Kombinationen, Transformationen und Intelligenzen – Eine Nachbetrachtung zur Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance

Mantegna – Goethe – Bellini

Kombinationen, Transformationen und Intelligenzen

Eine Nachbetrachtung zur Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance

Dem Höhepunkt der afrikanischen Hitzewelle am Sonntag, den 30. Juni 2019, verdankt der Berichterstatter, dass er dann doch noch die Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance in der Gemäldegalerie besuchte. Noch einmal Renaissance? Nach den großen Ausstellungen Gesichter der Renaissance im Sommer 2011 im Bode-Museum[1] und der nicht minder bedeutenden Ausstellung The Botticelli Renaissance im Herbst 2015[2], war das Thema fast erschöpft, dachte er. Doch „Renaissance“ ist seit dem 19. Jahrhundert ein Lable, das Besucherströme generiert. Und die Gemäldesammlung der Staatlichen Museen Berlin weist einen ebenso reichen wie ausgewählten Bestand für die Renaissance auf. Sie galt seit dem 19. Jahrhundert als bevorzugtes Sammlungsgebiet. Deshalb setzen die aktuellen Renaissance-Ausstellungen Maßstäbe an Komplexität und innovativen Forschungsansätzen.

Die Renaissance wird landläufig mit einem Wissensumbruch vom Mittelalter zur frühen Neuzeit verknüpft. So wird von Johann Wolfgang Goethe Julius Caesars Triumphzug, gemacht von Mantegna 1823 in Über Kunst und Altertum als Wissen von der Antike des Renaissancemalers gelesen und beschrieben. Eine besondere Funktion nehmen für die Beschreibung „schöne“ oder „tüchtig gestalte(te)“ „Jüngling(e)“ ein.[3] Gleichzeitig erhalten die Gesichter in den Gemälden von Andrea Mantegna und Giovanni Bellini neuartige Züge an. In der vergangenen Ausstellung wird schließlich auf Bildelemente hingewiesen, die die verschwägerten Maler austauschen, anders kombinieren und transformieren. Vom Genie der Bildfindung oder gar Abbildung verschiebt sich nun das Augenmerk auf einen Transfer im Malprozess. Die Bilder sind insofern nicht nur mit einem Wissen von den Körpern der Antike ausgestattet, vielmehr zirkuliert das Wissen beider Maler durch die Bilder und über deren Ränder hinaus.

Welche Effekte generiert das Wissen der Antike in der Renaissance? Wie wird es dargestellt und beschrieben? Und wie wird es aktuell auf der Website www.mantegnabellini.de digital graphisch und netztechnisch aufbereitet? Worin unterscheiden sich Goethes Mantegna Faszination und das Webdesign? Die Ausstellung ist beendet. Aber die Website bleibt offenbar erhalten. Wie der Name der Website andeutet, werden Mantegna und Bellini nicht als „Einzelgenies“ betrachtet. Vielmehr werden ihre Werke auf einander bezogen und durch das „Spiel“ Erkenne den Meister miteinander verglichen. Noch stärker wir die Zirkulation der Bildelemente im „Spiel“ Same Same but different, „Finde die Unterschiede“, herausgearbeitet. Als Beispiele werden neben Caesars Triumph religiös-christliche Bildthemen wie Mantegnas Der Evangelist Markus oder Bellinis Pietà vorgestellt. Doch auch dafür wird ein Wissen der antiken Skulpturen in Anschlag gebracht.

„Mantegna kam schon in jungen Jahren zu seinem Ziehvater Francesco Squarcione in die Malerwerkstatt in Padua. In der oberitalienischen Stadt lernte er nicht nur Werke zeitgenössischer Künstler wie beispielsweise Donatello kennen, sondern erhielt auch Einblick in die antike Kunst, denn Squarcione besaß eine große Sammlung antiker Abgüsse…“[4]

Das Wissen des Bildes wird animiert dargestellt, indem sich beim Anklicken mit der rechten Maustaste eines Bildausschnitts oder eines Details ein Fenster mit einer Beschreibung öffnet, als verberge sich gleichsam im Bild das Wissen. Mit dem digitalen Zeiger können die Bildbereiche angesteuert und angeklickt werden, die sich unterscheiden. So erhält die Spieler*in beispielsweise die Antwort: „Bellini hat Mantegnas Version kopiert, die Szene allerdings um zwei Personen erweitert. Die fordernde aus dem Bild schauende Person ist Bellini selbst. Mantegna hat sich ebenfalls ganz rechts mit einem Selbstporträt im Bild festgehalten.“ Und man darf ergänzen, dass der Blick von Mantegnas Selfie auf die Christus-Darstellung ausgerichtet ist. Mantegna will Christus sehen, während Bellini als Maler gesehen werden will.

Das Bildwissen wird nach dem Spielkommentar von Bellini kopiert und transformiert. Dabei ist die Datierung relativ unsicher, so dass sich nicht mit Bestimmtheit sagen lässt, wer wen kopiert und transformiert hat. Mantegna hätte auch Bellini kopiert haben können. Die Kunsthistoriker gehen hier von einer Zeitfolge aus, in der beispielsweise „(d)ie fordernde aus dem Bild schauende Person“ als Weiterentwicklung des Selbstporträts eines Malers interpretiert wird. Der Blick aus dem Bild wird als moderner gesetzt, während der Blick auf den Christus als Anteilnahme an der religiösen Handlung gedeutet werden kann. Man könnte sagen, dass das Bild erst im Vergleich intelligent wird. Das animierte Bildwissen wird konzeptuell im digitalisierten Bild lesbar, obwohl wir nicht wissen, in welcher Reihenfolge sie gemalt worden sind. Allerdings lassen sich Kopie bzw. Transfer und Transformation als Modi der Bildgenese bestätigen.

Die Kopie als Wissenstechnik wird gemeinhin unterschätzt oder gar inkriminiert. Doch die Maler der Renaissance behielten sie nicht zuletzt als maßgebliche Verbreitungstechnik religiöser Texte und Bilder im Mittelalter bei. Die Kopie wird heute gerade als Mangel an Wissensverarbeitung bzw. Intelligenz oder gar als Betrug gesehen. Doch in den Malerwerkstätten der Renaissance gehört die Kopie zur genuinen Malpraxis. Beispielsweise werden in der Renaissance Sammlungen aus Kopien von antiken Skulpturen angelegt, um das antike Wissen vom Körper und seiner Darstellung zu verbreiten. Die Kopie gehört zum Wissenstransfer, während sie gleichzeitig an Eigenleistungen kratzt. So beschreibt und diskutiert denn auch Goethe Caesars Triumph als einen künstlerischen Konflikt des Malers Andrea Mantegna.

Andrea Mantegna: Abstieg Christi in die Vorhölle (um 1480/85)
(Narr als Profil im Bild)

Die Renaissancemaler und -künstler werden seit dem 19. Jahrhundert nicht nur als Wiederentdecker beispielsweise antiker Schriften und Wissensbereiche wie dem über die Körperdarstellung beschrieben, vielmehr wird ihnen ein Genie oder gar ein „Universalgenie“ zuerkannt. Sabine Kern verknüpft auf dem wissenschaftlich-journalistischen ARD-Portal planet wissen das „Universalgenie“ mit einer „weit überdurchschnittliche(n) Intelligenz“.[5] Für den Intelligenz-Begriff ist diese Engführung aufschlussreich. Denn als Beispiele gelten Kern der antike Archimedes, der Renaissance-Künstler Leonardo da Vinci und Johann Wolfgang Goethe neben Leibniz und Alexander von Humboldt. Diese Genealogie der „Universalgenies“, die auf gleich mehreren Wissensgebieten die Fachforschung angeregt und befördert haben, reproduziert einen Wissens- und Intelligenz-Begriff des 19. Jahrhunderts, der beispielsweise bei Alexander von Humboldt nach Ottmar Ette, der von einer Humboldtschen Wissenschaft bzw. Humboldtian Science spricht, als widerlegt gelten darf.[6]     

Narr rechts oben im Torbogen.

Bemerkenswert an Kerns Benennung der Wissensbereiche, in denen Goethe erfolgreich und anregend war, ist, dass die Altertumswissenschaft, im Englischen Classics, nicht genannt wird. Deshalb kann es erhellend sein, Goethes Betrachtung von Mantegnas Bildzyklus „Julius Caesars Triumphzug“ ausführlicher zu zitieren und zu befragen. Goethe beschreibt und bewertet Mantegnas Bildzyklus nach dem, was er von der Antike weiß. Die Antike wird in Goethes Beschreibung über die Kontroverse, dass Mantegnas Arbeiten „nichts Lebendiges hervorbringen“ zum Garanten von „Natur“ und Lebendigkeit. Denn:

„Der edle Künstler, …, ergrimmt und fühlt recht gut, daß ihm eben vom Standpunct der Antike, die Natur nur desto natürlicher, seinem Kunstblick verständlicher geworden, er fühlt sich ihr gewachsen und wagt auch auf dieser Woge zu schwimmen.“[7]

Was heißt Natur? Goethes Verschränkung von Antike und „Natur“ ist bemerkenswert. Denn die Natur hat ihren Ursprung im „Standpunct der Antike“ und nicht etwa in einer äußerlichen Evidenz. Die Natur zeigt sich in den antiken Plastiken, die durchaus formalisiert sind. Die „Natur“ wird nach Goethes Formulierung „nur desto natürlicher“, als sie Mantegnas „Kunstblick verständlicher geworden“ ist. Das heißt auch, dass der „Kunstblick“ als Wissen allererst die „Natur“ hervorbringt. Doch Goethes Einführung zur Besprechung der neun Einzelbilder vom Triumphzug bringt mit den „Geliebten“ einen weiteren Aspekt der Antike ins Spiel. Denn die Malerei bringt im Folgesatz syntaktisch verschachtelt eine Art natürliche Liebe ins Spiel:

„Von dem Augenblick an ziert er seine Gemählde mit den Ebenbildnissen vieler Mitbürger, und indem er das gereifte Alter im individuellen Freund, die köstliche Jugend in seinen Geliebten verewigt und so den edelsten würdigsten Menschen das erfreulichste Denkmal setzt, so verschmäht er nicht auch seltsam ausgezeichnete, allgemein bekannte, wunderlich gebildete, ja, den letzten Gegensatz, Mißgebildete darzustellen.“[8]    

„Sodann sieht man von tüchtigen Jünglingen getragen jede Art von Schätzen: …“

Goethes Triumphzug Caesars wird zu einer Antikenerzählung, die verschachtelt und elastisch mehr formuliert, als nur das Augenfällige. Es geht nämlich auch um ein generationelles Modell von Liebe und Gesellschaft, wenn er schreibt, dass „das gereifte Alter im individuellen Freund, die köstliche Jugend in seinen Geliebten verewigt“ werde. Syntagmatisch geht es um den „individuellen“ Männerfreund und den „Geliebten“ des Malers, der ein jugendlicher und sozusagen noch nicht „individuell“ ist. So sind es denn die Jünglinge, die in den Beschreibungen eine besondere Erwähnung finden, doch gleichzeitig nur ein Ausstattungselement des gesellschaftlich durchorganisierten Triumphzuges sind. Ein Vorbild für dieses antike Sujet entzieht sich der Kunstgeschichte. Insofern wird die zyklische Darstellung zu einer Bildfindung durch literarische Texten kombiniert mit den antiken Abgüssen und transformiert in die Malerei. Was Goethe sieht und beschreibt, verdankt sich einer gewissen Intertextualität, die sich kaum verifizieren lässt.

„Das Studium der Antike gibt die Gestalt, sodann aber die Natur Gewandtheit und letztes Leben.

Dieses Doppelleben also, welches Mantegna’s Werke eigenthümlich auszeichnet und wovon noch viel zu sagen wäre, manifestiert sich besonders in seinem Triumphzuge Caesars, wo er alles was ein großes Talent vermochte in höchster Fülle vorüber führt.“[9]   

Auf diese Weise wird Goethes Bildbeschreibung zu einer kunsttheoretischen Erörterung aus den Quellen der Antike. Einerseits ermöglicht die Antikenlektüre überhaupt die Darstellung von Natur, andererseits wird sie durch die Natur als „Gewandtheit und letztes Leben“ ergänzt. Durch die Natur wird die Antike lebendig oder animiert. Gleichwohl imaginiert sich Goethe als Betrachter dieser Doppelnatur, die ihn, man müsste wohl sagen, affiziert. Sie führt ein Wissen vor, das sich zugleich kaum vom Betrachter abgrenzen lässt. So wird denn zum 5. Bild eine „leicht(e)“ Bewegung formuliert.

„Vier Elephanten, der vordere völlig sichtbar, die drey andern perspectivisch weichend; Blumen und Fruchtkörbe auf den Häuptern, kranzartig. Auf ihrem Rücken hohe flammende Candelaber; schöne Jünglinge leicht bewegt aufreichend, wohlriechendes Holz in die Flammen zu legen, andere die Elephanten leitend, andere anders beschäftigt.“[10]

„Ein junger, wohlbehaglicher, hübscher Jüngling, in langer, fast weiblicher Kleidung, singt zur Leyer, …“

Die Jünglinge in den Bildern und ihre Funktionen im Triumphzug sind nicht einfach auf den Bildern präsent. Sie müssen auch gesehen werden. Im 8. Bild sieht Goethe einen „wohlbehagliche(n), hübsche(n) Jüngling, in langer, fast weiblicher Kleidung“. Er „singt zur Leyer, und scheint dabei zu springen und zu gestikulieren“. Die Funktion dieses „fast weiblich()“ gekleideten Jünglings, erklärt Goethe umstandslos, war es „neckische Lider zu singen, die überwundenen Gefangenen frevelhaft zu verspotten“.[11] Und im finalen 9. Bild „erscheint auch, auf einem übermäßig, obgleich mit großem Sinn und Geschmack verzierten Wagen, Julius Caesar selbst, dem ein tüchtig gestalteter Jüngling auf einer Art Standarte das Veni Vidi Vici entgegenhält“.[12] Daniel Wilson hat in seiner umfangreichen Studie Goethe Männer Knaben – Ansichten zur >Homosexualität< 2012 die Bildbeschreibung nicht erwähnt.[13] Allerdings weist er daraufhin, dass Goethe Friedrich II. „einmal in den Römischen Elegien in einem eindeutig >heterosexuellen< Kontext erwähnt“ und Julius Caesar ein „ähnlich beschuldigte(r)“ gewesen sei.[14] Die „Gerüchte“ können allerdings nicht zuletzt hinsichtlich Friedrich II. im Zusammenhang mit Johann Joachim Winckelmann in der neueren Forschung als belegt gelten.[15]  

Goethes Triumphzug-Beschreibung zeichnet sich durch eine gewisse literarische Elastizität aus, die verschiedene Lektüren erlaubt. Der Triumphzug wird von ihm als eine Art antike Soziologie gelesen. Wie stehen welche Bildelemente im Verhältnis zu einander? Wie werden welche Elemente auf den Herrscher und „Halbgott“ ausgerichtet? Sollte es ein sprachlicher Lapsus sein, dass der „tüchtig gestaltete() Jüngling auf einer Art Standarte (Julius Caesar selbst) das Veni Vidi Vici entgegenhält“? Das „Veni Vidi Vici“ wird nicht ihm, sondern dem Betrachterleser entgegengehalten. Mit dem Entgegenhalten wird Caesar zum Leser und der Jüngling bietet sich ihm als Besiegtem dar. Als elastische, mehrdeutige Formulierung wird eine erotische Geste draus. Diese allerdings entspricht laut Wilson den Antike-Lektüren Johann Wolfgang Goethes.

„Goethe und seine Zeitgenossen dürften sich also kaum über solche bartlosen, ansonsten aber sexuell entwickelten Jünglinge gewundert haben, die man in Griechenland epheboi (>Epheben<) nannte. Sie konnten zwischen 16 und 20 Jahre alt sein, im Allgemeinen waren sie 18 oder 19. Sie waren in Athen die begehrtesten Sexualobjekte: schon >legal< (wenn sie mindestens 18 waren), aber noch glatt.“[16]    

„Julius Caesar selbst, dem ein tüchtig gestalteter Jüngling auf einer Art Standarte das Veni Vidi Vici entgegenhält …“

Die Renaissance-Jünglinge sind nicht nur „schön“, „wohlbehaglich“, „hübsch“ und „tüchtig gestaltet“. Sie werden vielmehr im Triumphzug, der in Bild 7 von Familien – „die eigentlichen Staaten, die uralten edlen Familien, die tüchtigen Rathsherren, die behäbigen, fruchtbar sich fortpflanzenden Bürger führt man im Triumph auf“[17] – begleitet wird, als athenische „Sexualobjekte“ wahrgenommen. Wie Wilson ausführlich erörtert, gehört das Wissen von der Antike zu einem weit verbreiteten Literaturwissen, das die gesellschaftlich-ästhetische Funktion der „Jünglinge“ nicht nur mit dem Bild 7 von der „Familie“ unterscheidet, sondern auch Machtverhältnisse regelt und überträgt.

„In diesen Beziehungen war demnach Macht im Spiel: Nicht gegenseitige Liebe zwischen Gleichen begründete sie, sondern die Eroberung eines Niederrangigen durch einen Höherrangigen, also einen erwachsenen Bürger. Dabei sollte dem Geliebten die Unterordnung allerdings erleichtert werden. In Ovids berühmten Worten bereitete die Knabenliebe nur dem Eindringenden Lust. Um dem Geliebten mögliches Unbehagen beim Analverkehr oder das Gefühl der Demütigung zu ersparen, bevorzugten die Griechen daher den sogenannten Schenkelverkehr, bei dem der Liebhaber seinen Penis von vorne zwischen die geschlossenen Beine des Geliebten schob.“[18]

Goethe betrachtete den Bildzyklus als Chiaroscuro-Holzschnitte, die Andrea Andreani im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Mantua anfertigte. Er leitet seine Bildbetrachtung von Mantegnas Triumphzug des Julius Caesar durchaus intim ein, wenn er sie vor sich ausbreitet – „Wir legen sie vor uns und beschreiben sie der Reihe nach.“. Goethe befindet sich also nicht in einer Gemäldegalerie vor den großformatigen Gemälden, die auch Ehrfurcht gebieten und die sich seit 1629 in Hampton Court bei London im Besitz Ihrer Majestät Königin Elisabeth II. befinden. In der Renaissance wird insofern vor allem die Antike und das Wissen von ihr für Goethe lebendig. Nach Wilson formuliert er seine Kommentierung der „mann-männlichen Liebe nicht nur aus antiquarischem Interesse (…) – sondern um sie in seiner eigenen Zeit mitzugestalten“.[19] Die problematischen Machtverhältnisse werden allerdings trotz Schönheit reproduziert. Eine „Partnerschaftlichkeit“, wie Wilson sie als Bereicherung zu sehen wünscht, wird im Triumphzug nicht inszeniert.

Torsten Flüh


[1] Torsten Flüh: Wiedergeburt der Wiedergeburt. Gesichter der Renaissance im Bode-Museum. In: NIGHT OUT @ BERLIN August 30, 2011 23:34.

[2] Torsten Flüh: Bilder ohne Namen und der Name des Meisters. Zu Botticelli 2015-1445 in der Gemäldegalerie Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN Oktober 3, 2015 22:08.

[3] Johann Wolfgang Goethe: Julius Caesars Triumphzug, gemacht von Mantegna. In: Goethe’s Werke Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1830. S. 150 und S. 153. (DFG-Viewer)

[4] https://www.mantegnabellini.de/entdecke-die-meister/zwei-meister-zwei-staedte/

[5] In der Benennung der Wissensbereiche von Johann Wolfgang Goethe fehlen ausgerechnet die der Kunstgeschichte und des Altertums, die für die meisten anderen Bereiche methodologisch konstitutiv waren. Sabine Kern: Universalgenies. In: planet wissen 24.10.2018, 09:24.

[6] Vgl. Torsten Flüh: Wasserzeichen vom Orinoco. Zum 2. Alexander von Humboldt-Symposium „Forschen & Edieren“. In: NIGHT OUT @ BERLIN Mai 30, 2015 19:05.

[7] W. Daniel Wilson formuliert bereits für die Literatur des frühen Goethe der 1770er Jahre, dass für seine „Generation … die Antike das >Natürliche< (verkörperte)“. Diese Funktion kehrt hier noch 1823 also 50 Jahre später wieder. W. Daniel Wilson: Goethe Männer Knaben – Ansichten zur >Homosexualität<. Berlin: Insel, 2012, S. 39.
Johann Wolfgang Goethe: Julius … [wie Anm. 3] S. 146.

[8] Ebenda.

[9] Ebenda S. 147.

[10] Ebenda S. 150.

[11] Ebenda S. 155.

[12] Ebenda.

[13] Vgl. Register der Personen, Werke und mythologischen Figuren. In: W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 490.

[14] Ebenda S. 101/102.

[15] Vgl. Torsten Flüh: Zurück zur Männlichkeit? George L. Mosses Kritik des Männlichkeitsbildes nach Johann Joachim Winckelmann und die Rückeroberung der Geschlechter durch die Neue Rechte. In: Initiative Queer Nations u.a. (Hg.): Jahrbuch Sexualitäten 2019. Göttingen: Wallstein, 2019, S. 43 bis 70.  

[16] W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 17.

[17] Johann Wolfgang Goethe: Julius … [Anm. 3] S. 152.

[18] W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 19.

[19] Ebenda S. 365.

Und sie existieren doch! Laurence Rasti zeigt There are no homosexuals in Iran in The Ballery

Homosexuelle – Iran – Verleugnung

Und sie existieren doch!

The Ballery zeigt There are no homosexuals in Iran von Laurence Rasti

Im Iran werden Homosexuelle verleugnet. Der ehemalige Präsident der Islamischen Republik Iran Mahmud Ahmadinedschād wurde mit klaren Behauptungen berühmt und berücksichtigt. Am 24. September 2007 hielt er eine Rede an der New Yorker Columbia University, in der er behauptete: „In Iran, we do not have homosexuals like in your country.“ Laut Rick Noack in der Washington Post fragte am 10. Juni 2019 der Bild-Journalist Paul Ronzheimer auf der Pressekonferenz des deutschen und des iranischen Außenministers in Teheran: „Why are homosexuals executed in Iran because of their sexual orientation?“ Mohammad Javad Zarif, der Außenminister der Islamischen Republik Iran stritt die Exekution von Schwulen nicht ab, sondern argumentierte mit dem Respekt vor „moralischen Prinzipien“.[1]

Hätte es noch eines Grundes zur Flucht bedurft, ist den Homosexuellen im Iran nun offiziell bestätigt worden, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. Es gibt allerdings kein gemeinsames Kommuniqué von der Pressekonferenz, in der die mündliche Einlassung niedergeschrieben wäre. Es gibt auch kein Video von der Pressekonferenz, in der Frage und Antwort dokumentiert wären. Es gibt nur die Zeugenschaft des Journalisten, der den Vorfall in der Washington Post berichten durfte. Und man darf davon ausgehen, dass auch er, wie er von Paul Ronzheimer berichtet, schwul ist. Laurence Rasti hat bereits vor fast 6 Jahren ihr Foto-Buch-Projekt There are no homosexuals in Iran begonnen. Sie traf und interviewte dafür Homosexuelle, die nach Denizil zwischen Izmir und Antalya geflohen sind.

Die homosexuellen Flüchtenden sind illegal und existieren eben doch. Laurence haben sie gar ihre Geschichten erzählt und sich fotografieren lassen. Als Homosexuelle und Flüchtlinge in der Türkei sind sie selbstverständlich nicht willkommen. Die türkische Polizei ging in Istanbul auch in diesem Jahr wieder mit Tränengas und Wasserwerfern gegen eigene, türkische Lesben und Schwule vor, die am 30. Juni gegen ein Verbot der Stadt wegen der „Volksgesundheit“ friedlich protestierten.[2] Doch allein, dass in Istanbul, Izmir und Antalya Genehmigungen für eine Gay Pride Parade gestellt und verboten wurden, stellt eine gewisse Bestätigung der Existenz von stolzen Lesben und Schwulen in mehreren türkischen Städten dar. 2010 hatte Barbara Ehnes mit Istanbul Transgelinler am HAU auf das Schicksal von Transmenschen in Istanbul aufmerksam gemacht.  

Simon Williams zeigt bis zum 27. Juli, dem Tag der CSD-Parade in Berlin, Laurence Rastis besondere Porträt-Fotografien. Das Besondere sind die Inszenierungen des Versteckens. Als Illegale dürfen die aus dem Iran Geflüchteten nicht erkannt werden. Sie müssen ihr Gesicht verbergen. Einige wenige der Portraitierten zeigen ihr Gesicht offen und stolz. Doch die meisten versteckt Laurence Rasti hinter hohem Gras auf einer Wiese, hinter bunten Luftballons, hinter Büschen und Ziergräsern vor einer Moschee im Hintergrund, hinter Blütenarrangements als Paar. Das Verstecken wird als stolze Praxis der Existenz inszeniert und dokumentiert. Das Verstecken ist kein heimliches.

