1] Die „material culture“ arbeitet mit Dingen und Bedeutungen, die ihnen zugeschrieben werden. Die Dinge in den 64 Wagons, die der Kaiser als persönlichen Besitz ins Exil bringen ließ, stammten aus seinen Privaträumen in Berlin und Potsdam und bildeten dort eine Form der Selbstinszenierung, die ihm so wichtig war, dass er sie im Huis Doorn auf ähnliche Weise arrangierte. Einerseits ging es um monetäre Werte für eine unsichere Zukunft, andererseits werden den Dingen Werte zugeordnet, die im Feld des Privaten und Persönlichen liegen.
„This value was not necessarily monetary; it could well be historical (relating to family or national history), contextual (relating to other objects) or personal and sentimental (relating to the self an personal identity). This collection of material culture gives us a basis from which to assess what was important to the Kaiser.”[2]     

© Huis Doorn

Die materielle Kultur Wilhelm II. wurde von Historikern als Quelle bislang wenig erforscht. Historiker und Biografen stützen sich eher auf Texte und Schriftstücke, um dem letzten deutschen Kaiser und seinen Denkweisen näher zu kommen. Doch Wilhelm II. inszenierte sich mit seinen Nordlandreisen wie mit dem Bau der Matrosenstation Kongnæs im Drachenstil am Jungfernsee oder dem Ankauf von Gemälden Adelsteen Normanns über Dinge, Paradeuniformen wie seiner der Gardes du Corps mit funkelndem Adlerhelm und Bauten, deren persönlicher Wert für ihn unverkennbar war.[3] Er stieß damit Moden an. Das Cover des Forschungsbandes aus Huis Doorn zeigt die aktuelle Ansicht von einer Tafel mit Gläsern, Karaffen und anderem Geschirr für ein festliches Essen. Zentral ist ein Tafelaufsatz aus Silber platziert.[4] Die antike Figur des Atlas, der das Himmelsgewölbe trägt.

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Die Männerfigur des Atlas erlebte um 1900 eine prominente Wiederkehr im öffentlichen Leben.[5] Bei der Eröffnung des Hamburger Hauptbahnhofs am 6. Dezember 1906 zierte eine 2,8 Meter hohe und 270 Kilogramm schwere Atlas-Skulptur sein Dach am Glockengießerwall.[6] Kaiser Wilhelm II. erhielt die Atlas-Figur 1895 als Geschenk von Oscar II., König von Norwegen und Schweden. 1933 fertigte J. Gutschmidt das Foto halbgedeckter Tisch mit dem Tafelaufsatz in Huis Doorn an.[7] Während die Darstellungen des mythologischen Atlas‘ als unter der Last knienden Träger des Himmelsgewölbes sich vor allem am römischen Farnese Atlas aus dem 2. Jahrhundert orientieren, fand der Stockholmer Goldschmied C. G. Hallberg eine neuartige Lösung. Atlas trägt nunmehr aufrecht schreitend eine Silberkugel auf seiner Schulter, in der sich nicht nur die Tafel, vielmehr die Tischgesellschaft spiegelte. Erde und Himmelsgewölbe überschneiden einander in der Silberkugel und bieten der Tischgesellschaft um Kaiser Wilhelm II. ein narzisstisches Spiegelbild. Auf der Kugel wurde eine weitere kleine Figur platziert, die in einer dynamisch laufenden Bewegung in ein langes Horn bläst.

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Die Transformation des unter der Last leidenden Titanen-Sohns Atlas in eine dynamische Figur verwandelt den antiken Mythos am Ende des 19. Jahrhunderts in ein Eroberungsprogramm mit Spiegeleffekt. Die Himmelskugel wird zum Globus mit dem Anspruch diesen aus der Perspektive der Kolonialmächte zu beherrschen. Obwohl Schweden kein Hauptakteur des Kolonialismus war, besaß es mit der Schwedischen Ostindien-Kompanie ab dem 17. Jahrhundert einzelne Kolonien und beteiligte sich am Sklavenhandel. Hallberg hatte bei seiner Transformation des Atlas, insofern einen kolonialpolitischen Hintergrund in Stockholm. Britta Schilling übersieht in ihrer Deutung die Spiegelfunktion der neuartigen Atlas-Figur:
„Though a copy of a globe from 1620, it also embodies a particular worldview of the late nineteenth century, a worldview that the Kaiser himself helped to construct. It was a view in which Germany, long reluctant to support colonial endeavours, was shouldering its colonial ‘burden’ and becoming a strong player on the world stage.”[8]

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Obwohl Wilhelm II. im Volksmund den Namen „Reisekaiser“[9] verliehen bekam, weil er zwischen den Fjorden Norwegens und Jerusalem, Kiel und Korfu, Wiesbaden und Berlin etc. ständig reiste, besuchte er weder die Kolonien in Afrika noch China. Stattdessen sah er sich am 20. Juni 1908 die Menschenschau mit Afrikanern und Menschen aus Siam in Carl Hagenbecks Tierpark in Hamburg Stellingen an.[10] In domestiziert-theatraler Weise als koloniales Unternehmen des Hamburger Tierhändlers und Zoounternehmers Hagenbeck war der koloniale Blick des Kaisers auf die Menschen von anderen Kontinenten abgesichert. Doch China nahm für Wilhelm II. eine fixe Funktion in seiner Weltsicht ein. Angst, Neid und Überheblichkeit generieren seinen Blick auf China, der darin gipfelte, dass Prinz Chun als Abgesandter des Kaisers von China am 4. September 1901 im Grottensaal des Neuen Palais zum Kotau gezwungen wurde.[11] Wilhelm II. ging es mit der Inszenierung der Demütigung in seiner Paradeuniform der Gardes du Corps auf einem Thron sitzend um eine stark persönlich geprägte Revanche. 

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Der Kotau im Grottensaal des Neuen Palais‘ erhält nicht zuletzt dadurch seinen persönlichen, um nicht zu sagen, psychologischen Kontext, weil Wilhelm II. die persönlichen Gastgeschenke des Kaisers Guangxu 光绪帝 von Prinz Chun nicht entgegennahm. Prinz Chun und seine Begleiter wurden nach dem Kotau als Staatsgäste in der Berliner Gesellschaft herumgereicht. Die Nichtannahme der Gastgeschenke wie der halboffizielle Ort des Grottensaals im Neuen Palais geben einen Wink auf die für Wilhelm II. charakteristische Verquickung von privatem Ressentiment und politischem Handeln. Prinz Chun und sein Hofstaat werden nicht anders als die Menschen in den Völkerschauen behandelt und wahrgenommen. Als Vorgeschichte zum Kotau hatte Wilhelm II. 1895 persönlich eine Federzeichnung angefertigt, die vom Historienmaler Hermann Knackfuß umgearbeitet wurde, und am 26. September 1895 seinem Verwandten Zar Nikolaus hatte schicken lassen.[12] Japan hatte China im japanisch-chinesischen Krieg von August 1894 bis April 1895 besiegt.

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Die persönliche Zeichnung Wilhelm II., die sich heute im Huis Doorn befindet, entwirft ein ebenso persönliches wie machtpolitisches Szenario der Angst von der kolonial formulierten und mit der Farbe Gelb rassistisch geprägten „Gelben Gefahr“. Im Hintergrund scheint das christliche Kreuz auf, vor dem sieben weibliche Gestalten mit Speeren und geflügelten Helmen an einer Felskante stehen. Die germanisch ausstaffierten Frauen mit langen Kleidern werden von schwarzen Vogelgestalten umschwirrt, die an Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer erinnern können.[13] Die Hauptfigur mit Schild, auf dem ein Kreuz prangt, hat ihren linken Arm in Richtung einer Landschaft mit Rauchwolken ausgestreckt. Das Symbol des Christentums wird mit der germanischen-deutschen Mythologie nach Richard Wagners Ring des Nibelungen (1876) und/oder dem mittelalterlichen im 19. Jahrhundert rezipierten Nibelungenlied kombiniert. Es könnte sich um Walküren und die Göttin der Nation, Germania, wie sie zu jener Zeit in vielen deutschen Städten als Göttin aufgestellt wurde, handeln.

