Kafkas Schreibmaschine

Maschine – Gesetz – Schrift

Kafkas Schreibmaschine

Die Oliver 5-Schreibmaschine und Franz Kafkas In der Strafkolonie.

Der „Apparat“ in Franz Kafkas Text In der Strafkolonie ist eine ebenso „eigentümliche()“ wie imaginäre Maschine. Nach den Worten des Offiziers wird „dem Verurteilten (…) das Gebot, das er übertreten hat, mit der Egge auf den Leib geschrieben“.[1] Die so beschriebene Schreibmaschine mit den „gewissermaßen volkstümlichen Bezeichnungen“ ihrer „Teile“ wird nach einer bestimmten Automatik der Urteile und unter Verkettungen in Gang gesetzt. Sie hat in der Literaturwissenschaft wiederholt das Forschungsinteresse geweckt sowie Installationen und Kunstproduktionen angeregt. So haben Janett Cardiff und George Bures Miller 2007 mit der Installation The Killing Machine teilweise Bezug genommen auf die Erzählung In der Strafkolonie.[2]

Im August 2017 war in der Ausstellung Franz Kafka – Der ganze Prozess in einer Vitrine im Martin-Gropius-Bau eine Schreibmaschine der Marke Oliver 5 zu sehen, wie der Schriftsteller sie nicht nur zum Tippen benutzt hat. Die ausgestellte Oliver 5 des amerikanischen Herstellers wurde offenbar von der „Oliver-Schreibmaschinen-Ges. Berlin SW 68“ vertrieben. Sie gehörte laut Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften 1909 mit „Typenhebel. Bandfärbung. Umschaltung. Offene Schrift“ zur „Klasse 4“ der Schreibmaschinen.[3] Unübersehbar steht unter dem Modellnamen und über dem Farbband befehlsartig „MASCHINE STETS REINIGEN UND ÖLEN“, als müsse der Schreiber zugleich als Maschinist auf seine Maschine achten. Kafkas Maschine soll im Folgenden ein wenig genauer besprochen werden. Was wusste er von Apparaten und Maschinen?

Gibt es Korrespondenzen zwischen der erzählten Maschine und der Konstruktion der Oliver 5? – Wir wissen nicht, ob Kafka auf einem Berliner Modell mit der entsprechenden Beschriftung oder einem anderen geschrieben hat. Doch für den deutschsprachigen Raum gibt das Lexikon mit der Aufschrift übereinstimmend eine Firma in Kreuzberg an. Die Beschriftung wird so oder so ähnlich angebracht gewesen sein. Immer, wenn die/der Schreibende ein Blatt Papier einspannte oder aus der Walze entnahm, wurden der „Typist“ oder die „Schreibkraft“ an seine/ihre Sorge für die Maschine erinnert. Zwischen 1908 und 1922 arbeitete Franz Kafka bei der „Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen in Prag“, wo er Rezensionen, Vorträge und Schriftsätze im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren und also mit einer Schreibmaschine anzulegen hatte. Seine literarischen Manuskripte und „Tagebücher“ sind indessen von Hand geschrieben.[4]

In der Forschung zu Kafkas Text sind verschiedene Maschinenmodelle an den Apparat herangeführt worden. Peter-André Alt hat den „Apparat“ als „Maschinen des Gesetzes“ beschrieben[5], um sie als „Tötungsapparat und zugleich Schreibmaschine“ zu bestimmen.[6]  E. R. Davey schenkte schon 1984 mit The Broken Machine: A Study of Kafka’s In der Strafkolonie besondere Aufmerksamkeit. Er schlägt vor, dass „the machine lived up to the designer’s highest possible expectations: not only was it a model intended as (or devoutly hoped to be) a truthful paradigm of the universal system“.[7] Obwohl das Modell als „the universal system“ gelesen wird, wurde es bislang nicht genauer mit einer konkreten Schreibmaschine und ihrer Schrift in Verbindung gebracht. Die Maschine zerbricht oder wird schließlich durch den Offizier-Maschinisten zerbrochen, indem er sich selbst sozusagen techno-logisch und identifikatorisch mit ihr richtet.

Der Offizier aber hatte sich der Maschine zugewendet. Wenn es schon früher deutlich gewesen war, dass er die Maschine gut verstand, so konnte es jetzt einen fast bestürzt machen, wie er mit ihr umging und wie sie gehorchte.

Die Schreibmaschine und ihre Konstruktion werden in gewisser Weise von Peter-André Alt zugunsten einer Lektüre der Schrift mit Jacques Derrida unterdrückt. Er knüpft dafür an Derridas frühen Text Kraft und Bedeutung von 1963 in Die Schrift und die Differenz an[8], wenn er zitiert, dass „(s)ie (…) den Sinn hervor(bringe) (…), «indem sie ihn verzeichnet, indem sie ihn einer Gravierung, einer Furche, dem Relief einer Fläche anvertraut, von dem man verlangt, daß sie unendlich übertragbar sei“.[9] Doch die Konstruktion der Schreibmaschine findet auch hier keine Beachtung, obwohl mechanische Schreibmaschinen ihre Typenschrift mit einem harten oder zu kraftvollen Anschlag durchaus ins Papier furchen oder hineingraben konnten. Unterdessen spielt das Beschreiben und Verstehen des Apparates für die Erzählung und vor allem für den „Offizier“ gegenüber dem „Forschungsreisenden“ die größte Rolle. Er ringt wiederholt darum, den „Apparat“ in einer Mehrdeutigkeit von Rechtsprechung und intelligibler Technologie möglichst genau zu beschreiben:

Ich will nämlich den Apparat zuerst beschreiben … nun hören Sie! … Der Offizier erkannte, daß er in Gefahr war, in der Erklärung des Apparates für lange Zeit aufgehalten zu werden.

Der Apparat wird im Text 27 Mal genannt, die Maschine 28 Mal. Mit dem Apparat bzw. der Maschine wird recht aufwendig eine „Schrift“ erzeugt, die „immer klar zu erhalten“ ist. Doch das Schreiben der Schrift tötet einerseits, setzt andererseits das Urteil um und wird dennoch für nichts geschrieben, weil „die Leiche (…) zum Schluss noch immer in dem unbegreiflich sanften Flug in die Grube (fällt)“. Damit, um es einmal so zu formulieren, fällt auch die Schrift in die Grube, wo sie unter den Augen des Publikums vergraben oder, mit anderen Worten, unzugänglich archiviert wird. Dementgegen geht es um eine Schrift, die der Reisende „nicht entziffern“ kann. Doch der Verurteilte kann sie nach den Worten des Offiziers auf schmerzhafte Weise entziffern: „Sie haben gesehen, es ist nicht leicht, die Schrift mit den Augen zu entziffern; unser Mann entziffert sie aber mit seinen Wunden. Es ist allerdings viel Arbeit; er braucht sechs Stunden zu ihrer Vollendung.“ Alt sieht darin eine „Differenz zwischen der Maschine, die das Programm einer zweifelhaften, nur unter den Bedingungen der Folter in Aussicht gestellten Erkenntnis repräsentiert, und denjenigen, die sie zum Zweck der Herrschaftssicherung bedienen“.[10]

Die Entzifferung der Schrift und das Lesen nehmen eine paradoxe Funktion ein. Man könnte sie eine Entstellung nennen. Denn wenn der Mann die Schrift „mit seinen Wunden (entziffert)“ hat, macht es für ihn, dem Tode nah, keinen Sinn mehr, was geschrieben worden ist. Im Moment der Entzifferung fällt er wie ein Blatt Papier „in unbegreiflich leichtem Fluge in die Grube“. Doch in einer zweiten Sequenz geht es noch einmal um das Lesen, das dem Reisenden erst gelingen soll, als ihm vom Offizier vorgelesen wird. Am Schluss kommt es zu einer dritten Leseszene, wenn der Reisende im Teehaus „niederknien“ muss, um die Aufschrift auf dem Grabstein des Kommandanten zu lesen. Zwar lässt sich mit der Unterwerfungsgeste des Niederkniens die „Aufschrift“ lesen und entziffern, aber die umstehenden Männer „lächeln“ nur, als hätten sie diese „lächerlich gefunden“. Das gelingende Lesen des Reisenden hat quasi einen lächerlichen und damit entwertenden Effekt, obwohl oder gerade weil die „Aufschrift“ eine „Prophezeiung“ verspricht.

Was heißt dann lesen In der Strafkolonie? Die Anweisung, das Blatt zu lesen, wird von Kafka mit großem Aufwand erzählt. Der Reisende muss wiederholt zum Lesen gezwungen werden. Die „Aufschrift“ erteilt schließlich einen Befehl, dessen Bedeutung sich trotzdem nicht erschließt, weil offen bleibt, ob der Offizier oder der Reisende oder gar die Maschine, die sich sozusagen selbst und damit den Offizier-Maschinisten zerstören wird, „gerecht“ sein soll.

„Lesen Sie,“ sagte er. „Ich kann nicht,“ sagte der Reisende, „ich sagte schon, ich kann diese Blätter nicht lesen.“ „Sehen Sie das Blatt doch genau an,“ sagte der Offizier und trat neben den Reisenden, um mit ihm zu lesen. Als auch das nichts half, fuhr er mit dem kleinen Finger in grosser Höhe, als dürfe das Blatt auf keinen Fall berührt werden, über das Papier hin, um auf diese Weise dem Reisenden das Lesen zu erleichtern. Der Reisende gab sich auch Mühe, um wenigstens darin dem Offizier gefällig sein zu können, aber es war ihm unmöglich. Nun begann der Offizier die Aufschrift zu buchstabieren und dann las er sie noch einmal im Zusammenhang. „‚Sei gerecht!‘ – heisst es,“ sagte er, „jetzt können Sie es doch lesen.“

Kafkas wiederholte Schreib-Lese-Szenarien sind bedenkenswert. Erst als „der Offizier die Aufschrift zu buchstabieren (begann) und dann (…) sie noch einmal im Zusammenhang“ ausspricht, muss der Reisende den Befehl „Sei gerecht!“ als Befehl „doch lesen (können)“. Das Lesen der Schrift glückt insofern nur unter Zwang, auf Umwegen und unter Entstellungen. Zugleich ist er ein Urteil, dessen Ursprung offen bleibt oder das imaginär aus der Maschine generiert worden ist. Es könnte insofern einen Wink geben auf Oliver 5, die mit ihrer „Egge“ anders als mit der Hand „immer klar(e)“ Buchstaben in „das Blatt“ schlägt, eingräbt. – Bisweilen konnte ein zu harter Anschlag der Tasten real dazu führen, dass die Type das Papier durchschlug. Dann entstanden ebenso signifikante wie leere Löcher im Papier. – Doch die klaren Typen werden zugleich für nichts geschrieben und unterliegen in der Schreibpraxis Franz Kafkas einer gewissen Nachträglichkeit. Erst schreibt er mit der Hand, dann tippt er Briefe „fast wortwörtlich“.[11] Oder er tippte geschäftliche Schriftstücke, wie sie nach Schemata angefordert wurden und sie bedeuteten ihm nichts. Die Korrespondenzen, für die er ab 30. Juli 1908 für die AUVA zuständig war,  umfasste solche, „bei denen es um Einsprüche der Unternehmer gegen die von der AUVA festgelegten Versicherungsbeiträge geht (die nach geschätztem Unfallrisiko gestaffelt sind)“.[12] 

In der Strafkolonie handelt vom Schreiben und Lesen. Die Schriften Kafkas sollten aber nach der Verfügung an Max Brod vom 29. November 1922 „nicht (…) neu gedruckt und künftigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie ganz verloren gehn, entspricht dieses meinem eigentlichen Wunsch. Nur hindere ich, da sie schon einmal da sind, niemanden daran, sie zu erhalten, wenn er dazu Lust hat.“ Anders gesagt: das Schreiben Kafkas ist auf eigentümliche Weise nicht auf Dauer angelegt. Die Schrift ist im fraglichen Text nicht entziffer- oder lesbar. Was geschrieben wurde, kann gelesen werden. Aber die Schrift muss wie vom „Offizier“, der zugleich als „Maschinist“ Sorge für den „Apparat“ wie die „Maschine“ trägt, wie ein Gesetz gleichsam symbolisch im Voraus gewusst werden – „jetzt können Sie es doch lesen“. Die paradoxal „klar(e)“ Schrift gibt nichts Neues oder Sinnvolles zu lesen, vielmehr wird sie vom Offizier-Maschinisten im Modus der Wiederholung ausbuchstabiert.

Welche Energiequelle treibt die Maschine an? – Der Apparat aus „Zeichner“, „Egge“ und „Bett“ arbeitet mit Elektrizität. Gegenüber der Dampfmaschine, der Lokomotive und der Schreibmaschine in Nietzsches Schriften[13] gehört der elektrische Antrieb durchaus zu gewissen zeitgenössischen, aber noch lange nicht alltagstauglichen Neuerungen. „Sowohl das Bett, als auch der Zeichner haben ihre eigene elektrische Batterie; das Bett braucht sie für sich selbst, der Zeichner für die Egge“, heißt es über den Antrieb. Die batteriegetriebenen Teile bewegen sich offenbar nach bestimmten Programmierungen oder Schaltplänen in einer „Ledermappe“, die durch ein „Räderwerk“ mechanisch und bei „mehr als hundert Männern“ seriell eingesetzt wurden. Die „elektrische Batterie“ verändert das ganze Modell der Schreibmaschine. Die Elektrizität ist um 1919 ein Faszinosum. Das ganze Leben wird sozusagen elektrifiziert. Denn erst 1887 hatte Emil Rathenau mit einigen anderen Unternehmern auf einem Hinterhof an der Chausseestraße in Berlin die Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität gegründet, aus der der Weltkonzern AEG hervorging. Erst 1927 wird die maschinelle Produktionen von elektrischen Glühbirnen in Walter Ruthmanns Film Berlin – Sinfonie einer Großstadt zum Bildgenre und 1928 komponiert Kurt Weil den Berlin im Licht-Song, was die Elektrizität in eine andere Wahrnehmung rückt. Die elektrischen Lichtreklamen, Straßenbeleuchtungen und Verkehrsampeln etc. verwandeln die Nachtruhe in der Stadt in ein quirliges Nachtleben.

S- und Fernbahnhof Friedrichstraße (um 1910) mit Lokomotive

Mit der Elektrizität taucht in dem Verhältnis von Mensch und Maschine zugleich ein neuartiges Zittern auf. Kafkas „Zittern“ des „Bettes“ wie der „Egge“ winkt hinüber zu jenen Schreib- und Zeiterfassungsapparaten kurz nach der Jahrhundertwende, mit denen z. B. psychologisch die Fabrikarbeit organisiert wurde. Mit der „Arbeitsschauuhr“ von Walther Poppelreuter kann seit 1918 das Arbeiten aufgezeichnet und gemessen werden.[14] Binnen weniger Jahre wurde die patentierte „Arbeitsschauuhr“ von Kienzle Taxameter und Apparate AG in großer Zahl gebaut und vertrieben.[15] Paradoxer Weise „zittert“ bei Kafka das „Bett“ „in winzigen, sehr schnellen Zuckungen gleichzeitig seitlich, wie auch auf und ab“. In den neuen arbeitspsychologischen Apparaten „zittern“ die Stifte über eine Papierrolle. Es ist, als transformiere der Angestellte der „Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt“ sein juristisches und technologisches Fachwissen in paradoxe Funktionen und Umschaltungen von Apparaten.

Kafka war beruflich mit den Technologien seiner Zeit wie „Automobilbetrieben“ und „landwirtschaftlichen Maschinenbetrieben“ vertraut, wie seine beiden Aufsätze im Jahresbericht der AUVA für 1908 vom April 1909 zeigen.[16] Im Wintersemester 1909 besuchte Kafka „zu seiner beruflichen Fortbildung an der deutschen technischen Hochschule die morgendlichen Vorlesungen von Prof. Mikolaschek über mechanische Technologie“.[17] Unter anderem veröffentlichte „Ing. Karl Mikolaschek“ 1919 den zweiten Teil seiner Maschinenkunde für Webschulen über „Motoren und elektrische Beleuchtung“. Der Offizier-Maschinist in der Erzählung verweist zwar auf „ähnliche Apparate in Heilanstalten“, wird aber nicht so konkret, die Unähnlichkeit zu bestimmen. Worum geht es bei den Technologien, die den Versicherungsbereich berühren und eine gewisse Sachkenntnis für die Berechnung von „Versicherungsbeiträgen“ erfordern?

Abb. 10.

Wir wissen nicht, welche Maschinen Kafka wie gut kannte. Immerhin hatte er durch den Besuch der Vorlesungen von Mikolaschek ein gewisses Fachwissen gehört. Doch die schier aberwitzige und imaginäre Konstruktion der Schreib-Tötungsmaschine mit ihrem „Zittern“ nach unten und oben sowie seitlich findet ein Echo in Poppelreuters Schrift Die Arbeitsschauuhr. 1918 hatte er bereits „mehrfache Abänderungen“ an seinen „18 Modelle(n)“ vorgenommen, um nun sozusagen endlich eine sprachliche Form für die Konstruktion zu finden. Denn was der Offizier-Maschinist vom Apparat, seiner Konstruktion mit den Nadeln, Räderwerk aus Zahnrädern wie der Mechanik und seiner Funktionsweise zu erzählen vermag, lässt sich mitlesen in der „Arbeitsschauuhr“, wenn Poppelreuter schreibt:

In der Arbeitsschauuhr, s. Abb. 10, sieht man die übliche Schreibtrommel eines Registrierapparates: ein 13 cm breites Papierband wird von einer Vorratsrolle abgewickelt und nach links in einer Führung herüber geschoben, sodaß also das ganze entstehende Bild stets sichtbar bleibt. Die Schreibtrommel bewegt sich ruckweise durch ein elektromagnetisch gedrehtes Klinkrad mit Schneckenübersetzung (I). Die Geschwindigkeit regelt die Zuführung elektrischer Kontaktstöße, die von einer Kontaktuhr geliefert werden, etwa alle 1 oder 3 Sek. ein Ruck von 1/20 mm. Zur Schreibtrommel senkrecht angeordnet befindet sich ein Schreibstift in einer vertikalen Führung. Befindet sich dieser in Ruhe, so liegt er unten und verzeichnet auf der sich bewegenden Trommel eine horizontale Grundlinie. Dieser Schreibstift bildet das untere Ende einer Zahnradstange. Diese Zahnradstange kann ebenfalls durch ein Zahnrad und ein auf derselben Achse befindliches Klinkrad elektromagnetisch ruckweise gehoben werden, (II) also etwa alle Sek. 1/3 mm. Dieses Steigen geschieht aber nicht immer, sondern nur dann, wenn eine besondere Einrückvorrichtung (bei III angedeutet) bedient wird, wodurch das Klinkrad (II) das Zahnrad des Steigschreibers mitnimmt. Wird diese Einrückung aber ausgerückt, nachdem der Steiger gestiegen war, so fällt er von jedem erreichten Punkte seiner Schwere folgend auf die Nulllinie zurück.[18]

Ich breche hier das Zitat ab.

Die sprachlichen, lexikalischen Eigenheiten und ihr imaginäres Potential in der Beschreibung von „Klinkrad“, „Zahnrad“, „Kontaktuhr“, „Schreibtrommel“, „elektrische(n) Kontaktstöße(n)“, „elektromagnetisch ruckweise gehoben“, „Schneckenübersetzung“, „Zahnradstange“, „Steigschreiber“, „Steiger“, „Schreibstift“, die laut Poppelreuter in einer winzigen, hier vergrößerten „Abb. 10“ zu sehen sein sollen, sind mindestens so auffällig wie die imaginär aufgeladenen „volkstümlichen Bezeichnungen“ von „Zeichner“, „Egge“ und „Bett“. Und es lässt sich durchaus denken, dass Walther Poppelreuter, der sich mit der „Arbeitsschauuhr“ quasi habilitierte, mit ähnlichem Enthusiasmus wie dem des Offizier-Maschinisten von seinem Apparat sprach. Doch worum geht es bei der längst nicht vollständigen Konstruktionsbeschreibung? Poppelreuter formuliert sein Programm mit dem ersten Satz seiner bahnbrechenden Publikation:

Menschliche Arbeit, die in der Hervorbringung objektiver Leistungen besteht, ist genau ebenso der messenden, zählenden und damit naturgesetzlichen Untersuchung zugänglich, wie die Arbeitsleistungen von Maschinen.[19]    

Den Schrecken in dieser Formulierung mit der Adjektiv-Adverb-Konstruktion „genau ebenso“ muss man lesen können. Was heißt es, wenn sich „(m)enschliche Arbeit“ ebenso messen lässt, „wie die Arbeitsleistungen von Maschinen“? Die „objektive(n) Leistungen“ von Menschen sollen gemessen werden können. Mit der „Arbeitsschauuhr“ geht es 1918 darum, die Menschen in den Fabriken in intelligente Maschinen zu verwandeln. – Gewiss lässt sich um 1918 die „Arbeitsschauuhr“ dem amerikanischen Fordismus oder Taylorismus zuschlagen. Doch die elektromagnetische „Arbeitsschauuhr“, mit der die Arbeit des Menschen in der Fabrik sichtbar, anschaubar, berechenbar gemacht werden soll, schreibt nicht nur mit dem „Schreibstift“ eine betriebswirtschaftliche Schrift, vielmehr gräbt sie sich in die Körper des Menschen als Fabrikarbeiter ein. Derart auf betriebswirtschaftliche Effizienz des Menschen bedacht, gehörte Walther Poppelreuter zu den ersten Professoren, die der NSDAP vor der Machtergreifung beitraten. „Am 1. November 1931 trat er als erster Bonner Hochschullehrer in die NSDAP ein (Nr. 695.703).“[20] Er starb 1939.

Torsten Flüh


[1] Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919). In: Juristische Zeitgeschichte Abteilung 6, Band 44. Berlin: Walter de Gruyter, 2015, S. 8. Und Wikisource.

[2] Janet Cardiff & George Bures Miller: The Killing Machine und andere Geschichen 1995-2007. Berlin: Hatje Cantz, 2007, S. 189. https://www.cardiffmiller.com/artworks/inst/killing_machine_video.html 

[3] Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 808-813. (Zeno)

[4] Andrea Rother berichtet von einem Brief an Ernst Rowohlt, den Kafka zuerst in seinem Tagebuch per Hand formulierte, um ihn danach „fast wortwörtlich mit der Schreibmaschine“ abzutippen. Andrea Rother: Die Tagebücher von Franz Kafka. Ein literarisches Laboratorium 1909-1923. Berlin (Dissertation Technische Universität Berlin), 2007, S. 86.

[5]  Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. München: C.H. Beck, 2005, S. 480.

[6] Ebenda S. 481.

[7] E. R. Davely: The Broken Engine: A Study of Franz Kafka’s In der Strafkolonie. In: Journal of European Studies; Dec 1, 1984; 14, 4; S. 280.

[8] Jacques Derrida: Kraft und Bedeutung. In: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1989, S. 25.

[9] Peter-André Alt: Franz … [wie Anm. 5] S. 486.

[10] Ebenda S. 485.

[11] Siehe Anm. 4.

[12] Reiner Stach: Kafka von Tag zu Tag. Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2018, S. 82.

[13] Siehe: Torsten Flüh: Nietzsches „intelligente Maschinen“. Zur Intelligenz und Maschine bei Nietzsche, dem Technikmuseum Berlin und dem Riesen-Dampfhammer. In: NIGHT OUT @ BERLIN 19. Juli 2019.

[14] Walther Poppelreuter: Die Arbeitsschauuhr. Ein Beitrag zur praktischen Psychologie. Langensalza: Wendt, 1918.

[15] ARBEITSSCHAUUHR 1928 – 1935. LVR-Industriemusum.

[16] Reiner Stach: Kafka … [wie Anm. 12] S. 89.

[17] Ebenda S. 95.

[18] Walther Poppelreuter: Die … [wie Anm. 14] S. 13-14.

[19] Ebenda S. 1.

[20] Siehe Walther Poppelreuter Wikipedia.

Design Art von Donna Huanca’s Friends @ Gensler 13A

Design – Kunst – Praxis

Design Art von Donna Huanca’s Friends @ Gensler 13A

Zur Vernissage und Party im Studio von Donna Huanca in Hohenschönhausen

Die in Chicago geborene Künstlerin Donna Huanca, die zuletzt eine Einzelausstellung im Belvedere Museum in Wien hatte, arbeitet jetzt in einem Studio in der Genslerstraße 13A in Hohenschönhausen. Am letzten Samstag hatte sie Freund*innen eingeladen, ihre Arbeiten in den leergeräumten Hallen von Haus X zu zeigen. Der Berichterstatter fuhr mit dem Rad nach dem Adidas City Night Run per Fahrrad hinaus und traf auf eine ebenso bunte wie anregende Opening Crowd. Die Party war bereits gestartet. Im Fog Room von Hayden Dunham trafen innovativ gekleidete Menschen auf Design Art. Ein wenig erinnerte die Szenerie an internationale Vernissagen der 60er oder 70er Jahre, als es queer noch nicht gab und Design erst langsam in Mode kam.  