Die Lesben und Schwulen aus dem Iran sind geflohen, weil ihnen nicht nur eine mehr oder weniger willkürlich verhängte Todesstrafe droht. Vielmehr droht ihnen auch eine Geschlechtsoperation als Praxis der gesellschaftlichen Normalisierung. Im Iran sollen mehr Geschlechtsoperationen als in Thailand ausgeführt werden, weil die Homosexualität damit allein auf die Genitalien ausgerichtet werden kann. Die geschlechtliche Transformation wird so auf paradoxe Weise zur Heilung der Homosexualität eingesetzt. In Anknüpfung an Bourdieu müsste man formulieren, dass die Homosexualität von Lesben und Schwulen in der Islamischen Republik Iran besonders stark verbreitet sein muss, weil die Gesundheitsbehörden den größten Aufwand betreiben, um das Regime einer binären Geschlechtlichkeit aufrecht zu erhalten.

Natürlich sind nicht die Lesben und Schwulen das Problem, sondern der zwanghafte Binarismus der Sexualität. Das Geschlecht muss korrigiert werden, wenn es nicht die ihm zugeschriebene Funktion erfüllt, damit die Geschlechterrollen stabil gehalten werden. Derart artikuliert sich die Verleugnung der weiblichen wie männlichen Homosexuellen durch Ahmadinedschād ebenso wie die Bestätigung der Todesstrafe durch Zarif. Die Binarität des Geschlechts lässt nur ein Entweder-Oder zu. Ein Dazwischen oder ein Sowohl-als-auch darf es nach den Wächtern des Geschlechts nicht geben, weil es das reine Geschlecht der Wächter angreifen würde. Die zwanghafte Binarität des Entweder-Oder beschreibt zugleich den Entscheidungsmodus der Algorithmen. Verleugnet wird ein Drittes oder Anderes, das nicht zugeordnet werden kann oder sich nicht zuordnen lassen will. Insofern stellt das staatliche Ordnungsprinzip der Islamischen Republik Iran nicht eine kulturelle und/oder religiöse Eigenart dar, sondern formuliert einen enorm vereinfachten Algorithmus.

Die Struktur der Formulierung Ahmadinedschāds entspricht jener der Verleugnung. Laurence Rasti paraphrasiert sie ironisch als Titel für ihr Foto-Buch-Projekt. Der Begriff der Verleugnung wurde von Sigmund Freud erstmals in dem Aufsatz Fetischismus für den Almanach der Psychoanalyse 1928, veröffentlicht 1927, formuliert. „Will man in ihm (dem Wort Verdrängung, T.F.) das Schicksal der Vorstellung von dem des Affekts schärfer trennen, den Ausdruck »Verdrängung« für den Affekt reservieren, so wäre für das Schicksal der Vorstellung »Verleugnung« die richtige deutsche Bezeichnung.“[3] Im Fetischismus-Aufsatz beschreibt Freud bekanntlich eine paradoxe Figur des Ersetzens. „… unsere Situation zeigt …, daß die Wahrnehmung geblieben ist und daß eine sehr energische Aktion unternommen wurde, ihre Verleugnung aufrechtzuhalten.“ Verleugnet wird, dass das Weib keinen Penis hat.

Mit „we do not have“ und “there are no” könnten auch die Struktur der Verneinung beschrieben werden. Doch die Besonderheit der Verleugnung liegt darin, dass das Kind „den Glauben an den Phallus des Weibes“ „bewahrt, aber auch aufgegeben“ hat.[4] Der fehlende Penis wird zwar als Leere wahrgenommen, aber er wird durch einen Fetisch, auf den der Glaube an den Phallus übertragen wird, ersetzt. Der Fetisch kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Bei der Verneinung geht es nach Freud um „das unbewußte Verdrängte“[5], das eine Nicht-Identität z. B. mit der Formulierung „die Mutter ist es nicht“ behauptet. Doch diese Struktur korreliert nicht mit „we do not have“. Verleugnet wird die Existenz von Homosexuellen, während Ahmadinedschād sehr wohl weiß, dass potentielle Homosexuelle zur Geschlechtsoperation gezwungen werden.

Beim Phallus geht es bekanntlich nicht um den Penis, sondern um die Macht, die dem Penis zugeschrieben wird. Freud benutzt Penis und Phallus nicht synonym. Doch wenn die Macht auch ohne Penis erhalten bleiben kann, dann sichert er nicht allein die Macht ab. Und darin gibt sich das eigentliche Problem in der Islamischen Republik Iran zu erkennen. Durch die besonders starke Bindung der Knaben an die Mutter, durch die immense Belohnung für die Geburt eines Sohnes wird der Frau als Mutter alle Macht über das Geschlecht zugeschrieben. Der Fetisch schützt nach Freud vor der Homosexualität. Anders formuliert: Ahmadinedschād muss den weiblichen Körper fetischisieren, damit er nicht homosexuell wird. Er wird zutiefst von der Homosexualität affiziert, weshalb er das binäre Geschlecht um jeden Preis aufrechterhalten und recht eigentlich erst verschleiert herstellen muss. Denn die Funktion des Schleiers als Kopftuch liegt nach Lacan darin, das Begehren nach dem geschlechtlichen Bild anzustacheln.

Die Wächter- und Männerherrschaft im außerordentlich diversen Islam muss aufrecht erhalten bleiben. Deshalb erregte die Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin durch die Kopftuchkritikerin, Anwältin und Imamin Seyran Ateş 2017 aller größte Kritik der Männerwelt der Imame und Revolutionswächter. Seyran Ateş wollte, wie sie 2018 in ihrer Martin-Luther-King-Lecture in St. Marien sagte, schon als Mädchen Fußballspielen. Aber sie durfte es nicht. Es wurde ihr aufs schärfste verboten. Aber sie hatte einen Traum. Und natürlich war dieser Traum für die instabile Männlichkeit vieler islamischer Männer eine höchste Bedrohung. Dass die Imamin Seyran Ateş seither unter Polizeischutz leben muss, bestätigt letztlich die händeringende Funktion der Verleugnung.

Wie sehen die Homosexuellen aus dem Iran bei Laurence Rasti aus? Sie drehen sich weg oder sie verschwinden in einer Landschaft, bis Unregelmäßigkeiten einen oder zwei Körper erahnen lassen. Sie existieren in einem strategischen Versteck, das zugleich ihre Existenz bezeugt. Die Geschichten, die Laurence Rasti als Interviews aufgeschrieben und im Buch veröffentlicht hat, sind individuell, durch Bedrohung und Flucht auch einzigartig und bedrückend. Doch die Flucht wendet sich einer besseren Zukunft zu. Deshalb sind die Fotos vor allem voller Hoffnung, Zuversicht und einer gewonnenen Freiheit.

Torsten Flüh

Laurence Rasti

There are no homosexuals in Iran.

bis 27. Juli 2019

@The Ballery

Nollendorfstraße 12

10777 Berlin

Mittwoch – Samstag 13:00 – 19:00 Uhr

Sonntag – Dienstag nach Vereinbarung


[1] Rick Noack: With the help of his boyfriend, a German reporter asked Iran’s foreign minister why the country executes people for being gay. In: Washington Post June 12 2019.

[2] Siehe Tagesschau vom 30. Juni 2019, 19:59 Uhr.

[3] Sigmund Freud: Almanach der Psychoanalyse 1928, Wien 1927, S. 17-24. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 311-7.

[4] Ebenda.

[5] Sigmund Freud: Imago, Bd. 11 (3), 1925, S. 217-21. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 11-5.

George L. Mosses Erinnerung an den Klippen Europas und 50 Jahre Stonewall

Erinnerung – Europa – Geschichte

George L. Mosses Erinnerung an den Klippen Europas und 50 Jahre Stonewall

Zur Konferenz Mosse’s Europe im Deutschen Historischen Museum und in der W. Michael Blumenthal Akademie

Vom 6. bis zum 9. Juni fand anlässlich des 100. Geburtstages von George L. Mosse am 20. September 2018 die Tagung Mosse’s Europe New Perspectives in the History of German Judaism, Fascism and Sexuality im Deutschen Historischen Museum und in der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin statt. Es war eine nicht zuletzt an Erinnerungen reiche Konferenz. Denn viele der älteren Kolleg*innen aus dem akademischen Kosmos taten am Samstagnachmittag relativ plötzlich ihre persönlichen Erinnerungen an den in Berlin geborenen und zur Emigration gezwungen Sohn der Verlegerfamilie Mosse kund. Es war ein fröhlich anekdotisches Erzählen der Eigenarten und Eigensinnigkeiten des am 22. Januar 1999 verstorbenen Menschen, Forschers, Lehrers und Schwulen.

09.06.2019 13.04:56: Daniel Libeskind: Jüdisches Museum, Void mit Installation res – o – nant von Mischa Kuballa.

Das Schwule Museum Berlin gehörte neben einer ganzen Reihe von Stiftungen wie The Mosse Foundation und Fritz Thyssen Stiftung sowie Universitäten wie der University of Wisconsin, The Hebrew University of Jerusalem und Technische Universität Berlin zu den Sponsoren und Unterstützern der viertägigen Tagung. Organisiert hatte sie Skye Doney vom George L. Mosse Program in History der University of Wisconsin. Berlin und die Schwulen verdanken George L. Mosse, seiner Initiative und seiner Expertise vor allem die Mosse-Lectures an der Humboldt Universität zu Berlin sowie das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen an der Ebertstraße auf der anderen Straßenseite des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Im Dezember 1996 hatte George L. Mosse die engagierte Rede Die Politik gegen Lesben und Schwule im Kontext nationalsozialistischer Machtausübung auf dem Symposium der »Berliner Initiative HomoMonument« in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gehalten.[1]

Heute jähren sich zum 50. Mal die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Beamten der New Yorker Polizei und den schwulen wie transsexuellen Gästen des Stonewall Inn in der Christopher Street. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 kontrollierten, disziplinierten und misshandelten Polizeibeamten die Besucher*innen der Bar, die sich dort trafen, um Freund*innen zu treffen, zu performen und Sex zu finden. Zum ersten Mal in der, vielleicht hätte George L. Mosse gesagt, Weltgeschichte wehrte sich eine größere Gruppe von Homosexuellen und Transmenschen gegen eine Razzia wegen „anstößigen Verhaltens“. Am 6. Juni 2019 veröffentlichte The New York Times die Entschuldigung des New York Police Department durch Commissioner James O’Neill für die Übergriffe. George L. Mosse hat in gewisser Weise mikrologisch mit The Image of Man (1996) und seiner Autobiographie Confronting History (2000) dazu beigetragen.

Auf der Konferenz Mosse’s Europe New Perspectives in the History of German Judaism, Fascism and Sexuality kam die Geschichte der Sexualität vielleicht doch trotz Panel V: Gender, Sexuality, and Mass Politics ein wenig kurz. Anna Hájková von der University of Warwick, die erforscht, was im Holocaust verboten war, und die unlängst die Homophobie in den Lagern für Queer Nations beschrieben hatte, steuerte zwar mit People Without History Are Dust: Queer Desire in the Holocaust einen ebenso sensiblen wie verstörenden Vortrag über eine lesbische Liebe durch eine Zeitzeugin bei. Doch ein Vortrag, der wie 1996 einen konkreten historischen Bogen zwischen aktuellen politischen Verwerfungen von Rechts, der Funktion von historischem Wissen und sexueller Vielfalt schlug, fehlte in den 6 Panels zwischen Jews and German: Languages of Culture und Mosse Fellows Panels am Sonntag in der von Daniel Libeskind Zwischenräume genannten Architektur der Michael W. Blumenthal Akademie.

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe

Regina Mühlhäusers Vortrag „One has to Anticipate what Eludes Calculation”: Reconceptualizing Sexual Violence as Weapon during the German War of Annihilation im Zeughauskino beschrieb das erschreckende Verhältnis von sexueller Gewalt gegen Frauen als Strategie der Kriegsführung und Liebesbeziehungen. Sexualität wird im Krieg zur Waffe mit oder selbst gegen den Willen der Soldaten. Mühlhäuser arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung zu den Forschungsschwerpunkten Sexuelle Gewalt im Krieg, Geschichte des Internationalen Strafrechts, Gender und Sexualität im Nationalsozialismus, Kriegskinder sowie Erinnerungspolitik in Europa und Asien. Tatsächlich wird dieser Bereich einerseits der Sexualität und andererseits der Kriegsführung immer noch viel zu wenig beachtet. Auch die „Kriegskinder“ von Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die beispielsweise in Dänemark und Norwegen in liebesähnlichem Einverständnis gezeugt wurden, unterlagen der deutschen Kriegsstrategie als Geschlechterpolitik. Sexualität und sexuelle Praktiken werden im Krieg mehr oder weniger offen in den Dienst der Geschlechterpolitik von Rasse, Herkunft, Volkszugehörigkeit etc. gestellt. – Auf einem signierten Foto steht der junge George L. Mosse an einer Klippe über dem Meer mit einem Felsen, der an mehrere Orte in Europa erinnern kann. Ist es Capri? Die Foradada auf Mallorca? An der Küste von Wales? Oder an der irischen Küste bei Bray südlich von Dublin? Die Pose Mosses im Profil mit Pfeife, Brille und Sommerhut kann an James Joyce erinnern.

Michael P. Steinberg von der Brown University Providence konzentrierte sich im Panel V auf die „Mass Politics“ durch Verschiebung (displacemant) und Ersetzung (replace) mit seinem Vortrag Antisemitism and the Politics of Displacement. Einerseits hat der Antisemitismus nicht zuletzt Ursachen in Teilen der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirchenpolitik. Die Ausstellung Der Luthereffekt zeigte 2017 beispielsweise Martin Luthers Schrift Von den Jüden und Iren Lügen von 1543. Im 19. Jahrhundert kommt es allerdings zu einer neuerlichen Abgrenzung der evangelischen Kirche gegen die katholische unter dem Gesichtspunkt des Nationalismus. Soll die deutsche Nation, das Deutsche Reich, eine katholische oder evangelische werden? Die Evangelische Kirche in Preußen und im Deutschen Reich wird, wie sich z. B. an dem 1890 von Wilhelm II. gegründeten Evangelischen Kirchenbauverein zeigen lässt, zum Herrschaftsinstrument des säkularen Staates. Nach Steinberg wurde „(e)ine soziale oder Klassenkategorie … durch eine nationale Kategorie ersetzt“. Die Nation „beansprucht, inklusiv zu sein, doch schließt zugleich aus“. „Bekanntlich richtete sich die völkische Tradition in der deutschen Politik zunächst gegen Außenstehende, vor allem gegen die Franzosen, bald aber auch gegen Insider, vor allem gegen die Juden.“[2]

Am Donnerstag hatte Skye Doney die Konferenz mit einer Art Retrospektive auf die Mossestadt: The Mosse Family in Berlin eröffnet. Meike Hoffmann von der Mosse Art Research Initiative, kurz MARI, am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin stellte den Fortgang der wesentlich internetbasierten Forschungsinitiative vor. Rudolf Mosse hatte mit dem Stadtpalais am Leipziger Platz zugleich eine durchaus symbolische Kunstsammlung der späten Gründerzeit seit 1880 eingerichtet, die Teilen der Öffentlichkeit zumindest zeitweilig zugänglich war. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die bedeutende Kunstsammlung unmittelbar nach dem Januar 1933 zerschlagen. Die systematische Entrechtung und Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus führte im April 1933 zur „Zwangsübertragung“ der Immobilien der Familie Lachmann-Mosse.[3] Im Mai 1934 wurde die Kunstsammlung versteigert und ging beispielsweise in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über, wo bis in die jüngere Zeit kein Unrechtsbewusstsein über den verbrecherischen Erwerb zum Beispiel der Liegenden Löwin (1903) von August Gaul herrschte.[4] Erst 2015 wurde sie restituiert und 2016 mit finanzieller Hilfe des Bundes und der Länder für die Nationalgalerie erworben. Nun wird sie in der James-Simon-Galerie ab 13. Juli zu sehen sein.  

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe (Liegende Löwin)

Meike Hoffmann beschreibt die Kunstsammlung, die vor allem durch Rudolf Mosse angekauft und aufgebaut wurde, als „Werke des deutschen Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei er die Malerei aus Berlin und München, …, besonders berücksichtigte“.[5] Zwei Aspekte der Kunstsammlung erinnern an das erste, bürgerliche Museum für sozusagen zeitgenössische, deutsche Kunst in Berlin von Pierre Louis Ravené in der Wallstraße. Er war durch die Berliner Eisenbahnindustrie als Zulieferer für den Streckenbau geradezu märchenhaft reich geworden, so dass er schon 1850 seine Kunstsammlung von 124 Gemälden vorwiegend der Düsseldorfer Schule der Berliner Öffentlichkeit zugänglich machte.[6] Es ist hier nicht der Ort, um ausführlicher auf Ravené und seine Kunstsammlung einzugehen. Pierre Louis Ravené verstarb am 31. Dezember 1861 begleitet von okkultischen Handlungen und ließ sich ein bemerkenswertes Grabmal von August Stüler und Gustav Blaeser auf dem Friedhof der Französischen Domgemeinde in der Chausseestraße errichten. Kunstsammlung wie Grabmal betonten allerdings bis in das symbolische Eiserne Kreuz auf der Kante des Totenbettes die preußisch-nationale Haltung Ravenés. Um 1900 existierte die erweiterte, öffentliche Kunstsammlung Ravenés in der Wallstraße neben dem „Mosseum“ am Leipziger Platz.[7]      

Sicher gehörte Rudolf Mosses Erwerb von Reinhold Begas‘ Susanna zu den durchaus symbolischen Handlungen seiner ebenso liberalen wie nationalen Haltung. Liberalismus und Nationalismus lassen sich an der Plastik nachspüren.[8] Einerseits ist die Susanna eine durchaus erotische Körperdarstellung von Reinhold Begas, die schon 1873 auf der Wiener Weltausstellung gezeigt wurde. Andererseits lässt sie sich spätestens seit 1908 in der Kunstsammlung von Rudolf Mosse im nationalen Kontext nachweisen.[9] Zwischenzeitlich war Reinhold Begas zu einer Art Berliner Stadtmöblierer des Kaiserreichs aufgestiegen. Mit dem Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I., der damals größten, geschlossenen Denkmalanlage Europas, war er zum ultimativen Nationalbildhauer aufgestiegen, wie die Ausstellung Begas – Monumente für das Kaiserreich 2011 im Deutschen Historischen Museum zeigte. Die Überschneidung von Erotik, Liberalismus und Nationalismus könnte sich durchaus als programmatisch für die Kunstsammlung erweisen.    

George L. Mosse hat sich offenbar für die Restitution der Kunstsammlung weniger eingesetzt. Vielleicht erschien es ihm zu unübersichtlich und hoffnungslos, den Verlust als Verbrechen der systematischen Entrechtung und Enteignung seiner Familie ausgleichen zu müssen. In den letzten Jahren hat sich Roger Strauch als Vorsitzender der Mosse Foundation mit dem Mosse Art Restitution Project (MART) für die Restitutionsansprüche seiner Familie eingesetzt. Doch die Mosse-Familie war noch weit verzweigter durch die Brüder und eine Schwester in Berlin, wie Frank Mecklenburg vom Leo Baeck Institute New York auf der Konferenz mitteilte. Elisabeth Wagner erinnerte mit Absence/Presence: The Berlin Mosse Topography an die merkwürdige und oft auch erst wiederherzustellende Gegenwart der Spuren in der Stadt. So war Rudolf Mosse Stifter und Vorsitzender der jüdischen Reformgemeinde in der Johannisstraße in Mitte, die erst durch Bauarbeiten wieder ins Gedächtnis der Stadt zurückkehrte.[10] Sie ist bislang nicht einmal in der Liste der Berliner Synagogen auf Wikipedia vermerkt. Elisabeth Wagner konnte ein Foto von der am 9. November 1938 verwüsteten Synagoge mit einer zerbrochenen Büste ihres Stifters Rudolf Mosse zeigen.

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe

Das außerordentlich umfangreiche Programm der Konferenz mit seinen zahlreichen, internationalen Rednerinnen und Rednern zu George Mosses Verständnis der European Cultural History von Steven Aschheim (Hebrew University of Jerusalem) über Jews and Germans: Languages of Culture mit dem äußerst anregenden Vortrag über German-speaking Jews and German-reading Jews in Early Zionism von Marc Volovici (University of London) deckte häufig die schmerzlichen Widersprüche wie eben auch bei der Sprachfindung im Zionismus auf. Welche Sprache gesprochen werden sollte in Israel, war im 19. Jahrhundert keinesfalls klar. Die kulturelle Bindung der Sprache gehört zu den schmerzhaftesten Erfahrungen des Holocaust und der Überlebenden. Obwohl Deutsch die Sprache der Bildung und des gesellschaftlichen Aufstiegs war, wurde es für viele durch den Holocaust unmöglich, es weiterhin zu sprechen.

Im Panel II, Studying Totalitarism, erinnerte Stefanie Schüler-Springorum vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin an Sex and Violence: „Race Defilement“ in Weimar and Nazi Germany. Die „Rassenschande“ wird zu einem wichtigen Forschungsfeld, weil sie einen vermeintlich reinen, sexuellen Volkskörper der Nation konstruiert, der nicht vermischt werden darf bzw. gereinigt werden muss. Die heteronormative Sexualität wird durch die Staatsgewalt per Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 zum Instrument für die Herstellung des Volkskörpers. Diese Gewalt wirkt sich gleichzeitig auf das Begehren aus, wenn per Gesetz und Bildmedien das reproduktionsorientierte Begehren formiert wird. Das richtige Begehren muss uns, wie Slavoj Žižek 2016 einmal mit The Pervert’s Guide to Cinema gezeigt hat, vor- und aufgeführt werden, was die Nationalsozialisten im Rassenwahn zumindest subkutan wussten.

George L. Mosse hatte diesen Bereich bereits mit einem Erfahrungswissen in seinem Buch Nationalism and Sexuality: respectability and abnormal sexuality in modern Europe 1985 bearbeitet. Die „bürgerliche Ehrbarkeit und der Nationalismus [prägten] die Einstellung zum Geschlecht, und diese sexuellen Haltungen trugen wiederum kraftvoll zum militanten Nationalismus und zum Aufstieg des Faschismus bei“, hat Robert D. L. Waite die These des Buches zusammengefasst.[11] Sexuelle Präferenzen und ihre Reglementierung durch den Staat in seiner Verkörperung als Nation haben Mosse nicht zuletzt deshalb frühzeitig und wiederholt beschäftigt, weil er sich lebenslang einer heteronormativen Gesellschaft ausgesetzt fand, wie er in seiner Autobiographie Confronting History formulierte. Das Erfahrungswissen der Ausgrenzung machte ihn allererst auf die Konstruktion der „Normalität“ eben als Normierung aufmerksam.

Eine lebhafte Phantasie hilft einem, mit dem eigenen Anderssein zurechtzukommen und die eigenen Gefühle unter Kontrolle zu halten. Gleichwohl verliebte ich mich oft, und natürlich war es jedes Mal eine unerwiderte Liebe, schon weil ich sie nicht zeigen konnte. Die Objekte meiner Liebe waren damals auch ausnahmslos Heterosexuelle. Es war wohl gerade ihre »Normalität«, die ich so anziehend fand.[12]

Es können hier nicht alle Vorträge referiert werden. Vermutlich werden sie auch in einem oder mehreren Konferenzbänden veröffentlicht werden. Deutlich wurde allerdings, welche starken Spuren George L. Mosse nach wie vor in den Feldern von „German Judaism, Fascism and Sexuality“ hinterlassen hat. Das Erfahrungswissen hatte für ihn methodologische Relevanz, während er weniger theoretisch arbeitete. So war es dann auch Aleida Assmann, die wiederum an dieses häufig methodologisch unterschätzte Erfahrungswissen anknüpfte, indem sie mit ihren „Erinnerungsräume“ bzw. „memory studies“ an George L. Mosse erinnerte und für ihre Closing Keynote mit der Frage begann Mosse’s Europe: Can it be Saved? In der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin erzählte sie zunächst von ihren mehr oder weniger zufälligen ersten Begegnungen mit ihm und die Faszination, die er auf sie ausübte. Erfahrungswissen und das wissenschaftlich-politische Engagement, die Haltung, haben methodologische Relevanz bei beiden. Aleida Assmann teilte ihren Vortrag in 5 Teile ein: „Personal Introduction“, „The Perspective of the Outsider“, „The Myth of the War Experience“, „How to bring Wars to an End“ und „Re-imagining the Nation“.

Mit ihrem Vortrag stellte Aleida Assmann zwei Mosse-Bücher an den Anfang ihrer Überlegungen zur Perspektive des Außenseiters und einem Ende von Kriegen. Als deutscher Jude, aber auch als amerikanischer Historiker in den USA der 50er Jahre sowie als Homosexueller habe Mosse wiederholt die Perspektive des Außenseiters keinesfalls freiwillig eingenommen. Hier kann man an die bereits zitierte Schlüsselsequenz seiner Autobiographie erinnern. Der junge Mosse verliebt sich ständig in heterosexuelle Männer, die die „Normalität“ vorleben und verkörpern, die ihm seit seiner Berliner Kindheit fremd ist und verwehrt bleibt. Es ist ein paradoxes Begehren und Erfahrungswissen, gegen das er sich entschied, als er 1991 im Interview mit Irene Runge und Uwe Stellbrink formulierte: „Ich bleibe Emigrant“.