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Das vom Hobbyzeichner Wilhelm gezeichnete Germaniabild, ein Bild des deutschen Reiches, das später unter dem Titel „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!“ mit propagandistischer Geste bekannt werden sollte, indem Knackfuß nationale Frauenfiguren vor dem Erzengel Michael anordnete und einen Buddha deutlich in den Rauchwolken erscheinen ließ, ist weitaus diffuser. Beide Bildversionen befinden sich heute im Haus Doorn, wohin sie als persönlicher Besitz gelangten. Bei Wilhelm bezieht sich die Angst vor einer Bedrohung aus dem Osten stärker auf ein christliches Deutsches Reich. Bei Knackfuß wird die imaginäre Bedrohung zu einer der Herrschaft Europas über die Welt. Die nahezu surreale Bildfindung mit ihren Unschärfen bei Wilhelm II. erinnert an einen Albtraum mehr denn an ein durchdachtes Propagandabild. Die christliche Symbolik passt 1895 zu des Kaisers Bemühungen, sich als Schutzherr des Protestantismus in der Welt zu inszenieren. 1898 wird er die evangelische Erlöserkirche in Jerusalem für die evangelische Mission unter anderem von arabisch-palästinensischen Waisen einweihen. Seit 1894 wird gegenüber dem Berliner Schloss der neue Dom mit stilistischen Verweisen auf den Petersdom in Rom gebaut.

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Das Angstszenario der Gelben Gefahr, die nach der Zeichnung unmittelbar an den Grenzen der christlich-germanischen Welt, steht, inszeniert sowohl den protestantischen Machtanspruch der preußischen Könige und deutschen Kaiser seit 1824 als die Berliner Mission für Jerusalem gegründet wurde[14], wie eine persönliche Angst vor dem Unbekannten. Die Beherrschungs- und Ausbeutungsphantasien, die nicht nur zum Kotau, vielmehr noch zu einer Sammelleidenschaft der Kunstschätze des von deutschen Soldaten geplünderten Kaiserpalastes, der Verbotenen Stadt, aus Peking führen, nehmen groteske Züge an. Die Serie von kunstvollen Lackbildern historischer Schlachten aus der Qing Dynastie oder der kaiserliche Thron mit Armlehnen und Schubladen ebenfalls aus der Qing Dynastie wandelt Wilhelm II. nicht nur in seinen persönlichen Besitz um und nimmt sie mit ins Exil, vielmehr wird der kaiserliche Thron zum privaten Möbel für (vielleicht) Socken.

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Durch den Kaiser und seine „Hunnenrede“ mit dem Strafbataillon ausgesandten Major Sigismund von Foerster[15] gelangte Thron mit kaiserlichen Drachen in Gold 1901 nach Berlin. Er wurde jenseits des Museums, wo er heute im Ethnologischen Museum steht, von Wilhelm II. genutzt. Annelore de Kruif sieht in dem Ankauf und der Nutzung der Lackarbeiten nicht nur eine Kunst- und paradoxerweise China-Leidenschaft des Kaisers, vielmehr diente ihm chinesische Kunst als Aneignung und Darstellung von persönlicher Macht:
„The lacquerware work certainly have suited Wilhelm II’s tastes. Given the Kaiser’s desire to bring the Chinese to their knees, he may have relished the idea of displaying war booty, a symbol of victory. (…) Or perhaps, in displaying these panels, he was displaying an affinity from one emperor to another, thus confirming his own position as head of state.”[16]

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Abgesehen von den persönlichen Verwicklungen in den Kolonialismus als Weltsicht wird der Kaiser als Staatsoberhaupt zum Adressaten von Verbänden, Schaustellern wie Carl Hagenbeck, seiner Kolonialsoldaten, von Handeltreibenden wie den Kaufleuten und Reedern der Hansestadt Hamburg und Reisenden wie Otto Ehlers. Otto Ehrenfried Ehlers starb bereits am 3. Oktober 1895 in Kaiser-Wilhelm-Land, wie die deutsche Kolonie auf Neuguinea hieß. Vermutlich 1893, als er nach längerer Reise durch Länder Südostasiens nach Deutschland zurückkehrte, traf er Wilhelm II. in Berlin und schenkte ihm einen kunsthandwerklich aufbereiteten Elefantenfuß aus dem Königreich Siam. Der Elefantenfuß wurde im Sternsaal als Vorzimmer und Ausstellungsraum im Berliner Schloss aufgestellt. Im Huis Doorn konnte der Elefantenfuß im Lager mit der Notiz „Vom reisenden Herrn Otto Ehlers erlegt in Siam“ gefunden werden. Erst 1927 wurden Reisebilder aus Siam von Otto Ehlers in Voigtländers Volksbücher veröffentlicht. Den Aufenthalt in Deutschland bzw. Berlin hatte Ehlers offenbar dazu genutzt, seine Bücher An indischen Fürstenhöfen und Im Sattel durch Indo-China, beide 1894, im „Allgemeinen Verein für Deutsche Litteratur“ zu veröffentlichen.

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Das prominente Geschenk Otto Ehlers‘ wird keinesfalls zufällig dem Kaiser überreicht, vielmehr werden Kaiser und Kaiserreich zu Adressaten des Reisenden und seiner deutschen, kolonialen Reiseliteratur. Der in Hamburg 1855 geborene Sohn eines Architekten wird nach seiner Einleitung von An indischen Fürstenhöfen zum Reisenden, weil er von seinem Jugendfreund Gustav Ehlers, dem General-Konsul des Deutschen Reichs in Sansibar, eingeladen wird.[17] Schon auf den ersten Seiten entfaltet sich für Otto Ehlers ein Netzwerk aus Konsuln, „Deutsch-Ostafrikanischer Gesellschaft“ und „Missionsstation“ etc. Geschenke werden sogleich an den Kaiser adressiert. Der Kaiser wird für Ehlers nicht nur Adressat von Geschenken, vielmehr noch der kolonialen Reisen selbst, bei denen „die deutsche Flagge“ an verschiedenen Plätzen gehisst wird.
„Nahezu sieben Monate ich hier (am Kilimanscharo, T.F.) hier in den verschiedenen Dshaggastaaten, deren mächtige Fürsten, Mandara, ich veranlaßte, mir eine Gesandschaft mit Geschenken für Sr. Majestät den deutschen Kaiser anzuvertrauen. Die Leute wurden in Berlin huldvollst empfangen und reich beschenkt in ihre Heimat entlassen, während ich im Auftrage Sr. Majestät einige Wochen später nach Ostafrika zurückkehrte, um Mandara die kaiserlichen Gegengeschenke zu überbringen und an verschiedenen Plätzen, die deutsche Flagge zu hissen.“[18]

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Der Elefantenfuß aus Siam lässt sich nach der Reiseliteratur Otto Ehlers‘ und seinen erholten Treffen mit Kaiser Wilhelm II. in Berlin exakt in den deutschen Kolonialismus in Deutsch-Ostafrika, heute Tansania einordnen. Indem „Geschenke“ und „Gegengeschenke“ ausgetauscht werden, geht es im Reisebericht vor allem darum, mit der deutschen Flagge „Plätze()“ zu kolonisieren. Siam, heute Thailand, war zwar keine deutsche Kolonie und das multiethnische Indien Teil des kolonialen Britischen Weltreiches, aber der Elefantenfuß wird für den Kaiser zu einem bedeutungsvollen, persönlichen Objekt, mit dem mehr koloniales Denken verknüpft ist, als es auf den ersten Blick scheint. Die Bücher, die Ehlers zu seinen Lebzeiten veröffentlichen konnte, wären noch einmal genauer auf ihre kolonialen Narrative hin zu lesen. Der Allgemeine Vereine für Deutsche Litteratur war eine Buchgesellschaft, die zugleich als Verlag operierte und 1873 unmittelbar nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs in der Berliner Kronenstraße u.a. von Prinz Georg von Preußen gegründet worden war. 1894 gehörte die Kronenstraße zum Berliner Zeitungsviertel, in dem auch Zeitungen der deutschen Kolonien und deutschen Niederlassungen in der Welt verlegt wurden.