Die Studios ID liegen mit dem Rad 13,3 Kilometer vom Breitscheidplatz entfernt, so dass man gegenüber der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen nicht unbedingt an Design Art und eine lebhafte Partyzone denkt. Die Gedenkstätte gilt dem Stasi-Gefängnis und der Abteilung OTS. Sie war die größte Abteilung im Sperrgebiet Hohenschönhausen als so genannter Operativ-Technischer Sektor (OTS) des Staatssicherheitsdienstes. 1989 arbeiteten für ihn insgesamt 1085 hauptamtliche Mitarbeiter, um innovative Überwachungstechnik in eigenwillig schlichtem Design herzustellen. Aufgabe der Abteilung war es vor allem, geheimdienstliche Spezialtechnik für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu konzipieren und zu produzieren. Heute wird Kunst in den ehemaligen Garagen und Werkshallen der OTS gemacht. Die Design Art steht ganz konkret gegen Überwachungs- und Disziplinierungssysteme – besonders mit den diversgeschlechtlichen Freud*innen der Kuratorin Donna Huanca.

Hayden Dunham, David Rappenau, Vi Payaboon, Marie Lund, Filip Berg, Bobbi Menuez, Steffen Bunte, Tarren Johnson, Nik Kosmas, Lucas Meyer-Leclère, Christian Huygens Chloe Maratta, Sofie Fatouretchi, Winston Chmelinski, Emman Debattista, Rosa Tharrats, Yves B. Golden, Richie Shazami/Ben Draghi und Womens History Museum haben mit Videos, Sounds, Installationen, Bildern, Comics und Skulpturen sowie einer Nebelmaschine die Hallen in ein Design Art Abenteuer verwandelt. Was ist Design Art? Design Art ist zunächst einmal eine Wortkombination, die sich dem üblichen Gebrauch von Design und Art widersetzt. Denn der Begriff Design ist ebenso vieldeutig wie gebrauchsorientiert. Design lässt sich als ein Versprechen von gut gestalteten Dingen für den alltäglichen Gebrauch formulieren. Der Alessi 9093, ein Wasserkessel, beispielsweise wurde 1985 von Michael Graves gestaltet. Und jedes neue Smartphone von Apple etc. „übertrifft“ heute das Vorgängermodell im zukunftversprechendem Design. Dünner, schärfer, schicker. Jede neue Blog-Software wie WordPress ist vermeintlich noch „anwendungsfreundlicher“ im Design mit Themes, Customizer, Widgets, Menüs, Header und Theme-Editor. Ein kostenpflichtiges Upgrade optimiert das Design. Design makes money.

Gleichzeitig haben Christina Vagt und Jeannie Moser 2016 das Kopula Verhaltensdesign für einen Workshop im Hybrid-Lab kombiniert[1], um es als „Beobachtungs- und Reflexionsfigur“ einzuführen. „Für sich genommen“ seien „die beiden durch ihre semantische Breite theoretisch und praktisch kaum einzuhegen“.[2] Gleichwohl traf die Begriffsmontage im Hybrid-Lab von Technischer Universität und Universität der Künste Berlin temporär auf die „Designforschung“ am Institut für Produkt- und Prozessgestaltung von Prof. Gesche Joost an der UdK, die seit 2015 „Mitglied im Aufsichtsrat von SAP“ ist.[3] Design wird heute als Schlüsselversprechen für Soft- und Hardware gebraucht. Im Sammelband Design als Rhetorik hatte sich Gesche Joost zusammen mit Arne Scheuermann schon 2008 „der Rhetorik als Kompetenz zur Beschreibung und zum Verstehen von Design“ gewidmet.[4] Jeannie Moser und Christina Vagt arbeiten im Unterschied zu Joost die „besonders starke Zukunftsgerichtetheit und imaginative Kraft“[5] von Design heraus.

Es gibt eine Tasche von Marie Lund, ein Paar Schuhe, ein Jackett über einer Leuchtröhre von Lucas Meyer-Leclère etc., Gebrauchsgegenstände, Toys in der Ausstellung. Das Paar Schuhe von Vi Payaboon steht wie zufällig abgestellt auf der Plastikfolie am Boden. Die Schuhe sind offenbar mit Farbe, Öl oder Acryl, angemalt, irgendwie zerschnitten und ummontiert. Wenn man die Schuhe anziehen wollte, würde die Farbe wahrscheinlich vom Obermaterial abplatzen. Man könnte sagen, Vi Payaboon hat die Schuhe ihrem Gebrauchswert entzogen. Sind sie dann noch Schuhe? Oder sind die Schuhe dann als Malerei restituiert, wie es Jacques Derrida einmal mit „Restitutionen von der Wahrheit nach Maß'“ bedacht hat? „Was für Schuhe? Was, Schuhe? Wessen Schuhe sind es? Woraus sind sie?“[6] Vi Payaboon macht allerdings auch extravagante Blusen und andere Kleidungsstücke zum Anziehen. In Design Art werden die Gebrauchsgegenstände ihren Funktionen entnommen, transformiert und in Kunstobjekte verwandelt.

Wie lässt sich Kunst bestimmen? – Georg W. Bertram hat 2014 in Kunst als menschliche Praxis angemerkt, dass „nicht zuletzt viele künstlerische Interventionen der letzten 100 Jahre“ einen „Perspektivwechsel in der Bestimmung“ angemahnt hätten, „indem sie zum Beispiel die Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst“ unterliefen. „Viele in dieser Zeit entstandene Kunstwerke und ästhetische Ereignisse machen deutlich, dass Kunst ein Teil der menschlichen Praxis ist.“[7] Bertram geht also von der Praxis in der Kunst der Moderne aus. „Strömungen in der neueren und neuesten Kunst – etwa der Dokumentarismus oder das postdramatische Theater –, die die Kunst als integralen Teil der menschlichen Praxis begreifen, sind von theoretischer Seite als Herausforderungen für den Begriff der Kunst gewürdigt worden, weil die Kunst sich in ihnen gegen Grundlagen gewandt habe, die vormals selbstverständlich für sie waren. Dadurch ist eine neue Kunst entstanden, die allen Anspruch auf künstlerische Besonderheit aufgegeben hat.“[8] Doch, um nur einmal die zerschnittene und ummontierte Tasche von Marie Lund oder die Schuhe von Vi Payaboon zu nehmen, die Praxis lässt sich genauer formulieren.

Design Art lässt sich als eine künstlerische Praxis bestimmen. Es ist vielleicht nicht einmal ausgeschlossen, dass sich die Tasche von Marie Lund als Modeaccessoire gebrauchen ließe. Richtig „tragbar“ ist die Tasche vielleicht nicht, aber in der Mode überschneiden sich Funktionen und Effekte. Bertram spricht nicht zuletzt deshalb vom „Praxisform“, weil „Kunst (…) eine Praxis (ist), für die ein Bezug auf andere Praktiken wesentlich ist und die aus diesem Grund nicht in Abgrenzung von anderen Praktiken, sondern unter Rekurs auf die Art und Weise dieses Bezugs zu begreifen ist“.[9] Man wird insofern keinen Anspruch auf Sinn oder Inhalt erheben dürfen oder müssen. Als menschliche oder gar ethische Praxis generieren sie aus sich heraus Sinn. Vielleicht besteht die Praxis noch nicht einmal in einer besonderen Beherrschung von künstlerischen Praktiken wie der „farblichen Materialität“ der Malerei Cézannes in den zahlreichen Gemälden vom „Sainte-Victoire-Gebirge als Motiv“.[10] In der schwarzen Skulptur aus dem Womens History Museum stecken zahlreiche Metallobjekte sowie eine rosa Tasche, von denen sich nicht genau sagen lässt, ob sie für die Verhinderung oder die Erregung von Lust eingesetzt wurden oder werden können.

Die künstlerische Praxis kann wohl am ehesten mit der Kombinatorik unterschiedlicher Materialien für die Design Art beschrieben werden. Die Materialien können aus ganz verschiedenen Bereichen stammen. Denn die Farbe für Vi Payaboons Schuhe kommt aus dem Bereich der Malerei, die so nicht in der Schuhherstellung benutzt wird. Lucas Meyer-Leclère arbeitet in seinen Bildern und Installationen ebenfalls mit Materialien aus verschiedenen Bereichen, um sie anders, neuartig zu kombinieren. Er benutzt häufig abgelegte Kleidungsstücke und Stoffreste, die er auf Bildträger montiert. Leinwände werden zerschnitten, um darunter doch Teile eines Jungensgesichts freizugeben. Ein Stück von einem Nylonseil wird kurzerhand auf die Leinwand montiert oder fällt sozusagen aus der Bildfläche, aus dem Rahmen auf den Boden. Spielt sich hier ein Drama oder eine Tragödie ab? Will das Bild überhaupt erzählen? Oder geht es, vielmehr um eine künstlerische Praxis mit Materialien, die nicht auf ein Ziel hinaus will?

Man könnte sagen, dass die künstlerische Praxis bei LML selbst zum Bild wird. Das verändert allerdings auch alles, was wir von Bildern zu wissen glauben. Das Bild stellt nicht dar, sondern wird zur Spur der vielfältigen Praktiken und Kombinationen von Materialien. Am 30. April 2017 inszenierte Lucas Meyer-Leclère in der Parochialkirche La Mazarinade (1648-1653) des französischen Dichters Paul Scarron. Das Pamphlet auf den Kardinal Mazarin als Minister Louis XIV. kombinierte er mit Friedrich II. von Preußen und Voltaire unter dem Titel Bulgre, was im Französischen sowohl auf den König der Bulgaren im Candide (1759) wie auf den Roi des Bougres anspielte. Beide Schreibweisen beziehen sich auf die Bulgaren. Doch bougre war im 17. und 18. Jahrhundert als Benennung für Sodomiten, also mannmännliche Penetration in Gebrauch gekommen. Im Deutschen gibt es die semantische Überschneidung der Bulgaren mit einer Sexualpraktik nicht. Es gibt insofern Texte als Material in Lucas Meyer-Leclères Installationen, Bildern und Design Art.

Sergent à Verge de Sodome
Sodomisant tout le Royaume
Bougre bougrant bougre bougré
et bougre au suprême degré
bougre sodomisant l’Etat et 
bougre au plus haut carat …
(Sergent am Hofe/Penis von Sodom/Sodomisiere das ganze Königreich/Bougre bougrant bougre bougré/und bougre (ficke) bis zum höchsten Grad/bougre sodomisierend den Staat und/ficke den höchsten Karat…)[11]

Bereits bei der Performance Bulgre kam es Leclere weniger darauf an, wie stark La Mazarinade und das Verhältnis von Friedrich II. und Voltaire in der Kunstpraxis reflektiert wurden. Vielmehr hatte der Text vagen Ursprungs die Performance mit Lesung, Catwalk, Lichtinstallation und Bilderausstellung angestoßen und andere, neue Kombinationen generiert. Damit sind es Performance und Assemblage die gleichzeitig ein Bild im Rahmen unterlaufen. In der Assemblage wird das Bild nicht nur materiell dreidimensional, vielmehr bricht sich die Bildgebung auch an den Kanten, in den Schnitten und Ritzungen. Die Performance bringt immer schon die künstlerische Praxis zur flüchtigen Darstellung von Kunst. Die Bilder, Assemblagen und Installationen werden so vor allem zu Spuren der vielfältigen Praktiken, die bis zu sexuellen Praktiken reichen. Das lässt sich besonders, aber nicht nur bei Lucas Meyer-Leclère in der von Donna Huanca kuratierten Präsentation beobachten.

Design Art zeichnet vielleicht gerade dieser performative Aspekt aus. Die Ausstellungsbesucher*innen, um sie einmal so zu nennen, verwandelten sich beim Anschauen selbst in Design Art. Es passiert etwas. Etwas geschieht wie mit Hayden Dunhams Nebelmaschine, die die Ausstellungshalle in einen Fog Room verwandelt, um die Besucher*innen wie die Kunst zu umgeben. Während Tino Sehgal in Ausstellungen Performances inszeniert und eine immersive Kunst schafft[12], die Ausstellungs- und Museumsräume aber auch reflektiert und reflektierbar macht, werden die Grenzen ‚zwischen Performance und Publikum von Donna Huanca’s Friends unterlaufen, wozu eben nicht zuletzt der Nebel beiträgt. Es sind indessen auch die Besucher*innen, die sich mit Kleidung und Gesten in Kunst für ein Foto verwandeln.

Mit einem Tuch in Rosa, auf dem in Grün „Hans Her-mann von Katte“ gedruckt steht, dockt Leclere in einer Installation wiederum an die Erzählung von den gleichgeschlechtlichen Praktiken Friedrich II. an. Die Installation hat einen performativen Zug. Denn auf eine, sagen wir, up-cycelte Jacke hat er ein nicht leicht erkennbares Gesicht in Rostrot auf dem Kopf und darüber mit wenigen Strichen ein Gesicht in Weiß gezeichnet. Design Art hat nicht zuletzt etwas mit der Mode-Praxis des Upcycling zu tun. Das weiße Gesicht soll Friedrich heißen, ob es ihm bei den ohnehin ständig nach Schemata oder postum gemalten Porträts ähnlich ist, spielt keine Rolle. „Hans Hermann von Katte“ nennt Friedrich gleich mit. Am Samstagabend trägt Lecleres Partner Jens Meyer die Jacke, die sozusagen zur Installation mit einem Spiegel, Handschellen, einer Krawatte etc. gehört. Wenn der Partner in der Jacke nicht neben der Installation steht, ist sie sozusagen unvollständig. Vielleicht zeigt sich darin treffend Design Art.

Die ganze Installation ist nicht auf Dauer angelegt. Sie ist flüchtig. – Vielleicht ist sie mittlerweile schon demontiert und wird wieder anders gebraucht.

Torsten Flüh


[1] Siehe auch: Torsten Flüh: Von der Design-Wende. Zur Tagung Verhaltensdesign im Hybrid Lab. In: NIGHT OUT @ BERLIN Dezember 14, 2016 21:12.

[2] Moser, Jeannie/Vagt, Christina (2018). Verhaltensdesign. Technologische und ästhetische Programme der 1960er und 1970er Jahre. In: Jeannie Moser/Christina Vagt (Eds.), Verhaltensdesign (7). Bielefeld: transcript Verlag. Open Source.

[3] Profil: Prof. Dr. Gesche Joost Universität der Künste Berlin.

[4] Joost G., Scheuermann A. (2008) Design als Rhetorik. In: Joost G., Scheuermann A. (eds) Design als Rhetorik. Board of International Research in Design. Birkhäuser Basel. S. 11. (Birkhäuser)

[5] Moser, Jeannie/Vagt, Christina (2018). Verhaltensdesign … [wie Anm. 2] S. 9.

[6] „- Da sind sie. Ich beginne. Was für Schuhe? Was, Schuhe? Wessen Schuhe sind es? Woraus sind sie? Und sogar, wer sind sie? Das sind sie, die Fragen, das ist alles.“ Jacques Derrida: Restitutionen. In: ders.: Die Wahrheit in der Malerei. Wien: Passagen, 1992, S. 303.

[7] Georg W. Bertram: Kunst als menschliche Praxis. Berlin: suhrkamp wissenschaft, 2014, S. 11.

[8] Ebenda S. 12.

[9] Ebenda.

[10] Ebenda S. 18.

[11] Die grammatische Flexion, Mehrdeutigkeit und Steigerung von bulgre als sodomitische Penetration wird in La Mazarinade bis an die Grenze lustvoller Sinnlichkeit zum Staatsterrorismus getrieben. Siehe zum Genre der Mazarinade auch Bibliothéque Mazarine.

[12] Vgl. dazu: Torsten Flüh: SIE machen mit im Immateriellen. Tino Sehgals Werkschau und This Progress im Martin-Gropius-Bau und Haus der Berliner Festspiele. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juli 6, 2015 21:04.
Und ders.: Sinn und Sinnlichkeit im Sensodrom. Zur Welt ohne Außen – Immersive Räume seit den 60er Jahren im Gropius Bau. In: NIGHT OUT @ BERLIN  Juni 17, 2018 21:34.

Knallbunte Juwelen und ein Hausschwein

Filmfamilie – Fiktion – Filmkamera

Knallbunte Juwelen und ein Hausschwein

Zur Weltpremiere von Lothar Lamberts 40. Berlin Undergroundfilm

Mit der Weltpremiere seines 40. Films feierte Lothar Lambert am 25. Juli, dem Vorvorabend des 41. Berliner Christopher Street Day, seinen 75. Geburtstag im Kino Brotfabrik am Caligariplatz. Die Filmfamilie aus 40 LoLa-Filmen war fast komplett erschienen auf Zelluloid, digital und quietschlebendig. Ein Fest des Underground Kinos und queeren Films. Dr. Claus Löser, Kurator des Filmprogramms der Brotfabrik, eröffnete den Abend mit einer Begrüßung des Regisseurs und – ja, doch man muss es so nennen – Doppeljubilars Lothar Lambert. Wie es sich für einen Filmemacher gehört, erzählt er viel lieber mit seinen Filmen auf als vor der Leinwand. Oben rum, unten rum – Lamberts gesammelte Einakter heißt der Film mit Staraufgebot ebenso vielsagend wie unspektakulär.

Die Einakter haben es in sich. Fakten und Fiktionen überschneiden sich sozusagen Lambert-typisch z.B. in Bitte, bitte, bieten. Das Legendäre einer Kunstauktion zu Gunsten der Berliner AIDS-Hilfe im schwulen Café Berio am Nollendorfplatz 1996 mit Evelyn Künnecke, die mit Eva Mattes erscheint, kommt familiär und unspektakulär rüber. Lothar Lambert ersteigert ein Bild, das er selbst gemalt hat und einen Abzug von Erika Rabaus Foto von Zarah Leander bei ihrem letzten Auftritt in Berlin. Evelyn Künneke singt im – na man könnte es Bass nennen – ein Chanson. 1996 ebbte die AIDS-Welle schon langsam ab. Das schnelle Sterben der 80er Jahre verlangsamte sich. Kein LoLa-Einakter ohne krachende Fallhöhe. Vorüber war das Sterben an AIDS in Europa und Nordamerika noch nicht. Durch die vom Regisseur ersteigerten Bilder – die Bieter- und Spendenfreude hatte ihre Grenzen – gibt es einen satirischen Seitenhieb: Bitte, bitte, bieten.

Oben rum, unten rum könnte anatomielogisch heißen, dass es um Kopf bzw. Psyche und Sex bzw. Geschlechtsteile geht. Das Psychosoziosexuelle ist Lamberts Thema. Es ist eine Variante der Queerness, die immer auch an den Bereich des Peinlichen rührt. Diesmal treibt es Lambert ausgerechnet mit Hilka will noch (2008) auf die Spitze. Was will Hilka noch? Der Regisseur Lothar Lambert wird hier zum Reporter und Interviewer. Er treibt die längst pensionierte Lehrerin Hilka Neuhof, die einst bei der gestrengen Hilde Körber im Grunewald am Berliner Max-Reinhardt-Seminar angenommen worden war, bevor sie sich doch für eine Lehramtsstudium entschied, in die Albernheit. Mit zielgenauer Dramaturgie verwickelt Lambert Hilka in eine ebenso komische wie genaue Diskussion über den Dreh einer Sexszene. Sie will noch vor die Kamera. Warum nicht in einer Sexszene? Doch im Interview-Setting auf einer großen Couch mit Plüschaffen lässt sich Hilka zu nicht mehr als einigen halbherzigen Stöhnversuchen überreden.

In der langen Version bietet sich Hilka, bevor ich sie dazu dränge, sich auszuziehen, auch noch anderen Regisseuren an, bittet um eine kleine Rolle. Ich sag: „Wieso klein? Sei nicht so bescheiden!“ Dann wird die Szene unkonzentriert und albern, so daß ich noch mal alles überarbeitet und umgeschnitten habe.[1]

Hilka auf der roten Couch inszeniert vor allem das Sprechen über Sex und Nacktheit im Alter. Was Lambert „unkonzentriert und albern“ findet, rührt an den psychosoziosexuellen Grenzen. Die scheinbar reibungslose, doch originelle Erzählung von der missglückten Schauspielerinnenkarriere, die zum Lehramt führt, trifft auf das schwierige Sprechen über Schauspiel, Nacktheit und Sex im Alter. Die ebenso autobiographischen wie soziologischen Erzählungen kollabieren in Unkonzentriertheit und Albernheit. Lambert legt mit seinen durchaus freundschaftlich-frechen und spaßigen Fragen frei, was an der Grenze des Öffentlichen im Film mit Halbnah- und Naheinstellungen noch gesagt werden kann. Hilka, Lothar und Albert Kittler an der Kamera lassen die Grenze zum Sexfilm und Porno aufblitzen, überschreiten sie aber nicht. Sie spielen mit der Scham an der Schnittstelle von „Dokumentation“ und Fiktion.

Hilka will noch wird für Lambert exemplarisch, weil die vermeintliche Dokumentation haargenau dort stattfindet, wo Familie, Freundschaft, Kamera, Film, Schnitt, Gesellschaft, Subversion oder Underground, Camp, das Schwule und Queer aufeinandertreffen. Mit einem Pornoregisseur hätte Hilka eben gar nicht erst sprechen wollen und können. Doch die Nacktheiten und Geschlechtlichkeiten standen und stehen bei Lothar Lambert seit jeher im Kontext ihrer gesellschaftlichen Zurichtungen und Abweichungen. Das machte auch die Retrospektiv-Installation im Schwulen Museum zum 70. Geburtstag klar. Die „gesammelten Einakter“ sind insofern durchaus repräsentativ für Lamberts filmisches Werk wie etwa in Ein Schuss Sehnsucht/Sein Kampf (1972) über Boulevardmedien, die titeln „Unsere Kripo ist verbittert: Schützt euch selbst! Kauft euch Waffen“[2], 1 Berlin-Harlem (1974) über Rassismus und sexuellem Aufbruch in West-Berlin[3] oder eben der filmfamilialen Hommage an Erika Rabau Erika, mein Superstar (2015)[4].  

Die Filmfamilie ist eine existentielle Voraussetzung für Lothar Lamberts Mumblecore-Filme, wie sie heute im Englischen genannt werden. Hilka Neuhaus, Erika Rabau, Dieter Rita Scholl, Kameramann Albert Kittler, Frank Schoppmeier, Stefan Stricker alias Juwelia, Arnfried Binhold, Nilgün Taifun, Ulrike S., Evelyn Sommerhoff, Karin Reum-Lahrem, Dagmar Beiersdorf, Dieter Schidor, Hans Marquardt, Anna Dörrast und noch viele mehr wirkten in LoLa-Produktionen mit. 1998 trug Made in Moabit den Untertitel „Eine Filmfamilie aus dem Hinterhof“. Das Konzept Filmfamilie wurde im unabhängigen und untergründigen Film seit den 1970er Jahren entwickelt und generierte nicht zuletzt die Filmhandlungen wie eben den Untertitel gebend in Made in Moabit. Die Filmfamilie ist natürlich bunt und queer bei Lothar Lambert. Dabei lüftet er in Oben rum, unten rum ein lang gehütetes Geheimnis.

Im Einakter Freuden der frühen Jahre (2018) hat Lambert mit Albert Kittler, eine Collage aus teilweise noch Normal-8-Schmalfilmen seines Vaters aus den 50er und frühen 60er Jahren erstellt. Das Negativformat Normal-8 war so etwas wie das Familienformat, so wie heute das Smartphone das Emotiontool für die Aufregung ist. Normal-8-Kamera, womöglich von Bauer aus Untertürkheim, und VW-Käfer waren Wirtschaftswunder-Gadgets. Vater, Mutter und Sohn Lambert leisteten sich in den 50er Jahren Urlaubsreisen mit dem eigenen Auto und der Filmkamera. Nun erst erinnerte sich Lothar Lambert in der Collage, dass er wahrscheinlich ebenfalls früh eine Kamera zum Filmen der Familie und ersten Inszenierungen mit der Oma in Drag geschenkt bekommen hatte. Oma posiert mit Schnurrbart, Strickmütze und Schal vor dem Spiegel im Flur. Früh lieferte die gefilmte Familie sozusagen das Sujet für die spätere Filmfamilie als queeren Entwurf. 1967 photographierte er mit Schnurrbart und in Lederjacke als Reporter Mia Farrow bei Dreharbeiten zum Agententhriller A Dandy in Aspic an der Avus. Der Sohn hat nun das Männlichkeitsmerkmal der Oma für die Kamera für sich selbst angenommen.