We (in German it is ‚man‘) were always sitting in trains that left, and these are the years of exile. Therefore I remain an eternal emigrant.[13]   

Erinnerungskulturen unterscheiden sich und werden häufig in den Übersetzungen von Buchtiteln lesbar. Das Interview-Buch »Ich bleibe Emigrant« ist nicht ins Englische übersetzt. Doch Fallen Soldiers. Reshaping the memory of the World Wars kam mit einer deutlichen (erinnerungskulturellen) Verschiebung 1993 als Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben bei Klett-Cotta heraus. Mosses englische Buchtitel haben beispielsweise mit „reshaping“ (re-formen) oder „Confronting History“ (Konfrontierende Geschichte oder Mit der Geschichte konfrontiert) einen konzeptionell-akademischen Gestus, während dieser in den deutschen Titeln meistens ausfällt. In England und den USA erinnert sich das offizielle Gedenken an „Fallen Soldiers“, während die Formulierung „Gefallen für das Vaterland“ im Deutschen an eine falsche Rechtfertigung des Todes von Soldaten aufruft. Aleida Assmann nahm Fallen Soldiers als Anknüpfungspunkt, um über die divergierenden Formen des Gedenkens in Europa, besonders in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachzudenken. Der „Mythos der Kriegserfahrung“ unterscheidet sich von Nation zu Nation.

As the emphasis was on consolation and justification and not on the general tragedy of the war, the nations constructed „a myth which would draw the sting from death in war and emphasize the meaningfullness of the fighting and sacrifice“.[14]

Am Beispiel des Weltkriegsgedenkens in Deutschland, Frankreich und Großbritannien wies Aleida Assmann daraufhin, dass es vor allem David Cameron als konservativer Premierminister war, der das Gedenken seit 2012 re-nationalisierte. Dass diese machtpolitisch instrumentalisierte Renationalisierung nicht zuletzt im Kontext des Brexit zu sehen ist, sagte Aleida Assmann nicht, aber es lässt sich denken. David Camerons Re-Nationalismus setzt nicht erst mit dem Brexit-Referendum ein. Vielmehr wurde es in die Debatten implementiert. Es lässt sich beispielsweise auch mit seiner Kritik 2011 an Uganda hinsichtlich der Gay Rights in Verbindung bringen. Die nationalen Schwulen wurden im Rahmen eines „Homoglobalismus“ umworben, um Uganda nicht unterstützen zu müssen. Aleida Assmann zitierte Camerons Nationalismus mit einer wahrlich nationalen Erinnerung – „a truly national commemoration“ – anlässlich des Diamantenen Jubiläums von Königin Elisabeth II. wie folgt:

Our ambition is a truly national commemoration, worth of this historic centenary. I want a commemoration that captures our national spirit, in every corner of the country, from our schools to our workplaces, to our town halls and local communities. A commemoration that, like the Diamond Jubilee clebrated this year, says something about who we are as a people.

George L. Mosses Hoffnung 1990, dass sich vor allem Deutschland in eine humanere Gesellschaft ohne einen ausgrenzenden Nationalismus transformiere, wurde bereits mit den nationalistischen und rassistischen Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen im August 1992 enttäuscht. Seine Warnungen vor einem Erstarken der Rechten wurden lange überhört. Mittlerweile geschah am 2. Juni 2019 mit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, der erste politische Mord an einem Staatsrepräsentanten von Rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Der Täter hat zwischenzeitlich gestanden. George L. Mosses Analysen erhalten heute fast eine vorausschauende Qualität, wenn er schreibt, dass die „political Right considered itself to be the inheritor of the war experienced, not just in Germany but throughout Europe, and the process of brutalization was closely linked to the spread of the Right’s influence among the population“. Am 9. Juni konnte Aleida Assmann noch nichts wissen von dem rechten Hintergrund und den Tweets gegen Walter Lübcke von Erika Steinbach. Mosses Schriften können weiterhin den historischen und politischen Verstand schärfen.

Torsten Flüh


[1] George L. Mosse: Die Politik gegen Lesben und Schwule im Kontext nationalsozialistischer Machtausübung. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Der homosexuellen NS-Opfer gedenken. Berlin 1999, S. 21-29.

[2] Michael P. Steinberg: Germany and the USA Between Volk and Bevölkerung. In: The Berlin Journal, November 5, 2017.

[3] Claudia Marwede-Dengg: Die Enteignung der Familie Lachmann-Mosse. Berlin (ohne Jahr). MARI.

[4] Siehe auch: Vor MARI lokalisierte Werke.

[5] Meike Hoffmann: Rudolf Mosses Kunstammlung. Berlin (ohne Jahr). MARI.

[6] Siehe: Nana Badenberg: Die Bildkarriere eines Stereotyps. In: Alexander Honold, Klaus R. Scherpe: Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2004., S. 179.

[7] Meike Hoffmann: Rudolf … [wie Anm. 5]

[8] Zum Liberalismus der Familie Mosse siehe auch: Torsten Flüh: Über die verheißungsvolle Geschichte von Bildung und Liberalismus. Zur Mosse-Lecture „Bildungsliberalismus“ und zum Jubiläumsvortrag über den deutsch-jüdischen Liberalismus der Familie Mosse. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juni 14, 2017 11:30.

[9] Siehe: Yvette Deseyve & Emily Oberkönig: Susannas lange Reise: Auf den Spuren der Sammlung Mosse. In: MUSEUM and the city. Blog der Staatlichen Museen zu Berlin. 26. JUNI 2018.

[10] Dirk Jericho: Synagoge im Untergrund: Auf dem Tacheles-Areal stand bis 1945 ein Tempel der Jüdischen Reformgemeinde. In: Berliner Morgenpost 11. Mai 2016, 00:00 Uhr.

[11] Robert G. L. Waite: George L. Mosse. Nationalism and Sexuality. In: American Historical Review 90 (1985), H. 4, S. 924.

[12] Goerge L. Mosse: Aus großem Hause. Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Historikers. München: Ullstein, 2003, S. 201. (Zuerst als Confronting History: A Memoir, Madison: University of Wisconsin Press, 2000)

[13] Zitiert nach der Übersetzung im Vortrag von Aleida Assmann: Runge/Stelbrink: George Mosse: »Ich bleibe Emigrant«. Berlin: Dietz 1991, S. 36.

[14] Geoge L. Mosse: Fallen Soldiers. Reshaping the memory of the World Wars. New York: Oxford University Press, 1991, S. 7.

Literatur als Kraft, in den Abgrund zu sehen. Zum 11. Internationalen Literaturpreis des HKW

Übersetzung – Literatur – Sprache

Literatur als Kraft, in den Abgrund zu sehen

Zum 11. Internationalen Literaturpreis mit Texten von Teju Cole, Fernanda Melchor und Hélène Cixous etc.

Am Dienstagabend spielte das Wetter zur Preisverleihung auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt nicht mit. Die Sonne knallte mit sommerlicher Kraft ihrem Untergang im Westen hinter der Spree entgegen, dass die Zuhörer*innen geblendet wurden, die unter oder hinter dem aufgeschlagenen Heft der Shortlist 2019 Schutz suchten. Da half auch die dunkelste Literatur, an der es mit Saison der Wirbelstürme von Fernanda Melchor in der Übersetzung von Angelica Ammar als Preisträgerin wahrlich keinen Mangel gab, nicht zur Kühlung. Erst als die Sonne genau um 21:00 Uhr hinter einigen Baumkronen und der „Shortlist Library“ gemildert hindurchschien, zeigte die gebundene Literatur eine wahrhaft kühlende Wirkung.

Der Preisträger von 2013, Teju Cole, eröffnete die Preisverleihung mit einer Keynote, nachdem der HKW-Intendant Klaus Scherer die Gäste begrüßt und auf das Abgründige der Literatur hingewiesen hatte. Dem Titel der Keynote, On Carrying and Being Carried, schickte Teju Cole voraus, dass der Text eigentlich für dunklere Orte und Farben geschrieben sei. Es ging um das Dunkel der USA und Trumps Flüchtlingspolitik ebenso wie die Farbe Schwarz als „question of blackness“. Er hatte den Preis 2013 für seinen Roman Open City in der Übersetzung von Christine Richter-Nilsson verliehen bekommen. Mittlerweile lehrt er an der Havard University als Professor für Kreatives Schreiben, so dass seine Keynote, „written for the darkness“, eine Verknüpfung der Tätigkeit der Übersetzung mit den Helfer*innen der Flüchtenden an vielen Orten der Welt bot. Es wird darauf zurück zu kommen sein.

Robin Detje hielt eine Laudatio auf den Roman der Preisträgerin aus „einer dunklen Ecke“ der Literatur in gleißendem Sonnenschein. Die Cybershot-Kamera des Berichterstatters hatte ständig mit dem Gegenlicht zu kämpfen. Das Licht ist für Fotograf*innen selten so, wie sie es sich wünschen. – Teju Cole ist auch Fotograf. – Bernd Scherer begann seine Shortlist-Vorstellung mit Hélène Cixous‘ Text Meine Homère ist tot … aus dem Französischen von Claudia Simma, um die außerordentlich hohe Qualität der 6 ausgewählten Bücher zu betonen. Auf die Leistung der Übersetzerin Angelica Ammar geht Robin Detje in seiner Laudatio eher weniger ein. Sie habe „in ihrer Übersetzung einen Wort- und Bedeutungsteppich ausgebreitet, dem wir lesend immer vertrauen können und dessen Festigkeit nie nachlässt“.[1] Vielleicht ist Vertrauen ein wichtiges Kriterium für Übersetzungen. Denn es bleibt immer auch etwas unübersetzbar wie z. B. die mexikanischen Flüche.

Sie musste dabei leider ins Deutsche übersetzen, eine Sprache, deren Fluchkultur ein wenig schwach auf der Brust ist und die sich mit lustvollen, geradezu inbrünstigen Verwünschungen schwer tut. Und bei Fernanda Melchor wird wahrlich inbrünstig geflucht.[2]

Der Internationale Literaturpreis wird vom HKW und der Stiftung Elementarteilchen (Hamburg) seit 2009 verliehen. Er zeichnet damit „herausragende Titel internationaler Gegenwartsliteraturen in deutscher Erstübersetzung“ aus. Er ist mit 20.000 € für die Autor*in und 15.000 € für die Übersetzer*in dotiert. Damit geht es um „internationale Gegenwartsliteraturen“ und Übersetzungen nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Unübersetzbarkeit. 2014 berichtete NIGHT OUT @ BERLIN von der Preisverleihung an Dany Laferrière und Joghurt, den Yoko Tawada literarisch zubereitete. Natürlich geht der Preis an Fernanda Melchor und Angelica Ammar in Ordnung. Aber wirklich mutig ist die Wahl nicht, weil ein vertrauenerweckender „Wort- und Bedeutungsteppich“ fast ein wenig marktgängig wirkt. Fernanda Melchor schlägt mit der wiederkehrenden Wendung „es heißt, dass“ einen deutlichen Ton vom gerüchteweisen Erzählen an:

Es heißt, dass sie in Wirklichkeit gar nicht gestorben war, weil Hexen nicht so leicht sterben. Es heißt, dass sie sich im letzten Moment, bevor diese Jungs sie erstachen, durch einen Zauberspruch verwandelt habe, in eine Eidechse oder einen Hasen, der sich tief im Wald versteckt hat…[3]

Die Geste des Erzählens unterscheidet sich in den Büchern der Shortlist. Da ist Hélène Cixous‘ Meine Homère ist tot … allein schon wegen „Homère“ von anderem Kaliber. Denn „Homère“ ist mit dem zärtlichen Femininum nicht nur der antike Dichter-Erzähler Homer, sondern auch die Mutter la mére, die eine „Odyssee des Sterbens“ antritt. Die Edition des Buches wie seine Schreibweise aus der Thematisierung des Erzählens als Schreiben selbst ist eine bibliophile Sonneneruption. Das Erzählen der Gerüchte über die Hexe und ihren Tod in Mexiko unterscheidet sich von einem Schreiben, das nicht dem Subjekt unterworfen ist. Darauf wird zurück zu kommen sein, ebenso wie auf die Interpunktion. Wer schreibt, wenn Hélène Cixous vorausschickt:

Dies ist nicht das Buch das ich habe schreiben wollen.
Ich schreibe es nicht.[4]

Hélène Cixous signiert Meine Homère ist tot … in der Volksbühne am 6. Mai 2019.

Literaturen nehmen nicht nur unterschiedliche Erzählhaltungen wie die des Gerüchts oder der Beschreibung – „Sie kamen durch die Bresche vom Fluss her zum Kanal, die Schleudern bereit zum Kampf, die Augenlider im gleißenden Mittagslicht zusammengekniffen, fast vernäht.“[5] – ein, sie können ebenso anders geschrieben worden sein – „Dieses Buch ist bis zur letzten Zeile von meiner Mutter geschrieben“.[6] Literaturen hängen nicht nur von Kulturen wie beispielsweise der mexikanischen ab. Wie Fernanda Melchor später im Gespräch während der Preisverleihung gesagt haben wird, hatte sie sich über einen Zeitungsartikel zu einem Mord im Dorf La Matosa bei Veracruz geärgert. Sie hatte sich darüber geärgert, wie die mexikanische Presse schreibt und eine Frau in einem Dorf zu einer „Hexe“ erklärt. Deshalb hätte sie begonnen, den Roman anders zu schreiben und zu erzählen. Hélène Cixous schreibt nicht nur über das Sterben ihrer Mutter im 104. Lebensjahr, sie lässt es schreiben.

Sie redete ununterbrochen, ich schrieb alles mit. Wir wachten. Ich war von mystischem Staunen bewegt. Ich lachte. Das also war er, der Event…[7]

Hélène Cixous schreibt Widmung am 6. Mai 2019.

Handeln Literaturen nicht immer vom Übersetzen? Teju Cole knüpfte in seiner „Keynote“, denn es war nun einmal eine Veranstaltung in Englisch und Deutsch, an die Etymologie von translation an. Translation komme vom Lateinischen Kompositum translatio als trans wie across und ferre wie carry oder bringen. Das ähnelt der deutschen Übersetzung als einem Hinüberbringen. On Carrying and Being Carried brachte deshalb nicht zuletzt das Bild des Christophorus, des Trägers Christi von pherein wie tragen ins Spiel. Ein Mensch, der – empathisch – von einem anderen Menschen getragen wird. Christophorus trägt Christus durch eine, sagen wir, Wassergrenze. – Ähnlich verhält es sich mit Sprachgrenzen. – Dieses Bild hatte Teju Cole auch auf Fotos mit Flüchtenden entdeckt. Dann erinnerte er als Beispiel an die Fluchthelfer der dänischen Juden, die diese vor den Nazis nach Schweden brachten. Cole appellierte an ein „citizenship“, das für alle Subjekte gelte. Und die Sure 5 des Koran fasste Teju Cole so zusammen, dass darin stehe, wer ein Leben gerettet habe, habe die Welt gerettet. Und die Literatur könne wie ein Fluchthelfer ein Leben retten.[8]     

Robin Detje pries in seiner Laudatio die Überforderung durch Literatur. Vielleicht überfordern gute Literaturen immer, wenn sie nicht in einem restlosen Verstehen aufgehen. Detje sieht in der Überforderung „ein literarisches Qualitätskriterium“. – „Was sollen wir denn mit einer Literatur, die uns nicht überfordert?“ – Wie sich schon andeutete, hat die Lust an der Überförderung durchaus Grenzen. Detje nennt den Roman „Chronik eines Todes“, was ebenso auf Meine Homère ist tot … passen könnte. Doch eben ganz anders. Es gibt gar ein journalistisches Moment auf sehr verschiedene Weise in beiden Büchern. Um ein Buch richtig preiswürdig zu finden, muss es heute allerdings für Detje wenigstens als „Kapitalismuskritik“ lesbar werden.

Die Saison der Wirbelstürme ist kein Roman, der sich Kapitalismuskritik auf die Fahnen geschrieben hat. Aber er verdient diesen Preis trotzdem als politischer Roman. Hier wird auf schmerzhaft intensive Weise ein Notstand beschrieben, ohne dass dieser Notstand jemals explizit benannt wird.[9]

Die Kapitalismuskritik ließe sich ebenso und wahrscheinlich noch stärker in der Schreibweise von Hélène Cixous aufspüren. Beginnt nicht alle Kapitalismuskritik mit der Erzählweise? So weit geht Robin Detje nicht. Fernanda Melchor klickt sich allerdings in die Sprache der mexikanischen Presse ein, die sich vor allem erst einmal schnell lesen und verkaufen lassen soll, weil Erzählweisen von Frauen als „Hexen“ verbreitet und als Alltagsmythologie wiederholt werden. Das verkauft sich wie Pornographie. Und wahrscheinlich will Melchor mit ihren „Namen und Spitznamen und Daten und Herzen und Schwänze(n) und Mösen mythologischen Ausmaßes“ (Detje) eben diese Pornomythologie schmerzhaft offenlegen. Wenn man wie Hélène Cixous die Schreibszene selbst ins Mythologische verschiebt, dann wird sie schon im Französischen idiolektal erweitert und umgeschrieben. Claudia Simma merkt dies zu ihrer Übersetzung an:

Da sie das sind, was Hélène von Eve bleibt, sind, wo immer möglich, Wörter wie Maman, die im Französischen Eve benennen, in der Übersetzung nicht verdeutscht worden. Die Übersetzung verliert natürlich trotzdem viele der magischen Buchstaben, Wörter und Klänge, die in Hélène Cixous‘ Sprache und Schrift mit ihren Wortkörpern an Eves Körper rühren.[10]

Daten und Fakten, aber auch Fakes kursieren heute in einem „communicative capitalism“ des Internets wie es Jodi Dean in ihrer Blog Theory formuliert hat. Eine „Kapitalismuskritik“ sollte heute also insbesondere den „communicative capitalism“ berücksichtigen.[11] Er wird nicht zuletzt wirksam in der mexikanischen Presse. Das „Feedback and Capture in the Circuits of Drive“ lässt sich durchaus als eine spezifische Form von Verständnisprozessen lesen. Es sind zwar Programme oder Maschinen, die die Daten lesen, doch lässt sich dieses Lesen als Modell ebenso gut in Leseverstehen-Prüfungen finden. Dieses Lesemodel reicht bis in einen neuartigen Analphabetismus der Digitalisierung und hinüber zur einfachen oder Leichten Sprache als Strategeie zur demokratischen Partizipation. „Reading Comprehension“ wird nach dem aktuellen Wikipedia-Eintrag als „the ability to process text, understand its meaning, and to integrate with what the reader already knows“ definiert. Jodi Deans kritisiert insofern die zeitgenössische, „kapitalistische“ Form des Leseverstehens, wenn sie schreibt:

I take the position that contemporary communications media capture their users in intensive and extensive networks of enjoyment, production, and surveillance. My term for this formation is communicative capitalism. Just as industrial capitalism rely on the exploitation of labor, so does communicative capitalism rely on the exploitation of communication.[12]

Die Funktion von Literaturen lässt sich insofern mit einer Rückkopplung an die maschinellen Leseprozesse der Internet-Konzerne wie Facebook etc. bedenken. Tags, Hashtags oder Keywords lassen sich als eine Währung des „communicative capitalism“ beschreiben. Doch: Lässt sich auch noch anders lesen und schreiben? An dieser Stelle kommen die Schriften von Hélène Cixous zum Zuge. Sie haben ebenso sehr „Störpotential“ wie eine Klangvielfalt, die z. B. durch die Übersetzungen von Claudia Simma und Esther von der Osten des Textes Max und Moritz, et Ma Mère und dann kommt der Tod herbei unterschiedlich übersetzt wird. Und ganz besonders mit Meine Homère ist tot … Denn der Tod der Mutter und ihr Sterben ist gerade das, was sich am schwierigsten beschreiben lässt. Es kann hier definitiv nicht verstanden werden. Wir sind nicht zuletzt seit dem Tod Alexander von Humboldts daran gewöhnt worden, die genaue Todeszeit zu bestimmen und als Datum anzugeben. Max Ring machte sie in der Zeitschrift Die Gartenlaube mit „(a)n dem Nachmittage des 6. Mai um 2 Uhr 32“ zum universalhistorischen Ereignis. Die Genauigkeit des Datums wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutend. Doch es ist gerade dieses „Event“, dem das Sterben von „Maman“ nicht folgt. Der Tod ist im Französischen weiblich: la mort.

Ich sage „Tod“ aber es ist das Leben um das es sich handelt, um das Leben selber, um seinen lebenslänglichen Wankelmut, um seine Art sich zu ergeben nur um sich zur Korrektur zurückzunehmen, um sein erschrecktes Vom-Feuer-angezogen-Sein, um die verblüffende Kraft in seiner Schwäche. Schlussendlich weiß man nicht einmal warum das Leben sich in Tod verwandelt, vielleicht hat es genug davon mit dem Feuer zu spielen, es lässt eine Sekunde lang eine Sekunde los, manchmal lebt es wieder auf, und manchmal nicht.[13]

Meine Homère ist tot … sollte man ein magisches Buch, vielleicht gar eines der Magie nennen. Es ist allerdings keine vormoderne Magie wie die Alchemie, vielmehr eine des Datenaufschubs und einer eigensinnigen Zeichensetzung, die die Auslassung z.B. von Kommata beinhaltet. Die vermeintlichen Gewissheiten über Leben und Tod werden von Hélène Cixous nicht zuletzt mit Glyphen versehen. Die Glyphen, die sich weder als Satzzeichen noch als Buchstaben lesen lassen, sind in den Text eingestreut, ohne dass sie sich je leseverstehen lassen werden. Das ist auch ein editorisches Novum des Buches, das ihm einen bibliophilen Akzent gibt. Zeichen, die gelesen, aber nicht verstanden werden können. Sie erinnern an die Schrift als Eingeritztes, ohne dass sie schon systematische Hieroglyphen wären. Denn sie sind keinesfalls schon ein Bild, obwohl sie an Bildhaftes erinnern können. Zwar durch aktuelle Drucksatztechniken allererst ermöglicht, gehen die, wie ich sie hier nenne, ohne zu wissen, ob das richtig ist, Glyphen nicht im Digitalismus von 0 und 1 auf. Wenn es so etwas wie eine sichtbare Differenz gibt, dann könnten die Glyphen daran erinnern. (Da in dieser Blog-Software derartige Glyphen nicht vorhanden sind, kann ich sie hier nicht zeigen.)

Ich gestehe – und in diesem Blog habe ich als Subjekt eigentlich wenig zu suchen, außer dass sich der Blog nicht ohne mich schreibt -, dass mich das jüngste Buch von Hélène Cixous ungemein fasziniert. Denn selbst dann, wenn am Rande die Diagnose Demenz aufspringt, schreibt sie es nicht. Das ist eine ungeheuer starke Haltung gegen das oft tröstliche Wissen, das über das Alter, das Vergessen und den Wahn heute kursiert. Doch für H. gilt es bezüglich E. nicht. Die „Odyssee des Sterbens“ wird mit einer unendlichen Empathie geschrieben.

Im „Theater der Welt“ gibt es eines meiner Leben das seine/meine Geschäfte verrichtet, während sich die Seele-Hélène in der gewundenen Furche der Sterblichkeit abmüht.
All dies geschrieben begleitet von Eves Singsang hilfmiahhilfmiamiahiah seit fünf Uhr früh.
… Zu Zeugen hatte ich die riesig blutigrohen roten Wunden auf Mamans Beinen… [14]

Die Empathie ist keine leichte Übung. Sie wird heute leicht und auch leichtfertig eingeklagt. Hélène Cixous benutzt, soweit ich sie gelesen habe, kein einziges Mal das Wort Empathie. Empathisches Schreiben wird sich wohl gerade nicht so benennen. Doch wenn man einen Begriff sucht für das Schreiben, dann könnte es passen. Sie lässt sich nicht schrecken von den „zwei große(n) Beutel(n) wie verrücktgewordene Eier, Blutgerinnsel stocken, Blutgerinsel nässen“. Wer will das schon „pflegen“? Oder gar sich dem im Schreiben aussetzen? Für Leser*innen mag Meine Homère ist tot … bisweilen brutal wirken. Aber es ist eine ganz andere Brutalität als die pornographische Mordbrutalität. Sie ist empathisch.

Torsten Flüh

Internationaler Literaturpreis 2019
Medien

Hélène Cixous
Meine Homère ist tot …
aus dem Französischen von Claudia Simma
ISBN 9783709203248
235 x 140 mm
208 Seiten
Preis 25,60 EUR 

Passagen Gespräch
Forum für neues politisches Denken
Peter Engelmann spricht mit Hélène Cixous
Kulturfabrik Kampnagel Hamburg (7. Mai 2019)


[1] Der „Wort- und Bedeutungsteppich“ gibt auch einen literaturtheoretischen Wink auf die Rede vom „Romanteppich“ bei Thomas Mann, an die Jürgen Joachimsthaler mit den „Text-Ränder(n)“ angeknüpft hat. Vgl.: Torsten Flüh: Europas und der Texte Ränder. Zu Jürgen Joachimsthalers Text-Ränder – Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juli 11, 2012 20:26.

[2] Robin Detje: Laudatio zur Verleihung des Internationalen Literaturpreises 2019 an Fernanda Melchor und Angelica Ammar. Haus der Kulturen der Welt: Internationaler Literaturpreis 2019.