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Britta Schilling fragt in dem reich illustrierten Forschungsband, wieweit der Kaiser für die extreme Gewalt in Peking und den Genozid Südwest-Afrika verantwortlich war.[19] Wie bereits an dem Reisenden und Schriftsteller Otto Ehlers deutlich wird, geht es um ein mehr oder weniger klandestines, gewiss aber, elitäres Netzwerk von Deutschen im Ausland und Berlin, die sich „Sr. Majestät“ verpflichtet fühlen und durch die Zirkulation von Geschenken ein persönlich verpflichtendes Verhältnis zum Kaiser aufbauen. Die Annahme oder wie bei Prinz Chun Nichtannahme von Geschenken spielt für Wilhelm II. eine bisweilen subtile, aber entscheidende Rolle. Im Kontext der militärischen Aktionen in China – „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!“ 27. Juli 1900 – in Südwest-Afrika hat der sich oft in Uniform präsentierende Kaiser die Funktionen des obersten Befehlshabers und der moralischen Legitimation.
„We need to consider the nature of relationships between Wilhelm II as supreme military commander and other state and military functionaries, many of whom had their own agendas within the colonial system. And we need to understand the wider political and cultural context in which all of these agents were working, the elements that made up their colonial worldview.”[20]

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Die Dinge – von der Lackarbeit aus der Qing Dynastie über den Tisch aus dem Zimmer 669 im Berliner Schloss bis zum Elefantenfuß aus dem Sternsaal – wurden mit Etiketten und Listen weitgehend inventarisiert. Heute helfen die Etiketten dabei, die Dinge im Huis Doorn zu kontextualisieren und auf ihre koloniale Aufladung hin zu befragen. Kolonialismus ist dabei nicht nur eine Frage der Ausbeutung, vielmehr lässt sich die Zirkulation von Geschenken als eine wichtige Praxis identifizieren. Wie beispielsweise die Replik der Nofretete im Haus Doorn in den persönlichen Besitz gelangte, entzieht sich bislang der Kenntnis des Berichterstatters. Doch von Wilhelm II. und seinem Umfeld wird sie zusammen mit Familienfotos und Feuerzeugen mit Diamanten aus der einzigen deutschen Diamantenmine etc. als Einblick ins Private arrangiert.

Torsten Flüh

ORTS-Termin
Diskurs im Humboldt Forum   

Britta Schilling, Cornelis van der Bas:
The Kaiser’s Colonial Worldview
Doorn: Aspekt, 2024.
108 Seiten
€ 14,95


[1] Britta Schilling: Ghosts of the Past. In: Britta Schilling, Cornelis van der Bas: The Kaiser’s Colonial Worldview. Doorn: Aspekt, 2024, S. 11.

[2] Ebenda.

[3] Zu Adelsteen Normann und Kongnæs siehe: Torsten Flüh: Verstörend statt bezaubernd. Zur Ausstellung Edvard Munch – Zauber des Nordens in der Berlinischen Galerie. In NIGHT OUT @ BERLIN 18. November 2023.

[4] Siehe: Huis Doorn: Webshop: The Kaiser’s Colonial Worldview.

[5] Siehe auch den Atlas im Bilderatlas Mnemosyne Aby Warburgs: Torsten Flüh: Zur Intelligibilität des Bilderatlas Mnemosyne. Über die Ausstellung und das Buch „Aby Waburg: Bilderatlas Mnemosyne – Das Original“ im Haus der Kulturen der Welt. In: NIGHT OUT @ BERLIN 9. Oktober 2020.

[6] Siehe Deutsche Bahn: Die Rückkehr der Atlas-Skulptur. (Pressemitteilung 2023)

[7] Britta Schilling: Colonies, Empires and the German Colonial Imagination. In: Britta Schilling, Cornelis van der Bas: The … [wie Anm. 1] S. 18.

[8] Ebenda.

[9] Britta Schilling: Ghosts … [wie Anm. 1] S. 8.

[10] Annewil Nieuwenhuizen: Völkerschauen. In: Ebenda S. 24 und 25.

[11] Siehe: Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg: Neues Palais / 1901. Kotau vor dem deutschen Kaiser. Der Grottensaal als Ort einer inszenierten Demütigung. In: Schauplätze der Geschichte.

[12] Siehe: Monique Anker: Die Gelbe Gefahr. In: Britta Schilling, Cornelis van der Bas: The … [wie Anm. 1] S. 32-35.

[13] Siehe zu Goya: Torsten Flüh: Schlaf und Verstand als politisches Problem. Zu Hartmut Böhmes Mosse-Lecture zum Semesterthema Sleep Modes – Über Wachen und Schlafen. In: NIGHT OUT @ BERLIN 17. Januar 2024.

[14] Zur Berliner Missionsbewegung siehe: Vor und nach dem Schlaf. Zu den Mosse-Lectures von Samantha Harvey und Michael Hochgeschwender sowie zur Berliner Missionsbewegung als Erweckung. In: NIGHT OUT @ BERLIN 21. Februar 2024.

[15] Siehe Deutsche Digitale Bibliothek: Porträt des Majors Sigismund von Förster.

[16] Annelore de Kruif: From the Chinese emperor tot he German Kaiser: Chinese Lacquer Panels. In: Britta Schilling, Cornelis van der Bas: The … [wie Anm. 1] S. 40.

[17] Otto E. Ehlers: An indischen Fürstenhöfen. Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894, S. 3. (Digitalisat)

[18] Ebenda S. 3-4.

[19] Britta Schilling: Working towards the Kaiser? In: Britta Schilling, Cornelis van der Bas: The … [wie Anm. 1] S. 54.

[20] Ebenda S. 56.

Im Körperkosmos und im Rausch

Theater – Parkinson – Körper

Im Körperkosmos und im Rausch

Zu Kater der Zukunft als Gastspiel von Mass & Fieber Ost im Theater Discounter

Für den Kater wird der Theaterabend ein Fest. Applaus! Wer ist der Kater? Der Kater ist nicht nur eine männliche Katze, vielmehr hat die Theaterfigur der Schauspieler Hans-Jörg Frey mitentwickelt. Es geht auch um einen Kater als körperliches und mentales Unwohlsein nach einem Rausch. Der Kater spielt, tanzt und singt mit seinen Mitspielerinnen Kali (Nica Heru) und Fox (Antonia Labs) in einer Drei-Generationen-Version Good Day Sunshine von den Beatles. Er hat einen Körper, einen Schauspielerkörper mit einem „Untermieter“ alias „Katerson“ alias Parkinson. Parkinson spielt dem Muskel für Muskel trainierten Schauspielerkörper Streiche. Oder Parkinson wird medikamentiert, damit er Ruhe gibt? Die Zeit des Theaterabends im Theater Discounter in der Klosterstraße 44 wird dem Kater, Kali und Fox mit prominenten Freundinnen wie die Schauspielerin Daniela Ziegler im Publikum zum Freudenfest. 

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Theaterspielen mit Parkinson? Parkinson sitzt im Gehirn des Schauspielers Hans-Jörg Frey, wie die Diagnose sagt. Der lebenslange Menschenverkörperer weiß nicht, wann „Katerson“ was macht. Das ist höchst beunruhigend für einen Menschen mit 72, der es gewohnt war, auf den Brettern, die die Welt bedeuten, zu liefern: Text, Gesten, Gefühle, Unterhaltung. Brigitte Helbling (Text) und Niklaus Helbling (Regie) haben mit Hans-Jörg Frey Parkinson mit seiner tickenden „Parkinsonuhr“ auf die Theaterbühne geholt, wo er sonst nicht vorkommt. Er oder es ist zugleich da im Körper, wird Text, Diagnose und ist nicht da, weil medikamentiert oder mit Stabilität weggespielt. Für den Regisseur Niklaus Helbling wurde seit den 90er Jahren der Körper der Schauspieler*innen immer wichtiger. Kater der Zukunft ist nicht zuletzt ein Stück über das Theater, über Körper und Kontrolle, über Dionysos und Choreographie.