Die ersten Schmalfilmkameras gab es zwar schon in den 30er Jahren, doch wirklich populär wurden sie erst in den 50er Jahren.[5] Sie waren natürlich weit seltener als Smartphones heute. Die nur wenige Minuten langen Negativfilme konnten nur einmal belichtet werden und hatten keine Tonspur.[6] Einfach drauflosfilmen war wenigstens teuer. Die Harmonie mit Vater, Mutter (zigaretterauchend) und Volkswagen musste für die Kamera des Sohnes schön arrangiert werden. Family-Posing. Für Lothar Lambert waren diese technischen Voraussetzungen lange Zeit prägend und wurden durch dramaturgische Inventionen transformiert. In Freuden der frühen Jahre haben Kittler und Lambert nun durch digitale Animationen das Bildmaterial neu kombiniert. In gewisser Weise sind Filmfamilie wie Mumblecore-Werk Effekt dieser technischen Bedingungen, ja, den Maschinen als Formatvorgabe. Man kann noch weiter gehen: Die Filmkamera ermöglichte es Lothar Lambert, schon in frühen Jahren die Großmutter in Drag zu filmen, weil das Leben vor der Kamera in Pose ein anderes wurde. Der Schmalfilm erlaubte sozusagen in der Familie die geschlechtlichen Operationen, die mit der Filmfamilie weiter getrieben wurden.

Überhaupt kommt Mumblecore nicht ohne Filmfamilie und einer gewissen lokalen Zuspitzung aus. Das ist schließlich eine Frage des Budgets. Lothar Lamberts Filme sind immer auch Berlin-Filme oder gar West-Berlin-Filme. So wird denn auch in Tanz in der Deutschlandhalle die legendäre Location unter dem Funkturm gegen den City Cube Berlin geschnitten. Ein wenig knatterndes 8 mm-Filmmaterial gegen den Digishot vom City Cube Berlin an gleicher Stelle. Die Deutschlandhalle war eine Art erweitertes Wohnzimmer mit Gelegenheit zu Tanzauftritten für Lambert. Die Deutschlandhalle in Berlin bot neben Tanz und Militärmusikfestival, Reitturnier und Rockkonzerten sowie Klaus Kinskis denkwürdige Rezitation und Publikumsbeschimpfung Jesus Christus Erlöser 1971 immer wieder Potential zur Identifikation und Abgrenzung. Sie war ein Versprechen für die West-Berliner, dass sie nach 1945 weiterhin zu Deutschland bzw. West-Deutschland gehörten und als „Insulaner“ Weltgeltung genossen. Die Deutschlandhalle wurde im Dezember 2011 trotz Denkmalschutz abgerissen. Und man spürt, dass Lambert mit dem City Cube Berlin fremdelt.

Frank Schoppmeier „singt“ Rio Reiser mit dünner, roter Federboa in Der letzte West-Berliner (2018) und Betty Lerche erzählt in Betty und die Welt (2018) die durchgeknallte Geschichte ihres Lebens mit Episoden in West-Berlin. Betty Lerche lebt heute in Kreuzberg. Bei ihrer katastrophenreichen Erzählung als Independent-Filmemacherin, die mit einem Krebstumor im Gehirn und weiteren Tumoren im Körper endet, bleibt das Publikum schreckensstarr. Betty Lerche hat ein Profil auf Facebook, wo sie mit Juwelia und Frank Schoppmeier mit einem Post vom 17. März am „Tuntenfrühstück“ teilnimmt. Es lässt sich kaum entscheiden, ob es sich bei der Erzählung um krasse Katastrophen eines gelebten Lebens oder um eine soziologische Collage aus West-Berlin mit autoritärem, jüdischem Vater, sexueller Misshandlung, Schulabbruch, Heroin und Prostitution, Koma und Schwangerschaften bis zur mehrfachen Krebsdiagnose handelt. Lothar Lambert nennt es diesmal keine „Dokumentation“ oder Interview, vielmehr nennt er es „Film“. Treffsicher und ultragenau wird das Ungeheure mit Ruhe und Zuversicht erzählt. Doch eine Filmemacherin Betty Lerche kennt Google nicht. Es ist „Film“ mit dem Bezugspunkt West-Berlin.

Man kann wissen, dass Lothar Lambert die Late-Night-Reality-Formate der Medical Detectives, Snapped – Wenn Frauen töten oder Killer Couples etc. sieht. Genauso kann man wissen, dass er ein Fan von Douglas Sirk mit All I desire/All meine Sehnsucht (1953), Es gibt immer ein Morgen (1956) und Interlude/Der letzte Akkord (1957) ist. Auch Fritz Lang mit Cloak and Dagger/Im Geheimdienst (1946), in den Hauptrollen Lilli Palmer und Gary Cooper, liebt er. Das ist nur deshalb erwähnenswert, weil sich im Film Fiktion mit dem „non fiction book“ Cloak and Dagger: The Secret Story of O.S.S. von Corey Ford and Alastair MacBain überschneiden. Wann wird die Realität zur Fiktion und umgekehrt? Mit dem Faible für Douglas Sirk weiß sich Lothar Lambert in der Gesellschaft von Rainer Werner Fassbinder und Pedro Almodovar, der gerade mit Dolor y gloria/Leid und Herrlichkeit und Antonio Banderras in der Hauptrolle den Preis für den besten Darsteller als (fiktiver) Filmregisseur gewonnen hat.

Lothar Lambert hatte Juwelia vor Rosa von Praunheim. Das zählt im Berliner Queer Movie. Damit ist der andere Name des queeren Films gefallen, der ein anderes Händchen hat für die Selbstvermarktung. Juwelia und andere Schönheitsköniginnen erinnert mit Ausschnitten aus Verdammt in alle Eitelkeit (2000) und Aus dem Tagebuch eines Sexmoppels (2004), dass Lothar Lambert lange vor Rosa von Praunheim mit dem eher dokulastigen Überleben in Neukölln (2017) vor der Kamera hatte. Juwelia kam bei Lambert groß raus, wobei in seinem Film gerade nicht die eher tradierten Grenzen zwischen Dokumentation und Spielfilm eingehalten wurden. Die spezifische Überschneidung von Therapie, Fiktion und Dokumentation macht Lambert zum Queer-Film-Star. Rosa von Praunheim rang immer um die Dokumentation der schwulen Szene und Probleme, Lothar Lambert fragt ständig nach den Grenzen der Fiktion.

Lamberts Titel wie Kleine Sau ganz schlau (2019) sind Versprechen und wecken Erwartungen. Julia Adachi und Lily bilden in diesem Einakter den Cast. Und es geht um Liebe und Intelligenz. Denn Julia hat sich in ein kleines Hausschwein verliebt und dessen Intelligenz mit diversen Lernmaterialien wie Ringe und Klötze gefördert. In Zeiten trainierbarer Künstlicher Intelligenz liefert Lily den Beweis für die Förderung der Intelligenz von Hausschweinen im Schöneberger Kiez und auf dem Spielplatz. Die kleine Sau und Julia verstehen sich offenbar prächtig. Sie leben gemeinsam in der Etagenwohnung und teilen offenbar genüsslich das Bett zur Pflege mit der Drahtbürste. Vielleicht ist Lily auch in einigen Bereichen schlauer als Künstliche Intelligenzen. Wenn sie auf den Spielplatz kommt, rennt sie vor Freude los, wie ein Kind. Doch anders als Kinder schlafen Hausschweine viel, berichtet Julia. Lothar Lambert setzt die Vieldeutigkeit der Sprache und Bilder gezielt ein, um sie in verquere Ebenen zu drehen.

Torsten Flüh

Lothar Lambert
Oben rum, unten rum (2008-2019)
bis 31. Juli 2019 21:00 Uhr
Brotfabrik Kino
Caligariplatz 1
13086 Berlin

4. August 2019 15:30 Uhr
Bundesplatz-Kino
Bundesplatz 14
10715 Berlin


[1] Vgl. Lothar Lambert über die Dreharbeit von 2008. Lothar Lambert: Hilka will noch.

[2] Siehe Torsten Flüh: Das Sprechen im Kino. Zu Lothar Lamberts Sein Kampf und Rosa von Praunheims Filmen. In: NIGHT OUT @ BERLIN Januar 16, 2013 21:14 (PDF).

[3] Siehe Torsten Flüh: Der Film der Stunde. 1 Berlin-Harlem von Lothar Lambert im Panorama der 66. Berlinale. In: NIGHT OUT @ BERLIN Februar 18, 2016 17:50 (PDF).

[4] Siehe Torsten Flüh: „Kindeinhalb“. Erika Rabau in Lothar Lamberts Erika, mein Superstar … In: NIGHT OUT @ BERLIN August 7, 2015 20:45 (PDF).

[5] Der Vater und der Onkel des Berichterstatters filmten in den 50er und 60er Jahren ebenfalls recht aufwendig Schmalfilmkameras. So wurde ein Film über die Interbau 57 im Hansa-Viertel aufwendig mit einem Tonband „vertont“. Meine Mutter erhielt eine Postkarte von meinem Vater, dass man einen Film mit ihr drehen wolle. 1966 drehten Vater und Onkel den Familienfilm „Das Kind im Manne“ mit der Frage, was dem Sohn zum Geburtstag geschenkt werden sollte. Letztlich gab es im Film wie in der Realität einen blauen Metall-Kran als nicht ganz kindgerechtes Geburtstagsgeschenk.

[6] Vgl. auch: Torsten Flüh: Die „Maßnahmen“ im Schmalfilm gebannt. Egon Bahr eröffnet die Premiere des Schmalfilm-Opus’ Bis an die Grenze in der Urania. In: NIGHT OUT @ BERLIN August 13, 2011 18:47. (Der Post wurde leider 2019 beschädigt, so dass die Fotos gelöscht wurden.)

Nietzsches „intelligente Maschinen“ – Zur Intelligenz und Maschine bei Nietzsche, dem Technikmuseum Berlin und dem Riesen-Dampfhammer

Maschine – Nietzsche – Intelligenz

Nietzsches „intelligente Maschinen“

Zur Intelligenz und Maschine bei Nietzsche, dem Technikmuseum Berlin und dem Riesen-Dampfhammer

Der Riesen-Dampfhammer „Fritz“ wurde von Alfred Krupp am 16. September 1862 bei Essen in Betrieb genommen. Es war der größte Dampfschmiedehammer im Königreich Preußen und dem gesamten Deutschen Bund.[1] Die Gussstahlfabrik bei Essen mit dem zweifelsohne sehr lauten Dampfhammer und seinem Eisenklotz von 50 Tonnen Gewicht lag gleich neben dem Wohnhaus mit großem neobarocken Garten der Familie Krupp. Der recht hohe Schornstein der Fabrik wurde zugleich als Aussichtstempel benutzt. Auch das schlossartige Anwesen des Berliner Lokomotivbauers August Borsig lag in den späten 1840er Jahren in Moabit gleich neben der Fabrik und dem Eisenwalzwerk mit weithin sichtbaren Schornsteinen ungefähr an der Turmstraße. Doch mit dem runden Gewächshaus aus Glas nach dem Vorbild der Blätter der Riesenseerose, Nymphea gigantea, durch gusseiserne Streben zwischen den Glasscheiben und der dampfpumpengetriebenen Fontäne im Garten übertraf Borsig Krupp in Essen. Aber wovon erzählt das Technikmuseum mit seinen Exponaten?

Victoriahaus, Botanischer Garten Berlin

In Friedrich Nietzsches Schreiben und Philosophieren hallt ein Echo der Dampfhammer und Maschinen der Industrialisierung nach. 1862 geht Nietzsche noch in Pforta zur Schule. 1889 wird er die Götzen-Dämmerung mit dem Untertitel „oder Wie man mit dem Hammer philosophirt“ veröffentlichen. Dort gebraucht er den Begriff der Maschine dreimal in recht unterschiedlicher Weise. „Z u r P s y c h o l o g i e  d e s  K ü n s t l e r s“ formuliert er, dass der „Rausch (…) erst die Erregbarkeit der ganzen Maschine gesteigert haben“ müsse.[2] Die Maschine und das Maschinelle werden von Nietzsche in vielerlei Weise gebraucht, um nicht zuletzt schon 1874 als „Denk-, Schreib- und Redemaschinen“ in Unzeitgemässe Betrachtungen angeschrieben zu werden.[3] Wie ambig sind die Maschinen in den Schriften Nietzsches? Und was haben sie mit Intelligenz zu tun? Wie lässt sich Künstliche Intelligenz mit Nietzsche bedenken?

Victoriahaus von August Borsig in Moabit nach dem Modell eines umgekehrten Blattes der Riesenseerose vor 1867. Albert Schwartz CCO

Das Projekt Künstliche Intelligenz wird von John McCarthy und John von Neumann mit The Computer and The Brain Mitte der 1950er Jahre formuliert. Die Maschine wird damit zum Modell der Intelligenz im Unterschied, aber auch in Analogie zur Intelligenz des Menschen, wie sie von Friedrich Nietzsche im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mit der Formulierung von „intelligenten Maschinen“ angeschrieben wird. Neben der Lokomotive bzw. der Eisenbahn, mit der Nietzsche häufig fährt, sind es gigantische Dampfschmiedehammer, Dampfsägewerke, die Dampfmaschine für die Fontäne im Park von Schloss Sanssouci und Borsigs Anwesen in Moabit etc., allgemein Dampfmaschinen, von denen der Philosoph nicht nur gehört und gelesen haben wird.

Modell einer Dampfmaschine.

Die Dampfmaschinen mit ihren Konstruktionsteilen aus Dampfkessel, Zylinder, Kolben, Pleuelstange und Schwungrad befördern die Industrialisierung oder auch Industrielle Revolution in Deutschland. In der Schweiz kommen sie wegen der allenthalb vorhandenen Wasserkraft weniger zum Einsatz. Trotzdem bleibt dem Professor für Classische Philologie an der Universität Basel, wie sich später lesen lässt, nicht die Wirkungsweise der Dampfmaschine verborgen. Aber ihm bleibt die Maschinenmusik der Dampfhämmer in Richard Wagners Ring des Nibelungen besonders in der Ouvertüre des Siegfried (1857) unauffällig. Er, der Noten lesen kann und selber komponiert, hört und liest das akustische Schwungrad der Dampfmaschinen und die maschinellen Schmiedehammer 1876 in Wagner in Bayreuth nicht. Stattdessen wird Siegfried „(d)as wunderbar strenge Urbild des Jünglings“.[4] Im Mai 1888 beschreibt er den „Fall Wagner“ abwertend als „Gesammterkrankung, diese Spätheit und Überreiztheit der nervösen Maschinerie“.[5]   

Eisengießerei und Maschinenbauanstalt August Borsig, Eisenwalzwerk in Moabit. Albert Schwartz CCO

Die Dampfmaschinen des 19. Jahrhundert zeichnen sich durch eine tendenzielle Unsichtbarkeit aus. Sie werden vor der Öffentlichkeit verborgen. Die einzige, die in der Malerei wiederholt zum Sujet wird, ist die Lokomotive. Ansonsten verschwinden die Maschinen in Maschinenhäusern wie im Pumpenhaus an der Havel für die Fontäne im Park von Sanssouci 1843 von Ludwig Persius, das als Fremdkörper und Faszination einer orientalisch, maurischen Formensprache wie eine Moschee erscheint. Maschinen sind auch im Park des schlossartigen Wohnhauses von August Borsig nicht zu sehen, obwohl die Fontäne von einer Dampfpumpe an der Spree betrieben worden sein wird. Auf dem angrenzenden Fabrikgelände von Borsig sind Leiterwagen aus Holz, aber keine Maschinen zu sehen. Die Architektur der Fabrikhalle aus Backstein wiederholt Fensterbögen oder gar Bögen von Kirchengängen der Renaissance. Auf einem weiteren Foto des Berliner Fotografen Albert Schwartz liegen mehrere sehr große Zahnräder im Vordergrund. Doch eine Dampfmaschine lässt sich auch hier nicht finden. Die Erscheinungsform der Dampfmaschinen in der Öffentlichkeit am Rande der Städte sind Schornsteine beispielsweise mit Aussichtstempel(!) und Fabrikhallen mit Elementen der Renaissance aus Backstein. 

Eisengießerei und Maschinenbauanstalt August Borsig in Moabit, Eisenwalzwerk. Albert Schwartz CCO

Das Philosophieren mit dem Hammer reagiert durchaus kritisch auf „Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen“, noch bevor Friedrich Nietzsche selbst im Februar 1882 eine Schreibmaschine in Genua von seiner Schwester geschenkt bekam. Maschinenschriftliche Druckmanuskripte sind indessen bisher nicht digitalisiert.[6] Vielmehr schreibt Nietzsche bis 1888 weiterhin mit der Hand vor allem in Hefte.
„A u s  e i n e r  D o c t o r – P r o m o t i o n“ zitiert Nietzsche in Götzen-Dämmerung quasi die Frage „Was ist die Aufgabe allen höheren Schulwesens?“, um als Antwort zu geben: „Aus dem Menschen eine Maschine zu machen.“[7] Und als „N o c h  e i n P r o b l e m  d e r  D i ä t“ wird die „Maschine“ gleich zum „Genie“ bzw. das „Genie“ zur „Maschine“[8]: „— Die Mittel, mit denen Julius Cäsar sich gegen Kränklichkeiten und Kopfschmerz vertheidigte: ungeheure Märsche, einfachste Lebensweise, ununterbrochner Aufenthalt im Freien, beständige Strapazen — das sind, in’s Grosse gerechnet, die Erhaltungs- und Schutz-Maassregeln überhaupt gegen die extreme Verletzlichkeit jener subtilen und unter höchstem Druck arbeitenden Maschine, welche Genie heisst. —“[9]

Halle mit Riesen-Dampfhammer und Schornstein mit (antikem) „Aussichtstempel“.

Die maschinellen Wirkungsweisen von „Dampf“, Wasserdampf, und „Druck“ werden in eine Psycho-Physiologie als Thermodynamik des Genies transformiert. Anders gesagt: Friedrich Nietzsche versteht sehr wohl die Konstruktions- und Wirkungsweisen der Dampfmaschinen seiner Epoche, um sie als „Maschine“ zu verallgemeinern. Die Dampfmaschine ist ein anderes Modell als die Zeitmaschine Uhr, bei der ein Zahnrad in das andere greift. Sie werden im 19. Jahrhundert kombiniert und neu ausgerichtet. Doch das Modell des Uhrwerks als Zeitmaschine im Modus der Verzahnung geht der Dampfmaschine voraus. Beide Maschinen funktionieren in einem Wenn-Dann-Modus. Wenn das Zahnrad in ein anderes greift, dann wird beispielsweise der kleine oder große Zeiger vor- oder zurückgestellt. Wenn der Druck durch den Wasserdampf im Kessel steigt, dann drehen die Räder schneller. Wenn der Druck nicht entweichen kann, dann kommt es zu einer Explosion als Katastrophe. Heute nennt man komplexere Wenn-Dann-Entscheidungen Algorithmen.

Die Maschinenmodelle unterscheiden sich, um dann in der Verkürzung auf „die Maschine“ vermischt zu werden oder gar in eins zu fallen, weil sie streng algorithmisch funktionieren. Das Neuartige der Maschine im 19. Jahrhundert ist ihre Konstruktion als Dampfmaschine. Vorher gibt es die Uhr, die beispielsweise mit der Uhr am Wasserturm auf dem Gelände der „Eisengießerei und Maschinenbauanstalt“ von August Borsig an der Chaussee- Ecke Torstraße am 25. März 1848 mit einem Flugblatt die Fabrik in eine Maschine der Pünktlichkeit und Arbeitszeiten verwandelt. Am 14. April 1848 unterzeichnen August Borsig, der Vertreter der Königlich Preußischen Eisengießerei, Franz Anton Egells u. a. sowie die Arbeitnehmervertreter einen fast gleichlautenden Vertrag.

Sobald die zur Arbeit festgesetzte Stunde geschlagen hat, wird nach wie vor das Gittertor geschlossen. Haben sich welche verspätet, und kommen noch bis 5 Minuten nach dem Glockenschlage, so sollen sie ohne weiteren Nachtheil noch eingelassen werden. Kommen welche noch bis innerhalb ¼ Stunde zu spät, so werden diese zwar auch noch eingelassen, doch wird ihnen eine Stunde von ihrem Lohne abgezogen. Den noch später Kommenden wird erst in der Frühstücks- oder Vesperstunde der Eintritt gestattet. Jedem Arbeiter wird eine Marke ertheilt, die mit einer Nummer und einem Stempel versehen ist, und die er wohl verwahren und immer bei sich tragen muß; diese Marke muß er im Fall des Zuspätkommens dem Portier übergeben, welcher solche im Comtoir abzuliefern hat, wo die mit den Nummern bezeichneten Namenliste vorhanden ist. Beim nächsten Ausgange  wird dem Arbeiter die Marke zurückgegeben. Die Entschuldigung, daß Jemand die Marke vergessen habe, wird nicht angenommen, sondern er muß umkehren und hat sich den Zeitverlust selbst zuzuschreiben. Kommt ein Arbeiter in ein und derselben Woche dreimal zu spät, wo wird er entlassen. (Orthographie wie auf dem Original)[10]

Die Seele als Maschine, wie sie Julien Offray de la Mettrie 1748 in L’Homme Machine als aufklärerische Geste formuliert hatte, ist bei Nietzsche durchaus ambig geworden. Denn wenn es „die Aufgabe allen höheren Schulwesens“ ist, „(a)us dem Menschen eine Maschine zu machen“, dann wird diese Disziplinierung durch den Staat zu einem Problem. Nietzsche formuliert gar das Machinale, wenn er in Anspielung auf den Lateinischen Deus ex machina schreibt, dass „wir Modernen mit unsrer ängstlichen Selbst-Fürsorge und Nächstenliebe, mit unsren Tugenden der Arbeit, der Anspruchslosigkeit, der Rechtlichkeit, der Wissenschaftlichkeit — sammelnd, ökonomisch, machinal — als eine schwache Zeit …“ „zu messen“ sind.[11] Er kritisiert mit dem quasi neologischen Adjektiv „machinal“ das Maschinelle als Schwäche, wo de la Mettrie im Materialismus „der Uhr“ als Maschine eine Befreiung versprach.

Je reduis à deux, les Systèmes des Philosophes sur l’ame de l‘Homme. Le prémier, & le plus ancien, est le Système du Matérialisme; le second es celui du Spiritualisme./ Ich reduziere die Systeme der Philosophen über die Seele des Menschen auf zwei. Das erste und älteste ist das System des Materialismus; das zweite ist das des Spiritualismus.[12]

Friedrich Nietzsche beschreibt (keine) Maschinen und ruft doch die zeitgenössische Dampfmaschine auf, wenn er für das „Problem der M a c h t“ schreibt, dass es sei „wie bei einer Naturmacht, zum Beispiel dem Dampfe, welcher entweder von dem Menschen in seine Dienste, als Maschinengott, gezwungen wird, oder, bei Fehlern der Maschine, das heisst Fehlern der menschlichen Berechnung im Bau derselben, sie und den Menschen mit zertrümmert“.[13] Wie L’Homme Machine ein Motto von Voltaire voran gesetzt wird, so ist Menschliches, Allzumenschliches am 30. Mai 1878 dem Gedächtnis Voltaires in der Erstausgabe nicht nur gewidmet[14], vielmehr vermerkt Nietzsche in ihr ausdrücklich, dass „(d)ieses monologische Buch, welches in Sorrent während eines Winteraufenthaltes (1876 auf 1877) entstand, (…) jetzt der Oeffentlichkeit nicht übergeben werden (würde), wenn nicht die Nähe des 30. Mai 1878 den Wunsch allzu lebhaft erregt hätte, einem der grössten Befreier des Geistes zur rechten Stunde eine persönliche Huldigung darzubringen“.[15]

Borsig-Direktionsgebäude, Chausseestraße 1, ca. 1870. Albert Schwartz CCO.

Die Geste der Befreiung wird zwar in weiteren Ausgaben nicht mehr mit dieser Ausdrücklichkeit in Anknüpfung an den Schriftsteller, Satiriker, Königsberater und Finanztransaktionsspekulanten Voltaire als „Befreier des Geistes“ wiederholt. Aber die „Befreiung“ wird in dem „monologische(n) Buch“ mehrfach angesprochen. Sie erfolgt als eine von „abergläubische(n) und religiöse(n) Begriffe(n) und Aengste(n)“[16] oder als „Befreiung des Gedankens“[17] oder als „ernstlich gemeinte() geistige() Befreiung eines Menschen“.[18] In der Umwertung der volupté/Wollust von einer christlichen Todsünde in eine Antriebskraft der Maschine bei de la Mettrie zeigt Voltaire seine Wirkung bis Nietzsches Anti-Moralismus. Einerseits kehrt die Maschine bei Nietzsche im Kontext der Befreiung vom Christentum wieder, andererseits macht sie zugleich unfrei, wenn der Mensch zur „Denk-, Schreib- und Rechenmaschine“ wird. Doch zugleich könnte sie zur „umana commedia“ mit Anspielung auf das Inferno der Divina Commedia des Renaissance-Dichters Dante[19] werden:

Die Menschheit verwendet schonungslos jeden Einzelnen als Material zum Heizen ihrer grossen Maschinen: aber wozu dann die Maschinen, wenn alle Einzelnen (das heisst die Menschheit) nur dazu nützen, sie zu unterhalten? Maschinen, die sich selbst Zweck sind, — ist das die umana commedia?[20]

Unter „G e d a n k e  d e s  U n m u t h s“ formuliert Nietzsche mit den Maschinen ein scharfes Paradox der Nützlichkeit. Die „grossen Maschinen“ geben einen Wink auf die Industrien wie den Kapitalismus, in denen „schonungslos jede(r) Einzelne() als Material zum Heizen“ verwendet wird. Nietzsche führt hier nicht etwa eine Klassengesellschaft ein, vielmehr werden „alle Einzelnen“ für Maschinen verheizt, „die sich selbst Zweck sind“. Man könnte das eine radikale Kapitalismuskritik ohne Klassen nennen. Denn Maschinen machen keinen, nicht einmal ökonomischen Sinn, wenn der Nutzen der Maschine „sich selbst Zweck“ ist. Nietzsche schreibt damit nicht nur eine Maschinenkritik an, vielmehr formuliert er eine radikale Kritik der Industrie als Industrialismus. Als Philosoph positioniert er sich mit den „Maschinen, die sich“ als „Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen“ „selbst Zweck sind“, als genauer Beobachter der Industrialisierung.