[3] Fernanda Melchor: Saison der Wirbelstürme. Berlin: Klaus Wagenbach, 2019, S. 225. (Zitiert nach Internationaler Literaturpreis: Shortlist 2019. Berlin:  Haus der Kulturen der Welt, 2019, S. 23. (siehe Leseprobe auch hier)

[4] Hélène Cixous: Meine Homère ist tot … Wien: Passagen, 2019, S. 12,

[5] Fernanda Melchor: Saison … [wie Anm. 3] (Leseprobe)

[6] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 11.

[7] Ebenda S. 20.

[8] Die Preisverleihung wurde mit mehreren Kameras gefilmt. Demnächst werden die Aufzeichnungen im Bereich „Mediathek“ des Internationalen Literaturpreises 2019 bereitgestellt werden.

[9] Robin Detje: Laudation … [wie Anm. 1]

[10] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 185.

[11] Jodi Dean: Blog Theory. Feedback and Capture in the Circuits of Drive. Cambridge: Polity, 2010, S. 2.

[12] Ebenda S. 3-4.

[13] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 20.

[14] Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 39.

Trauma und Bildfindungen der Teilung

Mauer – Aquatinta – Berlin

Trauma und Bildfindungen der Teilung

Zur Ausstellung Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt in der Salongalerie »Die Möwe«

Eine zentrale Gedenkveranstaltung wird es zu 30 Jahre Mauerfall nicht geben, sagt der Berliner Senator für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer, in seiner Laudatio zur Eröffnung in der Salongalerie »Die Möwe«, Auguststraße 50b in Mitte. Früher, ja, noch so im Januar 2002 war der Künstlerclub »Die Möwe« im Palais am Festungsgraben gleich neben dem Gorki Theater eine illustre Adresse. Der Künstlerclub war in gewisser Weise halböffentlich. Ein großzügiger Restaurantraum mit einem Flügel an der Seite, auf dem gelegentlich für eine Hochzeitsgesellschaft ein Freund ein Liebeslied spielte. Seit 2014 führt Claudia Wall die Salongalerie als Reminiszenz an den Künstlerclub, der 1946 in Ost-Berlin gegründet wurde. Die Reihe der dezentralen Veranstaltungen zum Gedenken an den 9. November 1989 eröffneten nun Künstler*innen aus Ost- und West-Berlin zu Zeiten der Teilung der Stadt.

Ein wenig launig erwähnte der Senator für Kultur und Europa auch die Berlinpraxis, dass viele (Alt-)Berliner immer noch nur ihren Ost- oder West-Kiez kennen, sich in ihm bewegen und nur selten in andere Teile der Stadt wechseln. Der Berichterstatter kennt derlei Praktiken aus Erzählungen, doch er hielt sie schon für überwunden. Möglicherweise war die Teilung der Stadt durch Stacheldraht und Todesstreifen mit Schießbefehl so traumatisch, dass sie für einige ältere Bewohner der Stadt immer noch nachlebt. Dass Claudia Wall mit Grunewald-Hintergrund ihre Salongalerie »Die Möwe« nennt und Dr. Klaus Lederer, der in Frankfurt/Oder aufwuchs und 1988 mit seinen Eltern nach Berlin-Hohenschönhausen zog, die Laudation hält, gibt einen Wink. Die Stadt ist durchlässiger geworden, während sie auf den Bildern in Öl, Gouache, Acryl und Aquatinta oft begrenzt dargestellt wird.

Im Katalogheft sind einige Kommentare der Künstler*innen zu ihren Arbeiten abgedruckt. Zu Feuerschein über der Stadt (1988) von Wolfgang Leber, der 1936 in Berlin geboren wurde und der mit dem Bau der Mauer 1962 sein Studium an der Hochschule für bildende Künste, die 1996 in der Universität der Künste aufgegangen ist, abbrechen musste, ist ein kritischer Kommentar zur Berliner Stadtarchitektur Ost abgedruckt. Statt Stolz der sozialistischen Errungenschaften, sah er „architektonische() Ratlosigkeiten“.  

Die Stadt ist mir als Motiv ständig gegenwärtig. Anhäufungen architektonischer Ratlosigkeiten, verschobener Perspektiven, Überschneidungen oder Lichtreflexe inspirieren zu Bilderfindungen, die sich als ein Gleichnis großstädtischer Existenz darstellen. […] Die Stadt mit ihren tausendfachen Brechungen und Metamorphosen ist der größte Fundus für einen Maler.[1]     

Die Bildfindungen, wie ich es lieber nennen möchte, sind ein Kommentar auf die Stadt. Die „Stadt … als Motiv“ generiert sich aus „tausendfachen Brechungen und Metamorphosen“. Später werden Monika Meiser, Klaus Roenspieß und Wolfgang Leber vor Feuerschein über der Stadt für den Berichterstatter posieren. Zuvor hatte Klaus Lederer seine Laudatio vor dem heimlichen und vielleicht rein zufälligen Bildzentrum der Ausstellung gehalten. Ist der Feuerschein 1988 eine Art Menetekel für die politischen Umbrüche, die sich mit einem vielleicht apokalyptischen Bild der „Anhäufungen architektonischer Ratlosigkeiten“ ankündigen? Hat das Bild eine politische Dimension? Im Katalog sind die Farben dunkler. Im Strahler der Galerie wirken sie sehr viel heller. Gibt es mit dem Feuerschein in einer fast kubistisch-modernen Malweise der Architektur eine Helle der Zuversicht? Wir wissen es nicht. Und wir wissen nicht, ob Wolfgang Leber darauf eine Antwort gehabt hätte.    

Die Stadt Berlin als Motiv kann in der Ausstellung menschenleer oder mit Passanten bevölkert sein. Museum Dahlem (1980) von Rolf Curt feiert die modernistische Architektur. Manchmal erscheinen Menschen als Silhouetten wie im kleinformatigen Farbholzschnitt An der Hochbahn (1981) von Klaus Roenspieß. Dann bleiben sie eher vereinzelt. Dann wiederum werden sie wie in S-Bahnhof Schöneberg (1983) von Evelyn Kuwertz als Wartende auf einem Bahnsteig in Beziehungen gesetzt. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Ein Mann mit Aktentasche geht auf dem Bahnsteig entlang. Das Bild mit seinen starken Lichtkontrasten schält sich aus einer Kombination von Aquarell, Eitempera und Pastell.

Das Warten auf die S-Bahn hat 1983 auch eine historische Teilungsdimension. Die S-Bahn nutzten West-Berliner nur, wenn es nicht anders ging, weil sie von der ost-berliner Reichsbahn betrieben wurde. 1980 kam es zum Reichsbahnerstreik. Der S-Bahnhof Schöneberg wurde stillgelegt. Erst am 1. Februar 1985 wurde die Wannseebahn unter Leitung der BVG wieder in Betrieb genommen. Insofern müsste es sich bei Evelyn Kuwertz‘ Bild um eines aus der Erinnerung handeln. Vielleicht wollen die Wartenden auf dem S-Bahnhof Schöneberg nach Steglitz, Zehlendorf oder Wannsee. Ganze Erzählungen und Rahmungen brechen los. Als künstlerische Aktivistin mischte sich Evelyn Kuwertz wiederholt in politische und frauenpolitische Themen. In der unteren, rechten Ecke steht eine Frau, auf die Wartenden blickend, im Vordergrund.

Ich bin in erster Linie Beobachterin, […] und es stellt sich heraus, dass diese Menschen, diese Umgebung auf mein Verständnis stoßen und einen Teil meines Alltags ausmachen, den ich eigentlich nicht so bewußt wahrnehme, […][2] 

Das Faszinierende an der Ausstellung Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt ist, dass es eben nicht nur zweimal Berlin gab, sondern das Zweimal in sehr viel mehr Blicke aufsplittert. In der Vielfalt der Blicke wird die Teilung selbst als Mauer kaum ins Bild gerückt. Das wäre in der Hauptstadt der DDR sicher ein Skandal gewesen, wenn es nicht gar unter Spionageverdacht verboten war. Es gibt wie mit Evelyn Kuwertz‘ S-Bahnhof Schönberg als Bildfindung einen Moment der Undarstellbarkeit der Mauer. Sie ist oft in Abwesenheit präsent. Das lässt sich nicht sofort sehen, kann aber sichtbar werden. Als Kuwertz mit den fast naturalistischen Schattenwürfen der Wartenden auf dem Bahnsteig S-Bahnhof Schönberg gemalt hat oder gemalt haben will, kann das Bild als Szene nicht stattgefunden haben. Ist die Datierung verrutscht? Oder woher kommt das Bild? Gerade dann, wenn das Bild in der Malerei klar zu sein scheint, kann es rätselhafter als gedacht werden.

In dem Gemälde An der Niederkirchner Straße (1987/2019) von Matthias Koeppel (1937) bekommt die Mauer von der Westseite einen widersprüchlichen Charme. Unweit des Martin-Gropius-Baus an der Niederkirchnerstraße gab es einen Aussichtsturm. Auf der anderen Seite der Mauer unerreichbar der Preußische Landtag und das heutige Bundesfinanzministerium. Auf dem hölzernen Aussichtsturm gibt es Figuren, die spielende Jugendliche sein könnten. Im Vordergrund am unteren Rand hebt ein Mann mit Schlips seine rechte Hand, als wolle er einer Frau im roten Kleid, um deren Schultern er seinen linken Arm gelegt hat, etwas erklären. Die Mauer ist mit unentzifferbaren Graffiti versehen.[3]

Das Trauma der Teilung schlägt Volten. Es erhält bei Matthias Koeppel 1987 eine bedenkenswerte Transformation ins Paradox-Unbeschwerte. In der Version des Bildes von 2019 sind der Mann und die Frau in Rot gealtert. Die erklärende Geste fehlt. „SPD“ und „Sex“ lassen sich als Graffiti erkennen. Ein Passagierflugzeug durchschneidet nun den Himmel. Doch das Szenarium ist fast gleich geblieben. 1996/97 malte Matthias Koeppel für das Berliner Abgeordnetenhaus im ehemaligen Preußischen Landtag seinen Triptychon Die Öffnung der Berliner Mauer in prächtiger Farbgebung, wie er sie bereits für An der Niederkirchner Straße in Öl auf Leinwand angewendet hatte.[4] Matthias Koeppels „Neue Prächtigkeit“ vollzieht mit ihrem Detailreichtum und den emotionalen Körperhaltungen eine stark narrative Geste. Er wollte und will z.B. vom 9. November 1989 erzählen.

… Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge der Gäste, der Saal leerte sich sofort und alles strömte in Richtung Mauer. Ich hatte einen Smoking an und darüber einen leichten Trenchcoat. Es war bitterkalt in jener Nacht, aber in dem Trenchcoat steckten gottseidank mein kleiner Skizzenblock und ein Bleistift, so daß ich vor Ort die ersten Zeichnungen machen konnte.
„Stasi-Schwein, hau ab!“ riefen mir irritierte Bürger zu, die dachten, daß jemand, der mit Block und Bleistift hantiert und sich dazu noch mit einem Smoking tarnt, die Autonummern der Ankommenden notierte, um sie ordnungsgemäß der Staatssicherheitsbehörde melden zu können. Wenn ich dann meinen Zeichenblock vorzeigte, erntete ich sehr schnell ein verständnisvolles Lächeln.[5]

Matthias Koeppel insistiert mit seiner Erzählung vom „Skizzenblock und … Bleistift“ auf eine fast journalistische Bildlichkeit. Das Trauma der Teilung verwandelt sich in die Mauer als Sehenswürdigkeit und historisches Ereignis. Peter Rohn (*1934) fasziniert 1966 der dunkle, spätabendliche S-Bahnhof Ostkreuz/Berlin. Die Bahnsteige und Fußgängerbrücken, aber auch die Fenster der S-Bahn-Wagen sind in einem gelblichen Weiß unter dunklem Himmel erleuchtet. Am linken Rand stößt eine Lokomotive weiß-blaue Dampfwolken über den S-Bahnsteig. Rohn lässt eine gewisse Technikfaszination Bild werden. Die satte Farbigkeit, der Wechsel von geschwungenen und geraden Linien in seiner Bildkomposition verleihen dem Ostkreuz eine hohe Dynamik. Dabei lebt Rohn seit 1960 nicht in Berlin, sondern im eher beschaulichen Potsdam. Die großstädtische Dynamik wird 1966, vier Jahre nach dem Mauerbau, allerdings zu einem Widerspruch. Rückte er deshalb eine weiß-rote Schranke im unteren Feld ins Bild?

Monika Meiser arbeitete als Mathematikerin und Programmiererin, um sich seit 1980 mehr und mehr der künstlerischen Bildproduktion in verschiedenen Medien zu widmen. Die vier Arbeiten in Aquatinta aus der ersten Hälfte der 80er Jahre in der Ausstellung beschäftigen sich mit Altbauszenarien im Prenzlauer Berg. Bei ihr ist es weniger die Architektur, die sie fasziniert, wenn sie etwa 1983 die kahlen Hinterhöfe ohne Menschen zum Bild macht. Die Hinterhöfe in Grau-Schattierungen lassen vielmehr ein Paradox der Großstadt Bild werden. Die vielen Fenster der Arbeiterhäuser mit 6 Stockwerken erinnern daran, dass sehr viele, hunderte von Menschen in den Wohnungen hinter den Fenstern leben müssen. Doch die vielen Menschen bleiben nicht zuletzt hinter den gesichtslosen Hausfassaden und blinden Fenstern unsichtbar. Die Urbanität der hohen, sechsstöckigen Mietshäuser aus der Jahrhundertwende bringt die Menschen als Einzelne auf erschreckende Weise zum Verschwinden.

Die Arbeiten in Aquatinta, einer aufwendigen und komplizierten Drucktechnik, erfordern eine gewisse Liebe zur Kunst als Handwerk. Meiser ist in ihrer künstlerischen Bildproduktion nicht zuletzt eine exquisite Kunsthandwerkerin. Es gibt auch Aquarelle von ihr, doch an den Aquatintaradierungen in Grau wird ihre heute oft im Kunstbetrieb unterschätzte handwerkliche Geschicklichkeit deutlich. Ein Bestseller wie Jeff Koons lässt seine Millionen Euro teuren Ballon-Pudel von einer Spezialfabrik im Thüringischen anfertigen. Das kann auf eine andere Weise interessant sein, doch es gibt auch einen Wink auf das Verhältnis von Handwerkskunst und Kunstmarkt. Monika Meisers Aquatintaradierungen erfordern dagegen eine gewisse Sorgfalt und ein Technikwissen. Stefan Friedemann gibt einen bedenkenswerten Hinweise auf den Entstehungsprozess der „Berlinbilder“:

Da das Erarbeiten einer Aquatintaradierung ein langwieriger Prozess ohne sichtbares Zwischenergebnis ist, sind Vorstellungsgabe und vorausschauendes Denken, eine innere Version wichtig.[6]

In der Zeit um 1983 ist Meiser auf Spurensuche auf den grauen Fassaden der Wohnhäuser. Und das hat viel mit den Menschen zu tun, die nicht mehr in den Häusern leben, die sie abbildet. Einerseits basieren die Aquatintaradierungen auf Fotografien, andererseits werden sie durch einen Mangel an Farbe angestoßen. Dieser Mangel machte zugleich ein ökonomisches Versagen in der geteilten Stadt sichtbar und ließ sich dennoch als künstlerisches Sujet wertschätzen. Die Spuren werden so als Bild zu solchen des Mangels und des Verlustes. Heute lässt sich in vielen Teilen der Stadt bei Renovierungen der Hausfassaden oft beobachten, dass Schriftzüge freigelegt und sorgfältig konserviert werden. Doch der blätternde Putz wird dann ersetzt durch eine meist dezente Farbe. Die Zeitlichkeit der abgeblätterten Schutzfarbe, der Meiser so viel Aufmerksamkeit, geradezu Akribie schenkte, ihr einen Wert beimaß, ist dann verloren gegangen.

Erst am Ende dieses langen Vorgangs wurde im ersten Andruck sichtbar, ob die beabsichtigte Bildidee bestätigt wurde… Monika Meiser bezeichnet dies stufenweise Erarbeiten der Tonwerte mit ihren differenzierten, häufig kleinteiligen Strukturen rückblickend als meditativen Prozess. [7]

Die Aquatinta als Drucktechnik erscheint offenbar in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als ein gebildetes Publikum nach anderen ebenso wie mehr Bildern verlangt und zugleich neue Drucktechniken in den Bild- und Buchmarkt drängen. Wer die Aquatinta erfunden hat, weiß selbst die „Geschichte der Erfindungen: Bildungsgang und Bildungsmittel der Menschheit“ 1872 nicht. Doch es geht um ein neues Wissen, das als „Bildungsmittel der Menschheit“ praktisch beschrieben und vermittelt werden kann. Die Aquatintaradierung kombiniert die feine Linienzeichnung mit der Flächigkeit und den Schattierungen der Tusche, die in wiederholt ausgeführten Druckvorgängen nach einer Imagination oder „Bildidee“ aufgetragen wird. Je tiefer die Ätzung, desto schwärzer wird die Stelle in den Graustufen.

Das Wesen dieser Manier ist in Kürze dieses. Nachdem die Umrisse eines Bildes eingeätzt und die Platte wieder gereinigt ist, kommt sie in den sogenannten Staubkasten, wo sie mit einer Lage von fein gepulvertem Harz (Mastic oder Kolophonium) möglichst gleichmäßig überpudert wird. Durch Erhitzen der Platte über einem gelinden Kohlenfeuer werden sodann die einzelnen Staubkörnchen erweicht und angeschmolzen.[8]        

Das Bild z.B. Ladenstraße (Kollwitzstraße) entsteht aus mehreren Druckgängen. „OTTO BLEEK MECHANIKERMEISTER“ steht kaum noch entzifferbar durch den abblätternden Putz über einer niedrigen Tür auf dem Bild Großer Hauseingang (1983). Auf der teilweise beschädigten Tür sind Schriftzeichen in die Farbe eingeritzt, die sich gar nicht mehr entziffern lassen. Neben der Mechanikermeister-Tür lassen sich auf dem abblätternden Putz „Reparaturen von Foto und“ zusammenbringen. Es ist dieses Verhältnis von geritzten Linien und den stufigen Schattierungen der Aquatintaradierung, die die Faszination der Technik ausmachen. Meiser setzt sie in ihren „Berlinbildern“ meisterhaft ein. Otto Bleek wird es hier nicht mehr geben. Dass sich hinter der Tür noch eine Werkstatt befinden könnte, kann man sich nicht vorstellen. Doch durch die Einritzungen wird nicht nur der Name „Otto Bleek“ präsent. Es gibt dieses Spiel von An- und Abwesenheit, das Monika Meiser mit ihren Bildern vorführt. Wo „KARTOFFELN“ in der Kollwitzstraße steht, gibt es keine. Das „Musikhaus“ ist vermauert. Von der „SCHUHMACHERE“ fehlt nicht nur das I.

Man könnte die Aquatinta-Bilder von Monika Meiser für pittoreske Erinnerungen an den Prenzlauer Berg halten, der durch Sanierung und Renovierung fast gänzlich verschwunden ist. Doch die Bilder entstanden aus einer eher melancholischen Faszination um 1983. Sie stellen Fragen nach den Werten und den Menschen, die da gelebt und gearbeitet haben. Und sie halten diese Fragen wach. Das Verschwundene ist verschwunden, aber als Bild existiert es fort.

Torsten Flüh

Zweimal Berlin
Blicke auf eine geteilte Stadt
bis 24. August 2019
Salongalerie »Die Möwe«
Auguststraße 50b
10119 Berlin


[1] Wolfgang Leber zitiert nach: Salongalerie »Die Möwe«: Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt. Berlin 2019, S. 19.

[2] Evelyn Kuwertz zitiert nach: ebenda, S. 17.

[3] Matthias Koeppel: An der Niederkirchner Straße. Ebenda S. 14-15.

[4] Siehe auch Matthias Koeppel: Die Öffnung der Berliner Mauer. (Rede anläßlich der Übergabe des Triptychons an das Berliner Abgeordnetenhaus am 16. Januar 1997) (Auszüge)

[5] Ebenda.

[6] Stefan Friedemann: Berlinbilder – Radierungen aus den Achtziger Jahren. In: Monika Meiser: Berlinbilder. Radierungen 1982 – 1985. Berlin 2019, S. 3 (ohne Seitenzahl).

[7] Ebenda.

[8] Einführung in die Geschichte der Erfindungen: Bildungsgang und Bildungsmittel der Menschheit. Leipzig/Berlin: Spamer, 1872, S. 473.

Der Wahnsinn der Lokomotive

Wahnsinn – Lokomotive – Stummfilm

Der Wahnsinn der Lokomotive

Zur bevorstehenden Weltpremiere von Abel Gance‘ La Roue in der rekonstruierten Fassung auf dem Musikfest Berlin 2019

Am Samstag, den 14. September 2019, wird um 14:00 Uhr die Weltpremiere von La Roue im Konzerthaus am Gendarmenmarkt beginnen. Dann wird sich das technisch-industrielle der Lokomotiven ebenso wie mythische Rad, franz. la roue, in vier Teilen mit drei Pausen bis 23.00 Uhr drehen. Abel Gance brachte das Filmepos 1923 ins Kino. Die siebenstündige Fassung von La Roue wird vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel mit der Original-Live-Musik von 56 zumeist französischen Komponisten mit Bruchstücken aus 117 Werken begleitet werden. NIGHT OUT @ BERLIN hat den Trailer zur Produktion bereits auf der Pressekonferenz für das Musikfest gesehen, mit der zuständigen Redakteurin bei ZDF/ARTE, Nina Goslar, gesprochen und in die Aufnahmen der Stummfilmmusik nach einem Arrangement von Arthur Honegger im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks hineingehört.

Ein Filmepos von sieben Stunden wird selbst in Paris 1923 nicht gerade massentauglich gewesen sein. Die Pariser Metro war bestimmt damals schon schneller als die S-Bahn in Berlin. Das Türschließsignal der Metro ist heute um einiges aggressiver und schneller als das der BVG-Züge. Paris hat eine höhere Taktung als Berlin. In Paris und Berlin fuhren die ersten Untergrundbahnen. Das Leben beschleunigte sich durch Lokomotiven und städtische Untergrundbahnen ungemein. Die Beschleunigung des Lebens ist paradoxerweise eines der Hauptthemen von La Roue. Die Räder der Lokomotiven werden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer wieder zu Akteuren der Handlung. Signale, Drehscheiben für Lokomotiven, Schienenstränge, eine zur Unkenntlichkeit vorbeischießende Landschaft vor dem Abteilfenster… Schnitte und Schnittfolgen reißen das Publikum in einen Geschwindigkeitsrausch. Dazu Musik, Melodienfetzen, Maschinen-Musik. Abel Gance sah, was andere erst sehen lernen mussten.

Am 7. Juni 2010 wurde eine 303-minütige Fassung von La Roue im Salle Henri Langlois der Cinémathèque française in Paris gezeigt. Die durch weitere Funde und Rekonstruktionen zur Weltpremiere anstehende Fassung konnte auf ca. 420 Minuten verlängert werden. Die Pariser Premierenfassung war für 8,5 Stunden konzipiert und Arthur Honegger legte einige Überlegungen zu seinem Konzept für die Musik zur „siebente(n) Kunst“, in der Gazette des Sept Arts dar. Film und Musik werden von ihm insofern als eigenes Kunstkonzept mit „Musikalische(n) Adaptionen“ bedacht. Das Visuelle und das Auditive funktionieren für den Komponisten im Kino anders als im Konzertsaal oder auf der Opernbühne. Das hatte nicht zuletzt mit dem anderen Rad der sich ununterbrochen abspulenden Filmrollen zu tun. Arthur Honegger lehnt „Adaptierungen“ ab.

Die einzige zulässige Form ist die einer speziell für den ganzen Film hergestellten Komposition.[1]   

Die falsche Musik zum Stummfilm kann nach Arthur Honegger zur Sinnkollision von Visuellem und Auditivem führen. Das stellt den Komponisten vor besondere Herausforderungen. Wenn Arthur Honegger dafür ein fast schon witziges Beispiel anführt, dann gibt dieses einen Wink darauf, dass die großen Stummfilmorchester der 20er Jahre in Paris und vermutlich auch in Berlin zwar über ein reiches Repertoire von Musikschnipseln verfügten, sich aber auch in der Zuordnung zum maschinell abgespulten Film vergreifen konnten. Die Filmprojektoren warfen nicht nur etwas vorwärts, lat. proicere, sie mussten auch am Laufen gehalten werden. Und der Film durfte technisch wie sinnlich nicht reißen.

Nichts ist schockierender als sich zum Beispiel für einen Film, der fraglos mit einer ganz anderen Konzeption entworfen wurde, einer Sinfonie von Beethoven zu bedienen. Die „heroische Sinfonie“ Eroica in einem Kriminalfilm für eine Verfolgung im Auto zu verwenden, ist nicht einmal komisch und verwirrt das am wenigsten vertraute Publikum durch die unterschiedlichen Bedeutungen der Partitur und des Films. Für LA ROUE konnten mein Mitarbeiter Paul Fosse und ich keine Partitur mit einer Dauer von zehn Stunden und 11.000 Metern Film herstellen.[2]  

Das Musikwissen muss nach Arthur Honegger so eingesetzt werden, dass es zwischen Augen- und Ohrensinn nicht zur Kollision kommt. Der Ohrensinn darf nicht stören. Er muss auf die maschinelle Kunst der Filmproduktion abgestimmt werden. Wie lösten Arthur Honegger und Paul Fosse das Sinnproblem von La Roue? Die Schnitte und Schnittwechsel, die die filmische Erzählung ebenso generieren wie rhythmisieren, beschreibt Honegger eher diskret. Die Überschneidung von Technologie als Film, Lokomotive und Gleisnetz, die visuell eine große Rolle im Schnittrhythmus und Handlungsablauf spielt, erwähnt der Komponist nicht. Zu selbstverständlich spielt der Film im Milieu der Lokomotivarbeiter eine das Leben und Lebensläufe strukturierende Rolle. Das Schicksalsrad und die Lokomotivräder werden allerdings in den Zwischentiteln grafisch als Emblem inszeniert. Honegger setzt auf eine Strategie des Nichtwissens und der „Bekräftigung“, die sich selbst an der Grenze zur Maschine situiert.