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Kater der Zukunft ist die Silber-Jubiläums-Produktion der schweizerisch-hamburgischen Theatergruppe Mass + Fieber Ost um Niklaus und Brigitte Helbling sowie Antonia Labs. Mit Fall Out Girl von Brigitte Helbling gastierte Mass + Fieber im November 2012 im Ballhaus OST, in der Hauptrolle Antonia Labs. Felix Huber, der die „Katermusik“ gemacht hat, arbeitete bereits an der Musik für Fall Out Girl mit. 2020 wurde die Lecture Performance Die Mondmaschine (Brigitte Hebling) im LIVE TALK als Hauptsache Online #2 beim Festival Hauptsache Frei diskutiert.[1] Mehrdeutig, aber lakonisch geht die Theatergruppe mit dem Kater ihrer „Lust an Fiktionen nach und zieht Bilanz aus 25 Jahre Theaterarbeit“, wie es im Programm heißt.[2] Um welche Fiktionen geht es?

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Das Stück ist ein Schauspielerstück, denn Kater, Kali und Fox sind Schauspieler*innen. Sie helfen einander, sprechen miteinander und denken über das Theater seit Dionysos nach. Den Dionysos, wie er von Euripides im Drama Die Bakkchen hineingeschrieben worden ist, um ihn aus der Geschichte des Dramas hinauszuschreiben, gibt es im Kater. Dionysos gehört zum Theater des Unkalkulierbaren. Mit Dionysos tickt da etwas aus im und mit dem Theater. Es kommt der Rausch. Das Theater macht etwas mit einem. Es hat mit Kater viel gemacht.
„Die schwarzen Tage des Dionysos, natürlich! Das fängt ganz harmlos an. „Es war öd, öd, öd, der Tag war blöd, blöd, blöd…“ Und dann steigert sich alles in den Wahnsinn. Am Ende sind die Söhne zerfleischt und die Töchter geschändet und der Goldfisch japst in der Teekanne. – Dingens, wird Zeit für meine Pillen. Die roten. Wo sind die?“[3] 

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Mit Michel Foucault ließe sich fragen, ob das Unkalkulierbare, das Zittern mit Parkinson, der Kontrollverlust im Gehirn nicht immer schon jene Kraft im Theater war, die ausgegrenzt werden musste. Die Bakkchen zerfleischen ihre Söhne. Da muss ein Riegel vorgeschoben werden.[4] Der fundamentale Rechtsbruch des Kannibalismus, des Zerfleischen-Essens, das über die Körper herfallen, musste reguliert werden. Auch das Inzest-Verbot zwischen Müttern und Söhnen wird in den Bakkchen angespielt. Es ist alles da im Text. Wenn man beispielsweise im Deutschen an das Tätigkeitswort verschlingen denkt. Das Verschlingen muss ein Missgeschick gewesen sein. Man denke beispielsweise an Heinrich von Kleists Penthesileas „Küsse, Bisse.“ – „– So war es ein Versehen. Küsse, Bisse,/Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,/Kann schon das Eine für das Andre greifen.“ – Denn im Theater werden nicht nur die Körper miteinander verschlungen.
„Das war sie irgendwann auch. Anfangs nicht, die Frau war eine Kanone, so high war ich nie wieder. Wir haben uns verschlungen, das Publikum hat uns verschlungen, das Theater hat uns nochmal als Paar besetzt und nochmal und wir waren total elektrisch, bis sie irgendwann in der Psychiatrie landete. Die Psychopharmaka haben’s dann wieder gerichtet.“[5]

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Im Theater geht es mit der Ambiguität ums Verschlingen. Das Publikum will die Menschen auf der Bühne ineinander verschlungen sehen. Im Guten wie im Bösen. Doch zugleich schwingt dabei das Dionysische der Verwechslungen im Verb mit. Plötzlich verschlingt eine/r eine/n Andere/n. Das Theater frisst Körper auf. Ein regelrechter Körperfresser! Und bringt sie hervor. Die Grenze zwischen begeisterndem Theater zum Verschlingen und Psychiatrie ist dünn, sagt Kater. Doch heute lässt sich das Gefährliche der Verschlingungen mit „Psychopharmaka“ wieder einrichten, wie Kater so sagt. Mit großer Leichtigkeit durch Konzentration wird das Schauspielerstück zu einer flotten Tiefenbefragung der Theaterpraktiken. Parkinson agiert wie Dionysos, ließe sich sagen. Auf der Bühne steht ein begeisterndes Trio – Kater, Kali, Fox –, das ändert alles:
„Einander zugewandt müssen die drei schon sein, miteinander zu tun haben wollen, weil sie einander brauchen, weil sie sich mögen. Weil sie zu dritt so viel weiterkommen als allein, im schnellen Wechsel der Konstellationen. Da kommt die Dynamik her, die Beschleunigung, die Euphorie. Die keine Grenzen kennt. Sagt der Regisseur.“[6]

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Es gibt das Theater als Praxis der Schauspieler*innen. Und es gibt Praktiken im Theater, die variieren können, doch in der deutschen Stadttheater-Betriebslandschaft selten variiert werden. Kater kommt aus dem Stadttheater in Deutschland. Stadttheater ist schon anders als Staatstheater oder gar freies Theater wie von Mass + Fieber. Kategorien, Budgets, Mass an Freiheit, Kultur- und Finanzpolitik, gerade in Berlin mit Theater Discounter (TD) und Deutschem Theater (DT). Es geht immer um Trennlinien, um Linien im Theater. Eine Choreographie der Auftritte. Wo verlaufen die Trennlinien? Von der Bühne als gefeierte/r Schauspieler/in in die Psychiatrie? Es gibt sehr berühmte Schauspieler, die früher und heute gar nicht ohne psychiatrische Begleitung spielen können. Was heißt dieser Raumwechsel dann für die gesellschaftlichen Mechanismen nicht zuletzt eines hoch ausdifferenzierten Gesundheitssystems, das allererst von einer Minute auf die andere den Wechsel zwischen Bühne und Psychiatrie, zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Sinn/Sinnlichkeit und Wahnsinn ermöglicht und strukturiert?

© Kerstin Schomburg

Im Körper auf dem Theater lassen sich die Trennlinien nicht so gut aufrechterhalten. Das 9. Szenenbild des Stückes trägt den Titel „Der Körper auf der Bühne“. Der Körper und das Theater als Bühne werden seit der Antike diskutiert. In seinem Theater der Grausamkeit/Théâtre de la cruauté (1938) rückt Antonin Artaud den Körper in ein neuartiges Verhältnis zur Bühne. Doch der Regisseur Niklaus Helbling knüpft mit seiner Inszenierung nicht nur an die Artaudsche Theatertheorie an, gibt mit Indonesien und dem indonesisch anmutenden, aber älteren Brettspiel Hunde- und Schakalspiel als Requisite nicht nur einen Wink auf Artauds balinesisches Theater, vielmehr noch wurde er durch Beobachtungen von Schauspieler*innen, gar Feldstudien zu einem mikrologischen Leser der Schauspielerkörper wie den „Fesseln“ einer Schauspielerin:
„Ich habe Schauspielerinnen und Schauspieler befragt, wie sie ihren Beruf an ihrem Körper erleben und wie sie das, was sie erleben, beschreiben würden. Da ging es um die Entwicklung über die Berufsjahre hinweg, sicher auch um die gängigen Themen wie: Welche Rolle spielen Hierarchie, Übergriffe, und so weiter, aber doch mehr noch: Wie spielst du, welche Rolle spielt dein Körper bei der Reproduktion eines Stücks über viele Aufführungen hinweg, wie stellst du Intimität her mit Partnerinnen, Partnern, usw. Themen, die jetzt auch im Stück ein bisschen vorkommen, ohne dass sie besonders vordergründig sind. Mir gefällt sehr die Idee, dass es eine Art Körperkosmos im Theater gibt.“[7]