Das Fegefeuer der „umana commedia“ ist mit Nietzsche jene Nützlichkeit und Berechenbarkeit des Menschen, die einsetzt, wenn er „ausgeglüht und verkohlt“ ist. Neben und vor der Maschine ist es die naturhaft anmutende Rede vom „Kohlemeiler im Walde“, durch den das Holz zur nützlichen Kohle für den Ofen umgewandelt wird bzw. wurde, die den Menschen schon in vorindustrieller Zeit betraf. Ist ein Kohlemeiler im Walde eine vorindustrielle Maschine? „Erst wenn die jungen Menschen ausgeglüht haben und verkohlt sind, gleich jenen, dann werden sie n ü t z l i c h. So lange sie dampfen und rauchen, sind sie vielleicht interessanter, aber unnütz und gar zu häufig unbequem.“ Doch die Nützlichkeit z.B. als einem Verkohlen, das heißt, zur Kohle machen, ist der Befreiung in der Aufklärung bereits eingeschrieben.

Die Funktion der Maschine für den Menschen und seine tendenzielle Bedrohung durch sie erfährt von Peter Sloterdijk in seinem an Wagner und Nietzsche anknüpfenden Text Nach Gott[21] keine nähere Berücksichtigung, obwohl sie mehrfach recht prominent eingesetzt wird. Zwischen Befreiungsmythos und Disziplinierungsinstrument nimmt die Maschine bei Nietzsche verschiedene Funktionen an. Aber Sloterdijk kommt auf die Intelligenz in David Humes The Natural History of Religion von 1757 zu sprechen. Im Unterschied zu Nietzsche „(bekennt) sich die Intelligenz zu ihrer eigentümlichen Transzendenz“.[22] Was bei Nietzsche zu einer prekären Maschinenhaftigkeit der Intelligenz und eben im Manuskript gebliebenen Antichrist zu „intelligente Maschinen“[23] wird, bejaht Sloterdijk fast, wenn er schreibt:

Viele Autoren haben darauf hingewiesen, daß die menschliche Intelligenz die Fähigkeit besitzt, sich eine Intelligenz vorzustellen, von welcher sie überragt wird. Dieser Aufschwung, auch wenn oft nur pro forma vollzogen, ist eine irreduzible Bewegung der Intelligenz über ihr aktuelles eigenes Niveau hinaus.[24]

Paul Friedrich Meyerheim: Vollendungsarbeiten an einer Lokomotive (Öl auf Kupferplatte, 1874) aus der Borsig-Villa in Moabit. (Deutsches Technikmuseum Berlin)

Der Begriff der Intelligenz steht bei Nietzsche wiederholt in der Kritik und im Kontext der Maschine. Die Maschine funktioniert nicht zuletzt nach einem intelligenten Plan, wie er, der sich gar patentieren lässt, auf dem Ölgemälde Vollendungsarbeiten an einer Lokomotive von Paul Friedrich Meyerheim schon eher retrospektiv, also nachträglich, 1874 in die Vollendungsszene gerückt wird. In der Polemik Der Antichrist erklärt Nietzsche nicht nur Gott für erledigt, vielmehr wird die Wissenschaft zur „Mittelmäßigkeit“ erklärt. Anders gesagt: intelligente Maschinen sind mittelmäßig. Oder mit Nietzsches Formulierung:

Das Handwerk, der Handel, der Ackerbau, die W i s s e n s c h a f t, der grösste Theil der Kunst, der ganze Inbegriff der Berufsthätigkeit mit Einem Wort, verträgt sich durchaus nur mit einem Mittelmaass im Können und Begehren: dergleichen wäre deplacirt unter Ausnahmen, der dazu gehörige Instinkt widerspräche sowohl dem Aristokratismus als dem Anarchismus. Dass man ein öffentlicher Nutzen ist, ein Rad, eine Funktion, dazu giebt es eine Naturbestimmung: n i c h t die Gesellschaft, die Art G l ü c k, deren die Allermeisten bloss fähig sind, macht aus ihnen intelligente Maschinen. Für den Mittelmässigen ist mittelmässig sein ein Glück; die Meisterschaft in Einem, die Spezialität ein natürlicher Instinkt. Es würde eines tieferen Geistes vollkommen unwürdig sein, in der Mittelmässigkeit an sich schon einen Einwand zu sehn.[25]

In Die fröhliche Wissenschaft wird die Intelligenz als Vermögen des Denkens im 333. Stück oder Fragment einmal mit Spinozas „sed intelligere“ ausführlicher, aber auch skeptischer beschrieben. Denn letztlich könne „gerade der Philosoph am leichtesten über die Natur des Erkennens irre geführt werden“.[26] Die Intelligenz als Erkennen und Erkenntnis bleibt ambig. In „la gaya scienza“ und im saturnalischen Monat Januar kann das Erkennen den bösen Scherz der Selbsttäuschung mit sich führen.

W a s  h e i s  s t  e r k e n n e n . — Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere! sagt Spinoza, so schlicht und erhaben, wie es seine Art ist. Indessen: was ist diess intelligere im letzten Grunde Anderes, als die Form, in der uns eben jene Drei auf Einmal fühlbar werden? Ein Resultat aus den verschiedenen und sich widerstrebenden Trieben des Verlachen-, Beklagen-, Verwünschen-wollens? Bevor ein Erkennen möglich ist, muss jeder dieser Triebe erst seine einseitige Ansicht über das Ding oder Vorkommniss vorgebracht haben; hinterher entstand der Kampf dieser Einseitigkeiten und aus ihm bisweilen eine Mitte, eine Beruhigung, ein Rechtgeben nach allen drei Seiten, eine Art Gerechtigkeit und Vertrag: denn, vermöge der Gerechtigkeit und des Vertrags können alle diese Triebe sich im Dasein behaupten und mit einander Recht behalten. Wir, denen nur die letzten Versöhnungsscenen und Schluss-Abrechnungen dieses langen Processes zum Bewusstsein kommen, meinen demnach, intelligere sei etwas Versöhnliches, Gerechtes, Gutes, etwas wesentlich den Trieben Entgegengesetztes; während es nur ein g e w i s s e s  V e r h a l t e n  d e r  
T r i e b e  z u  e i n a n d e r  i s t .[27]   

Die Intelligenz birgt bei Nietzsche wiederholt in der Gefahr, den Menschen in eine Maschine zu verwandeln. Hans-Jürg Braun hat bereits vor geraumer Zeit in „Notizen zur neueren Religionsphilosophie unter dem Vorzeichen der Frage nach den Grenzen des Denkens“ angemerkt, dass der „Intellekt des Menschen Worte zu Begriffen (bilde), die für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, niemals aber gleiche Fälle Verwendung finden“. [28] Er bezieht sich dabei auf eine Passage aus Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne von 1873. [29] Woraufhin Rüdiger Schmidt-Grépály einwarf, dass „die neuere Nietzsche-Forschung“ wisse, dass der Text „ein Exzerpt (sei)“.[30]     Das Exzerpt wäre eine Art der ausschnittweisen Kopie, der zumindest die Entscheidung für einen Ausschnitt zugrunde liegt. Ansonsten handelte es sich um eine maschinenartige Kopie. Auffälliger Weise unterscheidet Nietzsche nicht zwischen maschineller und menschlicher Intelligenz, vielmehr kann sich die menschliche in „Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen“ transformieren. Während wir uns immer noch im Angesicht der „Künstlichen Intelligenz“ einer menschlichen versichern wollen, hatte Nietzsche mehr als ein halbes Jahrhundert, bevor John McCarthy und John von Neumann die Intelligenz mit dem Adjektiv künstlich kombinierten, bereits das Dilemma der Intelligenz für den Menschen in Anschlag gebracht.

Torsten Flüh

Deutsches Technikmuseum
Trebbiner Straße 9
10963 Berlin-Kreuzberg
Dienstag bis Freitag: 9:00 bis 17:30 Uhr
Samstag/Sonntag: 10:00 bis 18:00 Uhr


[1] Mathias Schulenburg:  Ein starkes Stück. Vor 150 Jahren nahm in Essen der größte Dampfschmiedehammer Deutschlands seine Arbeit auf. In: Deutschlandfunk 16.09.2011.

[2] Friedrich Nietzsche: Götzendämmerung. Streifzüge eines Unzeitgemässen. 8 (Digital Critical Edition eKGWB Friedrich Nietzsche, Digital critical edition of the complete works and letters, based on the critical text by G. Colli and M. Montinari, Berlin/New York, de Gruyter 1967-, edited by Paolo D’Iorio).

[3] Friedrich Nietzsche: Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. Leipzig. Verlag von E. W. Fritzsch. 1874. Nummer 5.

[4] Friedrich Nietzsche: Unzeitgemässe Betrachtungen. Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth. Schloss-Chemnitz: Verlag von Ernst Schmeitzner.1876. Nummer 2.

[5] Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem. Verlag von C. G. Neumann. 1888. Nummer 5.

[6] Vgl. Nietzsche Source Digitale Faksimile-Gesamtausgabe: Druckmanuskripte.

[7] Friedrich Nietzsche: Götzendämmerung … [wie Anm. 2] Nummer 29.

[8] Ebenda Nummer 31.

[9] Ebenda.

[10] Unveröffentlichtes Flugblatt von August Borsig vom 25. März 1848 gesammelt durch das Eisengießereiamt im Landesarchiv Berlin, Staatsarchiv des Landes Berlin.

[11] Friedrich Nietzsche: Götzendämmerung … [wie Anm. 2] Nummer 37.

[12] Julien Offray de La Mettrie: L’Homme Machine. 1748. S. 1. (Digitalisat)

[13] Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. Erster Band. Neue Ausgabe mit einer einführenden Vorrede. Leipzig. Verlag von E. W. Fritzsch. 1886. 446.

[14] Ebenda Widmung.

[15] Ebenda Hinweis.

[16] Ebenda 20.

[17] Ebenda 237.

[18] Ebenda 542.

[19] Vgl. zu Dante: Torsten Flüh: „Sandro Botireli“, Codex Hamilton und La Comedia. Zur Ausstellung Der Botticelli-Coup im Kupferstichkabinett. In: NIGHT OUT @ BERLIN Oktober 15, 2015 21:50.

[20] Friedrich Nietzsche: Menschliches … [wie Anm. 10] 585.

[21] Peter Sloterdijk: Nach Gott. Berlin: Suhrkamp 2017.

[22] Ebenda S. 325.

[23] Friedrich Nietzsche: Der Antichrist. Fluch auf das Christentum… 57.

[24] Peter Sloterdijk: Nach … [wie Anm. 21] S. 325.

[25] Friedrich Nietzsche: Der … [wie Anm. 23].

[26] Friedrich Nietzsche: Viertes Buch. Sanctus Januarius. In: Die fröhliche Wissenschaft. („la gaya scienza“). Neue Ausgabe mit einem Anhange: Lieder des Prinzen Vogelfrei. Leipzig. Verlag von E. W. Fritzsch. 1887. 333.

[27] Ebenda.

[28] Hans-Jürg Braun: Notizen zur neueren Religionsphilosophie. In: Donata Schoeller, Matthias Michel (Hrsg.): Grenzen des Denkens. Zwölf Gespräche zwischen den Disziplinen Philosophie, Theologie, Medizin, Psychiatrie, Germanistik, Neurophysiologie, Kunst, Medienwissenschaft. Weimar: Bauhaus-Universität Weimar 2007, S. 132.

[29] Friedrich Nietzsche: Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. 1.

[30] Gesprächsrunde zum 2. Ensemble vom 22.2.2003. In: Donata Schoeller, Matthias Michel (Hrsg.): Grenzen … [wie Anm. 28] S. 135.

Kombinationen, Transformationen und Intelligenzen – Eine Nachbetrachtung zur Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance

Mantegna – Goethe – Bellini

Kombinationen, Transformationen und Intelligenzen

Eine Nachbetrachtung zur Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance

Dem Höhepunkt der afrikanischen Hitzewelle am Sonntag, den 30. Juni 2019, verdankt der Berichterstatter, dass er dann doch noch die Ausstellung MANTEGNA und BELLINI Meister der Renaissance in der Gemäldegalerie besuchte. Noch einmal Renaissance? Nach den großen Ausstellungen Gesichter der Renaissance im Sommer 2011 im Bode-Museum[1] und der nicht minder bedeutenden Ausstellung The Botticelli Renaissance im Herbst 2015[2], war das Thema fast erschöpft, dachte er. Doch „Renaissance“ ist seit dem 19. Jahrhundert ein Lable, das Besucherströme generiert. Und die Gemäldesammlung der Staatlichen Museen Berlin weist einen ebenso reichen wie ausgewählten Bestand für die Renaissance auf. Sie galt seit dem 19. Jahrhundert als bevorzugtes Sammlungsgebiet. Deshalb setzen die aktuellen Renaissance-Ausstellungen Maßstäbe an Komplexität und innovativen Forschungsansätzen.

Die Renaissance wird landläufig mit einem Wissensumbruch vom Mittelalter zur frühen Neuzeit verknüpft. So wird von Johann Wolfgang Goethe Julius Caesars Triumphzug, gemacht von Mantegna 1823 in Über Kunst und Altertum als Wissen von der Antike des Renaissancemalers gelesen und beschrieben. Eine besondere Funktion nehmen für die Beschreibung „schöne“ oder „tüchtig gestalte(te)“ „Jüngling(e)“ ein.[3] Gleichzeitig erhalten die Gesichter in den Gemälden von Andrea Mantegna und Giovanni Bellini neuartige Züge an. In der vergangenen Ausstellung wird schließlich auf Bildelemente hingewiesen, die die verschwägerten Maler austauschen, anders kombinieren und transformieren. Vom Genie der Bildfindung oder gar Abbildung verschiebt sich nun das Augenmerk auf einen Transfer im Malprozess. Die Bilder sind insofern nicht nur mit einem Wissen von den Körpern der Antike ausgestattet, vielmehr zirkuliert das Wissen beider Maler durch die Bilder und über deren Ränder hinaus.

Welche Effekte generiert das Wissen der Antike in der Renaissance? Wie wird es dargestellt und beschrieben? Und wie wird es aktuell auf der Website www.mantegnabellini.de digital graphisch und netztechnisch aufbereitet? Worin unterscheiden sich Goethes Mantegna Faszination und das Webdesign? Die Ausstellung ist beendet. Aber die Website bleibt offenbar erhalten. Wie der Name der Website andeutet, werden Mantegna und Bellini nicht als „Einzelgenies“ betrachtet. Vielmehr werden ihre Werke auf einander bezogen und durch das „Spiel“ Erkenne den Meister miteinander verglichen. Noch stärker wir die Zirkulation der Bildelemente im „Spiel“ Same Same but different, „Finde die Unterschiede“, herausgearbeitet. Als Beispiele werden neben Caesars Triumph religiös-christliche Bildthemen wie Mantegnas Der Evangelist Markus oder Bellinis Pietà vorgestellt. Doch auch dafür wird ein Wissen der antiken Skulpturen in Anschlag gebracht.

„Mantegna kam schon in jungen Jahren zu seinem Ziehvater Francesco Squarcione in die Malerwerkstatt in Padua. In der oberitalienischen Stadt lernte er nicht nur Werke zeitgenössischer Künstler wie beispielsweise Donatello kennen, sondern erhielt auch Einblick in die antike Kunst, denn Squarcione besaß eine große Sammlung antiker Abgüsse…“[4]

Das Wissen des Bildes wird animiert dargestellt, indem sich beim Anklicken mit der rechten Maustaste eines Bildausschnitts oder eines Details ein Fenster mit einer Beschreibung öffnet, als verberge sich gleichsam im Bild das Wissen. Mit dem digitalen Zeiger können die Bildbereiche angesteuert und angeklickt werden, die sich unterscheiden. So erhält die Spieler*in beispielsweise die Antwort: „Bellini hat Mantegnas Version kopiert, die Szene allerdings um zwei Personen erweitert. Die fordernde aus dem Bild schauende Person ist Bellini selbst. Mantegna hat sich ebenfalls ganz rechts mit einem Selbstporträt im Bild festgehalten.“ Und man darf ergänzen, dass der Blick von Mantegnas Selfie auf die Christus-Darstellung ausgerichtet ist. Mantegna will Christus sehen, während Bellini als Maler gesehen werden will.

Das Bildwissen wird nach dem Spielkommentar von Bellini kopiert und transformiert. Dabei ist die Datierung relativ unsicher, so dass sich nicht mit Bestimmtheit sagen lässt, wer wen kopiert und transformiert hat. Mantegna hätte auch Bellini kopiert haben können. Die Kunsthistoriker gehen hier von einer Zeitfolge aus, in der beispielsweise „(d)ie fordernde aus dem Bild schauende Person“ als Weiterentwicklung des Selbstporträts eines Malers interpretiert wird. Der Blick aus dem Bild wird als moderner gesetzt, während der Blick auf den Christus als Anteilnahme an der religiösen Handlung gedeutet werden kann. Man könnte sagen, dass das Bild erst im Vergleich intelligent wird. Das animierte Bildwissen wird konzeptuell im digitalisierten Bild lesbar, obwohl wir nicht wissen, in welcher Reihenfolge sie gemalt worden sind. Allerdings lassen sich Kopie bzw. Transfer und Transformation als Modi der Bildgenese bestätigen.

Die Kopie als Wissenstechnik wird gemeinhin unterschätzt oder gar inkriminiert. Doch die Maler der Renaissance behielten sie nicht zuletzt als maßgebliche Verbreitungstechnik religiöser Texte und Bilder im Mittelalter bei. Die Kopie wird heute gerade als Mangel an Wissensverarbeitung bzw. Intelligenz oder gar als Betrug gesehen. Doch in den Malerwerkstätten der Renaissance gehört die Kopie zur genuinen Malpraxis. Beispielsweise werden in der Renaissance Sammlungen aus Kopien von antiken Skulpturen angelegt, um das antike Wissen vom Körper und seiner Darstellung zu verbreiten. Die Kopie gehört zum Wissenstransfer, während sie gleichzeitig an Eigenleistungen kratzt. So beschreibt und diskutiert denn auch Goethe Caesars Triumph als einen künstlerischen Konflikt des Malers Andrea Mantegna.

Andrea Mantegna: Abstieg Christi in die Vorhölle (um 1480/85)
(Narr als Profil im Bild)

Die Renaissancemaler und -künstler werden seit dem 19. Jahrhundert nicht nur als Wiederentdecker beispielsweise antiker Schriften und Wissensbereiche wie dem über die Körperdarstellung beschrieben, vielmehr wird ihnen ein Genie oder gar ein „Universalgenie“ zuerkannt. Sabine Kern verknüpft auf dem wissenschaftlich-journalistischen ARD-Portal planet wissen das „Universalgenie“ mit einer „weit überdurchschnittliche(n) Intelligenz“.[5] Für den Intelligenz-Begriff ist diese Engführung aufschlussreich. Denn als Beispiele gelten Kern der antike Archimedes, der Renaissance-Künstler Leonardo da Vinci und Johann Wolfgang Goethe neben Leibniz und Alexander von Humboldt. Diese Genealogie der „Universalgenies“, die auf gleich mehreren Wissensgebieten die Fachforschung angeregt und befördert haben, reproduziert einen Wissens- und Intelligenz-Begriff des 19. Jahrhunderts, der beispielsweise bei Alexander von Humboldt nach Ottmar Ette, der von einer Humboldtschen Wissenschaft bzw. Humboldtian Science spricht, als widerlegt gelten darf.[6]     

Narr rechts oben im Torbogen.

Bemerkenswert an Kerns Benennung der Wissensbereiche, in denen Goethe erfolgreich und anregend war, ist, dass die Altertumswissenschaft, im Englischen Classics, nicht genannt wird. Deshalb kann es erhellend sein, Goethes Betrachtung von Mantegnas Bildzyklus „Julius Caesars Triumphzug“ ausführlicher zu zitieren und zu befragen. Goethe beschreibt und bewertet Mantegnas Bildzyklus nach dem, was er von der Antike weiß. Die Antike wird in Goethes Beschreibung über die Kontroverse, dass Mantegnas Arbeiten „nichts Lebendiges hervorbringen“ zum Garanten von „Natur“ und Lebendigkeit. Denn:

„Der edle Künstler, …, ergrimmt und fühlt recht gut, daß ihm eben vom Standpunct der Antike, die Natur nur desto natürlicher, seinem Kunstblick verständlicher geworden, er fühlt sich ihr gewachsen und wagt auch auf dieser Woge zu schwimmen.“[7]

Was heißt Natur? Goethes Verschränkung von Antike und „Natur“ ist bemerkenswert. Denn die Natur hat ihren Ursprung im „Standpunct der Antike“ und nicht etwa in einer äußerlichen Evidenz. Die Natur zeigt sich in den antiken Plastiken, die durchaus formalisiert sind. Die „Natur“ wird nach Goethes Formulierung „nur desto natürlicher“, als sie Mantegnas „Kunstblick verständlicher geworden“ ist. Das heißt auch, dass der „Kunstblick“ als Wissen allererst die „Natur“ hervorbringt. Doch Goethes Einführung zur Besprechung der neun Einzelbilder vom Triumphzug bringt mit den „Geliebten“ einen weiteren Aspekt der Antike ins Spiel. Denn die Malerei bringt im Folgesatz syntaktisch verschachtelt eine Art natürliche Liebe ins Spiel:

„Von dem Augenblick an ziert er seine Gemählde mit den Ebenbildnissen vieler Mitbürger, und indem er das gereifte Alter im individuellen Freund, die köstliche Jugend in seinen Geliebten verewigt und so den edelsten würdigsten Menschen das erfreulichste Denkmal setzt, so verschmäht er nicht auch seltsam ausgezeichnete, allgemein bekannte, wunderlich gebildete, ja, den letzten Gegensatz, Mißgebildete darzustellen.“[8]    

„Sodann sieht man von tüchtigen Jünglingen getragen jede Art von Schätzen: …“

Goethes Triumphzug Caesars wird zu einer Antikenerzählung, die verschachtelt und elastisch mehr formuliert, als nur das Augenfällige. Es geht nämlich auch um ein generationelles Modell von Liebe und Gesellschaft, wenn er schreibt, dass „das gereifte Alter im individuellen Freund, die köstliche Jugend in seinen Geliebten verewigt“ werde. Syntagmatisch geht es um den „individuellen“ Männerfreund und den „Geliebten“ des Malers, der ein jugendlicher und sozusagen noch nicht „individuell“ ist. So sind es denn die Jünglinge, die in den Beschreibungen eine besondere Erwähnung finden, doch gleichzeitig nur ein Ausstattungselement des gesellschaftlich durchorganisierten Triumphzuges sind. Ein Vorbild für dieses antike Sujet entzieht sich der Kunstgeschichte. Insofern wird die zyklische Darstellung zu einer Bildfindung durch literarische Texten kombiniert mit den antiken Abgüssen und transformiert in die Malerei. Was Goethe sieht und beschreibt, verdankt sich einer gewissen Intertextualität, die sich kaum verifizieren lässt.

„Das Studium der Antike gibt die Gestalt, sodann aber die Natur Gewandtheit und letztes Leben.

Dieses Doppelleben also, welches Mantegna’s Werke eigenthümlich auszeichnet und wovon noch viel zu sagen wäre, manifestiert sich besonders in seinem Triumphzuge Caesars, wo er alles was ein großes Talent vermochte in höchster Fülle vorüber führt.“[9]   

Auf diese Weise wird Goethes Bildbeschreibung zu einer kunsttheoretischen Erörterung aus den Quellen der Antike. Einerseits ermöglicht die Antikenlektüre überhaupt die Darstellung von Natur, andererseits wird sie durch die Natur als „Gewandtheit und letztes Leben“ ergänzt. Durch die Natur wird die Antike lebendig oder animiert. Gleichwohl imaginiert sich Goethe als Betrachter dieser Doppelnatur, die ihn, man müsste wohl sagen, affiziert. Sie führt ein Wissen vor, das sich zugleich kaum vom Betrachter abgrenzen lässt. So wird denn zum 5. Bild eine „leicht(e)“ Bewegung formuliert.