Indem wir uns so weit wie möglich an das „wenig Bekannte“, gar das Anonyme hielten, haben wir nur moderne Werke mit hohem musikalischen Anspruch wie die von Florent Schmitt, Roger Ducasse, Darius Milhaud, Georges Sporck, Charles Marie Widor, Vincent d’Indy, Alfred Bruenau, Gabriel Fauré usw. ausgesucht. Wir bemühten uns um eine möglichst absolute Korrespondenz zwischen der einen Filmausschnitt bestimmenden Bedeutung und seiner rhythmisch-musikalischen Bekräftigung.[3]  

La Roue (Screenshot, T.F.)

Als Beispiel führt Honegger die Filmepos-Figur des Sisif Hersan (Séverin-Mars) an. Der durchaus charismatische Schauspieler Séverin-Mars war bereits am 17. Juli 1921 verstorben. Der Lokomotivführer bzw. „mécanicien-chef“ Sisif ist die Hauptfigur des Films im Eisenbahnmilieu des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sisif – ein merkwürdiger Vorname. Die Eisenbahn ist quasi zum Langstrecken-Verkehrsmittel par excellence geworden. Seit den 1840er Jahren hat sie im weit verzweigten französischen und europäischen Schienennetz bis in den Orient an Attraktivität und Normalität gewonnen. Spekulationen mit Eisenbahnaktien haben wie schon im „Lustspiel“ Die Eisenbahn-Actien-Spekulanten von Gustav Bernhard sozialen Aufstieg ermöglicht und Kapital vernichtet, wovon auch Volker Hagedorn in seinem Roman Der Klang von Paris schreibt.

La Roue (Screenshot, T.F.)

Abel Gance dreht La Roue, als sich das Eisenbahnzeitalter bereits im technologischen Umbruch befindet. Die Dampfkessel der Lokomotiven werden noch mit Kohlen befeuert. Erste Konstruktionen mit dieselbetriebenen oder elektrischen Lokomotiven lassen zugleich eine Dämmerung der Dampflokomotive aufsteigen. Die Metro fuhr seit 1900 als elektrische Untergrundbahn. Das Zeitalter der Elektrizität hat begonnen. Das Verhältnis des Lokführers Sisif zur Lokomotive nimmt im Film wiederholt symbiotische Züge an. Seine „tragische Passion“ ist unauflösbar mit der fast antiquierten Lokomotive als Maschine im schicksalhaften Gleisnetz verwoben.

Wenn Sisif Hersan sein Leben und seine tragische Passion erzählt, bringt die Musik die Seelenlage von Sisif und nicht die verschiedenen Anekdoten seines Lebens, die er erwähnt, zum Ausdruck.[4]  

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die im Internet verfügbaren Trailer und Ausschnitte sowie die Sequenz, die der Berichterstatter bei den Aufnahmen im Großen Sendesaal sehen konnte, inszenieren den „Ausdruck“ auf frappierende Weise durch die Lokomotive. Die „Seelenlage von Sisif“ zeigt sich nicht nur bis zur Ununterscheidbarkeit darin, wie er seine Lokomotive(n) „führt“ oder benutzt, vielmehr ermöglicht sie es „seine … Passion“ oder seinen Wahnsinn auszuleben. Wenn er keine Lokomotive hätte, könnte er mit der ziellosen Fahrt, die an einem Puffer enden wird, gar nicht seine Raserei ausleben. Die Geschwindigkeitserhöhung, die immer wieder wie von Geisterhand und gerade nicht durch die Befeuerung des Dampfkessels als Arbeit durch einen schnellen Schnittwechsel von Gleisen, Signalen, Sisif mit wehendem Haar und irren Blick in Nahaufnahme, unkenntlich vorbeihuschende Landschaft etc. von Abel Gance inszeniert wird, ist die Lokomotive als Schicksal. Und Honegger schreibt:

Ich fordere, dass das Prinzip synchron mit dem Film komponierter Partituren bald eine Notwendigkeit wird, die das Publikum in derselben Art erfährt, wie sie es für die Künstler sind, befördert durch die großen filmischen Verlagshäuser, die sich dessen noch nicht bewusst zu sein scheinen.[5]     

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die Inventionen des Visuellen von Abel Gance sind beträchtlich. Wie sich bereits mit J’accuse (1919) beim Musikfest 2018 gezeigt hatte. Peter Schöller hatte eigens eine Live-Musik für das Rundfunk-Sinfonieorchester komponiert.[6] Für La Roue wird das Musikproblem mit Arthur Honegger gelöst. In einer Version der Eröffnungssequenz nutzt Gance die Überblendung bzw. Doppelbelichtung von Porträt und Dampfender Lokomotive, um die Symbiose von Sisif mit der Maschine als Imagination eines Lebens sichtbar zu machen.[7] Nina Goslar schlägt vor, dass La Roue mit einer „Familiensaga, die Motive des antiken Ödipus- und Sisyphos-Stoffes“ verarbeite, um sie „mit einer adäquaten Musik … für die Moderne zu adaptieren und das Kino zum Ort einer neuen universalen Kunstform werden zu lassen“.[8] Doch in dem großen Filmepos überschneiden sich offenbar mehrere Ebenen von Filmschaffen, Erzählung, Technologie, Familiensaga, Liebesgeschichte, Mythos und Schicksal. Das lässt sich zumindest mit der Widmung des Epos für seine verstorbene Frau lesen, die in einer Fassung der Erzählung im Prolog vorausgeschickt wird.

Je dédic ce film à la mémoire de ma chère jeune femme, née Jsa Danis, morte à vingt sept ans. Abel Gance (Ich widme diesen Film der Erinnerung an meine liebe junge Frau, geborene Jsa Danis, die mit 27 Jahren gestorben ist.)

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die handschriftliche Widmung ist insofern verstörend, als Abel Gance seit 7. November 1921 wohl mit Marguerite Danis in zweiter Ehe verheiratet war, diese allerdings erst 1986 in hohem Alter verstarb. Eine bedenkenswerte Überschneidung von Filmarbeit mit der Kamera und Widmung wird damit, sagen wir, in den Lokomotivfilm hineingeschmuggelt. Sie lässt sich nicht befriedigend auflösen. Sie existiert dank der Filmkunst und ihrer Technologie. War Isa eine Schwester von Marguerite? Eine Art Zwischenehe? Wir wissen es nicht. Gleichwohl wird der Film mit der Widmung wie eine solche in der Literatur zu einem Gedächtnis. Doch es ist eben auch die Filmkunst, die in einem Feld der Kunst ein Gedenken wirklich werden lässt. Eine Eisenbahnkatastrophe spielt in La Roue filmisch wie narrativ eine entscheidende Rolle. Junge Frauen geraten einzeln oder in Gruppen während der Katastrophe vor die Kamera. Schon in J’accuse mit Dokumentaraufnahmen aus Kämpfen des 1. Weltkriegs war eine bedenkenswerte Überschneidung von Fiktionen bei Abel Gance entstanden.

La Roue (Screenshot, T.F.)

Wir wissen nicht, wie die Widmung in den Film hineingeraten ist. Doch Abel Gance‘ Filmarbeit, für die er häufig als Produzent, Regisseur, Kameramann und Schauspieler tätig wird, legt eine erstaunliche Nähe von Film als Medientechnologie und Selbstfiktion nahe. Die ausdauernden und wiederholten Einstellungen mit der Aufsicht auf die Gleise und Weichen während Fahrt gehören zu Abel Gance erstaunlichen Bildinventionen. Die, wenn man so will, antiken Schicksals- und Erzählstränge von Ödipus und Sophokles erscheinen als Schienennetz. Er rückt immer wieder ins Bild, was die Reisenden und selbst der Lokführer so nicht sehen, nicht sehen können. Später, 1927, wird man in der Eröffnung von Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt ähnliche Einstellungen finden. Ruttmann dreht und schneidet seinen Film als Komposition. Die „Großstadt“ wird ebenso zur „Sinfonie“ wie zur Bildmaschine. Die Stadt erzählt sich selbst.[9] 1928 wird Kurt Weill den Berlin im Licht-Song komponieren.

La Roue (Screenshot, T.F.)

La Roue/Das Rad ist offenbar auch von der Cinémathèque française oder France Culture lange etwas nachlässig behandelt worden. Vielleicht ist die narrative Großform des Epos 1923 auch eine, die sich fast überholt hat. Sie passt nicht mehr in die Lebenspraxis der Zeit. Doch das Prinzip der Komposition durch Montage findet sich im Visuellen wie im Auditiven. Während eine Beethoven-Sinfonie einen programmatischen Sinn z.B. des Heroischen oder des Pastoralen generiert, lässt sich dieser im industriellen und kapitalistischen Gleisnetz des Lokomotivzeitalters kaum noch finden. Die Arbeit des Sisyphos ist wie die des Lokomotivführers Sisif Hersan auch eine vergebliche. Führt er die Lokomotive? Oder führt und verführt ihn die große Maschine aus Gleisnetz und Lokomotive? Vielleicht erinnert Sisif in seinem Wahn deshalb so sehr an den Mythos von der vergeblichen Arbeit als Strafe.

Torsten Flüh

Weltpremiere
La Roue
Musikfest Berlin 2019
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
14. September 2019, 14:00 bis 23:00 Uhr
Konzerthaus Berlin

TV Premiere auf ARTE
am 28. Oktober und 4. November 2019  


[1] Arthur Honegger: Musikalische Adaptionen. In: Gazette des Sept Arts Februar 1923, S. 4-5. (Zitiert nach Pressemitteilung Musikfest Berlin 2019.

[2] Ebenda.

[3] Ebenda.

[4] Ebenda.

[5] Ebedna.

[6] Siehe Torsten Flüh: Flash des Krieges in Trauma-Bildern und -Musik. Zur neuen Musik und den alten Bildern von Abel Gance‘ Meisterwerk J‘accuse beim Musikfest. In: NIGHT OUT @ BERLIN September 20, 2018 23:39.

[7] Siehe La Roue CD1 (YouTube).

[8] Pressemitteilung … [wie Anm. 1].

[9] Vgl. für Ruttmann auch: Torsten Flüh: Unerhört großstädtisch. HK Grubers Großstadt-Konzert als Philharmonie »Late Night«. In: NIGHT OUT @ BERLIN Januar 23, 2012 18:45.

Eine Kunst des Eigentums – Zur Mosse-Lecture von Maria Eichhorn und Sabeth Buchmann

Institution – Aktiengesellschaft – Restitution

Eine Kunst des Eigentums

Zur Mosse-Lecture von Maria Eichhorn und Sabeth Buchmann

Maria Eichhorn und Sabeth Buchmann hielten ihre Mosse-Lecture gemeinsam zum Thema: Gemeinschaftliche Kunstpraktiken im öffentlichen Raum: Das >Rose Valland Institut< und andere Projekte. Damit rückten sie vor allem Praktiken in der Kunst, in Eigentumsfragen und Kunstinstitutionen wie Museen und Bibliotheken ins Interesse. Die Künstlerin Maria Eichhorn hat 2017 insbesondere mit ihrem Projekt Rose Valland Institut während der documenta 14 auf die Arbeit mit Bürger*innen aus Kassel und Umgebung gesetzt. Sie suchte und sucht mit einem „Open Call“ nach „Verwaistem Eigentum in Europa“ und macht damit auf „Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland“ aufmerksam. Dafür ist sie auf Mitarbeit aus der Bevölkerung und von Institutionen wie der Zentral- und Landesbibliothek Berlin angewiesen.

Auf dem Plakat der Mosse-Lectures für das Sommersemester 2019 ist Maria Eichhorns Installation von Büchern auf einem weißen Regal fast in Raumhöhe für die documenta 14 zu sehen. Das Regal ist in der Proportion zur Höhe ziemlich schmal. Im Vergleich mit relativ niedrigen, aber langen Regalreihen in Bibliotheken, wenn man an das Suchen nach Büchern in ihnen gewöhnt ist, wirkt es dysfunktional. Auf den Buchrücken kleben kleine, gelbe Zettel mit Signaturen wie „Cg 1555“, damit die Buchtitel zu finden sind. Wahrscheinlich müsste man feststellen, dass die Bücher nicht nach den Signaturen geordnet sind. Die Bücher stammen den Signaturaufklebern nach aus einer öffentlichen Bibliothek. Das Einzelregal in der Mitte eines Ausstellungsraums stellt die Bücher mit den Signaturen aus, indem sie aus der Bibliothekspraxis isoliert werden. Doch die Präsentation ist nicht nur ästhetisch. Sie ist zugleich politisch.

Elisabeth Wagner (Mosse-Lechtures) erinnerte in ihrer Einführung an die Kunstsammlung Rudolf Mosse, die im neobarocken Palais des Zeitungsverlegers am Leipziger Platz 15 beheimatet war. Sie wurde durch das „Kunst-Auctions-Haus“ Rudolf Lepke aus der nahen Potsdamer Straße 122 in der „Galerie Mosse“ am 29. und 30. Mai 1934 auf Zwang versteigert.[1] Der Katalog mit 325 Losnummern zeigte auf dem Einband die zweistöckige, imposante Fassade des Palais‘. An der Freien Universität forscht die Mosse Art Research Initiative (MARI) nach dem Verbleib der Kunstsammlung und Restitutionsansprüchen. Vom 6. bis 9. Juni findet im Deutschen Historischen Museum die Konferenz Mosses Europa – Neue Perspektiven in der Geschichte der deutschen Juden, des Faschismus und der Sexualität zum 100. Geburtstag des Historikers und Enkels George L. Mosse (1918-1999) statt. Rudolf Mosse war bereits 1920 verstorben. Seine Nachfahren mussten emigrieren.

Maria Einhorns ästhetisch-politische Installation erhält durch eine Reihe von Dokumenten wie dem „Zugangsbuch J“ zur Kunstausstellung documenta eine zusätzliche Rahmung. Das „J“ steht für Juden. Die Bücher stammen aus jüdischen Privatbibliotheken und gelangten 1943 als „kostenlose Übergabe von ca. 40.000 Büchern“ in den Besitz der Berliner Stadtbibliothek.[2] Die fast unvorstellbar große Zahl von 40.000 Büchern korreliert auf einmal mit der dysfunktionalen Höhe des Regals. Doch nicht diese, sondern immerhin noch „1.920 Buchtitel“ wurden nach 1945 in das „Zugangsbuch J“ eingetragen. Sie wurden insofern durch die Zentral- und Landesbibliothek als „NS-Raubgut“ kenntlich gemacht, um zugleich als „Geschenk“ legalisiert zu werden. Das Regal und seine Präsentation situieren sich insofern an der Schnittstelle von Kunst als ästhetisches Projekt, Provenienzforschung, Institutionskritik, Restitutionswunsch wie Restitution als Praxis.

Die im Regal präsentierten Bücher sind allesamt im Zugangsbuch J registriert. Auf eingelegten weißen und grauen Zetteln ist die Zugangsnummer und meist auch die Signatur vermerkt. Die orangenen Zettel markieren diejenigen Bücher, die offensichtliche persönliche Provenienzmerkmale aufweisen.
Zwei Fallbeispiele — Bücher aus dem Besitz von Ludwig Simon und Gertrude Wütow — veranschaulichen die Suche der Zentral- und Landesbibliothek Berlin nach Erb_innen.[3]

Kunstpraxis und Ästhetik sowie Kunsthandel und Praxis der „NS-Raubgut“ stehen für Maria Eichhorn in einem interdisziplinären Kontext. Wie das verbrecherisch erlangte, jüdische Eigentum erworben worden ist, steht mit seiner Präsentation als Installation im Kunstmuseum in einem Kontext. Der unüberschaubaren Masse von 40.000 Büchern und selbst noch die große Zahl der fast zweitausend Buchtitel wird das einzelne Buch gegenübergestellt. Die mikrologische Arbeit bricht die große Zahl als Einzelschicksal und Einzeltat auf. Sie wird ästhetisch präsentiert als „Zugangsbuch J“ und zwei einzelne aufgeschlagene Bücher mit „Widmungen“ oder, eher noch treffender, Zueignungen.    

Gertrude Hirschweh, geb. Wütow
Das Buch William Wordsworth, The Poetical Works of Wordsworth (London [u.a.]: Warne, 1891), ist im Zugangsbuch J unter der Nummer 1261 eingetragen. Es wurde unter der Signatur Cq 1555 in den Bestand der Berliner Stadtbibliothek eingearbeitet. Auf dem Titelblatt findet sich eine Widmung: „Gertrude Wütow from her loving Friends Emily, Edith & [Harry R…] November 1892“.
Das Buch war Teil des Ankaufs aus der Pfandleihanstalt. Außer der Widmung sind im Buch nur Merkmale zu finden, die auf die Berliner Stadtbibliothek und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin zurückführbar sind (Signatur, Stempel, Zugangsnummer, „Nicht entleihbar“-Etikett, etc.).[4]

Es ist für die Kunst von Maria Eichhorn wichtig, das Ästhetische über die Interdisziplinarität nicht aus den Augen zu verlieren. Denn in der ästhetischen Präsentation von Masse und Einzelheit wird sichtbar, was mit der großen Zahl und der Institution Zentral- und Landesbibliothek Berlin zum Verschwinden gebracht wurde. Die systematische, rassistische, staatlich sanktionierte Aneignung von Eigentum aus jüdischem Vermögen hat wie im Fall von Artur Lauinger oft widersinnige und verheerende Folgen gehabt. Geradezu euphemistisch „Liquidation jüdischen Vermögens“ genannt, handelte es sich um eines der größten Staatsverbrechen des 20. Jahrhunderts, um das „deutsche Volk“ zu Mittätern zu machen. Wolfgang Lauinger (1918-2017) wurde gleich auf mehrfache Weise in das Verbrechen verstrickt.[5] Soweit die Käufer*innen auf Auktionen nicht selbst wissen wollten, woher die günstigen Bücher, Gemälde, Kunst- und Haushaltsgegenstände stammten, wurden sie wenigstens zu Mittäter*innen gemacht.

Die Identität von Gertrude Wütow ist nicht eindeutig geklärt. Vermutlich handelt es sich um Gertrude Hirschweh geb. Wütow, geboren am 26. März 1874 in Berlin. Dafür spricht, dass das Buch aus einer Berliner Wohnung geraubt wurde und sowohl der Name Gertrude Wütow als auch der Name Gertrude Hirschweh in den gängigen Quellen (in Adressbüchern, in einem Gedenkbuch und in der Gedenkstätte Yad Vashem) nicht nur mehrmals vorkommt, sondern sich immer auf dieselbe Person bezieht.
Gertrude Wütow heiratete am 9. September 1895 den Apothekenbesitzer Hermann Hirschweh (geboren am 16. Juni 1865 in Jedwabno, Ostpreußen). Gertrude und Hermann Hirschweh hatten eine am 11. Juni 1896 geborene Tochter, Hertha Johanna, und vermutlich mindestens ein weiteres Kind, Dorothea Hirschweh Beerman. Gertrude Hirschweh wurde am 13. Januar 1942 ins Ghetto von Riga deportiert; zu ihrem weiteren Schicksal konnten bislang keine Informationen gefunden werden. Auch mögliche Erb_innen konnten bislang nicht ausfindig gemacht werden. [Stand Juni 2017][6]

Die Installation und der „Aufruf“ führten im Dezember 2017 tatsächlich zur Restitution des Buches durch die Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Weitere Beispiele konnten mit dem „Open Call“ vom 15. Juni 2017 eingeleitet und realisiert werden. Denn Maria Eichhorn und ihr Rose Valland Institut hatten dazu aufgerufen, „aktiv an der Aufklärung andauernden Unrechts und am Auffinden und Aufdecken der unrechtlichen Besitzverhältnisse mitzuwirken“.[7] Benannt ist das Institut nach der Kunsthistorikerin Rose Valland, „die während der deutschen Besatzungszeit in Paris die Plünderungen der Deutschen in geheim gehaltenen Listen aufzeichnete“. Das Ausmaß der Plünderungen und „Liquidationen“ wird landläufig unterschätzt, während Vererbungsprozesse seit über 70 Jahren häufig die Spuren des „Familienerbes“ verwischt und durch Vergessen legalisiert haben. Doch Restitution ist möglich und notwendig.

Fritz Hirschweh konnte 1938 mit seiner Frau Regina und ihrem einjährigen Sohn Hermann Michael in die USA fliehen. Er verstarb kurz nach der Ankunft im Dezember des gleichen Jahres im Alter von nur 37 Jahren in New York.
Die restituierten Bände stammen aus dem Ankauf 1943, bei dem die BStB ~40.000 Bücher aus den letzten Wohnungen der deportierten Berliner Jüdinnen und Juden von der Berliner Pfandleihanstalt bezog.
Unterstützung bei dieser Rückgabe erhielt die ZLB dankenswerterweise vom Rose Valland Institut in Kassel.[8]

Maria Eichhorn hinterfragt mit ihrer Kunst Eigentum und Eigentumsverhältnisse. So hat sie auf der documenta 11 (2002) eine Aktiengesellschaft gegründet, die sich selbst gehört. Ist das Kunst? Kann Aktienrecht zu Kunst werden? Laut der Handelsregister Karte des Amtsgerichts Charlottenburg besteht der Zweck der „Maria Eichhorn Aktiengesellschaft“ in der „Verwaltung und Erhaltung des eigenen Vermögens, das die Gesellschaft in Form von Einlagen bei ihrer Gründung erhalten hat, unverändert bleiben“.[9] Damit erlaubt das Aktienrecht als Kapitalgesellschaft zur Akkumulation von Vermögen offenbar eine paradoxe Unveränderbarkeit als Zweck, obwohl in Zeiten des Hochfrequenzhandels auf den weitgehend automatisierten und d.h. von den Algorithmen Künstlicher Intelligenz gesteuerten Aktienmärkten der Welt diese auf Gewinnmaximierung programmiert sind.

Wie mit dem Rose Valland Institut so verwendete die Künstlerin mit der Aktiengesellschaft eine große Sorgfalt darauf, der durch Notar, Gründungsurkunde, Satzung, Niederschrift für die erste Sitzung des Aussichtsrats, Handelsregisterakte, Öffentliche Bekanntmachung der Registereintragung etc. hoch institutionalisierten Gründungspraxis einer AG zu entsprechen. Zur Sicherheit der Kapitalabwicklung ist die Gründung einer AG vom Staat besonders stark mit Notar und Handelsgericht am zuständigen Amtsgericht institutionalisiert. Bekanntlich dient die Ausgabe von Aktien dem Kapitalerwerb am freien Markt. Doch Maria Eichhorn hinterfragt derartige Mechanismen, wenn sie als Konkretisierung des Zwecks formulieren lässt, dass „(d)as Vermögen … weder in die gesamtwirtschaftliche Geldzirkulation und Kapitalakkumulation einfließen noch zur Mehrwertschöpfung verwendet werden“ soll.[10]

Sabeth Buchmann sprach in ihrem Teil von der interdisziplinären Institutionskritik, die Maria Eichhorn mit ihren Arbeiten und Praktiken betreibe. Sie nennt ihre Arbeiten ein „topologisches Gewebe“. Denn es ist nicht nur ein Gewebe aus Ausstellungen, Installationen an gleich zwei Orten, Athen und Kassel, während der documenta 14, vielmehr entfaltet sich das Gewebe durch Links und Newsletter ebenso im Internet qua algorithmischen Suchmaschinen. Die „Maria Eichhorn Aktiengesellschaft“ wird mittlerweile mit allen Dokumenten auf der Website der Karlsruher Kanzlei Rechtsanwalt Adam E. Junker im Segment „Aktienrecht und Kunst“ vorgehalten und präsentiert.[11] Das Rose Valland Institut hat seit Oktober 2018 seinen Sitz am Käte Hamburger Kolleg „Recht und Kultur“ der Universität Bonn, womit die Institutionskritik eine akademische Institutionalisierung erfahren hat.

Wertet Maria Eichhorn mit ihrem AG-Kunstprojekt die Institution auf? Und widerspricht die Institutionalisierung des Rose Vallon Instituts über die einmalige Präsentation hinaus auf der documenta 14 nicht einer grundsätzlichen Kritik an Institutionen? Seit 2005, als Sabeth Buchmann bereits Maria Eichhorn zur „zweite(n) Generation institutionskritischer KünstlerInnen“ zählte, befasst sie sich mit „dem Verdacht, Institutionen bzw. institutionsförmige Unternehmen im Sinne neoliberaler Dienstleistungsökonomien affirmiert und aufgewertet zu haben“.[12] Vielleicht lässt sich die Problematik mit dem Fachanwalt für Aktienrecht, der das „Aktienrecht“ mit der „Kunst“ nicht zuletzt aufpeppt, zuspitzen. Die kritisierte Institution der Aktiengesellschaft wird dadurch nur umso interessanter und soll durchaus Mandanten zum Aktienrecht anlocken. Doch Buchmann verweist vor allem auf die „institutionskritische Praxis“, die die Gründung einer Aktiengesellschaft für sich selbst oder auch nichts durch Eichhorn hervortreten ließ.