© Kerstin Schomburg

Da das Theater über das Körpertheater, den „Körperkosmos“ nicht „vordergründig“ sein darf, weil es dann als Theatertext mit seinen Hakenschlägen, Wortspielen, Vieldeutigkeiten, mit seinem Rhythmus und dem Suspense nicht funktionieren würde, wird im Trio wie in einem Schneeballspiel jeder Ballsatz blitzschnell formuliert, zielgenau geworfen und erwidert.
„KALI
Und die Typen von der Regie? Was macht ihr, wenn die euch anschauen, als wärt ihr die Kirsche auf dem Sahnetörtchen?
KATER
Mich freuen?
FOX
Mit oder ohne Anfassen? Und wenn mit: Auf der Bühne oder bei der Nachbesprechung? Bei der Premierenfeier? Macht er einen auf Verführer? Schickt er dir nachts SMS? Oder spielt er Therapeut? Nutzt er einen Moment der Schwäche aus und umarmt dich zu lang? Und wie ist es mit den Körpern unter Kollegen? Für mich ist es eines der größten Privilegien im Theater, dass man von Kunst wegen Körperkontakt haben darf. Aber sicher ist nichts.
KATER
Die Bühne ist das Gegenteil von einem Safe Space.“[8]

© Kerstin Schomburg

Die Komplexität des „Körperkosmos“ und der Körperpraktiken auf der Bühne hat sich beispielsweise seit der MeToo-Debatte in den letzten 25 und mehr Jahren entschieden verschoben. Die „Typen von der Regie“ vor und auf der Bühne oder vor der Kamera, was noch einmal anders ist, haben immer auch mit ihrer institutionalisierten Macht über die Schauspieler*innen-Körper bestimmt. Die Choreographin Swanhild Kruckelmann hat im Gespräch mit Niklaus und Brigitte Helbling ausführlich über ihre Tänzerinnenausbildung und professionelle Arbeit als Tänzerin gesprochen. Was im Ballett als Inbegriff von Körperlichkeit, Körperschönheit und Körperbeherrschung auf der Bühne präsentiert wird, war für Swanhild Kruckelmann ein ganz anderes Theater der Grausamkeit, des Rausches und der Verletzungen.
„Einen gesunden Umgang mit dem Körper habe ich da nicht gelernt. Das lag auch an den Lehrerinnen, man musste funktionieren, es war ein reines Funktionieren, obwohl, es waren alles Pina Bausch Tänzerinnen, und die waren alle sehr… – natürlich auch Diven. Nicht unbedingt die besten Pädagoginnen, vor allem nicht für mich, die gerade erst angefangen hatte. Und deswegen bin ich da mit sehr vielen Verletzungen durch, wollte mehrmals auch aufgeben, weil ich merkte, ich kann nicht mehr – aber irgendwie war ich immer auch so getrieben. Dann doch. Das war wie ein Rausch.“[9]

© Kerstin Schomburg

Der Rausch am Theater, der Rausch auf der Bühne ist verführerisch, weil er „sehr viele() Verletzungen“ hervorbringt. Doch der Rausch spielt/e gewiss auch für Kater/Frey eine wichtige Rolle, wenn er seine Schwester vorwurfsvoll sagen lässt: „Es war das verdammte Theater!“ Doch Kater antwortet trotzig: „Ich habe es geliebt! Ich habe es gemacht! Ich habe es gewollt!“ Könnte das Theater am Parkinson Schuld sein? Oder andersherum? Das Theater nimmt Parkinson mit und Kater/Frey vergisst ihn und bekommt viel „Sicherheit“ im Spiel. Die Choreographin wechselt in ihrer Erzählung fast in die Sprache einer Physiotherapeutin, wenn sie von den Proben mit Hans-Jörg Frey berichtet:
„Am Beginn der zweiten Probephase hatte ich das Gefühl, dass er anfangs weniger beweglich war, vielleicht sogar leicht verunsichert im Vergleich zum Abschluss der ersten. Aber dann ist in den zwei Wochen wieder wahnsinnig viel passiert. Da war mehr Stabilität. Die war wieder da. Ich weiß auch in der ersten Probephase, da fand ich es erstaunlich, wie schnell er sehr viel Sicherheit bekommen hat. Viel Spiel in den Bewegungen. Das ist noch nicht ganz, aber schon auch wieder da.“[10]  

© Kerstin Schomburg

Wie viel dionysischer Rausch im Spiel steckt, lässt sich schwer sagen. Doch die Choreographin formuliert eine Wahrnehmung von „Stabilität“ und „Sicherheit“, die durch die ärztliche Diagnose Parkinson in Frage gestellt worden war. In der Vorstellung im Theater Discounter wird die Lust am Spiel des Trios derart präsent, dass die blaue, vierfächerige Tablettenbox für „Morgen Mittag Abend Nacht“ als Requisite für Kater fast ein Fremdkörper wird. Braucht er die Tabletten wirklich? Kater der Zukunft ist ganz großes Schauspielertheater mit Hans-Jörg Frey, Nica Heru und Antonia Labs. Schauspieler*innen, die Schauspieler spielen, die ständig an die Grenzen ihrer Schauspielerexistenz stoßen.
„Der eine Satz vom Kater, nach dem Arztbesuch: „Ich spiel den Katerson, aber ich hab den Katerson auch.“ Als Hans-Jörg ihn gestern sagte, war es für mich das erste Mal so, als würde er ihn für sich denken und für den Kater sagen. Der Satz fand statt in dieser Bühnenzeit, und dadurch wurde diese Bühnenzeit nochmal spezieller.“[11]

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KATER DER ZUKUNFT Spiel: Hans-Jörg Frey, Antonia Labs, Nica Heru / Text: Brigitte Helbling / Regie: Niklaus Helbling / Musik: Felix Huber / Choreographie: Swanhild Kruckelmann / Bühnenbild, Kostüme: Georg & Paul / Technik, Licht: Björn Salzer / Artwork: Thomas Rhyner / Video: Philipp Haupt / Regieassistenz: Till Vonderlage / Produktionsleitung: Manuela Wießner

Die Schauspielerexistenz wird in der Überzahl von Ängsten vor prekären Lebensumständen und dem Traum vom Ruhm möglichst gleich auf der Ebene von Taylor Swift begleitet. Ohnmacht und Macht liegen in der Existenz von Schauspieler*innen oft haarscharf nebeneinander. Auf der Suche nach neuen Engagements kommen Kater, Kali und Fox auf ein Luxuskreuzfahrtschiff, eine Yacht auf dem Weg von Bali (!) nach Auckland. Doch sie kommen nicht weit. Während sie auf der mit abgestelltem Motor dümpelnden Yacht „unter dem Zitronenmond“ die Szene von Silvius (Kater) und Phoebe (Fox) aus Shakespeares As you like it/Wie es euch gefällt spielen, wird das Kreuzfahrtschiff von indonesischen Piraten gekapert und eine Lösegeldforderung von „fünfhundert Millionen Dollar“ gestellt. Bei allem Stabilitätstraining erweist sich der Luxus der Kreuzfahrt als schwankend für die Schauspielerexistenz.