„Vier Elephanten, der vordere völlig sichtbar, die drey andern perspectivisch weichend; Blumen und Fruchtkörbe auf den Häuptern, kranzartig. Auf ihrem Rücken hohe flammende Candelaber; schöne Jünglinge leicht bewegt aufreichend, wohlriechendes Holz in die Flammen zu legen, andere die Elephanten leitend, andere anders beschäftigt.“[10]

„Ein junger, wohlbehaglicher, hübscher Jüngling, in langer, fast weiblicher Kleidung, singt zur Leyer, …“

Die Jünglinge in den Bildern und ihre Funktionen im Triumphzug sind nicht einfach auf den Bildern präsent. Sie müssen auch gesehen werden. Im 8. Bild sieht Goethe einen „wohlbehagliche(n), hübsche(n) Jüngling, in langer, fast weiblicher Kleidung“. Er „singt zur Leyer, und scheint dabei zu springen und zu gestikulieren“. Die Funktion dieses „fast weiblich()“ gekleideten Jünglings, erklärt Goethe umstandslos, war es „neckische Lider zu singen, die überwundenen Gefangenen frevelhaft zu verspotten“.[11] Und im finalen 9. Bild „erscheint auch, auf einem übermäßig, obgleich mit großem Sinn und Geschmack verzierten Wagen, Julius Caesar selbst, dem ein tüchtig gestalteter Jüngling auf einer Art Standarte das Veni Vidi Vici entgegenhält“.[12] Daniel Wilson hat in seiner umfangreichen Studie Goethe Männer Knaben – Ansichten zur >Homosexualität< 2012 die Bildbeschreibung nicht erwähnt.[13] Allerdings weist er daraufhin, dass Goethe Friedrich II. „einmal in den Römischen Elegien in einem eindeutig >heterosexuellen< Kontext erwähnt“ und Julius Caesar ein „ähnlich beschuldigte(r)“ gewesen sei.[14] Die „Gerüchte“ können allerdings nicht zuletzt hinsichtlich Friedrich II. im Zusammenhang mit Johann Joachim Winckelmann in der neueren Forschung als belegt gelten.[15]  

Goethes Triumphzug-Beschreibung zeichnet sich durch eine gewisse literarische Elastizität aus, die verschiedene Lektüren erlaubt. Der Triumphzug wird von ihm als eine Art antike Soziologie gelesen. Wie stehen welche Bildelemente im Verhältnis zu einander? Wie werden welche Elemente auf den Herrscher und „Halbgott“ ausgerichtet? Sollte es ein sprachlicher Lapsus sein, dass der „tüchtig gestaltete() Jüngling auf einer Art Standarte (Julius Caesar selbst) das Veni Vidi Vici entgegenhält“? Das „Veni Vidi Vici“ wird nicht ihm, sondern dem Betrachterleser entgegengehalten. Mit dem Entgegenhalten wird Caesar zum Leser und der Jüngling bietet sich ihm als Besiegtem dar. Als elastische, mehrdeutige Formulierung wird eine erotische Geste draus. Diese allerdings entspricht laut Wilson den Antike-Lektüren Johann Wolfgang Goethes.

„Goethe und seine Zeitgenossen dürften sich also kaum über solche bartlosen, ansonsten aber sexuell entwickelten Jünglinge gewundert haben, die man in Griechenland epheboi (>Epheben<) nannte. Sie konnten zwischen 16 und 20 Jahre alt sein, im Allgemeinen waren sie 18 oder 19. Sie waren in Athen die begehrtesten Sexualobjekte: schon >legal< (wenn sie mindestens 18 waren), aber noch glatt.“[16]    

„Julius Caesar selbst, dem ein tüchtig gestalteter Jüngling auf einer Art Standarte das Veni Vidi Vici entgegenhält …“

Die Renaissance-Jünglinge sind nicht nur „schön“, „wohlbehaglich“, „hübsch“ und „tüchtig gestaltet“. Sie werden vielmehr im Triumphzug, der in Bild 7 von Familien – „die eigentlichen Staaten, die uralten edlen Familien, die tüchtigen Rathsherren, die behäbigen, fruchtbar sich fortpflanzenden Bürger führt man im Triumph auf“[17] – begleitet wird, als athenische „Sexualobjekte“ wahrgenommen. Wie Wilson ausführlich erörtert, gehört das Wissen von der Antike zu einem weit verbreiteten Literaturwissen, das die gesellschaftlich-ästhetische Funktion der „Jünglinge“ nicht nur mit dem Bild 7 von der „Familie“ unterscheidet, sondern auch Machtverhältnisse regelt und überträgt.

„In diesen Beziehungen war demnach Macht im Spiel: Nicht gegenseitige Liebe zwischen Gleichen begründete sie, sondern die Eroberung eines Niederrangigen durch einen Höherrangigen, also einen erwachsenen Bürger. Dabei sollte dem Geliebten die Unterordnung allerdings erleichtert werden. In Ovids berühmten Worten bereitete die Knabenliebe nur dem Eindringenden Lust. Um dem Geliebten mögliches Unbehagen beim Analverkehr oder das Gefühl der Demütigung zu ersparen, bevorzugten die Griechen daher den sogenannten Schenkelverkehr, bei dem der Liebhaber seinen Penis von vorne zwischen die geschlossenen Beine des Geliebten schob.“[18]

Goethe betrachtete den Bildzyklus als Chiaroscuro-Holzschnitte, die Andrea Andreani im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Mantua anfertigte. Er leitet seine Bildbetrachtung von Mantegnas Triumphzug des Julius Caesar durchaus intim ein, wenn er sie vor sich ausbreitet – „Wir legen sie vor uns und beschreiben sie der Reihe nach.“. Goethe befindet sich also nicht in einer Gemäldegalerie vor den großformatigen Gemälden, die auch Ehrfurcht gebieten und die sich seit 1629 in Hampton Court bei London im Besitz Ihrer Majestät Königin Elisabeth II. befinden. In der Renaissance wird insofern vor allem die Antike und das Wissen von ihr für Goethe lebendig. Nach Wilson formuliert er seine Kommentierung der „mann-männlichen Liebe nicht nur aus antiquarischem Interesse (…) – sondern um sie in seiner eigenen Zeit mitzugestalten“.[19] Die problematischen Machtverhältnisse werden allerdings trotz Schönheit reproduziert. Eine „Partnerschaftlichkeit“, wie Wilson sie als Bereicherung zu sehen wünscht, wird im Triumphzug nicht inszeniert.

Torsten Flüh


[1] Torsten Flüh: Wiedergeburt der Wiedergeburt. Gesichter der Renaissance im Bode-Museum. In: NIGHT OUT @ BERLIN August 30, 2011 23:34.

[2] Torsten Flüh: Bilder ohne Namen und der Name des Meisters. Zu Botticelli 2015-1445 in der Gemäldegalerie Berlin. In: NIGHT OUT @ BERLIN Oktober 3, 2015 22:08.

[3] Johann Wolfgang Goethe: Julius Caesars Triumphzug, gemacht von Mantegna. In: Goethe’s Werke Unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1830. S. 150 und S. 153. (DFG-Viewer)

[4] https://www.mantegnabellini.de/entdecke-die-meister/zwei-meister-zwei-staedte/

[5] In der Benennung der Wissensbereiche von Johann Wolfgang Goethe fehlen ausgerechnet die der Kunstgeschichte und des Altertums, die für die meisten anderen Bereiche methodologisch konstitutiv waren. Sabine Kern: Universalgenies. In: planet wissen 24.10.2018, 09:24.

[6] Vgl. Torsten Flüh: Wasserzeichen vom Orinoco. Zum 2. Alexander von Humboldt-Symposium „Forschen & Edieren“. In: NIGHT OUT @ BERLIN Mai 30, 2015 19:05.

[7] W. Daniel Wilson formuliert bereits für die Literatur des frühen Goethe der 1770er Jahre, dass für seine „Generation … die Antike das >Natürliche< (verkörperte)“. Diese Funktion kehrt hier noch 1823 also 50 Jahre später wieder. W. Daniel Wilson: Goethe Männer Knaben – Ansichten zur >Homosexualität<. Berlin: Insel, 2012, S. 39.
Johann Wolfgang Goethe: Julius … [wie Anm. 3] S. 146.

[8] Ebenda.

[9] Ebenda S. 147.

[10] Ebenda S. 150.

[11] Ebenda S. 155.

[12] Ebenda.

[13] Vgl. Register der Personen, Werke und mythologischen Figuren. In: W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 490.

[14] Ebenda S. 101/102.

[15] Vgl. Torsten Flüh: Zurück zur Männlichkeit? George L. Mosses Kritik des Männlichkeitsbildes nach Johann Joachim Winckelmann und die Rückeroberung der Geschlechter durch die Neue Rechte. In: Initiative Queer Nations u.a. (Hg.): Jahrbuch Sexualitäten 2019. Göttingen: Wallstein, 2019, S. 43 bis 70.  

[16] W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 17.

[17] Johann Wolfgang Goethe: Julius … [Anm. 3] S. 152.

[18] W. Daniel Wilson: Goethe … [wie Anm. 7] S. 19.

[19] Ebenda S. 365.

Und sie existieren doch! Laurence Rasti zeigt There are no homosexuals in Iran in The Ballery

Homosexuelle – Iran – Verleugnung

Und sie existieren doch!

The Ballery zeigt There are no homosexuals in Iran von Laurence Rasti

Im Iran werden Homosexuelle verleugnet. Der ehemalige Präsident der Islamischen Republik Iran Mahmud Ahmadinedschād wurde mit klaren Behauptungen berühmt und berücksichtigt. Am 24. September 2007 hielt er eine Rede an der New Yorker Columbia University, in der er behauptete: „In Iran, we do not have homosexuals like in your country.“ Laut Rick Noack in der Washington Post fragte am 10. Juni 2019 der Bild-Journalist Paul Ronzheimer auf der Pressekonferenz des deutschen und des iranischen Außenministers in Teheran: „Why are homosexuals executed in Iran because of their sexual orientation?“ Mohammad Javad Zarif, der Außenminister der Islamischen Republik Iran stritt die Exekution von Schwulen nicht ab, sondern argumentierte mit dem Respekt vor „moralischen Prinzipien“.[1]

Hätte es noch eines Grundes zur Flucht bedurft, ist den Homosexuellen im Iran nun offiziell bestätigt worden, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. Es gibt allerdings kein gemeinsames Kommuniqué von der Pressekonferenz, in der die mündliche Einlassung niedergeschrieben wäre. Es gibt auch kein Video von der Pressekonferenz, in der Frage und Antwort dokumentiert wären. Es gibt nur die Zeugenschaft des Journalisten, der den Vorfall in der Washington Post berichten durfte. Und man darf davon ausgehen, dass auch er, wie er von Paul Ronzheimer berichtet, schwul ist. Laurence Rasti hat bereits vor fast 6 Jahren ihr Foto-Buch-Projekt There are no homosexuals in Iran begonnen. Sie traf und interviewte dafür Homosexuelle, die nach Denizil zwischen Izmir und Antalya geflohen sind.

Die homosexuellen Flüchtenden sind illegal und existieren eben doch. Laurence haben sie gar ihre Geschichten erzählt und sich fotografieren lassen. Als Homosexuelle und Flüchtlinge in der Türkei sind sie selbstverständlich nicht willkommen. Die türkische Polizei ging in Istanbul auch in diesem Jahr wieder mit Tränengas und Wasserwerfern gegen eigene, türkische Lesben und Schwule vor, die am 30. Juni gegen ein Verbot der Stadt wegen der „Volksgesundheit“ friedlich protestierten.[2] Doch allein, dass in Istanbul, Izmir und Antalya Genehmigungen für eine Gay Pride Parade gestellt und verboten wurden, stellt eine gewisse Bestätigung der Existenz von stolzen Lesben und Schwulen in mehreren türkischen Städten dar. 2010 hatte Barbara Ehnes mit Istanbul Transgelinler am HAU auf das Schicksal von Transmenschen in Istanbul aufmerksam gemacht.  

Simon Williams zeigt bis zum 27. Juli, dem Tag der CSD-Parade in Berlin, Laurence Rastis besondere Porträt-Fotografien. Das Besondere sind die Inszenierungen des Versteckens. Als Illegale dürfen die aus dem Iran Geflüchteten nicht erkannt werden. Sie müssen ihr Gesicht verbergen. Einige wenige der Portraitierten zeigen ihr Gesicht offen und stolz. Doch die meisten versteckt Laurence Rasti hinter hohem Gras auf einer Wiese, hinter bunten Luftballons, hinter Büschen und Ziergräsern vor einer Moschee im Hintergrund, hinter Blütenarrangements als Paar. Das Verstecken wird als stolze Praxis der Existenz inszeniert und dokumentiert. Das Verstecken ist kein heimliches.

Die Lesben und Schwulen aus dem Iran sind geflohen, weil ihnen nicht nur eine mehr oder weniger willkürlich verhängte Todesstrafe droht. Vielmehr droht ihnen auch eine Geschlechtsoperation als Praxis der gesellschaftlichen Normalisierung. Im Iran sollen mehr Geschlechtsoperationen als in Thailand ausgeführt werden, weil die Homosexualität damit allein auf die Genitalien ausgerichtet werden kann. Die geschlechtliche Transformation wird so auf paradoxe Weise zur Heilung der Homosexualität eingesetzt. In Anknüpfung an Bourdieu müsste man formulieren, dass die Homosexualität von Lesben und Schwulen in der Islamischen Republik Iran besonders stark verbreitet sein muss, weil die Gesundheitsbehörden den größten Aufwand betreiben, um das Regime einer binären Geschlechtlichkeit aufrecht zu erhalten.

Natürlich sind nicht die Lesben und Schwulen das Problem, sondern der zwanghafte Binarismus der Sexualität. Das Geschlecht muss korrigiert werden, wenn es nicht die ihm zugeschriebene Funktion erfüllt, damit die Geschlechterrollen stabil gehalten werden. Derart artikuliert sich die Verleugnung der weiblichen wie männlichen Homosexuellen durch Ahmadinedschād ebenso wie die Bestätigung der Todesstrafe durch Zarif. Die Binarität des Geschlechts lässt nur ein Entweder-Oder zu. Ein Dazwischen oder ein Sowohl-als-auch darf es nach den Wächtern des Geschlechts nicht geben, weil es das reine Geschlecht der Wächter angreifen würde. Die zwanghafte Binarität des Entweder-Oder beschreibt zugleich den Entscheidungsmodus der Algorithmen. Verleugnet wird ein Drittes oder Anderes, das nicht zugeordnet werden kann oder sich nicht zuordnen lassen will. Insofern stellt das staatliche Ordnungsprinzip der Islamischen Republik Iran nicht eine kulturelle und/oder religiöse Eigenart dar, sondern formuliert einen enorm vereinfachten Algorithmus.

Die Struktur der Formulierung Ahmadinedschāds entspricht jener der Verleugnung. Laurence Rasti paraphrasiert sie ironisch als Titel für ihr Foto-Buch-Projekt. Der Begriff der Verleugnung wurde von Sigmund Freud erstmals in dem Aufsatz Fetischismus für den Almanach der Psychoanalyse 1928, veröffentlicht 1927, formuliert. „Will man in ihm (dem Wort Verdrängung, T.F.) das Schicksal der Vorstellung von dem des Affekts schärfer trennen, den Ausdruck »Verdrängung« für den Affekt reservieren, so wäre für das Schicksal der Vorstellung »Verleugnung« die richtige deutsche Bezeichnung.“[3] Im Fetischismus-Aufsatz beschreibt Freud bekanntlich eine paradoxe Figur des Ersetzens. „… unsere Situation zeigt …, daß die Wahrnehmung geblieben ist und daß eine sehr energische Aktion unternommen wurde, ihre Verleugnung aufrechtzuhalten.“ Verleugnet wird, dass das Weib keinen Penis hat.

Mit „we do not have“ und “there are no” könnten auch die Struktur der Verneinung beschrieben werden. Doch die Besonderheit der Verleugnung liegt darin, dass das Kind „den Glauben an den Phallus des Weibes“ „bewahrt, aber auch aufgegeben“ hat.[4] Der fehlende Penis wird zwar als Leere wahrgenommen, aber er wird durch einen Fetisch, auf den der Glaube an den Phallus übertragen wird, ersetzt. Der Fetisch kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Bei der Verneinung geht es nach Freud um „das unbewußte Verdrängte“[5], das eine Nicht-Identität z. B. mit der Formulierung „die Mutter ist es nicht“ behauptet. Doch diese Struktur korreliert nicht mit „we do not have“. Verleugnet wird die Existenz von Homosexuellen, während Ahmadinedschād sehr wohl weiß, dass potentielle Homosexuelle zur Geschlechtsoperation gezwungen werden.

Beim Phallus geht es bekanntlich nicht um den Penis, sondern um die Macht, die dem Penis zugeschrieben wird. Freud benutzt Penis und Phallus nicht synonym. Doch wenn die Macht auch ohne Penis erhalten bleiben kann, dann sichert er nicht allein die Macht ab. Und darin gibt sich das eigentliche Problem in der Islamischen Republik Iran zu erkennen. Durch die besonders starke Bindung der Knaben an die Mutter, durch die immense Belohnung für die Geburt eines Sohnes wird der Frau als Mutter alle Macht über das Geschlecht zugeschrieben. Der Fetisch schützt nach Freud vor der Homosexualität. Anders formuliert: Ahmadinedschād muss den weiblichen Körper fetischisieren, damit er nicht homosexuell wird. Er wird zutiefst von der Homosexualität affiziert, weshalb er das binäre Geschlecht um jeden Preis aufrechterhalten und recht eigentlich erst verschleiert herstellen muss. Denn die Funktion des Schleiers als Kopftuch liegt nach Lacan darin, das Begehren nach dem geschlechtlichen Bild anzustacheln.

Die Wächter- und Männerherrschaft im außerordentlich diversen Islam muss aufrecht erhalten bleiben. Deshalb erregte die Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin durch die Kopftuchkritikerin, Anwältin und Imamin Seyran Ateş 2017 aller größte Kritik der Männerwelt der Imame und Revolutionswächter. Seyran Ateş wollte, wie sie 2018 in ihrer Martin-Luther-King-Lecture in St. Marien sagte, schon als Mädchen Fußballspielen. Aber sie durfte es nicht. Es wurde ihr aufs schärfste verboten. Aber sie hatte einen Traum. Und natürlich war dieser Traum für die instabile Männlichkeit vieler islamischer Männer eine höchste Bedrohung. Dass die Imamin Seyran Ateş seither unter Polizeischutz leben muss, bestätigt letztlich die händeringende Funktion der Verleugnung.

Wie sehen die Homosexuellen aus dem Iran bei Laurence Rasti aus? Sie drehen sich weg oder sie verschwinden in einer Landschaft, bis Unregelmäßigkeiten einen oder zwei Körper erahnen lassen. Sie existieren in einem strategischen Versteck, das zugleich ihre Existenz bezeugt. Die Geschichten, die Laurence Rasti als Interviews aufgeschrieben und im Buch veröffentlicht hat, sind individuell, durch Bedrohung und Flucht auch einzigartig und bedrückend. Doch die Flucht wendet sich einer besseren Zukunft zu. Deshalb sind die Fotos vor allem voller Hoffnung, Zuversicht und einer gewonnenen Freiheit.

Torsten Flüh

Laurence Rasti

There are no homosexuals in Iran.

bis 27. Juli 2019

@The Ballery

Nollendorfstraße 12

10777 Berlin

Mittwoch – Samstag 13:00 – 19:00 Uhr

Sonntag – Dienstag nach Vereinbarung


[1] Rick Noack: With the help of his boyfriend, a German reporter asked Iran’s foreign minister why the country executes people for being gay. In: Washington Post June 12 2019.

[2] Siehe Tagesschau vom 30. Juni 2019, 19:59 Uhr.

[3] Sigmund Freud: Almanach der Psychoanalyse 1928, Wien 1927, S. 17-24. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 311-7.

[4] Ebenda.

[5] Sigmund Freud: Imago, Bd. 11 (3), 1925, S. 217-21. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 11-5.

George L. Mosses Erinnerung an den Klippen Europas und 50 Jahre Stonewall

Erinnerung – Europa – Geschichte

George L. Mosses Erinnerung an den Klippen Europas und 50 Jahre Stonewall

Zur Konferenz Mosse’s Europe im Deutschen Historischen Museum und in der W. Michael Blumenthal Akademie

Vom 6. bis zum 9. Juni fand anlässlich des 100. Geburtstages von George L. Mosse am 20. September 2018 die Tagung Mosse’s Europe New Perspectives in the History of German Judaism, Fascism and Sexuality im Deutschen Historischen Museum und in der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin statt. Es war eine nicht zuletzt an Erinnerungen reiche Konferenz. Denn viele der älteren Kolleg*innen aus dem akademischen Kosmos taten am Samstagnachmittag relativ plötzlich ihre persönlichen Erinnerungen an den in Berlin geborenen und zur Emigration gezwungen Sohn der Verlegerfamilie Mosse kund. Es war ein fröhlich anekdotisches Erzählen der Eigenarten und Eigensinnigkeiten des am 22. Januar 1999 verstorbenen Menschen, Forschers, Lehrers und Schwulen.

09.06.2019 13.04:56: Daniel Libeskind: Jüdisches Museum, Void mit Installation res – o – nant von Mischa Kuballa.

Das Schwule Museum Berlin gehörte neben einer ganzen Reihe von Stiftungen wie The Mosse Foundation und Fritz Thyssen Stiftung sowie Universitäten wie der University of Wisconsin, The Hebrew University of Jerusalem und Technische Universität Berlin zu den Sponsoren und Unterstützern der viertägigen Tagung. Organisiert hatte sie Skye Doney vom George L. Mosse Program in History der University of Wisconsin. Berlin und die Schwulen verdanken George L. Mosse, seiner Initiative und seiner Expertise vor allem die Mosse-Lectures an der Humboldt Universität zu Berlin sowie das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen an der Ebertstraße auf der anderen Straßenseite des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Im Dezember 1996 hatte George L. Mosse die engagierte Rede Die Politik gegen Lesben und Schwule im Kontext nationalsozialistischer Machtausübung auf dem Symposium der »Berliner Initiative HomoMonument« in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gehalten.[1]

Heute jähren sich zum 50. Mal die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Beamten der New Yorker Polizei und den schwulen wie transsexuellen Gästen des Stonewall Inn in der Christopher Street. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 kontrollierten, disziplinierten und misshandelten Polizeibeamten die Besucher*innen der Bar, die sich dort trafen, um Freund*innen zu treffen, zu performen und Sex zu finden. Zum ersten Mal in der, vielleicht hätte George L. Mosse gesagt, Weltgeschichte wehrte sich eine größere Gruppe von Homosexuellen und Transmenschen gegen eine Razzia wegen „anstößigen Verhaltens“. Am 6. Juni 2019 veröffentlichte The New York Times die Entschuldigung des New York Police Department durch Commissioner James O’Neill für die Übergriffe. George L. Mosse hat in gewisser Weise mikrologisch mit The Image of Man (1996) und seiner Autobiographie Confronting History (2000) dazu beigetragen.

Auf der Konferenz Mosse’s Europe New Perspectives in the History of German Judaism, Fascism and Sexuality kam die Geschichte der Sexualität vielleicht doch trotz Panel V: Gender, Sexuality, and Mass Politics ein wenig kurz. Anna Hájková von der University of Warwick, die erforscht, was im Holocaust verboten war, und die unlängst die Homophobie in den Lagern für Queer Nations beschrieben hatte, steuerte zwar mit People Without History Are Dust: Queer Desire in the Holocaust einen ebenso sensiblen wie verstörenden Vortrag über eine lesbische Liebe durch eine Zeitzeugin bei. Doch ein Vortrag, der wie 1996 einen konkreten historischen Bogen zwischen aktuellen politischen Verwerfungen von Rechts, der Funktion von historischem Wissen und sexueller Vielfalt schlug, fehlte in den 6 Panels zwischen Jews and German: Languages of Culture und Mosse Fellows Panels am Sonntag in der von Daniel Libeskind Zwischenräume genannten Architektur der Michael W. Blumenthal Akademie.

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe

Regina Mühlhäusers Vortrag „One has to Anticipate what Eludes Calculation”: Reconceptualizing Sexual Violence as Weapon during the German War of Annihilation im Zeughauskino beschrieb das erschreckende Verhältnis von sexueller Gewalt gegen Frauen als Strategie der Kriegsführung und Liebesbeziehungen. Sexualität wird im Krieg zur Waffe mit oder selbst gegen den Willen der Soldaten. Mühlhäuser arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung zu den Forschungsschwerpunkten Sexuelle Gewalt im Krieg, Geschichte des Internationalen Strafrechts, Gender und Sexualität im Nationalsozialismus, Kriegskinder sowie Erinnerungspolitik in Europa und Asien. Tatsächlich wird dieser Bereich einerseits der Sexualität und andererseits der Kriegsführung immer noch viel zu wenig beachtet. Auch die „Kriegskinder“ von Soldaten der Deutschen Wehrmacht, die beispielsweise in Dänemark und Norwegen in liebesähnlichem Einverständnis gezeugt wurden, unterlagen der deutschen Kriegsstrategie als Geschlechterpolitik. Sexualität und sexuelle Praktiken werden im Krieg mehr oder weniger offen in den Dienst der Geschlechterpolitik von Rasse, Herkunft, Volkszugehörigkeit etc. gestellt. – Auf einem signierten Foto steht der junge George L. Mosse an einer Klippe über dem Meer mit einem Felsen, der an mehrere Orte in Europa erinnern kann. Ist es Capri? Die Foradada auf Mallorca? An der Küste von Wales? Oder an der irischen Küste bei Bray südlich von Dublin? Die Pose Mosses im Profil mit Pfeife, Brille und Sommerhut kann an James Joyce erinnern.