Die Öffnung institutionskritischer Praxis für eine Analyse und Transparenz einer unvermeidlichen und zweifelsohne von KünstlerInnen begehrten (Selbst-)Institutionalisierung lässt erst jene Strukturen und Mechanismen zu Tage treten, die einer zu allererst ästhetischen Wahrnehmung von Kunstobjekten nicht zugänglich sind.[13]

Der Bildanteil, um es einmal so zu nennen, reduziert sich auf den Bundesadler und Siegel der Urkunden als Schriftstücke. Das Projekt entfaltet sich durch die Bildlichkeit von Dokumenten bzw. Urkunden, so gut wie nur Text enthalten, der wiederum nur streng formalisierte Rechtsschritte ausführt. Im Projekt Rose Vallant Institut gibt es einen höheren Bildanteil durch die Praxis der Installation, die wiederum von Maria Eichhorn fotografiert worden ist. Doch auch hier wird ein „Versteigerungsprotokoll“ zum Bild. Die Institutionskritik situiert sich nicht nur ästhetisch an der Schnittstelle von Bild und Text. Vielmehr kann ein Schriftstück, ein Text z.B. durch Stempel, Siegel und Urkundenband in Schwarz-Rot-Gold in ein Bild des Rechts und der Rechtmäßigkeit umspringen. Oder ein Bild springt in einen beunruhigenden Text um, weil sich mit einem Mal eine ganze Textur über das Bild oder eine „Kristallschale“ legt, so dass es wie Fall des Lehrers im Ruhestand, Klaus Kirdorf, zurückgegeben wird. Das Wissen um die Herkunft der schönen Schale wurde dem ehemaligen Lehrer unerträglich, wie die Süddeutsche Zeitung von dem falschen Erbe berichtete.

Sabeth Buchmann schlug für die erste Generation der Institutionskritik einen Bogen zum Manet-Projekt des „Konzeptkünstlers Hans Haake“ von 1974 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum. Haake wollte deutlich machen, dass das Gemälde Spargelbündel von Édouard Manet mit Hilfe der deutschen Wirtschaftselite, die von der „Arisierung jüdischen Eigentums“ massiv profitiert hatte wie Hermann Josef Abs, das Bild aus jüdischem Besitz für das Museum erworben hatte, um eine Sammlungslücke der Impressionisten zu schließen. Haakes institutionskritische Provenienz-Dokumentation wurde mit dem Hinweis auf „Sicherheitsbedenken“ verhindert.[14] Hermann Josef Abs, der erst 1994 im Alter von 92 Jahren verstarb, hatte nicht zuletzt als Vorstand der Deutschen Bank die „Arisierung“ jüdischen Eigentums organisiert und sich dadurch bereichert. Als Kuratoriumsvorsitzender des Museums zeigte Abs ein vitales Interesse daran, die politischen Verflechtungen des Bildes zu verhindern.

Die Verstrickung deutscher Kunstinstitutionen in eine heillose Erinnerungskultur hat nach Buchmann auch Aleida Assmann zum Thema gemacht. Nicht allein Hans Haakes Manifest „Kunst bleibt Politik“ gibt einen Wink auf das Politische der Kunst, wie es quasi auf der anderen Seite mit dem bildgewordenen Antisemitismus Emil Noldes erst jetzt im Hamburger Bahnhof schmerzhaft sichtbar wird.[15] Vielmehr geht es um eine Erinnerungskultur, die systematisch und institutionell verhindert worden ist. Deshalb lässt sich Maria Eichhorns „Open Call“ mit dem Rose Valland Institut nicht einfach als „neoliberal“ abtun. Das erinnerte Eigentum sollte vielmehr in vielen Fällen genau bedacht und zur Erforschung bereitgestellt werden.   

Folgende Fragen können hierbei für die Provenienzforschung von Relevanz sein:
– Aufgrund welcher Erinnerungen, Hinweise, Kenntnisse, Erzählungen, Überlieferungen, Dokumente wie Fotografien oder Briefe oder anderer schriftlicher und mündlicher Zeugnisse wurde der betreffende Gegenstand als NS-Raubgut identifiziert?
– Welche Dokumente, Unterlagen und andere Beweismittel unterstützen den Verdacht beziehungsweise die Vermutung?
– Wer ist im Besitz solcher Unterlagen und Zeugnisse beziehungsweise wo befinden sich diese?
– Sind Sie bereit, Ihre Kenntnisse und Informationen zu veröffentlichen?
– Haben Sie sich bemüht, Berechtigte zu finden? Konnten Sie berechtigte Eigentümer_innen oder Erb_innen ausfindig machen? Falls Sie sich bemüht haben, wie sind Sie dabei vorgegangen?
– Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu dem betreffenden Gegenstand beschreiben?
– Kennen Sie die historischen Zusammenhänge und Hintergründe, die dazu geführt haben, dass der Gegenstand heute in Ihrem Besitz ist?
– Sehen Sie das Objekt / den Gegenstand als Zeugen dieser Zusammenhänge?
– Sind Sie bereit, diese Zeugenhaftigkeit in einen öffentlichen Diskurs zu geben?[16]

Institutionen verwalten nicht nur Erinnerungen in Form von Museen, Archiven, Instituten an Universitäten oder anderen Einrichtungen, sie formen und bestimmen diese auch, wie sich nicht zuletzt mit der notwendigen Aufarbeitung der ethnologischen Bestände in der Ausstellung UNVERGLEICHLICH mit afrikanischer Kunst im Bode-Museum zeigt, die bis zum 24.11.2019 verlängert worden ist. Die Erinnerung wurde in den afrikanischen Herkunftsregionen gleichsam ausgelöscht. Doch es kommt heute mit dem Internet und dem Medium Blog zugleich eine durchlässigere Institutionalisierung zum Zuge. Weil es sich um einen sensiblen Bereich der Erinnerung und des Eigentums handelt, verzichtet Maria Eichhorn in ihrem internetbasierten Institut auch auf einen Blog.

Torsten Flüh  

Nächste Mosse-Lecture:
Juliane Rebentisch
Ausstellung des Politischen in der Kunst
Donnerstag 13. Juni 2019, 19 Uhr c.t.
Senatssaal, Unter den Linden 6.    


[1] Vgl. Michael Bienert, Elke Linda Buchholz: Die Kunstsammlung Rudolf Mosse. In: Elisabeth Wagner (Hg.): Mosse Almanach 2017. Berlin: Vorwerk 8, 2017, S. 170-190.

[2] Siehe Eva Eichhorn: Rose Valland Institut: Bücher: Zugangsbuch J. (Rose Valland Institut)

[3] Ebenda.

[4] Ebenda.

[5] Vgl. Torsten Flüh: Fatale Selbstversicherung. Zu Lauingers – Eine Familiengeschichte aus Deutschland von Bettina Leder. In: NIGHT OUT @ BERLIN April 23, 2015 19:27.

[6] Eva Eichhorn: Rose … [wie Anm. 2]

[7] Ebenda Aufruf.

[8] Zentral- und Landesbibliothek Berlin: Provenienzforschung: Gertrude Hirschweh.

[9] Rechtanwalt Adam E. Junker: Dokumente: Gründungsurkunde.

[10] Ebenda: Handelsregisterakte.

[11] Ebenda: Maria Eichhorn AG.

[12] Sabeth Buchmann: Kritik der Institutionen und/oder Institutionskritik? (Neu-)Betrachtung eines historischen Dilemmas. In: IG Bildende Kunst: Bildpunkt: Orte der Kritik 2006.

[13] Ebenda.

[14] Vgl. Friederike Biebl: Das Museum und seine privaten Förderer (1). Die Zurückweisung eines Ausstellungsbeitrags von Hans Haacke 1974. In: Hypotheses. Veröffentlicht am 13.03.2017.

[15] Siehe Torsten Flüh: Der Künstler als Legende. Zu den Ausstellungen Bruce Sargeant in The Ballery und Emil Nolde – Eine deutsche Legende im Hamburger Bahnhof. In: NIGHT OUT @ BERLIN. Veröffentlicht am 20. April 2019.

[16] Maria Eichhorn: Rose … [wie Anm. 2] Open Call.

Sicherheit zwischen Regulierung und Singularitäten – Zur Künstlichen Intelligenz als Problem und Chance der Sicherheit

Singularität – Debatte – Sicherheit

Sicherheit zwischen Regulierung und Singularitäten

Zur Künstlichen Intelligenz als Problem und Chance der Sicherheit auf der Cyber Security Conference des Aspen Institute

Das Cyber Security Forum im Mai in der Landesvertretung Baden-Württemberg befasste sich mit den Fragen der Sicherheit im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. Dabei war zunächst in dem von Tyson Parker (Aspen Institute Germany) zusammengestellten Programm zu beobachten, dass die KI bzw. AI weniger ins Begriffsfeld gerückt wurde, als die der Cybersecurity, Cyber, Internet und Security. „How AI is Changing the Cyber Landscape“, war lediglich ein Vortragstitel, der die Künstliche Intelligenz explizit ansprach. Worin unterscheidet sich AI von Cyber? Der elastische Gebrauch der Begriffe KI und Cyber, der zu Überschneidungen, Kollisionen und Fachwissen führt, wurde damit insbesondere auf die Sicherheit bezogen. KI, Cyber und Internet werfen neuartige Sicherheitsfragen auf.

Superman in der Wand, Notausgangsschild als Sicherheitshinweis.

Wie lässt sich Sicherheit durch Künstliche Intelligenz generieren? Sir Julian King war der höchstrangige Redner der Konferenz und steuerte die Keynote bei. Denn er ist seit 2016 der erste European Commissioner for the Security Union überhaupt. Jean-Claude Juncker hat den Kommissar-Posten 2016 neu geschaffen. Sir Julian King machte zuvor seine Karriere als hochrangiger Diplomat im britischen Außenministerium. Zu seinen Aufgabenfeldern gehören „Reinforcing the capacity to protect critical infrastructures and soft targets“ und „Fighting cybercrime through enhanced cybersecurity and digital intelligence“ also die Verteidigung kritischer Infrastrukturen wie von „weichen Zielen“ und die Bekämpfung von Cyberkriminalität durch verbesserte Cybersicherheit und digitale Intelligenz. Am 16. Mai 2019 wies Sir Julian King vor allem daraufhin, dass er und sein Team für die Stärkung der Sicherheit bei Wahlen gearbeitet hätten.

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament ist seit letztem Sonntagabend keine Debatte über Sicherheitsprobleme wohl aber eine über den YouTuber Rezo entbrannt. Man kann das auch einmal so formulieren, die Wahlen waren vor digitalen Angriffen besser geschützt als gedacht und anders als in den USA 2016 ließen sich gar Desinformationskampagnen im Internet, wenn nicht verhindern, so doch einhegen. Stattdessen straft Annegret Kramp-Karrenbauer einen höchst erfolgreichen YouTuber ab, weil sie nicht den Unterschied von Desinformation und jugendlichem Engagement wahrnehmen kann. Das Sicherheitsproblem der Desinformation verkehrt sich erstaunlicher Weise recht plötzlich in ein generationelles Debattenproblem. Es lohnt sich Sir Julian Kings Sicherheitsstatement auch für die Bundesvorsitzende der CDU noch einmal ausführlich zu zitieren:

We have undertaken efforts to combat the growing and evolving array of cyber and cyber-enabled threats, by putting in place a new EU cybersecurity strategy in order to build our resilience, strengthen our deterrence and support Member States in cyber defence; and then by working to strengthen election security and tackle disinformation online, including by working with Member States and the big internet platforms…

To paraphrase Abraham Lincoln, we believe in the ballot, not the bullet, whether physical or virtual. Let’s root our cooperation on that.[1]

AKKs Kugel zielte am YouTuber als Sicherheitsproblem vorbei auf die Schwierigkeiten einer hochformalisierten Debatte, wie sie nicht zuletzt mit dem Projekt Debatterie! von Claudia Reiche und Andrea Sick am thealit FRAUEN.KULTUR.LABOR. vom Oktober 2016 bis zum April 2017 erforscht und „bespielt“ worden ist. Die Darstellungsform der politischen Meinung eines jungen Mannes mit blauen Haaren mag AKK nicht behagen. Desinformation in Form von Chatbots auf Facebook ist sie trotzdem und gerade nicht. Selbst dann nicht, wenn bei den 13.950.358 Aufrufen von „Die Zerstörung der CDU“ einige Millionen Aufrufe aus St. Petersburg gekommen sein sollten.[2] Rezo benutzt eine Darstellungsform zwischen Punk und einst Tante Emma im Milchladen. Es geht sprachlich eigentlich eher satireartig zu: „Ja, es ist wieder Zeit für so ein Video. Heute sehn wir uns die CDU an. Auch ein bisschen die SPD und ein bisschen die AfD, aber primär die CDU“. Das Ganze wird durch eine zumindest aktiv zu nennende Körpersprache pointiert. AKK hätte vorher eher im thealit nachlesen oder nachfragen können.

Debatten werden geführt. Werden sie geführt, werden sie auch aufgeführt. Was aber heißt es, sie nicht nur auszuführen, zu handeln, sondern auch aufzuführen? In der Debatte wird in besonderer Weise eine Gleichzeitigkeit von Ausführen und Aufführen erlebbar. Ein Zwischenraum wird geschaffen, den es zu bespielen gilt.[3]   

Indem AKK den Moment des Aufführens übersieht, verfehlt sie auch die Grenze zwischen Chatbot und dem YouTuber Rezo ja lol ey mit blauem Haar als, Alleinstellungsmerkmal. Während Rezo mit den Zunamen „ja lol ey“ sich durchaus als Satiriker kenntlich macht, wird ein Chatbot stets darauf programmiert sein, besonders glaubwürdige Kommentare zu hinterlassen. Die Künstliche Intelligenz als Chatbot zur Verbreitung von Desinformation wurde als Gegenstrategie schon im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 durch den Einsatz zur Information über die Parteiprogramme genutzt, worüber nur wenig berichtet wurde. Fragen zum Parteiprogramm in einer bestimmten Formalisierung können von Chatbots beantwortet werden. Man könnte auch sagen: Desinformation lässt sich durchaus mit Information und Transparenz bekämpfen.

Frances G. Burwell spricht mit Sir Julian King.

Der bekannteste Chatbot ist wohl Alexa, mit der man sich 2017 über die FDP und Christian Lindner „unterhalten“ konnte.[4] Spracherkennung und Textbausteine führen dann zu einer fast natürlichen Unterhaltung, die wenigstens weitere mediale Präsenz erzeugte. Wir wissen nicht, ob sich überhaupt eine nennenswerte Anzahl von Wähler*innen, also Menschen mit Alexa über die FDP unterhalten haben. Das wird ein Geheimnis der Programmierer von Amazon und der FDP bleiben. Zumindest wurde eine ähnliche Kampagne im EU-Wahlkampf nicht gestartet. Es scheint allerdings fast ausgeschlossen, dass AfD-Wähler*innen sich mit Alexa, Cortana oder Siri über die AfD „unterhalten“. Auch Uwe Tellkamp und sein Freund*innenkreis in der Buchhandlung Kulturhaus Loschwitz werden sich kaum über „den Osten“ und die „Alpen-Prawda“ mit Alexa, Cortana oder Siri unterhalten. Sie bevorzugen lieber ein Milieu der Sprachanweisungen, wie Ijoma Mangold in der ZEIT berichtet.[5] Der Gesprächspartner soll bloßgestellt werden, wenn er nicht der gleichen Meinung ist.

Es zeichnen sich insofern zwei Verschiebungen der Debatte nicht nur in der, vielmehr noch über die Demokratie ab. Einerseits wird die Demokratie durch konkrete Cyberkriminalität in Form von Attacken, Schadsoftware und Chatbots gefährdet, andererseits koppeln sich ganze Milieus, um nicht zu sagen, Wohlstandsmilieus wie in Loschwitz bei Dresden von einer Debatte ab, indem sie sich jenseits einer Debatte verorten und dies online verbreiten. Claudia Reiche und Andrea Sick haben nicht zuletzt eine Gamifizierung der Demokratie mit ihrer Debatterie! beobachtet.

Die einstige höfliche Frage, die nach der telefonischen Kontaktschaltung zu hören war: „Mit wem spreche ich?“, ist dem unausgesprochenen Verdacht gewichen, nur noch in einer unbestimmbaren Minderzahl der Fälle „verifizierbaren“ Gegenübern in den weiter so genannten sozialen Medien zu begegnen: „in/accessible to perception“. Demokratie wäre dabei einem Spiel ähnlich geworden, Simcraty könnte es heißen, im niedlichen Design und in den Regeln der Spielwelten, die dem Ordnungsbedürfnis mancher Kinder entgegenkommen.[6]

Doch wie sehen die Sicherheitskonzepte auf dem Berlin Cyber Security Forum konkret aus? Sicherheit und Ordnung stehen in einem konkreten Zusammenhang. Die Ordnung soll Sicherheit schaffen. Die recht eigensinnige Ordnung der „Staatlichen Cyber-Sicherheitsarchitektur“ der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich aus einer Verflechtung recht unterschiedlicher und gegensätzlicher Zuständigkeiten. Die föderalen Strukturen führen zu einer Vielfalt von konkurrierenden Zuständigkeiten, wie die Stiftung Neue Verantwortung mit einer Grafik der „Sicherheitsarchitektur“ visualisierte. Eine Vielzahl von Sicherheitseinrichtungen ist dezentral organisiert und läuft im Bundesamt für Sicherheit und Information, kurz: BSI, nicht unbedingt zusammen. Auf dem Podium wurden Stimmen nach einer Vereinfachung und Zentralisierung laut, deren Vor- und Nachteile diskutiert wurden.

Sicherheit funktioniert in den Panels und Vorträgen insbesondere über juristische Regelungen. Regulierung wird immer wieder gefordert oder präsentiert. Politik und Juristen arbeiten an einer großen Regulierungsmaschine, die Sicherheit schaffen soll. Maßnahmen werden beispielsweise gegen Hate Speech in einer Eruopäischen Datenschutzgrundverordnung formuliert. Doch statt großer Freude über die Sicherheit vor Hate Speech durch Uploadfilter, warnen Aktivisten vor Zensur, während ein Begriff aus der Psychologie stark an Gebrauchsfrequenz zugenommen hat. Die Rede ist von der Resilienz. Die Resilienz hat beispielsweise bei Alexander Klimburg vom Cyber Policy and Resilience Program am Hague Centre for Strategic Studies eine gewisse Institutionalisierung erfahren. Klimburg nahm am Panel Cyber Great Game: The U.S., the EU, Russia, China and Power Politics of Internet Security teil. Damit wurde nicht zuletzt eine gewisse Bandbreite von strategischen Sicherheitskonzepten als „großes Spiel“ angesprochen.

Russland und China stellen machtpolitisch die staatliche Kontrolle über das Internet als Ultima Ratio dar. Der Staat bzw. der Staatsapparat kontrolliert das Internet und vor allem die Sprache bis in die kleinsten Verästelungen und Mehrdeutigkeiten. Die Kontrolle über das Internet soll damit die Macht des Staates bzw. einer Partei mit Alleinvertretungsanspruch wie die Kommunistische Partei Chinas sichern. Innerhalb der Partei gibt es zwar so gut wie keine Sicherheit. Doch durch Zensur und Überwachung werden Machtstrukturen nicht nur gesichert, sondern ausgebaut. Übertroffen wird eine derartige Cyber-Sicherheitsdoktrin als Machterhaltungsstrategie wahrscheinlich nur noch durch Nordkorea, wo der Staatschef Kim Yong-Un gleich am Flughafen seinen US-Sondergesandten erschießen lässt.[7] Anders gesagt: Sicherheit verkehrt sich in autokratische Willkür als Kontrolle der Macht.

Die EU positioniert sich vor allem gegen die Trump-Administration und ihre Desinformationskampagnen. Es war nicht zuletzt Brad Smith, der die Regulierung und Humanisierung der Künstlichen Intelligenz im Januar 2018 mit seinem Vortrag in Berlin und Davos platzierte und damit als Jurist an die EU appellierte.[8] Doch selbst dann, wenn Trump weiterhin das Internet und andere Medien für ein erwiesener Maßen überholtes Flüchtlingsthema politisch nutzt und einen Twitter-Terror ausübt, funktionieren in den Vereinigten Staaten von Amerika noch eine Menge von bundestaatlichen Regulierungsmechanismen. Sir Julian King setzt weiterhin auf ein Vertrauen in die demokratischen Institutionen und damit auf eine Regulierung des Internets aus demokratischen Prozessen.

I don’t want to sound naïve – there will be issues where the EU and the US pull in somewhat different directions: I’m sure you can all think of some. But ultimately we share a deep belief in what used to be called Western values, built on a belief in the power of democracy and democratic institutions.[9]          

Es ist auf die Gebrauchsfrequenz des Begriffes Resilienz zurückzukommen, den der Sicherheitskommissar der Europäischen Union bezüglich der Cyber Verteidigung benutzt hatte und der sich im Namen des Programms von Alexander Klimburg institutionalisiert hat. Der Fachbegriff für die psychologische Widerstandsfähigkeit einer Person oder eines Menschen wird einerseits in zunehmendem Maße für Cybersecurity bzw. Künstliche Intelligenz verwendet. Andererseits findet er weiterhin im Bereich der psychologischen Ratgeberliteratur und Ratgebersendungen zunehmende Verwendung. Die Psychotherapeutin Dr. Doris Wolf schreibt im Psychologie Lexikon: „Resilienz – Schicksalsschläge und Krisen unbeschadet überstehen“. Ella Gabriele Amann, Tanjy Volke-Groh, Stephanie Borgert und Beate Strobl geben Ratschläge für „Resilienz im Berufsalltag“ in der Haufe-Akademie. Und Planet Wissen des SWR sendete am 11. September 2018 den fast einstündigen Beitrag Resilienz – Was die Seele stark macht.

Wir wissen nicht, was die semantische Überschneidung von Psychologie und Cybersecurity im Begriff Resilienz zu bedeuten hat. Doch offenbar eignet er sich zu einer Transformation von der Psychologie in die Technologie und Ökonomie. Denn der Haufe Verlage vertreibt vor allem Buchhaltungssoftware und wirbt mit einem „breiten Portfolio aus integrierten Unternehmens- und Arbeitsplatzlösungen“.[10] Resilienz, könnte man formulieren, beschreibt eine Art Sicherheitstraining in der Psychologie. Wenn alles zusammenbricht, dann kann man lernen, wieder auf die Füße zu kommen. Insofern wäre wie im Ratgeber von Planet Wissen eine psychologische Strategie von der man/frau wissen und sie anwenden kann. Ob und wie das funktioniert, kann dahin gestellt bleiben. In der Ratgeberliteratur kursiert dafür ein breites Spektrum an imaginären Umschreibungen wie „Niemand ist in Drachenblut gebadet“ (Planet Wissen) oder „Immunsystem der Seele“ (Doris Wolf). Es geht letztlich um den Verlust von Sicherheit und wie frau/man sie zurückgewinnen könnte.

Bieten Singularitäten im Internet, im Cyberspace bzw. in der Künstlichen Intelligenz Sicherheit? Auf dem Prinzip der Singularität basiert zumindest Blockchain. Alan Cohn und Vasily Suvorov stellten im Panel „Finance, Fraud, Cryptocurrencies and Next Frontiers in International Cooperation to Confront Cyber Crime“ Bitcoin und Blockchain vor. Blockchain ist KI, durch die Bitcoin möglich wird. Interessanterweise gebraucht Melanie Swan in ihrem bahnbrechenden Buch Blockchain – Blueprint for a New Economy 2015 den Begriff singularity nicht bzw. nur einmal. Sonst kommt er nur vor als Name für die Universität, an der sie ihr „Institute for Blockchain Studies“ angedockt hat, nämlich der Singularity University. Die Singularity University ist in Santa Clara Kalifornien in der Nähe von San Franzisko bzw. dem Silicon Valley angesiedelt. Vielleicht ist das Prinzip der Blockchain Technologie so selbstverständlich als eines der Singularitäten unter gleichzeitiger Verknüpfung in Listen konstruiert, dass man es nicht mehr benennen muss. Im Abschnitt „Blockchain AI: Consensus as the Mechanism to Foster „Friendly“ AI“ schreibt Melanie Swan:

There is the notion of a technological singularity, a moment when machine intelligence might supersede human intelligence. (Es gibt die Vorstellung der technologischen Singularität, einen Moment, in dem die maschinelle Intelligenz die menschliche Intelligenz verdrängen könnte.)[11]   

Der Schrecken einer Verdrängung der „menschlichen Intelligenz“ durch die „maschinelle Intelligenz“ wird von Swan mit dem Konsens über eine „freundliche“ KI neutralisiert. Denn die „Blockchain AI“ sei besonders „freundlich“. Was macht Blockchain? Man könnte es mit Alan Cohen und Melanie Swan so formulieren: Blockchain schafft Singularitäten, durch die sich Handlungsverläufe oder Geschäfte exakt zurückverfolgen lassen. Sie funktioniert wie eine DNS oder eine ID. Oder wie es mein Schwager seinen Kolleg*innen deutlich machte: Der Code von „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“ unterscheidet sich komplett von „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“ also mit einem ! (Ausrufezeichen). Die Codes für die fast gleiche Formulierung sind indessen aktuell mit bis zu über 250 Stellen so lang, dass es sich dann doch lohnt, „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“ mit oder ohne Ausrufezeichen zu schreiben. Es ließe sich allerdings sehr genau zurückverfolgen, dass die eine Formulierung aus der anderen hervorgegangen ist und dass mein Schwager sie vorgenommen hat, wenn sein Code bekannt ist. Auf diese Weise wird Sicherheit generiert, weil sich jede operationelle Handlung z.B. ein Verkauf von Bitcoins bzw. Cryptocurrency nachverfolgen lässt. Demnach wären Cryptocurrencies sicherer und transparenter als bisherige Geldgeschäfte.