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Worin die Macht des Schauspielers Kater genau besteht, der als Schäfer Silvius in einem Kostüm steckt, das mit Blumen, Weinreben und Trauben an den Rauschgott Dionysos erinnert, lässt sich schwer sagen. Ist es die Macht der „Samen“, die er auf das Deck wirft? Ist es die Macht der Worte, die Kali und Fox erzählerisch die Yacht in Bewegung setzen lassen, bis die Piraten fliehen? Es gibt nichts als die Erzählung vom Schiff im Präsens. Die macht Präsenz. Die Szene heißt Dionysos Calling. Die Symbole des Dionysos wie z.B. der Efeu, Hedera helix, der aus den Fugen kriecht, werden diskret genannt:
„Die Piraten gucken blöd, und dann sehen wir es alle. Die Planken verziehen sich, wölben sich, etwas fängt an aus dem Holz zu brechen, Triebe, Äste, Blätter schlagen aus, Efeu kriecht aus den Fugen, Wurzeln sprengen das Deck, überall breiten sich grüne Pflanzenarme aus. Das Schiff ächzt und regt sich –“

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In Dionysos Calling kommt die „Katermusik“ in ihrer Vielschichtigkeit als Soundtrack mit brechendem Holz etc., Trancemusik und Nietzsche-Zitaten zum Zuge. Vielleicht arbeitet der Soundtrack mit am dionysischen Zauber der Erzählung, die mit mythologischen Winks an der Halluzination arbeitet. „Baum auf Schiff – Soundtrack aus Geräuschen (Samenknistern, berstendes Holz), einem ravigen trancigen Track (für die kreisende Ekstase), Stimmaufnahmen mit Nietzsche-Texten zu Dionysos, am Ende Eskalation mit Orchesterclustern“, notiert Felix Huber zu Dionysos Calling. Die Gegenwart des „Boy-God“ Dionysos, wie Wystan Hugh Auden und Chester Kallman mit Hans Werner Henze als Komponisten, den Naturgott nannten[12], wird audio(visuell) erzeugt, weil wir alle dazu aufgerufen werden, was wir sehen sollen:
„KALI
Siehst du den Jüngling mit dem Weinlaub im Haar – siehst Du ihn? Umlagert von Tigern und Luchsen –

FOX
Ich seh ihn!
Den wehrlosen Knaben, dem nicht Fehde behagt,
das Haar mit Myrrhen gesalbt und weibisch bekränzt,“

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Hans-Jörg Frey, Nica Heru und Antonia Labs haben mit Brigitte Helbling und Niklaus Helbling sowie Swanhild Kruckelmann, aber auch mit Felix Huber und George & Paul (Bühne + Kostüme) einen fulminanten Theaterabend erarbeitet. Und was ist mit der Kunst des Betrugs? Das rote Buch des Katers, das von Niklaus Helbling angelegt wurde, spielt auch eine Rolle. Und dann wäre da noch die Frage der Selbstfiktion für die Schauspieler-Existenz. Schwester, Arzt sowie Schäfer Silvius und Schäferin Phoebe mögen Rollen sein. Bei Kater, Kali und Fox wird das schon schwieriger die Rolle des Schauspielers vom Schauspieler abzustreifen. Den Inhalt macht der Prozess mit seinen witzigen Winks.

Torsten Flüh

Mass & Fieber Ost
Kater der Zukunft
Theater, Parkinson und Die Kunst des Betrugs
(Weitere Vorstellungen sind für 2025 geplant.)


[1] Siehe: Torsten Flüh: Dizzy, dizzy, dizzy. Huuuuu! Oder: Das Erbe der Menschheit. Antonia Labs und Johannes Geißer in Brigitte und Niklaus Helblings FALL OUT GIRL (16. November 2012)
und: Unheimlich unheimlich. Zum „bakterielle(n) Live Talk des Mondmaschine-Teams mit … Claudia Reiche“ via zoom. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. April 2020.

[2] Mass + Fieber/OST: Kater der Zukunft. Theater, Parkinson und Die Kunst des Betrugs. Zürich/Hamburg 2014, S.4. (Programmblatt)

[3] Brigitte Helbling: Kater der Zukunft. Theater, Parkinson und Die Kunst des Betrugs. Berlin: Rowohlt, 2024, 8. Szene: Love is a fever.

[4] Zum Queering des Dionysos-Mythos‘ siehe auch: Torsten Flüh: Queering the Classics. Zu Wystan Hugh Audens, Chester Kallmans und Hans Werner Henzes moderner Antiken-Oper The Bassarids in der Komischen Oper. In. NIGHT OUT @ BERLIN 16. November 2019.

[5] Brigitte Helbling: Kater … [wie Anm. 3].

[6] Brigitte Helbling: Das Trio und die Utopie. In: Mass + Fieber/Ost: Kater… [wie Anm. 2] S. 15.

[7] Niklaus Helbling in: Ein Gespräch zwischen Regisseur Niklaus Helbling und Choreografin Swanhild Kruckelmann zum Probenprozess. In: Ebenda S. 7.

[8] Brigitte Helbling: Kater … [wie Anm. 3].

[9] Swanhild Kruckelmann: Ein … [wie Anm.7] S. 8.

[10] Ebenda S. 9.

[11] Niklaus Helbling: Ein … Ebenda S. 13.

[1] Siehe: Torsten Flüh: Unheimlich unheimlich. Zum „bakterielle(n) Live Talk des Mondmaschine-Teams mit … Claudia Reiche“ via zoom. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. April 2020.

[2] Mass + Fieber/OST: Kater der Zukunft. Theater, Parkinson und Die Kunst des Betrugs. Zürich/Hamburg 2014, S.4. (Programmblatt)

[3] Brigitte Helbling: Kater der Zukunft. Theater, Parkinson und Die Kunst des Betrugs. Berlin: Rowohlt, 2024, 8. Szene: Love is a fever.

[4] Zum Queering des Dionysos-Mythos‘ siehe auch: Torsten Flüh: Queering the Classics. Zu Wystan Hugh Audens, Chester Kallmans und Hans Werner Henzes moderner Antiken-Oper The Bassarids in der Komischen Oper. In. NIGHT OUT @ BERLIN 16. November 2019.

[5] Brigitte Helbling: Kater … [wie Anm. 3].

[6] Brigitte Helbling: Das Trio und die Utopie. In: Mass + Fieber/Ost: Kater… [wie Anm. 2] S. 15.

[7] Niklaus Helbling in: Ein Gespräch zwischen Regisseur Niklaus Helbling und Choreografin Swanhild Kruckelmann zum Probenprozess. In: Ebenda S. 7.

[8] Brigitte Helbling: Kater … [wie Anm. 3].

[9] Swanhild Kruckelmann: Ein … [wie Anm.7] S. 8.

[10] Ebenda S. 9.

[11] Niklaus Helbling: Ein … Ebenda S. 13.

[12] Felix Huber: Einige Notizen zur Katermusik. In: Ebenda S. 18 Zu Auden, Kallman und Henze siehe: Torsten Flüh: Queering … [wie Anm.4]

Von der Poesie des Circus‘

Circus – Dokumentarfilm – Artisten

Von der Poesie des Circus‘

Zur Aufführung von Anna Peins und Claudia Reiches offenen C.R.I.C.U.S.F.I.L.M. im Hamburger Metropolis

Am Metropolis bin ich zu meinen Hamburger Zeiten bestimmt hunderte Male vorbeigegangen, weil es von der Dammtorstraße neben der imposanten Fassade der Staatsoper nur einen schmalen Eingang zu einem Hinterhof hatte. Unweit des Gänsemarktes, wo Lessing einst seine Hamburgische Dramaturgie schrieb und heute noch das neorokokoartige Denkmal für den Aufklärer-Dichter von Nathan der Weise (1779) steht, lag und liegt das Kommunale Kino der Hansestadt zentral. Das Metropolis als Kinosaal, früher unter dem Namen Filmtheater Dammtor aus den 50er Jahren, ging 1979 aus der Initiative einiger Filmemacher und Filmenthusiasten um Heiner Roß als Kommunales Kino hervor. Der Kinosaal im Untergeschoss wurde von der Initiative detaillegetreu in die 50er Jahre renoviert und neue Filmvorführgeräte wurden angeschafft.

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Martin Aust, Geschäftsführer und Programmverantwortlicher des Metropolis, stellte am 9. November persönlich den C.R.I.C.U.S.F.I.L.M. von Anna Pein und Claudia Reiche als ein einzigartiges und poetisches Filmdokument von 1988 vor. Im Film kommen eine Vielzahl von Fragen zum Medium als Dokument wie z.B. das historische Filmmaterial von VHS-Kameras, Schwarzweiß-Film-Fotografie und Tonspur zusammen. Doch die jungen Hamburger Filmstudentinnen stürzten sich furchtlos in das Abenteuer, den Circus Royal mit seinem Direktor Ewald Sperlich in seinem Winterlager aufzusuchen. Circus im Winterlager war das Gegenteil von Zirkus im Fernsehen mit Prominenten. Fasziniert und mit der Kamera forschend passierte den Filmerinnen eine Verwandlung, fortan wurde „Circus“ für sie zu einer Chiffre, die sie freundschaftlich teilten, aber weder erzählen noch zeigen wollten, wie Claudia Reiche in Erinnerung an Anna Pein zur Einführung mitteilte.