Michael P. Steinberg von der Brown University Providence konzentrierte sich im Panel V auf die „Mass Politics“ durch Verschiebung (displacemant) und Ersetzung (replace) mit seinem Vortrag Antisemitism and the Politics of Displacement. Einerseits hat der Antisemitismus nicht zuletzt Ursachen in Teilen der katholischen und der evangelisch-lutherischen Kirchenpolitik. Die Ausstellung Der Luthereffekt zeigte 2017 beispielsweise Martin Luthers Schrift Von den Jüden und Iren Lügen von 1543. Im 19. Jahrhundert kommt es allerdings zu einer neuerlichen Abgrenzung der evangelischen Kirche gegen die katholische unter dem Gesichtspunkt des Nationalismus. Soll die deutsche Nation, das Deutsche Reich, eine katholische oder evangelische werden? Die Evangelische Kirche in Preußen und im Deutschen Reich wird, wie sich z. B. an dem 1890 von Wilhelm II. gegründeten Evangelischen Kirchenbauverein zeigen lässt, zum Herrschaftsinstrument des säkularen Staates. Nach Steinberg wurde „(e)ine soziale oder Klassenkategorie … durch eine nationale Kategorie ersetzt“. Die Nation „beansprucht, inklusiv zu sein, doch schließt zugleich aus“. „Bekanntlich richtete sich die völkische Tradition in der deutschen Politik zunächst gegen Außenstehende, vor allem gegen die Franzosen, bald aber auch gegen Insider, vor allem gegen die Juden.“[2]

Am Donnerstag hatte Skye Doney die Konferenz mit einer Art Retrospektive auf die Mossestadt: The Mosse Family in Berlin eröffnet. Meike Hoffmann von der Mosse Art Research Initiative, kurz MARI, am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin stellte den Fortgang der wesentlich internetbasierten Forschungsinitiative vor. Rudolf Mosse hatte mit dem Stadtpalais am Leipziger Platz zugleich eine durchaus symbolische Kunstsammlung der späten Gründerzeit seit 1880 eingerichtet, die Teilen der Öffentlichkeit zumindest zeitweilig zugänglich war. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die bedeutende Kunstsammlung unmittelbar nach dem Januar 1933 zerschlagen. Die systematische Entrechtung und Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus führte im April 1933 zur „Zwangsübertragung“ der Immobilien der Familie Lachmann-Mosse.[3] Im Mai 1934 wurde die Kunstsammlung versteigert und ging beispielsweise in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über, wo bis in die jüngere Zeit kein Unrechtsbewusstsein über den verbrecherischen Erwerb zum Beispiel der Liegenden Löwin (1903) von August Gaul herrschte.[4] Erst 2015 wurde sie restituiert und 2016 mit finanzieller Hilfe des Bundes und der Länder für die Nationalgalerie erworben. Nun wird sie in der James-Simon-Galerie ab 13. Juli zu sehen sein.  

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe (Liegende Löwin)

Meike Hoffmann beschreibt die Kunstsammlung, die vor allem durch Rudolf Mosse angekauft und aufgebaut wurde, als „Werke des deutschen Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wobei er die Malerei aus Berlin und München, …, besonders berücksichtigte“.[5] Zwei Aspekte der Kunstsammlung erinnern an das erste, bürgerliche Museum für sozusagen zeitgenössische, deutsche Kunst in Berlin von Pierre Louis Ravené in der Wallstraße. Er war durch die Berliner Eisenbahnindustrie als Zulieferer für den Streckenbau geradezu märchenhaft reich geworden, so dass er schon 1850 seine Kunstsammlung von 124 Gemälden vorwiegend der Düsseldorfer Schule der Berliner Öffentlichkeit zugänglich machte.[6] Es ist hier nicht der Ort, um ausführlicher auf Ravené und seine Kunstsammlung einzugehen. Pierre Louis Ravené verstarb am 31. Dezember 1861 begleitet von okkultischen Handlungen und ließ sich ein bemerkenswertes Grabmal von August Stüler und Gustav Blaeser auf dem Friedhof der Französischen Domgemeinde in der Chausseestraße errichten. Kunstsammlung wie Grabmal betonten allerdings bis in das symbolische Eiserne Kreuz auf der Kante des Totenbettes die preußisch-nationale Haltung Ravenés. Um 1900 existierte die erweiterte, öffentliche Kunstsammlung Ravenés in der Wallstraße neben dem „Mosseum“ am Leipziger Platz.[7]      

Sicher gehörte Rudolf Mosses Erwerb von Reinhold Begas‘ Susanna zu den durchaus symbolischen Handlungen seiner ebenso liberalen wie nationalen Haltung. Liberalismus und Nationalismus lassen sich an der Plastik nachspüren.[8] Einerseits ist die Susanna eine durchaus erotische Körperdarstellung von Reinhold Begas, die schon 1873 auf der Wiener Weltausstellung gezeigt wurde. Andererseits lässt sie sich spätestens seit 1908 in der Kunstsammlung von Rudolf Mosse im nationalen Kontext nachweisen.[9] Zwischenzeitlich war Reinhold Begas zu einer Art Berliner Stadtmöblierer des Kaiserreichs aufgestiegen. Mit dem Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I., der damals größten, geschlossenen Denkmalanlage Europas, war er zum ultimativen Nationalbildhauer aufgestiegen, wie die Ausstellung Begas – Monumente für das Kaiserreich 2011 im Deutschen Historischen Museum zeigte. Die Überschneidung von Erotik, Liberalismus und Nationalismus könnte sich durchaus als programmatisch für die Kunstsammlung erweisen.    

George L. Mosse hat sich offenbar für die Restitution der Kunstsammlung weniger eingesetzt. Vielleicht erschien es ihm zu unübersichtlich und hoffnungslos, den Verlust als Verbrechen der systematischen Entrechtung und Enteignung seiner Familie ausgleichen zu müssen. In den letzten Jahren hat sich Roger Strauch als Vorsitzender der Mosse Foundation mit dem Mosse Art Restitution Project (MART) für die Restitutionsansprüche seiner Familie eingesetzt. Doch die Mosse-Familie war noch weit verzweigter durch die Brüder und eine Schwester in Berlin, wie Frank Mecklenburg vom Leo Baeck Institute New York auf der Konferenz mitteilte. Elisabeth Wagner erinnerte mit Absence/Presence: The Berlin Mosse Topography an die merkwürdige und oft auch erst wiederherzustellende Gegenwart der Spuren in der Stadt. So war Rudolf Mosse Stifter und Vorsitzender der jüdischen Reformgemeinde in der Johannisstraße in Mitte, die erst durch Bauarbeiten wieder ins Gedächtnis der Stadt zurückkehrte.[10] Sie ist bislang nicht einmal in der Liste der Berliner Synagogen auf Wikipedia vermerkt. Elisabeth Wagner konnte ein Foto von der am 9. November 1938 verwüsteten Synagoge mit einer zerbrochenen Büste ihres Stifters Rudolf Mosse zeigen.

Foto: David von Becker, Mosse’s Europe

Das außerordentlich umfangreiche Programm der Konferenz mit seinen zahlreichen, internationalen Rednerinnen und Rednern zu George Mosses Verständnis der European Cultural History von Steven Aschheim (Hebrew University of Jerusalem) über Jews and Germans: Languages of Culture mit dem äußerst anregenden Vortrag über German-speaking Jews and German-reading Jews in Early Zionism von Marc Volovici (University of London) deckte häufig die schmerzlichen Widersprüche wie eben auch bei der Sprachfindung im Zionismus auf. Welche Sprache gesprochen werden sollte in Israel, war im 19. Jahrhundert keinesfalls klar. Die kulturelle Bindung der Sprache gehört zu den schmerzhaftesten Erfahrungen des Holocaust und der Überlebenden. Obwohl Deutsch die Sprache der Bildung und des gesellschaftlichen Aufstiegs war, wurde es für viele durch den Holocaust unmöglich, es weiterhin zu sprechen.

Im Panel II, Studying Totalitarism, erinnerte Stefanie Schüler-Springorum vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin an Sex and Violence: „Race Defilement“ in Weimar and Nazi Germany. Die „Rassenschande“ wird zu einem wichtigen Forschungsfeld, weil sie einen vermeintlich reinen, sexuellen Volkskörper der Nation konstruiert, der nicht vermischt werden darf bzw. gereinigt werden muss. Die heteronormative Sexualität wird durch die Staatsgewalt per Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 zum Instrument für die Herstellung des Volkskörpers. Diese Gewalt wirkt sich gleichzeitig auf das Begehren aus, wenn per Gesetz und Bildmedien das reproduktionsorientierte Begehren formiert wird. Das richtige Begehren muss uns, wie Slavoj Žižek 2016 einmal mit The Pervert’s Guide to Cinema gezeigt hat, vor- und aufgeführt werden, was die Nationalsozialisten im Rassenwahn zumindest subkutan wussten.

George L. Mosse hatte diesen Bereich bereits mit einem Erfahrungswissen in seinem Buch Nationalism and Sexuality: respectability and abnormal sexuality in modern Europe 1985 bearbeitet. Die „bürgerliche Ehrbarkeit und der Nationalismus [prägten] die Einstellung zum Geschlecht, und diese sexuellen Haltungen trugen wiederum kraftvoll zum militanten Nationalismus und zum Aufstieg des Faschismus bei“, hat Robert D. L. Waite die These des Buches zusammengefasst.[11] Sexuelle Präferenzen und ihre Reglementierung durch den Staat in seiner Verkörperung als Nation haben Mosse nicht zuletzt deshalb frühzeitig und wiederholt beschäftigt, weil er sich lebenslang einer heteronormativen Gesellschaft ausgesetzt fand, wie er in seiner Autobiographie Confronting History formulierte. Das Erfahrungswissen der Ausgrenzung machte ihn allererst auf die Konstruktion der „Normalität“ eben als Normierung aufmerksam.

Eine lebhafte Phantasie hilft einem, mit dem eigenen Anderssein zurechtzukommen und die eigenen Gefühle unter Kontrolle zu halten. Gleichwohl verliebte ich mich oft, und natürlich war es jedes Mal eine unerwiderte Liebe, schon weil ich sie nicht zeigen konnte. Die Objekte meiner Liebe waren damals auch ausnahmslos Heterosexuelle. Es war wohl gerade ihre »Normalität«, die ich so anziehend fand.[12]

Es können hier nicht alle Vorträge referiert werden. Vermutlich werden sie auch in einem oder mehreren Konferenzbänden veröffentlicht werden. Deutlich wurde allerdings, welche starken Spuren George L. Mosse nach wie vor in den Feldern von „German Judaism, Fascism and Sexuality“ hinterlassen hat. Das Erfahrungswissen hatte für ihn methodologische Relevanz, während er weniger theoretisch arbeitete. So war es dann auch Aleida Assmann, die wiederum an dieses häufig methodologisch unterschätzte Erfahrungswissen anknüpfte, indem sie mit ihren „Erinnerungsräume“ bzw. „memory studies“ an George L. Mosse erinnerte und für ihre Closing Keynote mit der Frage begann Mosse’s Europe: Can it be Saved? In der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums Berlin erzählte sie zunächst von ihren mehr oder weniger zufälligen ersten Begegnungen mit ihm und die Faszination, die er auf sie ausübte. Erfahrungswissen und das wissenschaftlich-politische Engagement, die Haltung, haben methodologische Relevanz bei beiden. Aleida Assmann teilte ihren Vortrag in 5 Teile ein: „Personal Introduction“, „The Perspective of the Outsider“, „The Myth of the War Experience“, „How to bring Wars to an End“ und „Re-imagining the Nation“.

Mit ihrem Vortrag stellte Aleida Assmann zwei Mosse-Bücher an den Anfang ihrer Überlegungen zur Perspektive des Außenseiters und einem Ende von Kriegen. Als deutscher Jude, aber auch als amerikanischer Historiker in den USA der 50er Jahre sowie als Homosexueller habe Mosse wiederholt die Perspektive des Außenseiters keinesfalls freiwillig eingenommen. Hier kann man an die bereits zitierte Schlüsselsequenz seiner Autobiographie erinnern. Der junge Mosse verliebt sich ständig in heterosexuelle Männer, die die „Normalität“ vorleben und verkörpern, die ihm seit seiner Berliner Kindheit fremd ist und verwehrt bleibt. Es ist ein paradoxes Begehren und Erfahrungswissen, gegen das er sich entschied, als er 1991 im Interview mit Irene Runge und Uwe Stellbrink formulierte: „Ich bleibe Emigrant“.

We (in German it is ‚man‘) were always sitting in trains that left, and these are the years of exile. Therefore I remain an eternal emigrant.[13]   

Erinnerungskulturen unterscheiden sich und werden häufig in den Übersetzungen von Buchtiteln lesbar. Das Interview-Buch »Ich bleibe Emigrant« ist nicht ins Englische übersetzt. Doch Fallen Soldiers. Reshaping the memory of the World Wars kam mit einer deutlichen (erinnerungskulturellen) Verschiebung 1993 als Gefallen für das Vaterland. Nationales Heldentum und namenloses Sterben bei Klett-Cotta heraus. Mosses englische Buchtitel haben beispielsweise mit „reshaping“ (re-formen) oder „Confronting History“ (Konfrontierende Geschichte oder Mit der Geschichte konfrontiert) einen konzeptionell-akademischen Gestus, während dieser in den deutschen Titeln meistens ausfällt. In England und den USA erinnert sich das offizielle Gedenken an „Fallen Soldiers“, während die Formulierung „Gefallen für das Vaterland“ im Deutschen an eine falsche Rechtfertigung des Todes von Soldaten aufruft. Aleida Assmann nahm Fallen Soldiers als Anknüpfungspunkt, um über die divergierenden Formen des Gedenkens in Europa, besonders in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachzudenken. Der „Mythos der Kriegserfahrung“ unterscheidet sich von Nation zu Nation.

As the emphasis was on consolation and justification and not on the general tragedy of the war, the nations constructed „a myth which would draw the sting from death in war and emphasize the meaningfullness of the fighting and sacrifice“.[14]

Am Beispiel des Weltkriegsgedenkens in Deutschland, Frankreich und Großbritannien wies Aleida Assmann daraufhin, dass es vor allem David Cameron als konservativer Premierminister war, der das Gedenken seit 2012 re-nationalisierte. Dass diese machtpolitisch instrumentalisierte Renationalisierung nicht zuletzt im Kontext des Brexit zu sehen ist, sagte Aleida Assmann nicht, aber es lässt sich denken. David Camerons Re-Nationalismus setzt nicht erst mit dem Brexit-Referendum ein. Vielmehr wurde es in die Debatten implementiert. Es lässt sich beispielsweise auch mit seiner Kritik 2011 an Uganda hinsichtlich der Gay Rights in Verbindung bringen. Die nationalen Schwulen wurden im Rahmen eines „Homoglobalismus“ umworben, um Uganda nicht unterstützen zu müssen. Aleida Assmann zitierte Camerons Nationalismus mit einer wahrlich nationalen Erinnerung – „a truly national commemoration“ – anlässlich des Diamantenen Jubiläums von Königin Elisabeth II. wie folgt:

Our ambition is a truly national commemoration, worth of this historic centenary. I want a commemoration that captures our national spirit, in every corner of the country, from our schools to our workplaces, to our town halls and local communities. A commemoration that, like the Diamond Jubilee clebrated this year, says something about who we are as a people.

George L. Mosses Hoffnung 1990, dass sich vor allem Deutschland in eine humanere Gesellschaft ohne einen ausgrenzenden Nationalismus transformiere, wurde bereits mit den nationalistischen und rassistischen Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen im August 1992 enttäuscht. Seine Warnungen vor einem Erstarken der Rechten wurden lange überhört. Mittlerweile geschah am 2. Juni 2019 mit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübcke, der erste politische Mord an einem Staatsrepräsentanten von Rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Der Täter hat zwischenzeitlich gestanden. George L. Mosses Analysen erhalten heute fast eine vorausschauende Qualität, wenn er schreibt, dass die „political Right considered itself to be the inheritor of the war experienced, not just in Germany but throughout Europe, and the process of brutalization was closely linked to the spread of the Right’s influence among the population“. Am 9. Juni konnte Aleida Assmann noch nichts wissen von dem rechten Hintergrund und den Tweets gegen Walter Lübcke von Erika Steinbach. Mosses Schriften können weiterhin den historischen und politischen Verstand schärfen.

Torsten Flüh


[1] George L. Mosse: Die Politik gegen Lesben und Schwule im Kontext nationalsozialistischer Machtausübung. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Der homosexuellen NS-Opfer gedenken. Berlin 1999, S. 21-29.

[2] Michael P. Steinberg: Germany and the USA Between Volk and Bevölkerung. In: The Berlin Journal, November 5, 2017.

[3] Claudia Marwede-Dengg: Die Enteignung der Familie Lachmann-Mosse. Berlin (ohne Jahr). MARI.

[4] Siehe auch: Vor MARI lokalisierte Werke.

[5] Meike Hoffmann: Rudolf Mosses Kunstammlung. Berlin (ohne Jahr). MARI.

[6] Siehe: Nana Badenberg: Die Bildkarriere eines Stereotyps. In: Alexander Honold, Klaus R. Scherpe: Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart/Weimar: Metzler, 2004., S. 179.

[7] Meike Hoffmann: Rudolf … [wie Anm. 5]

[8] Zum Liberalismus der Familie Mosse siehe auch: Torsten Flüh: Über die verheißungsvolle Geschichte von Bildung und Liberalismus. Zur Mosse-Lecture „Bildungsliberalismus“ und zum Jubiläumsvortrag über den deutsch-jüdischen Liberalismus der Familie Mosse. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juni 14, 2017 11:30.

[9] Siehe: Yvette Deseyve & Emily Oberkönig: Susannas lange Reise: Auf den Spuren der Sammlung Mosse. In: MUSEUM and the city. Blog der Staatlichen Museen zu Berlin. 26. JUNI 2018.

[10] Dirk Jericho: Synagoge im Untergrund: Auf dem Tacheles-Areal stand bis 1945 ein Tempel der Jüdischen Reformgemeinde. In: Berliner Morgenpost 11. Mai 2016, 00:00 Uhr.

[11] Robert G. L. Waite: George L. Mosse. Nationalism and Sexuality. In: American Historical Review 90 (1985), H. 4, S. 924.

[12] Goerge L. Mosse: Aus großem Hause. Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Historikers. München: Ullstein, 2003, S. 201. (Zuerst als Confronting History: A Memoir, Madison: University of Wisconsin Press, 2000)

[13] Zitiert nach der Übersetzung im Vortrag von Aleida Assmann: Runge/Stelbrink: George Mosse: »Ich bleibe Emigrant«. Berlin: Dietz 1991, S. 36.

[14] Geoge L. Mosse: Fallen Soldiers. Reshaping the memory of the World Wars. New York: Oxford University Press, 1991, S. 7.

Literatur als Kraft, in den Abgrund zu sehen. Zum 11. Internationalen Literaturpreis des HKW

Übersetzung – Literatur – Sprache

Literatur als Kraft, in den Abgrund zu sehen

Zum 11. Internationalen Literaturpreis mit Texten von Teju Cole, Fernanda Melchor und Hélène Cixous etc.

Am Dienstagabend spielte das Wetter zur Preisverleihung auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt nicht mit. Die Sonne knallte mit sommerlicher Kraft ihrem Untergang im Westen hinter der Spree entgegen, dass die Zuhörer*innen geblendet wurden, die unter oder hinter dem aufgeschlagenen Heft der Shortlist 2019 Schutz suchten. Da half auch die dunkelste Literatur, an der es mit Saison der Wirbelstürme von Fernanda Melchor in der Übersetzung von Angelica Ammar als Preisträgerin wahrlich keinen Mangel gab, nicht zur Kühlung. Erst als die Sonne genau um 21:00 Uhr hinter einigen Baumkronen und der „Shortlist Library“ gemildert hindurchschien, zeigte die gebundene Literatur eine wahrhaft kühlende Wirkung.

Der Preisträger von 2013, Teju Cole, eröffnete die Preisverleihung mit einer Keynote, nachdem der HKW-Intendant Klaus Scherer die Gäste begrüßt und auf das Abgründige der Literatur hingewiesen hatte. Dem Titel der Keynote, On Carrying and Being Carried, schickte Teju Cole voraus, dass der Text eigentlich für dunklere Orte und Farben geschrieben sei. Es ging um das Dunkel der USA und Trumps Flüchtlingspolitik ebenso wie die Farbe Schwarz als „question of blackness“. Er hatte den Preis 2013 für seinen Roman Open City in der Übersetzung von Christine Richter-Nilsson verliehen bekommen. Mittlerweile lehrt er an der Havard University als Professor für Kreatives Schreiben, so dass seine Keynote, „written for the darkness“, eine Verknüpfung der Tätigkeit der Übersetzung mit den Helfer*innen der Flüchtenden an vielen Orten der Welt bot. Es wird darauf zurück zu kommen sein.

Robin Detje hielt eine Laudatio auf den Roman der Preisträgerin aus „einer dunklen Ecke“ der Literatur in gleißendem Sonnenschein. Die Cybershot-Kamera des Berichterstatters hatte ständig mit dem Gegenlicht zu kämpfen. Das Licht ist für Fotograf*innen selten so, wie sie es sich wünschen. – Teju Cole ist auch Fotograf. – Bernd Scherer begann seine Shortlist-Vorstellung mit Hélène Cixous‘ Text Meine Homère ist tot … aus dem Französischen von Claudia Simma, um die außerordentlich hohe Qualität der 6 ausgewählten Bücher zu betonen. Auf die Leistung der Übersetzerin Angelica Ammar geht Robin Detje in seiner Laudatio eher weniger ein. Sie habe „in ihrer Übersetzung einen Wort- und Bedeutungsteppich ausgebreitet, dem wir lesend immer vertrauen können und dessen Festigkeit nie nachlässt“.[1] Vielleicht ist Vertrauen ein wichtiges Kriterium für Übersetzungen. Denn es bleibt immer auch etwas unübersetzbar wie z. B. die mexikanischen Flüche.

Sie musste dabei leider ins Deutsche übersetzen, eine Sprache, deren Fluchkultur ein wenig schwach auf der Brust ist und die sich mit lustvollen, geradezu inbrünstigen Verwünschungen schwer tut. Und bei Fernanda Melchor wird wahrlich inbrünstig geflucht.[2]

Der Internationale Literaturpreis wird vom HKW und der Stiftung Elementarteilchen (Hamburg) seit 2009 verliehen. Er zeichnet damit „herausragende Titel internationaler Gegenwartsliteraturen in deutscher Erstübersetzung“ aus. Er ist mit 20.000 € für die Autor*in und 15.000 € für die Übersetzer*in dotiert. Damit geht es um „internationale Gegenwartsliteraturen“ und Übersetzungen nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Unübersetzbarkeit. 2014 berichtete NIGHT OUT @ BERLIN von der Preisverleihung an Dany Laferrière und Joghurt, den Yoko Tawada literarisch zubereitete. Natürlich geht der Preis an Fernanda Melchor und Angelica Ammar in Ordnung. Aber wirklich mutig ist die Wahl nicht, weil ein vertrauenerweckender „Wort- und Bedeutungsteppich“ fast ein wenig marktgängig wirkt. Fernanda Melchor schlägt mit der wiederkehrenden Wendung „es heißt, dass“ einen deutlichen Ton vom gerüchteweisen Erzählen an:

Es heißt, dass sie in Wirklichkeit gar nicht gestorben war, weil Hexen nicht so leicht sterben. Es heißt, dass sie sich im letzten Moment, bevor diese Jungs sie erstachen, durch einen Zauberspruch verwandelt habe, in eine Eidechse oder einen Hasen, der sich tief im Wald versteckt hat…[3]

Die Geste des Erzählens unterscheidet sich in den Büchern der Shortlist. Da ist Hélène Cixous‘ Meine Homère ist tot … allein schon wegen „Homère“ von anderem Kaliber. Denn „Homère“ ist mit dem zärtlichen Femininum nicht nur der antike Dichter-Erzähler Homer, sondern auch die Mutter la mére, die eine „Odyssee des Sterbens“ antritt. Die Edition des Buches wie seine Schreibweise aus der Thematisierung des Erzählens als Schreiben selbst ist eine bibliophile Sonneneruption. Das Erzählen der Gerüchte über die Hexe und ihren Tod in Mexiko unterscheidet sich von einem Schreiben, das nicht dem Subjekt unterworfen ist. Darauf wird zurück zu kommen sein, ebenso wie auf die Interpunktion. Wer schreibt, wenn Hélène Cixous vorausschickt:

Dies ist nicht das Buch das ich habe schreiben wollen.
Ich schreibe es nicht.[4]

Hélène Cixous signiert Meine Homère ist tot … in der Volksbühne am 6. Mai 2019.