Melanie Swan stellt als Beispiel für die Funktionen von Blockchain vor, dass sie gegen „repressive political regimes“ eingesetzt werden kann, um in einer dezentralen Cloud Funktionen, die zuvor in der Verwaltung verwendet wurden, durch juristisch gebundene Organisationen zu ersetzen.[12] Als konkretes Beispiel hat dann die Einführung von Blockchain für Grundbucheinträge in Honduras Furor gemacht. So wurden zum ersten Mal die Grundeigentumsrechte von ärmeren Menschen in Honduras gegen Gewaltausübung geschützt.[13] Alan Cohen erklärte im Zeppelin-Raum mit einer Grafik, wie sich ein Diebstahl von 20.073 Bitcoins am 25. Januar 2013 aus der Silk-Road-Bitcoin-Wallet durch Blockchain genau rückverfolgen ließ und im November 2017 der ehemalige Secret Service Agent Shaun Bridges 1.600 Bitcoins zurückzahlen musste. Im Rahmen von Geldwäsche-Ermittlungen zum Online-Drogenmarkt hatte Bridges einfach ein paar Bitcoins für sich behalten und war im Moment als er sie, sagen wir, in harte Währung umtauschte, aufgeflogen.

Die Dezentralität der Blockchain gilt als ein weiterer Sicherheitsfaktor. Die Daten der Blockchain werden auf mehreren Rechnern gleichzeitig in einem Netzwerk bzw. einer Cloud gespeichert. Beispielsweise können Banken für bestimmte Geldgeschäfte in einer Blockchain ein Netzwerk bilden. Im Unterschied zu einem zentralen Rechner ist die dezentrale Cloud wesentlich schwieriger von außen anzugreifen. Die enorm lagen Codes können varieren. IBM wirbt zusätzlich damit, dass „(m)it der Blockchain … Ihr Geschäftsprozessnetzwerk Transaktionen mithilfe eines verteilten, genehmigungsbasierten, nicht veränderbaren Registers (erstellt)“ wird.[14] Blockchain hat mittlerweile nicht nur Bücher, sondern ein eigenes Vortragswesen mit Visualisierungen in Form von Grafiken und Animationen generiert. Kompakt wurde sie im Mai 2018 von der Tagesschau mit #kurzerklärt visuell und sprachlich knackig vorgestellt. Am Schluss könnte Blockchain als „Regierungstechnologie“, wie sie Jason Potts nennt[15], gar Notare, Grundbuchrechtspfleger und ganze Verwaltungen freisetzen.

Jason Potts weist als Ökonom im Gespräch mit Vizenz Hediger auf den Aspekt Vertrauen als „ökonomisches Gut“ hin. Vertrauen lässt sich gewiss als Basis von Sicherheit formulieren. Wenn ich Vertrauen in die Blockchain Technologie – und das heißt eine Künstliche Intelligenz – habe, fühle ich mich sicher oder auf der sicheren Seite. Insofern wird das Vertrauen zu einer Schnittstelle von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Obwohl die kryptographischen Prozesse der Blockchain nicht mehr für einen Menschen zu vollziehen sind, weil die Maschine schneller rechnet, sie allererst ermöglicht und Codes generiert, wird sie gerade deshalb vertrauenswürdig. Nach Potts „erzeugt“ Blockchain selbst Vertrauen durch Algorithmen und somit eine imaginäre Sicherheit:

Die Weise, wie Maschinen Vertrauen erzeugen, wie Blockchain Vertrauen erzeugt, erfordert nichts dergleichen. Genau darin liegt die Bedeutsamkeit von Blockchain als Regierungstechnologie, als institutionelle Technologie: Es handelt sich um die erste
Technologie, die Vertrauen erzeugt. Wir vertrauen dem Algorithmus, in diesem Fall dem «proof of work»-Algorithmus oder dem «proof of stake»-Algorithmus, wie er bei Ethereum zu finden ist. [16]

Die kryptographische Blockchain Technologie verspricht Vertrauen, Risikominimierung und damit Sicherheit in einem hyperschnellen Markt, der bereits als New Economy bezeichnet wird und sich verbreitet. Innerhalb der Technologie bzw. der AI oder auch des Systems generiert Blockchain eine bisher unbekannte Sicherheit aus Verkettung, Dezentralisierung und Singularisierung. Nicht zuletzt der Mythos der Kryptologie, die in der Vereinigten Staaten institutionell mit der NSA (National Security Agency) und ihrem „Cryptologic Heritage“ verknüpft sind, unterstützt ein neuartiges Sicherheitsversprechen. Kryptographie und Kryptologie funktionieren nicht zuletzt seit Alain Turings Entschlüsselung der deutschen Verschlüsselungsmaschine „Enigma“ als sicherheitsrelevant. Wie Alan Cohen mit seiner Präsentation deutlich machte, lassen sich Diebe fast mühelos fangen. – Was in gewisser Weise ein enormer Fortschritt der Sicherheit wäre.

Torsten Flüh

PS: #Vertrauen. Ungefähr 18 Stunden nachdem ich diesen Artikel auf meinem Facebook-Konto verlinkt habe, erhalte ich auf der Startseite bzw. auf meinem Smartphone eine Werbung von … Na? Von wem? Von der Singularity University! Trust in algorithms or not!


[1] Commissioner King’s remarks at the Aspen Institute dinner in Berlin: Security Cooperation: the power of likeminded nations working together. SPEECH16 May 2019.

[2] Rezo ja lol ey: Die Zerstörung der CDU. (YouTube Am 18.05.2019 veröffentlicht)

[3] Claudia Reiche, Andrea Sick: Zur Einleitung. Dies. (Hg.): Debatterie! Antagonismen aufführen. Bremen: Thealit. 2018, S. 6. Vgl. zum Projekt auch: Torsten Flüh: Der Text der Welt und die Zeit. Für Eugenia Gortchakova und zur DEBATTERIE des thealit. In: NIGHT OUT @ BERLIN Februar 7, 2017 18:45.

[4] Vgl. Martin Fuchs: Bundestagswahl: Chatbots und Tinder sind die neuen Wahlhelfer. In den sozialen Netzwerken ist der deutsche Wahlkampf so innovativ wie nie. In: NZZ vom 19.9.2017, 08:00 Uhr.

[5] Ijoma Mangold: Eine radikale Idylle? In: Die Zeit N° 23 (Print), 29. Mai 2019, S. 37-38.

[6] Claudia Reiche, Andrea Sick: Zur … [wie Anm. 3] S. 11.

[7] Medienbericht: Nordkorea soll Sondergesandten für USA hingerichtet haben. In: Süddeutsche Zeitung 31. Mai 2019, 11:38 Uhr.

[8] Vgl. dazu Torsten Flüh: Kant und die Ethikrichtlinien aus dem Internetkonzern. Brad Smith stellt The Future Computed im Microsoft Atrium in Berlin und beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos vor. In: NIGHT OUT @ BERLIN Januar 29, 2018 19:01.

[9] Commissioner King’s … [wie Anm.]

[10] Siehe Startseite Haufe Verlag.

[11] Melanie Swan: Blockchain. Blueprint for a New Economy. Sebastopol: O’Reilly, 2015, S. 93.

[12] Ebenda S. VIII.

[13] Vgl. Rina Chandran: Modernizing land records in Honduras can help stem violence, says analyst. In: Reuters AUGUST 11, 2017 / 1:39 PM.  

[14] IBM: Blockchain.

[15] Jason Potts (im Gespräch mit Vizenz Hediger): Die vierte Regierungstechnologie. Über Blockchain. In: Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft 1/2018: Medienökonomie. Bielefeld: transcript, 2018. S. 73-86.

[16] Ebenda S. 79.

Ein europäischer Klangroman – Zu Volker Hagedorns furiosem Roman Der Klang von Paris

Flügel – Lesen – Paris

Ein europäischer Klangroman

Zu Volker Hagedorns furiosem Roman Der Klang von Paris

Schon im April wurde als „Vorecho“ zum Musikfest Berlin 2019 eine höchst Pariserische Soirée in der Villa Elisabeth mit dem Weltklasse-Pianisten Alexander Melnikov und dem Musiker wie Musikkritiker und nun Musikromancier Volker Hagedorn veranstaltet. Wie klang Paris im 19. Jahrhundert? Besonders Hector Berlioz, der beim diesjährigen Musikfest im Fokus stehen wird, prägte den Klang von Paris in einer ebenso politisch wie industriell turbulenten Zeit. Volker Hagedorn hat sich auf die Spuren von Hector Berlioz und seinen Zeitgenoss*innen in Paris begeben, als es weder die Opéra Garnier, erst recht nicht die Philharmonie und noch nicht einmal eine Kanalisation in der schnell wachsenden Welthauptstadt des 19. Jahrhundert gab.

An 750.000 Einwohner ist 1831 in Berlin mit 240.000 noch nicht im Entferntesten zu denken, als hier im September die Cholera ausbricht. Im Frühjahr 1832 wütet sie in unvergleichlicher Weise in Paris, während sich die Jungstars der Musik des Jahrhunderts hier aufhalten. Wechselwirkungen entstehen. Franz Liszt, Richard Wagner, Giacomo Meyerbeer, Felix Mendelssohn Bartholdy, Frédéric Chopin, Clara Wieck und Hector Berlioz tummeln sich in Paris. Dazu die älteren Stars Cherubini, Rossini und Paganini. Volker Hagedorn lässt sie in seinem Roman mit Flaneur-Passagen miteinander in Aktion treten. Der Instrumentenbauer Sébastien Érard wird eine neuartige Harfe für Berlioz konstruieren und baut einen Flügel für Liszt. Alexander Melnikov spielte auf einem restaurierten Érard Piano à queue de concert Grand Modèle aus seiner Sammlung während der Soirée.

Wie lässt sich ein Roman schreiben über den Klang einer Stadt? Volker Hagedorns Roman sprüht von Wissen, das sich zur Zeit Hector Berlioz‘ in Paris zusammentragen lässt. In kurzen Passagen wird das Wissen mit Beschreibungen von Hagedorns Besuchen historischer Schauplätze wie dem Friedhof Père Lachaise angereichert, überprüft und kontrastiert. Doch sein Roman speist sich nicht nur aus historischem Wissen, vielmehr werden auch Partituren gelesen und durchdacht. Die zweite Choleraepidemie im 19. Jahrhundert rafft in Paris ca. 18.500 Menschenleben dahin. Sie wird für Hagedorn zu einem Scharnier seiner Erzählung vom Klang, weil Heinrich Heine am 19. April 1832 einen ausführlichen Artikel für die Augsburger Allgemeine Zeitung schreibt.[1] Heine berichtet von der schockierenden Bestattung der Choleratoten in mit Kalk ausgestreuten Massengräbern vor der Stadt auf dem Père Lachaise.

… Ich will, um die Gemüter zu schonen, hier nicht erzählen, was ich auf dem Père Lachaise gesehen habe. Genug, gefesteter Mann wie ich bin, konnte ich mich doch des tiefsten Grauens nicht erwehren. Man kann an den Sterbebetten das Sterben lernen und nachher mit heiterer Ruhe den Tod erwarten; aber das Begrabenwerden unter die Choleraleichen, in die Kalkgräber, das kann man nicht lernen…[2]

Dieser Roman ist keine Musikgeschichte, aber eine andere Wissensgeschichte von der Musik. Es lässt sich sogar sagen, dass er ein bisher nicht gekannter Musikerroman geworden ist. 2007 hatte Volker Hagedorn die neu übersetzten Memoiren von Hector Berlioz besprochen.[3] In ihnen formuliert der Komponist sein Leben selbst als „Roman“ und schreibt an einen Freund: „Mein Leben ist ein Roman, der mich sehr interessiert“.[4] Hector Berlioz‘ 1870, ein Jahr nach seinem Tod veröffentlichte Memoiren werden gerühmt für ihre literarischen Qualitäten. Sie werden gar als ein herausragendes Beispiel für ein „vie romantique“ von dem Musikographen Adolphe Boschot gerühmt.[5] Zwar wird die Cholera in den Memoiren dreimal literarisch als Begriff verwendet, aber Hector Berlioz schreibt nicht über die Cholera-Epidemie von 1832. Das könnte ein Wink auf das Verhältnis von Leben und Roman sein.

Der Feuilletonist mit esprit und Musikkritiker Hector Berlioz formuliert in seinen Memoiren über die kleinen und großen Vaudeville Opern, dass sie ihn „schließlich mit Cholera oder Schwachsinn geschlagen“ hätten[6], er ein Gespräch über javanische Frauen in „einen Moment die Nachlässigkeit der tödlichen Cholera“ endet[7] oder er anlässlich einer Aufführung 1843 seiner Symphonie Harold et la cantate du Cinque mai hofft, dass seine „armen Symphonien nicht so ansteckend sind, (…), und daß weder gelbes Fieber noch Cholera daraus entfliehen werden“.[8] Während Hector Berlioz in seinen Memoiren die Cholera als geistreichen Schrecken einsetzt und witzig formuliert, aber nie die Epidemie beschreibt, wird sie von Volker Hagedorn erzählerisch verknüpft mit Franz Liszts Kompositionen zum Dies irae.

«Sie haben nicht mehr genug Leichenwagen», meint Liszt, der mit Chopin französisch spricht. Er hat die ganze Nacht Variationen über den Hymnus improvisiert, bis ins Morgengrauen. Der Tod verfolgt ihn, und er spielt ihm entgegen.[9]  

Volker Hagedorn schreibt seinen Roman aus vielfältigen und reichhaltigen Lektüren heraus. Das ist ebenso faszinierend wie passend für sein Paris-Thema wie Hector Berlioz, der selbst nicht nur Noten geschrieben hat. Hagedorns Fokus auf Heinrich Heine oder Franz Liszt und Felix Mendelssohn oder Paganini ist keine leichtfertige Fiktion oder Erfindung, vielmehr werden diese Beziehungen von Hector Berlioz selbst in Briefen und Memoiren literarisch hergestellt. Die Briefe der Musikalische(n) Reise in Deutschland wurden 1843 zunächst im Journal des débats in Paris veröffentlicht. Noch im gleichen Jahr kommen sie bei Hirsch in Leipzig in deutscher Übersetzung heraus, um 1844 als Voyage musical en Allemagne et en Italie zu erscheinen. 1870 werden sie in die Memoiren integriert. Heinrich Heine ist einer der Adressaten von Berlioz in Paris. Doch es sind eben auch Briefe mit esprit, die sogleich im politischen wie literarischen Journal des débats erscheinen. Ist der Brief an Heinrich Heine über Hamburg besonders freundlich oder ein wenig boshaft? Oder beides?

Jetzt, Heine, Heinrich Heine, berühmter Ideenbankier, Neffe Herrn Salomon Heine’s, des Verfassers so vieler kostbarer Gedichte in Barren, habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen … grüße Sie.

                        H. Berlioz.[10]

Nike Kiesinger im Gespräch mit Volker Hagedorn.

Das Lesen, das Schreiben und das Verwandeln des Gelesenen in wörtliche Rede – „Sie haben nicht mehr genug Leichenwagen“ – erinnern an Roland Barthes. Es ist nicht ganz sicher, ob Volker Hagedorn S/Z von Roland Barthes gelesen hat, wo er eine Intertextualität entwickelt.[11] Es könnte ihn zu seiner Schreibweise angeregt haben. Denn Barthes formuliert hier einmal das Verhältnis von Lesen und Schreiben. Er geht von einem „lexeographischen Handeln“ beim Schreiben aus.[12]

Ich bin nicht im Text verborgen, ich bin darin nur unauffindbar: Meine Aufgabe ist es, Systeme zu bewegen und zu übertragen, deren Sicht weder am Text noch am »Ich« halt macht: operatorisch sind die Sinne, die ich finde, nachweisbar, nicht durch mein »Ich« oder durch andere, sondern durch ihre systematische Markierung: es gibt keinen anderen Beweis für eine Lektüre als die Qualität und die Ausdauer ihrer Systematik; anders gesagt: als ihr Funktionieren. Lesen ist in der Tat eine Spracharbeit. Lesen, das heißt Sinne finden, und Sinne finden, das heißt sie benennen.[13]

Volker Hagedorn greift mit dem Schreiben auf seine vielfältigen Lektüren und Wissensbereiche aus. Dabei entstehen bisweilen recht poetische Bilder. So verwandelt sich Liszts Flügel von Érard einmal in einen Sarg. Der Érard-Flügel als durchaus industrielles Produkt sollte seinen Fabrikanten Sébastien Érard 1820 so reich machen, dass er sich einen Flügel des Chateaus de la Muette kaufen konnte. Liszt wohnte bei Érard in der Rue du Mail 13 im 2. Arrondissement. Doch die Fakten lässt Hagedorn nur gelegentlich einfließen, obwohl er gar vor dem Haus, die Plakette zu den Aufenthalten von Liszt zwischen 1823 und 1878 lesend, gestanden haben mag. Er verwandelt die Information in eine Annäherung an die Musik.

Beim nächtlichen Phantasieren schien ihm einmal, der vertraute Flügel, sein Instrument und Schlachtross in einem, werde zum Sarg, da musste er erst recht weiterspielen, mit seinen rasenden Händen den Sargdeckel aufstemmen, bis er den Érard wieder verwandelt hatte, bis er wieder Leben sah.[14]     

Man kann Der Klang von Paris, den Berlioz-Roman, als unterhaltsame Lektüre lesen. Und man kann die kunstvolle, interdisziplinäre Wissensverarbeitung von Volker Hagedorn bewundern. Als Musikwissenschaftler hätte er auch eine Art Sachbuch über das Thema schreiben können. Vom Titel her lässt sich das Buch kaum von einem wissenschaftlichen Sachbuch und Reiseessay – Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts – unterscheiden. Doch herrscht das Format Roman mit einer erzählerischen Geste vor. Aus der Lust am Roman als Lektüre verwandelt sich Hagedorn in einen Flaneur, der auf dem Père Lachaise jenen Punkt sucht, von dem aus Heinrich Heine die Stadt Paris gesehen haben will. Es misslingt auf selbst spielerische Weise und gibt gerade damit einen Wink auf den literarischen Journalisten Heinrich Heine.

… Von einem steinernen, wannenförmigen Sarkophag auf sonniger Anhöhe ist ein Ende abgebrochen, man blickt hinein ins leere Dunkle, während der Tote noch immer in der Erde darunter liegt.

Auch von dieser Anhöhe aus ist Paris nicht zu sehen. Die Bäume sind reichlich gewachsen seit Heines Besuch, und zwischen ihnen viele weitere Mausoleen. Dafür aber nehme ich das sanfte, große Rauschen wahr, das Meeresrauschen der riesigen Stadt rund um dieser grüne Inselfestung der Toten, darüber in Abständen das Dröhnen und Pfeifen einzelner Jets.[15]  

Plan topographique du Cimetière de l’Est dit du Père La Chaise, présentant l’indication exacte du placement de plus de 1500 mausolées, tombeaux et monumens funèbres. A Paris, chez Emler frères libraires rue Gunénégaud n°23 (1828)

Hagedorn wählt einen komplett anderen Schreibmodus als Hector Berlioz. Mit einem Absatz springt er auf Seite 100 „185 Jahre“ von 1832 ins Jahr 2017 und nach 2 Absätzen wieder zurück zu Liszt, von dem er schreibt, wie sehr er Paganini in Paris auf der Rückreise von London bewundert habe. „»Welch ein Mensch, was für eine Violine, welch ein Künstler!», schreibt er am 2. Mai seinem Schüler Pierre Wolff. «Gott, was für Leiden, Elend, Qualen in diesen vier Saiten!»“[16] Das ist die eine Seite der Musik, wie Liszt sie formuliert. Es ist in gewisser Weise eine Anknüpfung an die Bibelliteratur und das Thema des Ecce homo in der Kunst. Die Leiden Christi werden in der Gestalt Paganinis und seines Saitenspiels lebendig. Aus einer medizinischen Perspektive spricht man von den Folgen der Syphilis. Doch zugleich wird das christliche Bild auch menschlicher in einem postrevolutionären Paris. Kaum merklich verschiebt Hagedorn das Briefzitat in direkte Rede, um nun Liszt formulieren zu lassen, wie entscheidend die Lektüre unterschiedlicher Literaturen für das Komponieren ist:

… Homer, die Bibel, Platon, Locke, Byron, Hugo, Lamartine, Chateaubriand, Beethoven, Bach, Hummel, Mozart, Weber sind alle um mich herum. Ich studiere, bedenke, verzehre sie mit Furor, außerdem übe ich vier bis fünf Stunden (Terzen, Sexten, Oktaven, Tremolos, Repetitionen, Kadenzen etc.) Ah! Vorausgesetzt, ich werde nicht wahnsinnig, wirst du einen Künstler in mir finden!» Er will am Klavier und für das Klavier, am technisch inzwischen weit verbesserten Flügel von Érard, das Niveau Nicolò Paganinis erreichen. Um sich mit seinen Exerzitien, dem unabdingbaren physischen Training der Finger nicht zu langweilen, liest er dabei Literatur von Byron bis zur Bibel – und empfiehlt diese Methode sogar seinen Schülern.[17]

Warum nimmt Hagedorn das Lesen zurück? Langeweile soll der Grund für das vielfältige Lesen sein. Hagedorn hat mit seinem Roman durchaus den Anspruch, den Klang von Paris, sagen wir, zu dechiffrieren. Doch ausgerechnet in jener Passage, in der das Ecce homo der Bibel zitierend transformiert wird, sollen die Literaturen nur dazu dienen, dass sich Liszt beim „physischen Training“ nicht langweilen muss? So hat Liszt es nicht geschrieben. Vielmehr „sind alle um (ihn) herum“. Er imaginiert sich im Lesekreis der anderen Literatur, wird man sagen dürfen. Das ist etwas anderes, als eine Leere im „physischen Training“ zu stopfen. Die „Finger“ werden eben auch von „Homer, … Bibel, Platon, Locke, Byron, Hugo …“ bewegt und erst recht das Komponieren als eine andere Literaturform. Wenn „Beethoven, Bach, Hummel, Mozart, Weber … um ihn herum (sind)“, dann sind sie es wohl doch als Partituren der Musikliteratur. In der brillanten Erzählliteratur des Romans überliest Hagedorn einen Wink für seine Recherche du son perdu.  

Hier beginnt auch der Weg zum orchestralen Flügel, wovon im Jahr darauf Hector Berlioz profitiert: Sein Bewunderer fertigt eine Version der «Symphonie fantastique» an, die kein «Klavierauszug» mehr ist, sondern eine autarke Übersetzung, und die, auf Kosten von Liszt gedruckt, dem Wagnis seinen Weg durch Europa bahnt.[18]

Der Klang von Paris ist aus einem profunden musikographischen Wissen geschrieben. Hagedorn orientiert sich an den Memoiren Hector Berlioz‘, hört dessen Musik und liest Partituren. Als Musiker ist ihm die Praxis des Musikmachens vertraut. Er liest die Partitur Hector Berlioz‘ Romeo et Juliette, die am 12., 13. und 14. September im Rahmen des Musikfestes von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Daniel Harding aufgeführt werden wird, so genau, dass er darin Wagners Tristan-Akkord vorweggenommen sieht. Ganz nebenbei möchte er damit auch die Unart der Nationalmusik im fortschreitenden 19. Jahrhundert zu einer europäischen Moderne mit Hector Berlioz als Initiator verschieben. Sein Musikwissen versetzt ihn in die Lage genauer Benennung, um sie im selben Moment zu verfehlen.

In A-Dur zeigt Berlioz den nächtlichen Garten, aber diese Tonart weitet sich in sanften Klängen zu einem magischen Moment, als um ein einsames E der Querflöte sich das A der ersten und das C der zweiten Geigen legen, darunter in den Bratschen Fis. Man muss diese Töne so genau benennen, wir werden dem Akkord wiederbegegnen, um einen Halbton versetzt, bei Wagner – der für diesen Abend auf der Gästeliste steht und mindestens eine der drei Aufführungen hört –, in einer anderen Musik der Liebe.[19]     

Auf der Soirée spielte Alexander Melnikov sehr luzide die oft missverstandenen Préludes von Frédéric Chopin, Zwei Konzertetüden von Franz Liszt und die von Richard Wagner für Klavier bearbeitete Ouvertüre aus der Oper La Reine de Chypre von Jacques Fromental Halévy. Der Klang von Paris erklang also wirklich und trotz des Ambientes im ehemaligen Gemeindesaal der Villa Elisabeth an der wiedererbauten St. Elisabeth-Kirche von Friedrich Schinkel doch nicht genauso. Er lässt sich selbst mit dem profundesten Wissen aus Briefen, Memoiren, Zeitungsartikeln, Forschung und Memoiren nur erahnen, weil er durch unendlich viele Begleitumstände, Praktiken und Wissen gerahmt war. Der Klang bleibt flüchtig. Aber nicht zuletzt mit dem Érard Piano à queue de concert Grand Modèle war man ihm so nah wie selten zuvor. Volker Hagedorn bringt ihn auf bewundernswerte Weise nah.