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Circus mit C haben Anna Pein[1] und Claudia Reiche als Schreibweise gewählt, weil das C die Form einer Manege hat, wenn man auf sie von oben blickt. Das C statt Z erinnert an den Blick der Artist*innen in der Zeltkuppel auf die Manege. Auf ihre Weise werden die Filmemacherinnen zu Artist*innen mit dem Medium VHS-Film. Im Unterschied zu Smartphone-Clips möglichst noch im LIVE-Modus auf TicToc oder Instagram etc. waren die Kameras und Videofilmkassetten Ende der 80er Jahre eine praktische Herausforderung. Zirkusfilme, Zirkusfilmserien und Zirkusshows zur Weihnachtszeit gaben die Formate für Erzählungen und Bilder vom Zirkus vor. Prägend war in Deutschland das Versprechen Menschen-Tiere-Sensation, das sich seit dem gleichnamigen Spielfilm von und mit Harry Piel aus dem Jahr 1938 ableitete. Bis 1997 fand in der Berliner Deutschlandhalle alljährlich eine Zirkusshow mit dem gleichen Titel statt. Seit 1999 läuft die „Circusschau“ als „M-T-S“ im Dezember als „Weihnachtscircus“ im Circus Berolina.[2]      

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Im visuell-narrativen Gedächtnis vom Zirkus der Bundesrepublik Deutschland wirkte in den 80er Jahren die Fernsehserie Salto Mortale – Die Geschichte einer Artistenfamilie von 1969 bis 1972 in der ARD nach.[3] Die griffige Titelformel Menschen-Tiere-Sensationen zerschellt am C.I.R.C.U.S.F.I.L.M. der jungen Filmemacherinnen schon deshalb, weil die Sensationen visuell anders vermittelt werden. Die Menschen und Tiere werden ganz abgesehen vom matschigen Zeltplatz anders ins Bild gerückt. Das Netz der Circus-Familie wird nicht als dramatische Geschichte einer durch die Großstädte Europas von Hamburg bis Wien reisenden Artistenfamilie erzählt, vielmehr wird die nomadische Existenz des Circus‘ thematisiert. Der kleine Circus Royal zieht umher, nicht um an einem Ort anzukommen, vielmehr wird das Winterlager nur eine längere Unterbrechung seiner Bewegung im Raum.

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Die Visualisierungen vom Zirkus in seiner Existenz sind obwohl typisierend ambivalent. Die Figur des Clowns als Visualisierung des Zirkus‘ auf Plakaten ist selbst bei Berolinas M-T-S als ein Versprechen auf Spaß unerlässlich. Zugleich beherrscht die Figur des Clowns und des Zirkus‘ aktuell die Karikaturen zur Wiederwahl Donald Trumps als Präsidenten der USA und seines designierten Kabinetts.[4] Als ob es darum ginge, das Bild des Zirkus‘ und des führenden Clowns zu bestätigen, besuchte der gewählte Präsident eine zirkushafte Kampfsportveranstaltung im Madison Square Garden, um danach Fastfood im Privatjet zu verschlingen.[5] Mehr Zirkus-Klischee, als eine Wrestling-Show-Unternehmerin zur Bildungsministerin zu machen, geht eigentlich gar nicht, selbst wenn es Verbrecher als Tarnung benutzen. Das gerade wiederkehrende Bild vom Zirkus in Form der Wrestling-Show in den Mainstream-Medien gibt einen Wink auf die Abgründe des Zirkus-Narrativs bis hin zur Figur des Jokers in den Batman-Comics und -Filmen oder gar in Horrorfilmen wie Es (1990), Clown (2014) oder Terrifier III (2024).

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Die Figur des Artisten in der Circus-Kuppel erhält bei Anna Pein und Claudia Reiche eine überraschende filmische Umsetzung. Der geheimnisvollen Verwandlung der Royal-Familie um Ewald Sperlich und Nicki Heilig von Menschen im Winterlager in Artisten in der Circus-Kuppel ließe sich als das Hauptthema des Films formulieren. Denn sie lässt sich in ihrer Faszination nur mit den visuellen Konventionen von Spiel-, Fernsehfilm oder Fernsehzirkus verraten. Im Film und in der medial-gesellschaftlichen Wahrnehmung wendet Reiche im Schnitt ein geradezu artistisches Verfahren an. Sie nimmt ein Foto vom Artisten in der Circus-Kuppel und dreht das Foto wie einen, sagen wir, Salto mortale. Mit diesem Verfahren wird die vorherrschende Sichtbarkeit in den Medien durchbrochen. Mit Jacques Rancières Aisthesis, in dem es ihm mit „14 Szenen“ oder „Scènes du régime esthétique de l’art“[6] um gesellschaftliche Umbrüche durch ästhetische Inventionen geht, gesagt, wird das artistische Foto zum gesellschaftlichen Augenblick: der Dreh respektiert das Faszinosum gegen dessen visuelle Ausbeutung. – Der Clown ist im C.I.R.C.U.S.F.I.L.M. keine Hauptfigur. Sie erscheint eher an den Rändern.  

© Claudia Reiche

Die ambige Figur des Clowns hat heutzutage die der Artisten oder „Stuntman Clowns“ verdrängt.[7] Die visuelle Verschiebung des Zirkus generiert sich an Rancière andockend aus ästhetischen Praktiken. Ein poetischer Artist, der in der Zirkuskuppel unter Einsatz seines Lebens – Salto mortale – Gesetze der Schwerkraft neu praktiziert, um sie mit Geschick außer Kraft zu setzen, ist Donald Trump nie gewesen. In der Figur des Clowns mit den Täuschungs- und Betrugspraktiken der Wrestling-Show und -Scripts, wohl auch bestimmter Kampfsportveranstaltungen als populäres Narrativ, entscheiden heute Wrestling-Managerinnen, Machtkalkül und Manipulationen statt ein poetischer Aufschwung. In der französischen Netflix-Serie Der Käfig (La Cage) wird derzeit die Karriere des jungen Mixed Martial Arts-Kämpfers Taylor (Melvin Boomer) als Erfolgsgeschichte zum Profisportler erzählt. Er kämpft sich gegen Widerstände z.B. von bösen, clownartigen Figuren durch, während im Madison Square Garden für Trump und Musk das abgekartete Spiel von vornherein entschieden war. Die Figur des Clowns legitimiert Rechtsbrüche, die 1988 noch undenkbar waren.

© Claudia Reiche

Jeder mediale Wechsel beispielsweise zu VHS und deren Handhabung in einem Misslingen generiert eine „ästhetische Revolution“, die eine „gesellschaftliche Revolution“ nach sich zieht. Nach Rancière habe die gesellschaftliche Revolution die ästhetische „nur verleugnen können, indem sie den strategischen Willen, der seine Welt verloren hatte, in eine Polizei der Ausnahme verwandelte“.[8] Die Ästhetik des Tramp im Amerikanischen bzw. Charlot im Französischen ist der des Clowns verwandt und wird durch ihre Handlungen in The Circus (1928) wie an der Maschine in Modern Times (1936) zu einer gesellschaftlichen Revolution. In Charlie Chaplins Figur des „Charlot“, eines komischen Vogels, kommen Maschine und Misserfolg zusammen:
„Die Maschine bewirkt Kunst, sofern ihre Erfolge und die ihrer Benutzer ebenso auch Misserfolge sind und ihre Funktionalität sich ständig gegen sie selbst wendet. Auf den Zeichnungen, die Warwara Stepanowa für die Sonderausgabe der Zeitschrift Kino-fot anfertigt, verwandelt sich ein ungeschickter Charlot, der auf den Rücken fällt, in eine Flugzeugschraube und schließlich in einen Mechaniker. Der Text von Alexander Rodtschenko, dem Ehemann der Zeichnerin, erhebt den Clown mit den Automatengesten in den Rang der Helden der neuen mechanischen Welt, zwischen Lenin und Edison.“[9]