Literaturen nehmen nicht nur unterschiedliche Erzählhaltungen wie die des Gerüchts oder der Beschreibung – „Sie kamen durch die Bresche vom Fluss her zum Kanal, die Schleudern bereit zum Kampf, die Augenlider im gleißenden Mittagslicht zusammengekniffen, fast vernäht.“[5] – ein, sie können ebenso anders geschrieben worden sein – „Dieses Buch ist bis zur letzten Zeile von meiner Mutter geschrieben“.[6] Literaturen hängen nicht nur von Kulturen wie beispielsweise der mexikanischen ab. Wie Fernanda Melchor später im Gespräch während der Preisverleihung gesagt haben wird, hatte sie sich über einen Zeitungsartikel zu einem Mord im Dorf La Matosa bei Veracruz geärgert. Sie hatte sich darüber geärgert, wie die mexikanische Presse schreibt und eine Frau in einem Dorf zu einer „Hexe“ erklärt. Deshalb hätte sie begonnen, den Roman anders zu schreiben und zu erzählen. Hélène Cixous schreibt nicht nur über das Sterben ihrer Mutter im 104. Lebensjahr, sie lässt es schreiben.

Sie redete ununterbrochen, ich schrieb alles mit. Wir wachten. Ich war von mystischem Staunen bewegt. Ich lachte. Das also war er, der Event…[7]

Hélène Cixous schreibt Widmung am 6. Mai 2019.

Handeln Literaturen nicht immer vom Übersetzen? Teju Cole knüpfte in seiner „Keynote“, denn es war nun einmal eine Veranstaltung in Englisch und Deutsch, an die Etymologie von translation an. Translation komme vom Lateinischen Kompositum translatio als trans wie across und ferre wie carry oder bringen. Das ähnelt der deutschen Übersetzung als einem Hinüberbringen. On Carrying and Being Carried brachte deshalb nicht zuletzt das Bild des Christophorus, des Trägers Christi von pherein wie tragen ins Spiel. Ein Mensch, der – empathisch – von einem anderen Menschen getragen wird. Christophorus trägt Christus durch eine, sagen wir, Wassergrenze. – Ähnlich verhält es sich mit Sprachgrenzen. – Dieses Bild hatte Teju Cole auch auf Fotos mit Flüchtenden entdeckt. Dann erinnerte er als Beispiel an die Fluchthelfer der dänischen Juden, die diese vor den Nazis nach Schweden brachten. Cole appellierte an ein „citizenship“, das für alle Subjekte gelte. Und die Sure 5 des Koran fasste Teju Cole so zusammen, dass darin stehe, wer ein Leben gerettet habe, habe die Welt gerettet. Und die Literatur könne wie ein Fluchthelfer ein Leben retten.[8]     

Robin Detje pries in seiner Laudatio die Überforderung durch Literatur. Vielleicht überfordern gute Literaturen immer, wenn sie nicht in einem restlosen Verstehen aufgehen. Detje sieht in der Überforderung „ein literarisches Qualitätskriterium“. – „Was sollen wir denn mit einer Literatur, die uns nicht überfordert?“ – Wie sich schon andeutete, hat die Lust an der Überförderung durchaus Grenzen. Detje nennt den Roman „Chronik eines Todes“, was ebenso auf Meine Homère ist tot … passen könnte. Doch eben ganz anders. Es gibt gar ein journalistisches Moment auf sehr verschiedene Weise in beiden Büchern. Um ein Buch richtig preiswürdig zu finden, muss es heute allerdings für Detje wenigstens als „Kapitalismuskritik“ lesbar werden.

Die Saison der Wirbelstürme ist kein Roman, der sich Kapitalismuskritik auf die Fahnen geschrieben hat. Aber er verdient diesen Preis trotzdem als politischer Roman. Hier wird auf schmerzhaft intensive Weise ein Notstand beschrieben, ohne dass dieser Notstand jemals explizit benannt wird.[9]

Die Kapitalismuskritik ließe sich ebenso und wahrscheinlich noch stärker in der Schreibweise von Hélène Cixous aufspüren. Beginnt nicht alle Kapitalismuskritik mit der Erzählweise? So weit geht Robin Detje nicht. Fernanda Melchor klickt sich allerdings in die Sprache der mexikanischen Presse ein, die sich vor allem erst einmal schnell lesen und verkaufen lassen soll, weil Erzählweisen von Frauen als „Hexen“ verbreitet und als Alltagsmythologie wiederholt werden. Das verkauft sich wie Pornographie. Und wahrscheinlich will Melchor mit ihren „Namen und Spitznamen und Daten und Herzen und Schwänze(n) und Mösen mythologischen Ausmaßes“ (Detje) eben diese Pornomythologie schmerzhaft offenlegen. Wenn man wie Hélène Cixous die Schreibszene selbst ins Mythologische verschiebt, dann wird sie schon im Französischen idiolektal erweitert und umgeschrieben. Claudia Simma merkt dies zu ihrer Übersetzung an:

Da sie das sind, was Hélène von Eve bleibt, sind, wo immer möglich, Wörter wie Maman, die im Französischen Eve benennen, in der Übersetzung nicht verdeutscht worden. Die Übersetzung verliert natürlich trotzdem viele der magischen Buchstaben, Wörter und Klänge, die in Hélène Cixous‘ Sprache und Schrift mit ihren Wortkörpern an Eves Körper rühren.[10]

Daten und Fakten, aber auch Fakes kursieren heute in einem „communicative capitalism“ des Internets wie es Jodi Dean in ihrer Blog Theory formuliert hat. Eine „Kapitalismuskritik“ sollte heute also insbesondere den „communicative capitalism“ berücksichtigen.[11] Er wird nicht zuletzt wirksam in der mexikanischen Presse. Das „Feedback and Capture in the Circuits of Drive“ lässt sich durchaus als eine spezifische Form von Verständnisprozessen lesen. Es sind zwar Programme oder Maschinen, die die Daten lesen, doch lässt sich dieses Lesen als Modell ebenso gut in Leseverstehen-Prüfungen finden. Dieses Lesemodel reicht bis in einen neuartigen Analphabetismus der Digitalisierung und hinüber zur einfachen oder Leichten Sprache als Strategeie zur demokratischen Partizipation. „Reading Comprehension“ wird nach dem aktuellen Wikipedia-Eintrag als „the ability to process text, understand its meaning, and to integrate with what the reader already knows“ definiert. Jodi Deans kritisiert insofern die zeitgenössische, „kapitalistische“ Form des Leseverstehens, wenn sie schreibt:

I take the position that contemporary communications media capture their users in intensive and extensive networks of enjoyment, production, and surveillance. My term for this formation is communicative capitalism. Just as industrial capitalism rely on the exploitation of labor, so does communicative capitalism rely on the exploitation of communication.[12]

Die Funktion von Literaturen lässt sich insofern mit einer Rückkopplung an die maschinellen Leseprozesse der Internet-Konzerne wie Facebook etc. bedenken. Tags, Hashtags oder Keywords lassen sich als eine Währung des „communicative capitalism“ beschreiben. Doch: Lässt sich auch noch anders lesen und schreiben? An dieser Stelle kommen die Schriften von Hélène Cixous zum Zuge. Sie haben ebenso sehr „Störpotential“ wie eine Klangvielfalt, die z. B. durch die Übersetzungen von Claudia Simma und Esther von der Osten des Textes Max und Moritz, et Ma Mère und dann kommt der Tod herbei unterschiedlich übersetzt wird. Und ganz besonders mit Meine Homère ist tot … Denn der Tod der Mutter und ihr Sterben ist gerade das, was sich am schwierigsten beschreiben lässt. Es kann hier definitiv nicht verstanden werden. Wir sind nicht zuletzt seit dem Tod Alexander von Humboldts daran gewöhnt worden, die genaue Todeszeit zu bestimmen und als Datum anzugeben. Max Ring machte sie in der Zeitschrift Die Gartenlaube mit „(a)n dem Nachmittage des 6. Mai um 2 Uhr 32“ zum universalhistorischen Ereignis. Die Genauigkeit des Datums wird in der Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutend. Doch es ist gerade dieses „Event“, dem das Sterben von „Maman“ nicht folgt. Der Tod ist im Französischen weiblich: la mort.

Ich sage „Tod“ aber es ist das Leben um das es sich handelt, um das Leben selber, um seinen lebenslänglichen Wankelmut, um seine Art sich zu ergeben nur um sich zur Korrektur zurückzunehmen, um sein erschrecktes Vom-Feuer-angezogen-Sein, um die verblüffende Kraft in seiner Schwäche. Schlussendlich weiß man nicht einmal warum das Leben sich in Tod verwandelt, vielleicht hat es genug davon mit dem Feuer zu spielen, es lässt eine Sekunde lang eine Sekunde los, manchmal lebt es wieder auf, und manchmal nicht.[13]

Meine Homère ist tot … sollte man ein magisches Buch, vielleicht gar eines der Magie nennen. Es ist allerdings keine vormoderne Magie wie die Alchemie, vielmehr eine des Datenaufschubs und einer eigensinnigen Zeichensetzung, die die Auslassung z.B. von Kommata beinhaltet. Die vermeintlichen Gewissheiten über Leben und Tod werden von Hélène Cixous nicht zuletzt mit Glyphen versehen. Die Glyphen, die sich weder als Satzzeichen noch als Buchstaben lesen lassen, sind in den Text eingestreut, ohne dass sie sich je leseverstehen lassen werden. Das ist auch ein editorisches Novum des Buches, das ihm einen bibliophilen Akzent gibt. Zeichen, die gelesen, aber nicht verstanden werden können. Sie erinnern an die Schrift als Eingeritztes, ohne dass sie schon systematische Hieroglyphen wären. Denn sie sind keinesfalls schon ein Bild, obwohl sie an Bildhaftes erinnern können. Zwar durch aktuelle Drucksatztechniken allererst ermöglicht, gehen die, wie ich sie hier nenne, ohne zu wissen, ob das richtig ist, Glyphen nicht im Digitalismus von 0 und 1 auf. Wenn es so etwas wie eine sichtbare Differenz gibt, dann könnten die Glyphen daran erinnern. (Da in dieser Blog-Software derartige Glyphen nicht vorhanden sind, kann ich sie hier nicht zeigen.)

Ich gestehe – und in diesem Blog habe ich als Subjekt eigentlich wenig zu suchen, außer dass sich der Blog nicht ohne mich schreibt -, dass mich das jüngste Buch von Hélène Cixous ungemein fasziniert. Denn selbst dann, wenn am Rande die Diagnose Demenz aufspringt, schreibt sie es nicht. Das ist eine ungeheuer starke Haltung gegen das oft tröstliche Wissen, das über das Alter, das Vergessen und den Wahn heute kursiert. Doch für H. gilt es bezüglich E. nicht. Die „Odyssee des Sterbens“ wird mit einer unendlichen Empathie geschrieben.

Im „Theater der Welt“ gibt es eines meiner Leben das seine/meine Geschäfte verrichtet, während sich die Seele-Hélène in der gewundenen Furche der Sterblichkeit abmüht.
All dies geschrieben begleitet von Eves Singsang hilfmiahhilfmiamiahiah seit fünf Uhr früh.
… Zu Zeugen hatte ich die riesig blutigrohen roten Wunden auf Mamans Beinen… [14]

Die Empathie ist keine leichte Übung. Sie wird heute leicht und auch leichtfertig eingeklagt. Hélène Cixous benutzt, soweit ich sie gelesen habe, kein einziges Mal das Wort Empathie. Empathisches Schreiben wird sich wohl gerade nicht so benennen. Doch wenn man einen Begriff sucht für das Schreiben, dann könnte es passen. Sie lässt sich nicht schrecken von den „zwei große(n) Beutel(n) wie verrücktgewordene Eier, Blutgerinnsel stocken, Blutgerinsel nässen“. Wer will das schon „pflegen“? Oder gar sich dem im Schreiben aussetzen? Für Leser*innen mag Meine Homère ist tot … bisweilen brutal wirken. Aber es ist eine ganz andere Brutalität als die pornographische Mordbrutalität. Sie ist empathisch.

Torsten Flüh

Internationaler Literaturpreis 2019
Medien

Hélène Cixous
Meine Homère ist tot …
aus dem Französischen von Claudia Simma
ISBN 9783709203248
235 x 140 mm
208 Seiten
Preis 25,60 EUR 

Passagen Gespräch
Forum für neues politisches Denken
Peter Engelmann spricht mit Hélène Cixous
Kulturfabrik Kampnagel Hamburg (7. Mai 2019)


[1] Der „Wort- und Bedeutungsteppich“ gibt auch einen literaturtheoretischen Wink auf die Rede vom „Romanteppich“ bei Thomas Mann, an die Jürgen Joachimsthaler mit den „Text-Ränder(n)“ angeknüpft hat. Vgl.: Torsten Flüh: Europas und der Texte Ränder. Zu Jürgen Joachimsthalers Text-Ränder – Die kulturelle Vielfalt in Mitteleuropa als Darstellungsproblem deutscher Literatur. In: NIGHT OUT @ BERLIN Juli 11, 2012 20:26.

[2] Robin Detje: Laudatio zur Verleihung des Internationalen Literaturpreises 2019 an Fernanda Melchor und Angelica Ammar. Haus der Kulturen der Welt: Internationaler Literaturpreis 2019.

[3] Fernanda Melchor: Saison der Wirbelstürme. Berlin: Klaus Wagenbach, 2019, S. 225. (Zitiert nach Internationaler Literaturpreis: Shortlist 2019. Berlin:  Haus der Kulturen der Welt, 2019, S. 23. (siehe Leseprobe auch hier)

[4] Hélène Cixous: Meine Homère ist tot … Wien: Passagen, 2019, S. 12,

[5] Fernanda Melchor: Saison … [wie Anm. 3] (Leseprobe)

[6] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 11.

[7] Ebenda S. 20.

[8] Die Preisverleihung wurde mit mehreren Kameras gefilmt. Demnächst werden die Aufzeichnungen im Bereich „Mediathek“ des Internationalen Literaturpreises 2019 bereitgestellt werden.

[9] Robin Detje: Laudation … [wie Anm. 1]

[10] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 185.

[11] Jodi Dean: Blog Theory. Feedback and Capture in the Circuits of Drive. Cambridge: Polity, 2010, S. 2.

[12] Ebenda S. 3-4.

[13] Hélène Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 20.

[14] Cixous: Meine … [wie Anm. 4] S. 39.

Trauma und Bildfindungen der Teilung

Mauer – Aquatinta – Berlin

Trauma und Bildfindungen der Teilung

Zur Ausstellung Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt in der Salongalerie »Die Möwe«

Eine zentrale Gedenkveranstaltung wird es zu 30 Jahre Mauerfall nicht geben, sagt der Berliner Senator für Kultur und Europa, Dr. Klaus Lederer, in seiner Laudatio zur Eröffnung in der Salongalerie »Die Möwe«, Auguststraße 50b in Mitte. Früher, ja, noch so im Januar 2002 war der Künstlerclub »Die Möwe« im Palais am Festungsgraben gleich neben dem Gorki Theater eine illustre Adresse. Der Künstlerclub war in gewisser Weise halböffentlich. Ein großzügiger Restaurantraum mit einem Flügel an der Seite, auf dem gelegentlich für eine Hochzeitsgesellschaft ein Freund ein Liebeslied spielte. Seit 2014 führt Claudia Wall die Salongalerie als Reminiszenz an den Künstlerclub, der 1946 in Ost-Berlin gegründet wurde. Die Reihe der dezentralen Veranstaltungen zum Gedenken an den 9. November 1989 eröffneten nun Künstler*innen aus Ost- und West-Berlin zu Zeiten der Teilung der Stadt.

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Ein wenig launig erwähnte der Senator für Kultur und Europa auch die Berlinpraxis, dass viele (Alt-)Berliner immer noch nur ihren Ost- oder West-Kiez kennen, sich in ihm bewegen und nur selten in andere Teile der Stadt wechseln. Der Berichterstatter kennt derlei Praktiken aus Erzählungen, doch er hielt sie schon für überwunden. Möglicherweise war die Teilung der Stadt durch Stacheldraht und Todesstreifen mit Schießbefehl so traumatisch, dass sie für einige ältere Bewohner der Stadt immer noch nachlebt. Dass Claudia Wall mit Grunewald-Hintergrund ihre Salongalerie »Die Möwe« nennt und Dr. Klaus Lederer, der in Frankfurt/Oder aufwuchs und 1988 mit seinen Eltern nach Berlin-Hohenschönhausen zog, die Laudation hält, gibt einen Wink. Die Stadt ist durchlässiger geworden, während sie auf den Bildern in Öl, Gouache, Acryl und Aquatinta oft begrenzt dargestellt wird.

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Im Katalogheft sind einige Kommentare der Künstler*innen zu ihren Arbeiten abgedruckt. Zu Feuerschein über der Stadt (1988) von Wolfgang Leber, der 1936 in Berlin geboren wurde und der mit dem Bau der Mauer 1962 sein Studium an der Hochschule für bildende Künste, die 1996 in der Universität der Künste aufgegangen ist, abbrechen musste, ist ein kritischer Kommentar zur Berliner Stadtarchitektur Ost abgedruckt. Statt Stolz der sozialistischen Errungenschaften, sah er „architektonische() Ratlosigkeiten“.  

Die Stadt ist mir als Motiv ständig gegenwärtig. Anhäufungen architektonischer Ratlosigkeiten, verschobener Perspektiven, Überschneidungen oder Lichtreflexe inspirieren zu Bilderfindungen, die sich als ein Gleichnis großstädtischer Existenz darstellen. […] Die Stadt mit ihren tausendfachen Brechungen und Metamorphosen ist der größte Fundus für einen Maler.[1]     

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Die Bildfindungen, wie ich es lieber nennen möchte, sind ein Kommentar auf die Stadt. Die „Stadt … als Motiv“ generiert sich aus „tausendfachen Brechungen und Metamorphosen“. Später werden Monika Meiser, Klaus Roenspieß und Wolfgang Leber vor Feuerschein über der Stadt für den Berichterstatter posieren. Zuvor hatte Klaus Lederer seine Laudatio vor dem heimlichen und vielleicht rein zufälligen Bildzentrum der Ausstellung gehalten. Ist der Feuerschein 1988 eine Art Menetekel für die politischen Umbrüche, die sich mit einem vielleicht apokalyptischen Bild der „Anhäufungen architektonischer Ratlosigkeiten“ ankündigen? Hat das Bild eine politische Dimension? Im Katalog sind die Farben dunkler. Im Strahler der Galerie wirken sie sehr viel heller. Gibt es mit dem Feuerschein in einer fast kubistisch-modernen Malweise der Architektur eine Helle der Zuversicht? Wir wissen es nicht. Und wir wissen nicht, ob Wolfgang Leber darauf eine Antwort gehabt hätte.    

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Die Stadt Berlin als Motiv kann in der Ausstellung menschenleer oder mit Passanten bevölkert sein. Museum Dahlem (1980) von Rolf Curt feiert die modernistische Architektur. Manchmal erscheinen Menschen als Silhouetten wie im kleinformatigen Farbholzschnitt An der Hochbahn (1981) von Klaus Roenspieß. Dann bleiben sie eher vereinzelt. Dann wiederum werden sie wie in S-Bahnhof Schöneberg (1983) von Evelyn Kuwertz als Wartende auf einem Bahnsteig in Beziehungen gesetzt. Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Ein Mann mit Aktentasche geht auf dem Bahnsteig entlang. Das Bild mit seinen starken Lichtkontrasten schält sich aus einer Kombination von Aquarell, Eitempera und Pastell.

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Das Warten auf die S-Bahn hat 1983 auch eine historische Teilungsdimension. Die S-Bahn nutzten West-Berliner nur, wenn es nicht anders ging, weil sie von der ost-berliner Reichsbahn betrieben wurde. 1980 kam es zum Reichsbahnerstreik. Der S-Bahnhof Schöneberg wurde stillgelegt. Erst am 1. Februar 1985 wurde die Wannseebahn unter Leitung der BVG wieder in Betrieb genommen. Insofern müsste es sich bei Evelyn Kuwertz‘ Bild um eines aus der Erinnerung handeln. Vielleicht wollen die Wartenden auf dem S-Bahnhof Schöneberg nach Steglitz, Zehlendorf oder Wannsee. Ganze Erzählungen und Rahmungen brechen los. Als künstlerische Aktivistin mischte sich Evelyn Kuwertz wiederholt in politische und frauenpolitische Themen. In der unteren, rechten Ecke steht eine Frau, auf die Wartenden blickend, im Vordergrund.

Ich bin in erster Linie Beobachterin, […] und es stellt sich heraus, dass diese Menschen, diese Umgebung auf mein Verständnis stoßen und einen Teil meines Alltags ausmachen, den ich eigentlich nicht so bewußt wahrnehme, […][2] 

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Das Faszinierende an der Ausstellung Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt ist, dass es eben nicht nur zweimal Berlin gab, sondern das Zweimal in sehr viel mehr Blicke aufsplittert. In der Vielfalt der Blicke wird die Teilung selbst als Mauer kaum ins Bild gerückt. Das wäre in der Hauptstadt der DDR sicher ein Skandal gewesen, wenn es nicht gar unter Spionageverdacht verboten war. Es gibt wie mit Evelyn Kuwertz‘ S-Bahnhof Schönberg als Bildfindung einen Moment der Undarstellbarkeit der Mauer. Sie ist oft in Abwesenheit präsent. Das lässt sich nicht sofort sehen, kann aber sichtbar werden. Als Kuwertz mit den fast naturalistischen Schattenwürfen der Wartenden auf dem Bahnsteig S-Bahnhof Schönberg gemalt hat oder gemalt haben will, kann das Bild als Szene nicht stattgefunden haben. Ist die Datierung verrutscht? Oder woher kommt das Bild? Gerade dann, wenn das Bild in der Malerei klar zu sein scheint, kann es rätselhafter als gedacht werden.

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In dem Gemälde An der Niederkirchner Straße (1987/2019) von Matthias Koeppel (1937) bekommt die Mauer von der Westseite einen widersprüchlichen Charme. Unweit des Martin-Gropius-Baus an der Niederkirchnerstraße gab es einen Aussichtsturm. Auf der anderen Seite der Mauer unerreichbar der Preußische Landtag und das heutige Bundesfinanzministerium. Auf dem hölzernen Aussichtsturm gibt es Figuren, die spielende Jugendliche sein könnten. Im Vordergrund am unteren Rand hebt ein Mann mit Schlips seine rechte Hand, als wolle er einer Frau im roten Kleid, um deren Schultern er seinen linken Arm gelegt hat, etwas erklären. Die Mauer ist mit unentzifferbaren Graffiti versehen.[3]

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Das Trauma der Teilung schlägt Volten. Es erhält bei Matthias Koeppel 1987 eine bedenkenswerte Transformation ins Paradox-Unbeschwerte. In der Version des Bildes von 2019 sind der Mann und die Frau in Rot gealtert. Die erklärende Geste fehlt. „SPD“ und „Sex“ lassen sich als Graffiti erkennen. Ein Passagierflugzeug durchschneidet nun den Himmel. Doch das Szenarium ist fast gleich geblieben. 1996/97 malte Matthias Koeppel für das Berliner Abgeordnetenhaus im ehemaligen Preußischen Landtag seinen Triptychon Die Öffnung der Berliner Mauer in prächtiger Farbgebung, wie er sie bereits für An der Niederkirchner Straße in Öl auf Leinwand angewendet hatte.[4] Matthias Koeppels „Neue Prächtigkeit“ vollzieht mit ihrem Detailreichtum und den emotionalen Körperhaltungen eine stark narrative Geste. Er wollte und will z.B. vom 9. November 1989 erzählen.

… Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge der Gäste, der Saal leerte sich sofort und alles strömte in Richtung Mauer. Ich hatte einen Smoking an und darüber einen leichten Trenchcoat. Es war bitterkalt in jener Nacht, aber in dem Trenchcoat steckten gottseidank mein kleiner Skizzenblock und ein Bleistift, so daß ich vor Ort die ersten Zeichnungen machen konnte.
„Stasi-Schwein, hau ab!“ riefen mir irritierte Bürger zu, die dachten, daß jemand, der mit Block und Bleistift hantiert und sich dazu noch mit einem Smoking tarnt, die Autonummern der Ankommenden notierte, um sie ordnungsgemäß der Staatssicherheitsbehörde melden zu können. Wenn ich dann meinen Zeichenblock vorzeigte, erntete ich sehr schnell ein verständnisvolles Lächeln.[5]

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Matthias Koeppel insistiert mit seiner Erzählung vom „Skizzenblock und … Bleistift“ auf eine fast journalistische Bildlichkeit. Das Trauma der Teilung verwandelt sich in die Mauer als Sehenswürdigkeit und historisches Ereignis. Peter Rohn (*1934) fasziniert 1966 der dunkle, spätabendliche S-Bahnhof Ostkreuz/Berlin. Die Bahnsteige und Fußgängerbrücken, aber auch die Fenster der S-Bahn-Wagen sind in einem gelblichen Weiß unter dunklem Himmel erleuchtet. Am linken Rand stößt eine Lokomotive weiß-blaue Dampfwolken über den S-Bahnsteig. Rohn lässt eine gewisse Technikfaszination Bild werden. Die satte Farbigkeit, der Wechsel von geschwungenen und geraden Linien in seiner Bildkomposition verleihen dem Ostkreuz eine hohe Dynamik. Dabei lebt Rohn seit 1960 nicht in Berlin, sondern im eher beschaulichen Potsdam. Die großstädtische Dynamik wird 1966, vier Jahre nach dem Mauerbau, allerdings zu einem Widerspruch. Rückte er deshalb eine weiß-rote Schranke im unteren Feld ins Bild?