Torsten Flüh

Volker Hagedorn
Der Klang von Paris
Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts.
Hardcover 25,00 €
E-Book 19,99 €

Musikfest Berlin 2019
30.08. bis 19.09. 2019


[1] Volker Hagedorn: Der Klang von Paris. Eine Reise in die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts. Berlin: Rowohlt, 2019, S. 89-103.

[2] Heinrich Heine: (Über die Cholera in Paris) In: Augsburger Allgemeine Zeitung April 1832 (z.B. Heinrich Heine Cholera)

[3] Volker Hagedorn: Röchelndes Meer. In seinen Memoiren erzählt von seinem glühenden Leben. Jetzt wurden sie neu übersetzt. In: Die Zeit 06.12.2007 Nr. 50, 11. Dezember 2007.

[4] Ebenda.

[5] Hector Berlioz: Mémoires. Paris: Lévy, 1870. (fr.wikipedia)

[6] Ebenda S. 48 (Übersetzung T.F.)

[7] Ebenda S. 85 (Übersetzung T.F.)

[8] Ebenda S. 287 Übersetzung nach: Hector Berlioz: Musikalische Reise in Deutschland. (Aus dem Französischen.) Leipzig: Hirsch, 1843, S. 107.

[9] Volker Hagedorn: Der … [wie Anm. 1] S. 94.

[10] Hector Berlioz: Musikalische … [wie Anm. 8] ebenda.

[11] Vgl. auch: Torsten Flüh: Die „göttliche Leere“ und die Polyphonie der Sprache. Zu Julia Kristevas Vortrag Refounding Europe Through Culture im ici Berlin Institute for Cultural Inquiry. November 9, 2018 19:49.

[12] Roland Barthes: S/Z. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987, S. 15.

[13] Ebenda.

[14] Volker Hagedorn: Der … [wie Anm. 1] S. 94.

[15] Ebenda S. 101.

[16] Ebenda S. 102.

[17] Ebenda S. 103.

[18] Ebenda.

[19] Ebenda S. 139-140.

Ich als Datenwesen – Zur netzpolitischen Diskussion um Datensicherheit und Datenteilung mit einem Exkurs zu Alexander von Humboldt

Daten – Vermessen – Leben

Ich als Datenwesen

Zur netzpolitischen Diskussion um Datensicherheit und Datenteilung mit einem Exkurs zu Alexander von Humboldt

In der vergangenen Woche besuchte der Berichterstatter gleich mehrere Veranstaltungen zur Künstlichen Intelligenz. Es ging um Netzpolitik und auf dem Berlin Cyber Security Forum um Sicherheit im Netz. Nachdem viele Reden geredet worden waren, fand sich der Berichterstatter beim Lunch im Gespräch mit dem Vertreter einer großen, deutschen Werft, die neben Patrouillenboote insbesondere große Yachten baut. Der Groschen fiel nicht gleich, doch dann war klar, dass eine derartige Werft für sehr große, also sehr teure Yachten der Reichen und Mächtigen, auch Sicherheitssysteme entwickeln und bereitstellen muss. Natürlich sind die Yachten nicht nur Ziel von analogen Piraten, sondern genauso von Cyberattacken. Hat die Yacht z.B. einen Motorschaden, fliegt ein Einsatzteam mit dem Schaltplan über Satellit auf der Cyberbrille an vermutlich jeden beliebigen Ort der Welt.

Ist die, um mit einem Romantitel zu fragen, Vermessung der Welt unumkehrbar? Vermessen heißt heute, Daten zu akkumulieren. Das heißt zweierlei, die Welt wird vermessen und das Ich setzt sich dazu in ein Verhältnis. Die Welt wird bereits seit den Reisen und Studien Alexander von Humboldts, dessen Geburtstag sich am 14. September zum 250. Mal jährt, vermessen. Heute nennt man das verdaten. Daniel Kehlmann betitelte 2005 seinen Roman über Alexander von Humboldt Die Vermessung der Welt. Andererseits kam in zeitlicher Nähe 2001 der Begriff Datenkrake in Bezug auf Google in Gebrauch, der ein Bild von einem vielarmigen, unkontrollierbaren Ungeheuer in den Tiefen des Internets evozierte. Daten stehen wirtschaftspolitisch heute strategisch hoch im Kurs. Was verraten indessen Alexander von Humboldts Vermessungen des Kosmos über Daten?

Auf einer netzpolitischen Veranstaltung mit dem sehr smarten „Public Policy and Government Relations Senior Analyst“ von Google, Lutz Mache, war zu beobachten, dass die politisch engagierten Teilnehmer*innen fast nur noch von „Datenteilung“ als Programm sprechen. Datenteilung als Strategie einer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik ist nicht nur ein neues Wording. Die Rede von der Datenteilung erweist sich vielmehr als elastisch genug, um das Eigentum an Daten nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Ich kann meine Daten teilen, ohne sie zu verlieren, lautet die neue Gemeinwohlformulierung. Vom Datenschutz der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der 80er und 90er Jahre hat sich ein föderal organisiertes Datenschutzgesetz zu einer Europäischen Datenschutz-Grundverordnung seit dem 25. Mai 2018 gewandelt. Sie gilt weltweit datenschutzrechtlich als am weitesten entwickelt.

Das erste Datenschutzgesetz in der Bundesrepublik Deutschland trat am 13. Oktober 1970 in Hessen in Kraft und ist am 1. Januar 2019 außer Kraft getreten. Es ist das älteste, formelle Datenschutzgesetz der Welt. Damit hat sich nicht zuletzt ein grundlegender Wandel des Verständnisses von Daten vollzogen. Mit dem hessischen Datenschutzgesetz und verwandten Gesetzen sollte vor allem das Recht des Bürgers auf „informationelle Selbstbestimmung“ gegenüber dem Staat gesichert werden.[1] Als Schlüsselbegriff für den Datenschutz wurden die „personenbezogenen Daten“ eingeführt. Der Staat sollte wohl die Möglichkeit haben, Daten über seine Bürger zu erheben, zu verarbeiten und auszuwerten, doch sie sollten nicht auf Personen zurückgeführt werden können. Sie mussten anonymisiert werden.

Wenn heute in Foren darüber gesprochen wird, dass Datenteilung eine Strategie für beispielsweise Autonomes Fahren oder Krebsvorsorge und der kommerziellen Nutzung werden soll, dann hat sich das Verhältnis des Bürgers zu seinen Daten signifikant verschoben. Ob zu Recht oder Unrecht in den 70er Jahren und danach ließ sich das Subjekt noch von seinen Daten unterscheiden, heute beschreiben sich insbesondere junge Menschen über Daten, wie die Wortbeiträge im netzpolitischen Forum in Anwesenheit von Lutz Mache deutlich machten. Datenteilung verspricht anscheinend Teilhabe am Staat und einem versprochenen Fortschritt, die zumindest nicht erfordert, ein Ich außerhalb von Daten zu bedenken. Ich wird als mehr oder weniger individuelles Datenwesen wahrgenommen. Jenseits der Erfassung durch Daten und ihrer Zirkulation droht wenigstens Ungemach. Der Staat als „Datenmonopolist“ wird heute von Unternehmen abgelöst, die mit Daten ihre/die Künstliche Intelligenz z.B. für das Autofahren „trainieren“ wollen und müssen. Beobachten lässt sich eine permanente begriffliche Überschneidung aus Technologie, Anthropologie und Ökonomie.

Vermessen heißt Daten sammeln. Doch wie funktioniert das Vermessen an der Schnittstelle von analogem Messen und Datenerhebung? Über Die Vermessung der Welt als Wissenschaftspraxis schreibt Daniel Kehlmann in seinem Roman recht wenig. Es taucht nur gelegentlich als Praxis im Erzählfluss auf. Das Messen wird an mehreren Stellen eher in einer Art Verfehlung erzählt. Als Humboldt und Bonpland endlich den Silla bei Caracas bestiegen haben, kommt ihnen ein „Schwarm pelziger Bienen“ zwischen den Anspruch, die Gipfelhöhe mit dem Sextanten zu bestimmen. Es ist nicht nur eine abenteuerliche Begegnung mit Bienen, vielmehr verleiden sie das Messen als Triumph. „Bonpland warf sich flach auf den Boden, Humboldt blieb aufrecht stehen, den Sextanten in Händen, das Okular vor dem mit Insekten bedeckten Gesicht.“[2] Das ist eine durchaus neuartige, gar ironische Beschreibung der Messpraxis in den Naturwissenschaften.

Screenshot: Tagebuch der amerikanischen Reise I, erste beschriebene Seite. Staatsbibliothek zu Berlin

In der Geschichte der Naturwissenschaften wird die Vermessung souveräner beschrieben. Gemessen wird nicht mit einem „Sextanten“, wie er auf dem Gemälde von Friedrich Georg Weitsch 1810 mit Humboldt und Aimé Bonpland am Fuß des Vulkans Chimborazo in der rechten unteren Ecke in Szene gesetzt wird, sondern mit einem Barometer, was andere Rechenschritte erfordert. Der Vermesser wird zum Souverän über das Wissen von der genauen Höhe und Natur des Berges. Die erste Besteigung des Silla am 3. Januar 1800 durch Alexander von Humboldt wurde von Alfredo Jahn am 15. Januar 1932 weit enthusiastischer beschrieben. Jahn benutzte offenbar wie Humboldt ein Barometer zur Messung und kommt zu einem um 10 Meter genaueren Höhenwert. Jahn verbessert somit Humboldts Messungen.

„Die barometrische Beobachtung von Humboldt auf dem Gipfel des Silla, ausgedrückt in Zoll und Linien des französischen Fußes, entspricht 581,33 Millimetern. Berechnet man diesen Druck mit dem dem Meeresspiegel entsprechenden Mindestmittelwert in Millimetern und berücksichtigt die Lufttemperatur in beiden Stationen (12 °, 5 und 27 °, 0), so ergibt sich eine Höhe von 2.318 Metern über dem Meeresspiegel. Das übersteigt in zehn Metern den wahren Wert von 2.308 Metern, der durch meine eigenen barometrischen Beobachtungen vom 15. Januar 1905 erhalten wurde.“[3]   

Die Besteigung und Vermessung des Popocatepetl erzählt Daniel Kehlmann gar als einen Unterhaltungsspaziergang, der von „Gomez und Wilson, de(m) Bürgermeister der Hauptstadt, drei Zeichner(n) und fast hundert Schaulustige(n)“ begleitet wird. Ob Kehlmann wusste, dass diese Besteigung nie stattgefunden hatte, wissen wir nicht. Die naturwissenschaftliche Praxis des Messens wird hier zur Unterhaltung des Publikums vorgeführt:  

„Als Humboldt vor einem Erdloch seine Atemmaske anschnallte, brandete Applaus auf. Und während er mit dem Barometer die Höhe des Gipfels bestimmte und sein Thermometer in den Krater hinabließ, verkauften Händler Erfrischungen.“[4]

Das Messen mit dem Barometer verfehlt hier wiederum die Wissenschaftspraxis. Denn Alexander von Humboldt hatte im Alter von 87 Jahren im Dezember 1856 an A. Petermann, veröffentlicht in Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie, geschrieben, dass er „nie den Popocatepetl bestiegen habe“. Durch die Mittheilungen wird Humboldts Schreiben offiziell als relevant für die „Geographie“ gerahmt. Als Wissenschaftler, sah er sich genötigt, nicht nur die Messmethode, sondern auch die Nicht-Besteigung klarzustellen, weil sein Barometer kritisiert worden war.

„Ich habe nie den Popocatepetl bestiegen, habe ihn daher nie mit schlecht gefüllten Röhren messen können. Meine Messung des Vulkans war eine trigonometrische, welche in dem zweiten Bande meines „Recueil d’Observations astronomiques, d’opérations trigonométriques et de mésures barométriques“ (Paris 1810) vom Prof. Oltmanns beschrieben ist. Alle meine Barometer-Messungen sind mit gewöhnlichen Ramsden’schen Gefäss-Barometern à niveau constant gemacht, deren wir uns auch, Gay-Lussac und ich, 1805 auf einer Reise durch Frankreich, Italien und die Schweiz zu unserer beiderseitigen Befriedigung bedient haben (Vol. I. p. 365).“[5]

Alexander von Humbodt ist insofern sehr wohl und nachhaltig in seinen Messinstrumenten und Messpraktiken verwickelt. Die Genauigkeit der trigonometrischen Messung ergibt sich aus Winkelmessungen, die anscheinend genauer als Streckenmessungen oder barometrische Messungen sind. Das Forschungsprojekt unter der Leitung des Romanisten Ottmar Ette Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften hat sich zur Aufgabe gemacht, die „überragende() Bedeutung (…) bei den beiden transkontinentalen Reisen die bislang fast völlig unberücksichtigt gebliebenen literarischen Reiseskizzen, Messergebnisse, Laborprotokolle, wissenschaftlichen Essays und Exzerpte, die einen noch nicht gehobenen Schatz transdisziplinär vernetzter Erkenntnisse an der Schnittstelle von Kultur- und Naturwissenschaften“ darzustellen.[6] Am 14. September 2018 hat die Mathematikhistorikerin Ulrike Leitner im Rahmen des Projekts ein Forschungsdossier zum 1. Band der Neuausgabe der amerikanischen Reisejournale online veröffentlicht, in dem es zur trigonometrischen Höhenmessung heißt:

„Höhenbestimmungen ergaben sich ebenfalls aus Winkelmessungen. Mit einer Basislinie und zwei Winkeln am Anfang und Ende der Linie kann man leicht mit Hilfe einfacher Trigonometrie die Höhe berechnen. So vermaß Humboldt (vermutlich zu Beginn seines Aufenthalts in Cumaná) den Berg Brigantín, der der höchste der von Cumaná sichtbaren Berge sei, und notierte die Messung unter dem Titel: „Höhe der Berge.“ (Bl. 31v). In diesem Fall maß Humboldt zwei Basen: einmal eine durch Zählung der Schritte, dann eine präzis gemessene, um zu sehen, als wie groß sich der Unterschied in der Höhe herausstellte. Er schloss daraus, dass der recht geringe Unterschied von 200 Fuß für einen Geognosten (im Gegensatz zum Kartographen) eine noch erträgliche Unschärfe bedeute, da er die Aussagen über Lagerungen von Gesteinen, dem Themengebiet des Geognosten nicht beeinträchtigen würde.“[7]

Für die Frage der Vermessung und Genese von Daten mit „erträgliche(r) Unschärfe“ wie Naturwissenschaft wird indessen eine einleitende Beobachtung von Ulrike Leitner wichtig. Sie stellt nämlich vor allem eine „Unordnung in den Tagebüchern“ fest.[8] Die Unordnung der Methoden und Notizen der erst nach der Reise gebundenen Journale widerspricht in gewisser Weise dem Ordnungsanspruch der Vermessung. Anders als die von Humboldt 1856 formulierte Ordnung der Messung durch Trigonometrie formuliert, vermitteln die Aufzeichnungen eine auch heillose Unordnung, der sich kaum Herr werden lässt. Die Fülle der Daten über die Natur driftet zugleich in eine Unerschließbarkeit. Je mehr Daten gesammelt werden, desto schwieriger lassen sie sich souverän als Wissen formulieren:

„Die Tagebücher spiegeln das Wesen der Reise selbst wider: Umwege, scheinbar zielloses Getriebensein, Fragmentarisches …. Das Moment des Unvorhersehbaren einer Forschungsreise zwangsläufig in sich tragend wirken sie wie ein Flickenteppich. Die Herausgeber müssen die in diesem scheinbaren Stückwerk durchaus vorhandene Systematik erkennen.“[9]

Die Wissensproduktion durch Alexander von Humboldt befindet sich in einer unablässigen Bewegung. Das Projekt der „Vermessung fremder Länder“ wie es um 1800 formuliert und praktiziert wird, lässt sich kaum auf das „Moment des Unvorhersehbaren einer Forschungsreise“ herunterbrechen. Vielmehr legt das von Ulrike Leitner editierte Tagebuch mit seinen Ausschnitten, Durchstreichungen, Randnotizen, Tintenflecken etc. die Diskrepanz zwischen einem imaginären Anspruch der Vermessung und einer realen Praxis offen. Datensammeln und Datenauswertung fallen nicht in eins. Vielmehr unterscheiden sie sich auf bedenkenswerte Weise. Die Unordnung wird ihrerseits permanent durch Randnotizen umgeordnet. Alexander von Humboldts Selbstbeschreibung seiner Wissenschaftspraxis schiebt die abschließende Ordnung hinaus, wenn er formuliert, dass er „einige der zerstreuten Ideen“ festhalten wollte, „die sich einem Naturforscher, der fast beständig im Freien lebt, darzubieten pflegten, eine Vielzahl von Tatsachen, die ich aus Mangel an Zeit nicht ordnen konnte“.[10] Die „Tatsachen“ und Messdaten werden demnach immer wieder heimgesucht von „zerstreuten Ideen“ aus Kultur und Literatur.

Die Wissenschaft wandelt sich nach einer durchaus literarischen Formulierung Humboldts. Noch im neunzigsten Lebensjahr schreibt er am 26. März 1859 das Vorwort zum ersten Band der Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents in der nun „vollständigen Übersetzung“ von Hermann Hauff. Dennoch ist die Übersetzung offenbar für eine bessere Lesbarkeit von den einstmals so wichtigen Messdaten bereinigt. Statt des mathematischen Moments gibt Humboldt, ein wenig umständlich formuliert, nun dem literarisch Narrativen als „lebendige Darstellung des Geschehenen“ den Vorzug. Anders gesagt: erst in dem Maße wie die Erzählung von den ehemals entscheidenden Daten bereinigt wird, kann sie geordnet und „lebendig“ werden.

„und da jeder Reisende gewissermaßen den Zustand der Wissenschaften seiner Zeit, oder vielmehr die Gesichtspunkte darstellt, welche von dem Zustande des Wissens seiner Zeit abhängen, so ist das wissenschaftliche Interesse um so lebendiger, als die Epoche der Darstellung der Jetztzeit näher liegt. Damit aber die lebendige Darstellung des Geschehenen weniger unterbrochen werde, habe ich das Material, durch welches allgemeine kosmische Resultate begründet werden, in besonderen einzelnen Zugaben über stündliche Barometerveränderungen, Neigung der Magnetnadel und Intensität der magnetischen Erdkraft zusammengedrängt. Die Absonderung solcher und anderer Zugaben hat allerdings, und ohne großen Nachteil, zu Abkürzungen in der Uebersetzung des Originaltextes der Reise Anlaß geben können.“[11]

Die Vermessung soll um 1800 eine neue Ordnung der Welt und der Dinge generieren. Dieser Neuordnung des Wissens von der Erde, der Welt und ganz besonders des Lebens durch die „Infusorien“ von Christian Gottfried Ehrenberg auf der späten Russlandreise[12] wird Alexander von Humboldt sein langes Leben lang in Bewegung halten und bis zu seinem höchst genau gemessenen Tod am „6. Mai um 2 Uhr 32 Minuten“ zu einem begehrten Gesprächspartner an der Schnittstelle von Wissenschaft, Literatur und Öffentlichkeit machen.[13] Mit der Neuordnung des Wissens von der Welt und dem Menschen soll auch die monotheistische Genesis durch einen Schöpfergott ersetzt werden. Sein Leichenbegängnis am 10. Mai 1859 wird zum Berliner Staats- und Medienereignis, das international Bilder und Illustrationen generiert. Max Ring eröffnet in Die Gartenlaube seinen Bericht mit eben jener Formulierung eines Souveräns über das Wissen, dessen Souveränität mit den sogenannten amerikanischen Tagebüchern in Frage gestellt wird. Paradoxerweise wird jener Souverän der Gnade Gottes unterstellt. „Der Fürst der Wissenschaft, der erhabene Herrscher von Gottes Gnaden im Reiche der Geister ist nicht mehr.“[14]   

Warum kann ein Exkurs zur Wissenschaftspraxis des Naturforschers Alexander von Humboldt für die Frage der Daten hinsichtlich der Künstlichen Intelligenz aufschlussreich sein? Man kann Geschichten der Wissenschaft schreiben, die die Methoden der Datenerhebung an der Schnittstelle von Mathematik und Literatur bestätigen. Obwohl „Umwege, scheinbar zielloses Getriebensein, Fragmenatrisches …“ eingeräumt werden müssen, wird dann „durchaus vorhandene Systematik“ erkannt. Oder man steigt als Forscher wie Alfredo Jahn 1932 auf den Silla, misst, korrigiert und bestätigt Humboldts Messung. Ebenso kann man das Projekt der Vermessung ziemlich ungenau literarisch in einen äußerst erfolgreichen Roman verwandeln. Doch damit fragt man noch nicht nach der Funktion von Daten und ihrer imaginären Aufladung. Genau diese entfaltet mit der Künstlichen Intelligenz unterdessen eine ungeahnte Dynamik und Macht, die den Menschen derzeit in ein Datenwesen verwandelt.

Es wird demnächst auf die Künstliche Intelligenz mit Sir Julian King, „European Commissioner for the Security Union“, Europäische Kommission, beim Berlin Cyber Security Forum auf die Cyber Sicherheit und beispielweise den Vorzügen von Kryptowährungen wie den Strafverfolgungsmöglichkeiten bei Cyber Kriminalität zurückzukommen sein. Doch zum Leichenbegängnis von Alexander von Humboldt soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass Kurt-R. Biermann und Ingo Schwarz 1999 auf zwei Zeitungsartikel aufmerksam gemacht haben, die am 10. Mai 1859 um 22:30 Uhr ein gänzliches anderes Wissen als das der Daten und des Hofzeremoniell ins Spiel bringen. Es kam zum „Unfug elender Strolche“. Die Verfasser nennen es „saturnalische Ausschreitungen durch Randgruppen der Gesellschaft“. “[15] Nicht jedem berühmten Toten wurden indessen in Berlin derartige Auftritte und „Zotenlieder der frivolen und entfesselten Masse“ von „betrunkenen Weibern und öffentlichen Dirnen“ ebenso wie „Straßenjungen“ zuteil. Auch darin besteht Forschungsbedarf.

Torsten Flüh


[1] Vgl. zum Hessischen Datenschutzgesetz (Wikipedia)

[2] Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Hamburg: Rowohlt, 2008, S. 101.

[3] Alfredo Jahn: LA PRIMERA ASCENSION A LA SILLA DE CARACAS EL 3 DE ENERO DE 1800 POR ALEJANDRO DE HUMBOLDT. Caracas: Enero 15 de 1932. In: en Cultura Venezolana. Caracas, Tipografía Mercantil, año XIV, tomo XLVII, enero-marzo de 1932, p. 11. (PDF) (Übersetzung aus dem Spanischen T.F.)

[4] Daniel Kehlmann: Die Vermessung … [wie Anm. 2] S. 206.

[5] Humboldt, Alexander von: Über die Höhe des mexikanischen Vulkans Popocatepetl. In: Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie, 2. Band (1856), S. 479-481, hier S. 479. (Deutsches Text Archiv)

[6] Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung. (Ziele und Aufgaben)

[7] Leitner, Ulrike: „Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, alle angestellten Beobachtungen ohne Auswahl in mein Tagebuch einzutragen.“. Über die Neuausgabe der amerikanischen Reisejournale, 1. Band (ART I). Nr. 65. In: edition humboldt digital, hg. v. Ottmar Ette. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. Version 3 vom 14.09.2018. (Reisetagebücher)

[8] Ebenda 3.

[9] Ebenda.

[10 Zitiert nach ebenda.

11 Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. [V]. (Deutsches Text Archiv)

[12] Vgl. zur Frage des Lebens und seines Ursprungs auf der Erde mit den Infusorien: Torsten Flüh: Leben und Tod in der Platovskischen Steppe. Zu Alexander von Humboldt und Russland in der Botschaft der Russischen Föderation. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juni 25, 2015 21:04.  

[13] Vgl. zur Medienpräsenz Alexander von Humboldts auch: Torsten Flüh:  Wasserzeichen vom Orinoco. Zum 2. Alexander von Humboldt-Symposium „Forschen & Edieren“. In: NIGHT OUT @ BERLIN Mai 30, 2015 19:05.

[14] Max Ring: Alexander von Humboldt‘s Tod und Leichenbegängniß. In: Die Gartenlaube. Heft 22, S. 315. Leipzig: Ernst von Keil, 1859. (Digital)

[15] Kurt-Reinhard Bierman, Ingo Schulz: „Gestört durch den Unfug elender Strolche“. Die skandalösen Vorkommnisse beim Leichenbegängnis Alexander von Humboldts im Mai 1859. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 95, H. 1, 1999, S. 470-475.