© Claudia Reiche

Die Maschine in Form der VHS-Kamera bewirkt im C.I.R.C.U.S.F.I.L.M. eine poetische Kunst des sichtbar Unsichtbaren zwischen den Bildern. Anna Pein und Claudia Reiche forschten mit den Kameras der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg[10] nach den Rändern dessen, was im Zirkusnarrativ und den visuellen Medien nicht vorkam und -kommt. Sie führten Interviews mit der Royal-Familie, fragten, wie nomadisch lebende Zirkuskinder in die Schule gehen, wenn sie nur für ein oder zwei Wochen an einem Ort bleiben. Sie ließen die Mitglieder der Familie wie Nicki Heilig immer wieder einzeln vor dem Circus-Zelt agieren. Zu sehen sind die Artist*innen, wie sie in ihren Kostümen durch einen Schlitz im Zelt verschwinden. Der Circus in der Manege wird ausgespart, was einerseits mit den Kameras und der sich gegen ihre Funktionalität wendende Bild- und Ton-Qualität zu tun hatte, andererseits soziale Geflecht aus Körperdarstellung, erotischen Versprechen, Kunststücken, Tieren wie dem Elefanten und den Circus-Kindern etc. bedachte. Jenseits der Sensationen ist der nomadische Circus bis heute harte, schlecht bezahlte Arbeit an den Rändern der Gesellschaft.

© Claudia Reiche

Filme entstehen nicht aus der Bewegung der Bilder, vielmehr durch Schnitte. Der Schnitt wird von den meisten Betrachter*innen nicht gesehen. Er entscheidet alles. Claudia Reiche hat wiederholt und lange am Schnitt ihres Films gearbeitet. Wie den Film vom Circus schneiden? Aus dem Bildmaterial mit seinen Mängeln entsteht durch die aufeinanderfolgenden Schnitte eine Syntax. Jeder Schnitt eine Entscheidung, was folgen soll. Heute gibt es digitale Schnittprogramme. 1988 war der Schnitt im VHS-Format auch eine Frage des Verlusts. Jederzeit konnte sich die Funktionalität des Formats gegen den Wunsch nach dem Film wenden. Andererseits erlaubte das Format VHS allererst die kostengünstige Produktion von viel Bildmaterial, um es danach zu schneiden. Das Dilemma von Bildmaterial und Schnitt, auch der Rhythmus der Schnitte war eine Herausforderung die jungen Filmemacherinnen. Die Antwort eines Passanten, dass er Zirkus nur im Fernsehen sehe, wird auf das Winterlager geschnitten.

© Claudia Reiche

Es ließen sich die Schnitte des C.I.R.C.U.S.F.I.L.M. in ihrer visuellen Vielfalt und Schnitt-Rhetorik genauer analysieren. Denn mit ihnen kommen all jene Fragen wie Tiere im Zirkus zum Zuge, die zwischenzeitlich in größeren Debatten verhandelt worden sind. Ist der Zirkus tiergerecht? Wie müssen Tiere im Zirkus gehalten werden? Im Winterlager 1988 sind die Menschen und Tiere keine Sensationen, sondern krank. Nicht zuletzt beschäftigte die Frage der Herkunft der Zirkusmenschen die Filmemacher*innen. Einerseits wurden sie sehr offen als Begleiterinnen aufgenommen, andererseits gehörten sie nicht zur Royal-Familie. Die deutschen Namen Sperlich und Heilig verraten wenig über die Herkunft. Doch der nomadische Circus war immer auch eine Existenzform für Roma in Deutschland. Wie viel sollte im Film von der Herkunft sichtbar werden? In der Diskussion mit dem Publikum nach der Vorführung kam punktgenau die Frage der Herkunft zur Sprache. Die nomadische Circus-Existenz wird selbst im Kommunalen Kino Metropolis 2024 noch in ethnischen Abgrenzungen zu fassen begehrt!  

© (Claudia Reiche)

Auf der Schwelle zur in den 80er Jahren diskutierten Digitalisierung der Bildmedien bot das analoge VHS-Format erste erweiterte Möglichkeiten. Das Video Home System (VHS) war ein analoges Aufzeichnungsverfahren auf Magnetbändern in Kassetten von unterschiedlicher Länge bis zu 10 Stunden. Einerseits waren VHS-Kameras bzw. der Camcorder seit 1976 eine erhebliche Popularisierung des Filmens, weil sie günstiger als Schmalfilmkameras mit kurzen Filmrollen waren und mit dem Namen Video ein neues Sehen für jeden versprach. Mit der Tonspur waren sie eine erhebliche Weiterentwicklung zum Schmalfilm. Andererseits war das Schneiden der Magnetbänder war aufwendig. Das große Versprechen von VHS vom Leben, vom Urlaub, von der Familienfeier, vom Zirkus endlich einen Tonfilm machen zu können, stieß bestimmt hunderte Millionenfach an seine Grenzen. Pein und Reiche machten daraus Poesie.

© Claudia Reiche

Zusätzlich zum VHS-Videomaterial fotografierte Claudia Reiche mit einer Spiegelreflexkamera in analogem Schwarz-Weiß-Film den Circus und die Circusmenschen. Einen New Circus gab es noch nicht einmal in Ansätzen.[11] Im Unterschied zu der filmischen Fotosequenzen mit Nicki Heilig, der nicht nur eine Pistole ausprobiert und schließlich der Elefantenrüssel ins Bild drängt, sind die VHS-Materialien unscharf und stark verblasst über die Jahre. VHS hatte eine mangelhaftes Farbspektrum, das sich durch Streifen und andere Bildstörungen zwischenzeitlich fast aufgelöst hat. Dennoch gibt es den einzigartigen C.I.R.C.U.S.F.I.L.M., der mit seiner Frage der Sichtbarkeit nicht nur den Film vom Zirkus revolutioniert hat, vielmehr eine gesellschaftliche Revolution in der Sichtbarkeit von Circus mit eingeleitet hat.

© Claudia Reiche

Torsten Flüh

C.I.R.C.U.S.F.I.L.M.
D 1988, 42 min
Regie, Kamera, Ton, Schnitt: Anna Pein, Claudia Reiche
mit: Circus Royal (Direktor: Ewald Sperlich), Verwandten, Gästen, Mitreisenden


[1] Zu Anna Pein siehe auch: Torsten Flüh: „Im Moment höre ich Hörfunk…“ Zu Anna Peins Hörspiel Liebesbriefe ans Personal (2013) bei der Hans Flesch Gesellschaft im La bohème. In: NIGHT OUT @ BERLIN 27. Juni 2024.

[2] Menschen-Tiere-Sensation: M-T-S.

[3] Wikipedia: Salto Mortale (Fernsehserie).

[4] Beispielsweise: Süddeutsche Zeitung: „Clown“: Robert De Niro kritisiert erneut Trump. 29. Mai 2024, 10:18 Uhr.
Claudia Reiche hat 2017 für CulturMag als Reaktion auf Trumps 1. Präsidentschaft einen Text zum Clown geschrieben: Claudia Reiche: FUNNYSORRYANGRYANONYMOUS. Clowns Variante eines Manifests. CulturMag 2. April 2017.

[5] Deutschlandfunk: Trump und Musk bei Kampfsport-Spektakel in New York. 18.11.2024.

[6] Jacques Rancière: Aisthesis. 14 Szenen. Wien: Passagen, 2013.

[7] Ebenda S. 113.

[8] Ebenda S. 21.

[9] Ebenda S. 257.

[10] Siehe auch: Torsten Flüh: »ça a été« Zur Tagung Lesen und Schreiben. Figuren des Kleinen zu Ehren von Prof. Dr. Marianne Schuller in der HFBK, Hamburg. In: NIGHT OUT @ BERLIN 12. August 2024.

[11] Zum New Circus vor allem ohne Tiere siehe z.B.: Torsten Flüh: Verliebt ins Display. Zur gefeierten New Circus Show The Mirror im Chamäleon Theater. In: NIGHT OUT @ BERLIN 30. September 2023.