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Monika Meiser arbeitete als Mathematikerin und Programmiererin, um sich seit 1980 mehr und mehr der künstlerischen Bildproduktion in verschiedenen Medien zu widmen. Die vier Arbeiten in Aquatinta aus der ersten Hälfte der 80er Jahre in der Ausstellung beschäftigen sich mit Altbauszenarien im Prenzlauer Berg. Bei ihr ist es weniger die Architektur, die sie fasziniert, wenn sie etwa 1983 die kahlen Hinterhöfe ohne Menschen zum Bild macht. Die Hinterhöfe in Grau-Schattierungen lassen vielmehr ein Paradox der Großstadt Bild werden. Die vielen Fenster der Arbeiterhäuser mit 6 Stockwerken erinnern daran, dass sehr viele, hunderte von Menschen in den Wohnungen hinter den Fenstern leben müssen. Doch die vielen Menschen bleiben nicht zuletzt hinter den gesichtslosen Hausfassaden und blinden Fenstern unsichtbar. Die Urbanität der hohen, sechsstöckigen Mietshäuser aus der Jahrhundertwende bringt die Menschen als Einzelne auf erschreckende Weise zum Verschwinden.

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Die Arbeiten in Aquatinta, einer aufwendigen und komplizierten Drucktechnik, erfordern eine gewisse Liebe zur Kunst als Handwerk. Meiser ist in ihrer künstlerischen Bildproduktion nicht zuletzt eine exquisite Kunsthandwerkerin. Es gibt auch Aquarelle von ihr, doch an den Aquatintaradierungen in Grau wird ihre heute oft im Kunstbetrieb unterschätzte handwerkliche Geschicklichkeit deutlich. Ein Bestseller wie Jeff Koons lässt seine Millionen Euro teuren Ballon-Pudel von einer Spezialfabrik im Thüringischen anfertigen. Das kann auf eine andere Weise interessant sein, doch es gibt auch einen Wink auf das Verhältnis von Handwerkskunst und Kunstmarkt. Monika Meisers Aquatintaradierungen erfordern dagegen eine gewisse Sorgfalt und ein Technikwissen. Stefan Friedemann gibt einen bedenkenswerten Hinweise auf den Entstehungsprozess der „Berlinbilder“:

Da das Erarbeiten einer Aquatintaradierung ein langwieriger Prozess ohne sichtbares Zwischenergebnis ist, sind Vorstellungsgabe und vorausschauendes Denken, eine innere Version wichtig.[6]

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In der Zeit um 1983 ist Meiser auf Spurensuche auf den grauen Fassaden der Wohnhäuser. Und das hat viel mit den Menschen zu tun, die nicht mehr in den Häusern leben, die sie abbildet. Einerseits basieren die Aquatintaradierungen auf Fotografien, andererseits werden sie durch einen Mangel an Farbe angestoßen. Dieser Mangel machte zugleich ein ökonomisches Versagen in der geteilten Stadt sichtbar und ließ sich dennoch als künstlerisches Sujet wertschätzen. Die Spuren werden so als Bild zu solchen des Mangels und des Verlustes. Heute lässt sich in vielen Teilen der Stadt bei Renovierungen der Hausfassaden oft beobachten, dass Schriftzüge freigelegt und sorgfältig konserviert werden. Doch der blätternde Putz wird dann ersetzt durch eine meist dezente Farbe. Die Zeitlichkeit der abgeblätterten Schutzfarbe, der Meiser so viel Aufmerksamkeit, geradezu Akribie schenkte, ihr einen Wert beimaß, ist dann verloren gegangen.

Erst am Ende dieses langen Vorgangs wurde im ersten Andruck sichtbar, ob die beabsichtigte Bildidee bestätigt wurde… Monika Meiser bezeichnet dies stufenweise Erarbeiten der Tonwerte mit ihren differenzierten, häufig kleinteiligen Strukturen rückblickend als meditativen Prozess. [7]

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Die Aquatinta als Drucktechnik erscheint offenbar in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als ein gebildetes Publikum nach anderen ebenso wie mehr Bildern verlangt und zugleich neue Drucktechniken in den Bild- und Buchmarkt drängen. Wer die Aquatinta erfunden hat, weiß selbst die „Geschichte der Erfindungen: Bildungsgang und Bildungsmittel der Menschheit“ 1872 nicht. Doch es geht um ein neues Wissen, das als „Bildungsmittel der Menschheit“ praktisch beschrieben und vermittelt werden kann. Die Aquatintaradierung kombiniert die feine Linienzeichnung mit der Flächigkeit und den Schattierungen der Tusche, die in wiederholt ausgeführten Druckvorgängen nach einer Imagination oder „Bildidee“ aufgetragen wird. Je tiefer die Ätzung, desto schwärzer wird die Stelle in den Graustufen.

Das Wesen dieser Manier ist in Kürze dieses. Nachdem die Umrisse eines Bildes eingeätzt und die Platte wieder gereinigt ist, kommt sie in den sogenannten Staubkasten, wo sie mit einer Lage von fein gepulvertem Harz (Mastic oder Kolophonium) möglichst gleichmäßig überpudert wird. Durch Erhitzen der Platte über einem gelinden Kohlenfeuer werden sodann die einzelnen Staubkörnchen erweicht und angeschmolzen.[8]        

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Das Bild z.B. Ladenstraße (Kollwitzstraße) entsteht aus mehreren Druckgängen. „OTTO BLEEK MECHANIKERMEISTER“ steht kaum noch entzifferbar durch den abblätternden Putz über einer niedrigen Tür auf dem Bild Großer Hauseingang (1983). Auf der teilweise beschädigten Tür sind Schriftzeichen in die Farbe eingeritzt, die sich gar nicht mehr entziffern lassen. Neben der Mechanikermeister-Tür lassen sich auf dem abblätternden Putz „Reparaturen von Foto und“ zusammenbringen. Es ist dieses Verhältnis von geritzten Linien und den stufigen Schattierungen der Aquatintaradierung, die die Faszination der Technik ausmachen. Meiser setzt sie in ihren „Berlinbildern“ meisterhaft ein. Otto Bleek wird es hier nicht mehr geben. Dass sich hinter der Tür noch eine Werkstatt befinden könnte, kann man sich nicht vorstellen. Doch durch die Einritzungen wird nicht nur der Name „Otto Bleek“ präsent. Es gibt dieses Spiel von An- und Abwesenheit, das Monika Meiser mit ihren Bildern vorführt. Wo „KARTOFFELN“ in der Kollwitzstraße steht, gibt es keine. Das „Musikhaus“ ist vermauert. Von der „SCHUHMACHERE“ fehlt nicht nur das I.

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Man könnte die Aquatinta-Bilder von Monika Meiser für pittoreske Erinnerungen an den Prenzlauer Berg halten, der durch Sanierung und Renovierung fast gänzlich verschwunden ist. Doch die Bilder entstanden aus einer eher melancholischen Faszination um 1983. Sie stellen Fragen nach den Werten und den Menschen, die da gelebt und gearbeitet haben. Und sie halten diese Fragen wach. Das Verschwundene ist verschwunden, aber als Bild existiert es fort.

Torsten Flüh

Zweimal Berlin
Blicke auf eine geteilte Stadt
bis 24. August 2019
Salongalerie »Die Möwe«
Auguststraße 50b
10119 Berlin


[1] Wolfgang Leber zitiert nach: Salongalerie »Die Möwe«: Zweimal Berlin – Blicke auf eine geteilte Stadt. Berlin 2019, S. 19.

[2] Evelyn Kuwertz zitiert nach: ebenda, S. 17.

[3] Matthias Koeppel: An der Niederkirchner Straße. Ebenda S. 14-15.

[4] Siehe auch Matthias Koeppel: Die Öffnung der Berliner Mauer. (Rede anläßlich der Übergabe des Triptychons an das Berliner Abgeordnetenhaus am 16. Januar 1997) (Auszüge)

[5] Ebenda.

[6] Stefan Friedemann: Berlinbilder – Radierungen aus den Achtziger Jahren. In: Monika Meiser: Berlinbilder. Radierungen 1982 – 1985. Berlin 2019, S. 3 (ohne Seitenzahl).

[7] Ebenda.

[8] Einführung in die Geschichte der Erfindungen: Bildungsgang und Bildungsmittel der Menschheit. Leipzig/Berlin: Spamer, 1872, S. 473.

Der Wahnsinn der Lokomotive

Wahnsinn – Lokomotive – Stummfilm

Der Wahnsinn der Lokomotive

Zur bevorstehenden Weltpremiere von Abel Gance‘ La Roue in der rekonstruierten Fassung auf dem Musikfest Berlin 2019

Am Samstag, den 14. September 2019, wird um 14:00 Uhr die Weltpremiere von La Roue im Konzerthaus am Gendarmenmarkt beginnen. Dann wird sich das technisch-industrielle der Lokomotiven ebenso wie mythische Rad, franz. la roue, in vier Teilen mit drei Pausen bis 23.00 Uhr drehen. Abel Gance brachte das Filmepos 1923 ins Kino. Die siebenstündige Fassung von La Roue wird vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Frank Strobel mit der Original-Live-Musik von 56 zumeist französischen Komponisten mit Bruchstücken aus 117 Werken begleitet werden. NIGHT OUT @ BERLIN hat den Trailer zur Produktion bereits auf der Pressekonferenz für das Musikfest gesehen, mit der zuständigen Redakteurin bei ZDF/ARTE, Nina Goslar, gesprochen und in die Aufnahmen der Stummfilmmusik nach einem Arrangement von Arthur Honegger im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks hineingehört.

Ein Filmepos von sieben Stunden wird selbst in Paris 1923 nicht gerade massentauglich gewesen sein. Die Pariser Metro war bestimmt damals schon schneller als die S-Bahn in Berlin. Das Türschließsignal der Metro ist heute um einiges aggressiver und schneller als das der BVG-Züge. Paris hat eine höhere Taktung als Berlin. In Paris und Berlin fuhren die ersten Untergrundbahnen. Das Leben beschleunigte sich durch Lokomotiven und städtische Untergrundbahnen ungemein. Die Beschleunigung des Lebens ist paradoxerweise eines der Hauptthemen von La Roue. Die Räder der Lokomotiven werden in unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer wieder zu Akteuren der Handlung. Signale, Drehscheiben für Lokomotiven, Schienenstränge, eine zur Unkenntlichkeit vorbeischießende Landschaft vor dem Abteilfenster… Schnitte und Schnittfolgen reißen das Publikum in einen Geschwindigkeitsrausch. Dazu Musik, Melodienfetzen, Maschinen-Musik. Abel Gance sah, was andere erst sehen lernen mussten.

Am 7. Juni 2010 wurde eine 303-minütige Fassung von La Roue im Salle Henri Langlois der Cinémathèque française in Paris gezeigt. Die durch weitere Funde und Rekonstruktionen zur Weltpremiere anstehende Fassung konnte auf ca. 420 Minuten verlängert werden. Die Pariser Premierenfassung war für 8,5 Stunden konzipiert und Arthur Honegger legte einige Überlegungen zu seinem Konzept für die Musik zur „siebente(n) Kunst“, in der Gazette des Sept Arts dar. Film und Musik werden von ihm insofern als eigenes Kunstkonzept mit „Musikalische(n) Adaptionen“ bedacht. Das Visuelle und das Auditive funktionieren für den Komponisten im Kino anders als im Konzertsaal oder auf der Opernbühne. Das hatte nicht zuletzt mit dem anderen Rad der sich ununterbrochen abspulenden Filmrollen zu tun. Arthur Honegger lehnt „Adaptierungen“ ab.

Die einzige zulässige Form ist die einer speziell für den ganzen Film hergestellten Komposition.[1]   

Die falsche Musik zum Stummfilm kann nach Arthur Honegger zur Sinnkollision von Visuellem und Auditivem führen. Das stellt den Komponisten vor besondere Herausforderungen. Wenn Arthur Honegger dafür ein fast schon witziges Beispiel anführt, dann gibt dieses einen Wink darauf, dass die großen Stummfilmorchester der 20er Jahre in Paris und vermutlich auch in Berlin zwar über ein reiches Repertoire von Musikschnipseln verfügten, sich aber auch in der Zuordnung zum maschinell abgespulten Film vergreifen konnten. Die Filmprojektoren warfen nicht nur etwas vorwärts, lat. proicere, sie mussten auch am Laufen gehalten werden. Und der Film durfte technisch wie sinnlich nicht reißen.

Nichts ist schockierender als sich zum Beispiel für einen Film, der fraglos mit einer ganz anderen Konzeption entworfen wurde, einer Sinfonie von Beethoven zu bedienen. Die „heroische Sinfonie“ Eroica in einem Kriminalfilm für eine Verfolgung im Auto zu verwenden, ist nicht einmal komisch und verwirrt das am wenigsten vertraute Publikum durch die unterschiedlichen Bedeutungen der Partitur und des Films. Für LA ROUE konnten mein Mitarbeiter Paul Fosse und ich keine Partitur mit einer Dauer von zehn Stunden und 11.000 Metern Film herstellen.[2]  

Das Musikwissen muss nach Arthur Honegger so eingesetzt werden, dass es zwischen Augen- und Ohrensinn nicht zur Kollision kommt. Der Ohrensinn darf nicht stören. Er muss auf die maschinelle Kunst der Filmproduktion abgestimmt werden. Wie lösten Arthur Honegger und Paul Fosse das Sinnproblem von La Roue? Die Schnitte und Schnittwechsel, die die filmische Erzählung ebenso generieren wie rhythmisieren, beschreibt Honegger eher diskret. Die Überschneidung von Technologie als Film, Lokomotive und Gleisnetz, die visuell eine große Rolle im Schnittrhythmus und Handlungsablauf spielt, erwähnt der Komponist nicht. Zu selbstverständlich spielt der Film im Milieu der Lokomotivarbeiter eine das Leben und Lebensläufe strukturierende Rolle. Das Schicksalsrad und die Lokomotivräder werden allerdings in den Zwischentiteln grafisch als Emblem inszeniert. Honegger setzt auf eine Strategie des Nichtwissens und der „Bekräftigung“, die sich selbst an der Grenze zur Maschine situiert.

Indem wir uns so weit wie möglich an das „wenig Bekannte“, gar das Anonyme hielten, haben wir nur moderne Werke mit hohem musikalischen Anspruch wie die von Florent Schmitt, Roger Ducasse, Darius Milhaud, Georges Sporck, Charles Marie Widor, Vincent d’Indy, Alfred Bruenau, Gabriel Fauré usw. ausgesucht. Wir bemühten uns um eine möglichst absolute Korrespondenz zwischen der einen Filmausschnitt bestimmenden Bedeutung und seiner rhythmisch-musikalischen Bekräftigung.[3]  

La Roue (Screenshot, T.F.)

Als Beispiel führt Honegger die Filmepos-Figur des Sisif Hersan (Séverin-Mars) an. Der durchaus charismatische Schauspieler Séverin-Mars war bereits am 17. Juli 1921 verstorben. Der Lokomotivführer bzw. „mécanicien-chef“ Sisif ist die Hauptfigur des Films im Eisenbahnmilieu des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sisif – ein merkwürdiger Vorname. Die Eisenbahn ist quasi zum Langstrecken-Verkehrsmittel par excellence geworden. Seit den 1840er Jahren hat sie im weit verzweigten französischen und europäischen Schienennetz bis in den Orient an Attraktivität und Normalität gewonnen. Spekulationen mit Eisenbahnaktien haben wie schon im „Lustspiel“ Die Eisenbahn-Actien-Spekulanten von Gustav Bernhard sozialen Aufstieg ermöglicht und Kapital vernichtet, wovon auch Volker Hagedorn in seinem Roman Der Klang von Paris schreibt.

La Roue (Screenshot, T.F.)

Abel Gance dreht La Roue, als sich das Eisenbahnzeitalter bereits im technologischen Umbruch befindet. Die Dampfkessel der Lokomotiven werden noch mit Kohlen befeuert. Erste Konstruktionen mit dieselbetriebenen oder elektrischen Lokomotiven lassen zugleich eine Dämmerung der Dampflokomotive aufsteigen. Die Metro fuhr seit 1900 als elektrische Untergrundbahn. Das Zeitalter der Elektrizität hat begonnen. Das Verhältnis des Lokführers Sisif zur Lokomotive nimmt im Film wiederholt symbiotische Züge an. Seine „tragische Passion“ ist unauflösbar mit der fast antiquierten Lokomotive als Maschine im schicksalhaften Gleisnetz verwoben.

Wenn Sisif Hersan sein Leben und seine tragische Passion erzählt, bringt die Musik die Seelenlage von Sisif und nicht die verschiedenen Anekdoten seines Lebens, die er erwähnt, zum Ausdruck.[4]  

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die im Internet verfügbaren Trailer und Ausschnitte sowie die Sequenz, die der Berichterstatter bei den Aufnahmen im Großen Sendesaal sehen konnte, inszenieren den „Ausdruck“ auf frappierende Weise durch die Lokomotive. Die „Seelenlage von Sisif“ zeigt sich nicht nur bis zur Ununterscheidbarkeit darin, wie er seine Lokomotive(n) „führt“ oder benutzt, vielmehr ermöglicht sie es „seine … Passion“ oder seinen Wahnsinn auszuleben. Wenn er keine Lokomotive hätte, könnte er mit der ziellosen Fahrt, die an einem Puffer enden wird, gar nicht seine Raserei ausleben. Die Geschwindigkeitserhöhung, die immer wieder wie von Geisterhand und gerade nicht durch die Befeuerung des Dampfkessels als Arbeit durch einen schnellen Schnittwechsel von Gleisen, Signalen, Sisif mit wehendem Haar und irren Blick in Nahaufnahme, unkenntlich vorbeihuschende Landschaft etc. von Abel Gance inszeniert wird, ist die Lokomotive als Schicksal. Und Honegger schreibt:

Ich fordere, dass das Prinzip synchron mit dem Film komponierter Partituren bald eine Notwendigkeit wird, die das Publikum in derselben Art erfährt, wie sie es für die Künstler sind, befördert durch die großen filmischen Verlagshäuser, die sich dessen noch nicht bewusst zu sein scheinen.[5]     

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die Inventionen des Visuellen von Abel Gance sind beträchtlich. Wie sich bereits mit J’accuse (1919) beim Musikfest 2018 gezeigt hatte. Peter Schöller hatte eigens eine Live-Musik für das Rundfunk-Sinfonieorchester komponiert.[6] Für La Roue wird das Musikproblem mit Arthur Honegger gelöst. In einer Version der Eröffnungssequenz nutzt Gance die Überblendung bzw. Doppelbelichtung von Porträt und Dampfender Lokomotive, um die Symbiose von Sisif mit der Maschine als Imagination eines Lebens sichtbar zu machen.[7] Nina Goslar schlägt vor, dass La Roue mit einer „Familiensaga, die Motive des antiken Ödipus- und Sisyphos-Stoffes“ verarbeite, um sie „mit einer adäquaten Musik … für die Moderne zu adaptieren und das Kino zum Ort einer neuen universalen Kunstform werden zu lassen“.[8] Doch in dem großen Filmepos überschneiden sich offenbar mehrere Ebenen von Filmschaffen, Erzählung, Technologie, Familiensaga, Liebesgeschichte, Mythos und Schicksal. Das lässt sich zumindest mit der Widmung des Epos für seine verstorbene Frau lesen, die in einer Fassung der Erzählung im Prolog vorausgeschickt wird.

Je dédic ce film à la mémoire de ma chère jeune femme, née Jsa Danis, morte à vingt sept ans. Abel Gance (Ich widme diesen Film der Erinnerung an meine liebe junge Frau, geborene Jsa Danis, die mit 27 Jahren gestorben ist.)

La Roue (Screenshot, T.F.)

Die handschriftliche Widmung ist insofern verstörend, als Abel Gance seit 7. November 1921 wohl mit Marguerite Danis in zweiter Ehe verheiratet war, diese allerdings erst 1986 in hohem Alter verstarb. Eine bedenkenswerte Überschneidung von Filmarbeit mit der Kamera und Widmung wird damit, sagen wir, in den Lokomotivfilm hineingeschmuggelt. Sie lässt sich nicht befriedigend auflösen. Sie existiert dank der Filmkunst und ihrer Technologie. War Isa eine Schwester von Marguerite? Eine Art Zwischenehe? Wir wissen es nicht. Gleichwohl wird der Film mit der Widmung wie eine solche in der Literatur zu einem Gedächtnis. Doch es ist eben auch die Filmkunst, die in einem Feld der Kunst ein Gedenken wirklich werden lässt. Eine Eisenbahnkatastrophe spielt in La Roue filmisch wie narrativ eine entscheidende Rolle. Junge Frauen geraten einzeln oder in Gruppen während der Katastrophe vor die Kamera. Schon in J’accuse mit Dokumentaraufnahmen aus Kämpfen des 1. Weltkriegs war eine bedenkenswerte Überschneidung von Fiktionen bei Abel Gance entstanden.

La Roue (Screenshot, T.F.)

Wir wissen nicht, wie die Widmung in den Film hineingeraten ist. Doch Abel Gance‘ Filmarbeit, für die er häufig als Produzent, Regisseur, Kameramann und Schauspieler tätig wird, legt eine erstaunliche Nähe von Film als Medientechnologie und Selbstfiktion nahe. Die ausdauernden und wiederholten Einstellungen mit der Aufsicht auf die Gleise und Weichen während Fahrt gehören zu Abel Gance erstaunlichen Bildinventionen. Die, wenn man so will, antiken Schicksals- und Erzählstränge von Ödipus und Sophokles erscheinen als Schienennetz. Er rückt immer wieder ins Bild, was die Reisenden und selbst der Lokführer so nicht sehen, nicht sehen können. Später, 1927, wird man in der Eröffnung von Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt ähnliche Einstellungen finden. Ruttmann dreht und schneidet seinen Film als Komposition. Die „Großstadt“ wird ebenso zur „Sinfonie“ wie zur Bildmaschine. Die Stadt erzählt sich selbst.[9] 1928 wird Kurt Weill den Berlin im Licht-Song komponieren.

La Roue (Screenshot, T.F.)

La Roue/Das Rad ist offenbar auch von der Cinémathèque française oder France Culture lange etwas nachlässig behandelt worden. Vielleicht ist die narrative Großform des Epos 1923 auch eine, die sich fast überholt hat. Sie passt nicht mehr in die Lebenspraxis der Zeit. Doch das Prinzip der Komposition durch Montage findet sich im Visuellen wie im Auditiven. Während eine Beethoven-Sinfonie einen programmatischen Sinn z.B. des Heroischen oder des Pastoralen generiert, lässt sich dieser im industriellen und kapitalistischen Gleisnetz des Lokomotivzeitalters kaum noch finden. Die Arbeit des Sisyphos ist wie die des Lokomotivführers Sisif Hersan auch eine vergebliche. Führt er die Lokomotive? Oder führt und verführt ihn die große Maschine aus Gleisnetz und Lokomotive? Vielleicht erinnert Sisif in seinem Wahn deshalb so sehr an den Mythos von der vergeblichen Arbeit als Strafe.

Torsten Flüh

Weltpremiere
La Roue
Musikfest Berlin 2019
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
14. September 2019, 14:00 bis 23:00 Uhr
Konzerthaus Berlin

TV Premiere auf ARTE
am 28. Oktober und 4. November 2019  


[1] Arthur Honegger: Musikalische Adaptionen. In: Gazette des Sept Arts Februar 1923, S. 4-5. (Zitiert nach Pressemitteilung Musikfest Berlin 2019.

[2] Ebenda.

[3] Ebenda.

[4] Ebenda.

[5] Ebedna.

[6] Siehe Torsten Flüh: Flash des Krieges in Trauma-Bildern und -Musik. Zur neuen Musik und den alten Bildern von Abel Gance‘ Meisterwerk J‘accuse beim Musikfest. In: NIGHT OUT @ BERLIN September 20, 2018 23:39.

[7] Siehe La Roue CD1 (YouTube).

[8] Pressemitteilung … [wie Anm. 1].

[9] Vgl. für Ruttmann auch: Torsten Flüh: Unerhört großstädtisch. HK Grubers Großstadt-Konzert als Philharmonie »Late Night«. In: NIGHT OUT @ BERLIN Januar 23, 2012 18:45.