Zwischen Ton und Stille im Festivalstrudel

Hören – Geschlecht – Text

Zwischen Ton und Stille im Festivalstrudel

Zu den Performances von Claire Chase, Liping Ting, Rafał Ryterski, Noa Frenkel mit Werken von Liza Lim, Luigi Nono, Chaya Czernovin, Pauline Oliveros bei MaerzMusik 2023

Am 19. März fanden im Kulturquartier Silent Green gleich 7 audiovisuelle Performances statt. Der Begriff der Musik wird in den zeitgenössischen Kompositionen durch erweiterte Spiel- und Gesangspraktiken, Elektronik und Instrumentenforschung beim Festival MaerzMusik unablässig befragt und ausgeweitet. Was ist ein Ton? Welche Rolle spielt die Lautstärke? Welche das Geschlecht und geschlechtliche Zuschreibungen? Welche Gesangspraktiken lassen sich neu entdecken? Timo Kreuser legt mit seinem Ensemble PHØNIX16 gleich eine ganze Spur im Festivalprogramm mit Grenzräumen des Hörens. Dafür nutzte er mit seinem Ensemble im Silent Green auch den Hof vor der Kuppelhalle. – Gong – Klack – Ein Gong, Klangsteine und sehr langsame Bewegungen der ganz alltäglich gekleideten Ensemblemitglieder. Meditation.

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Zwischen den Performances der amerikanischen Starflötistin Claire Chase, Gong und Sonic Meditations von Pauline Oliveros durch PHØNIX16 ereigneten sich breitangelegte Exerzitien des Hörens für das Publikum. Wie hören Sie? – Wie hörst Du Musik? – Hörst Du, wie Du hörst? – Headset- oder Headphoneträger*in immer und überall? – Joggst Du mit Musik auf den Ohren durch die Stadtnatur? – Die akustische und soziale Praxis des Hörens hat sich in letzter Zeit durch die Kopplung von Smartphone und Kopfhörern verschoben. Es wird gestreamt und gehört, was das Zeug hält. Oder hören wird dann gerade nicht oder weg oder unbewusst? Die Praktiken des Hörens haben sich verschoben. Gibt es überhaupt noch jüngere Menschen, die sich nicht permanent beschallen lassen? Musik und das Hören von Musik verändern sich.

© Fabian Schellhorn

Claire Chase kündigte in ihrem kurzen Konzert am Nachmittag in der Kuppelhalle eine weitere Weltpremiere innerhalb ihres langfristig angelegten Kompositionsprogramms Density 2036 an. Sie hat bereits mehr als 100 Kompositionsaufträge für die unterschiedlichen Flöteninstrumente von der Piccolo- über die Pan- bis zur Kontrabassflöte vergeben. Einerseits ist für sie die Flöte das älteste in der Instrumentengeschichte, andererseits ermutigt sie in Kooperation mit Komponist*innen, die Spielpraktiken zu erweitern. Mit Liza Lim hat sie Sex Magic für Kontrabassflöte, „electronics and an installation of percussion instruments“ entwickelt. Am Nachmittag spielte sie auf einer Bassflöte das erste Stück aus Sex Magic. Am Abend fand die Europäische Erstaufführung des mehrteiligen, feministischen Musikstücks über weibliche Sexualität in der Betonhalle statt.

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Die Flöte in ihren unterschiedlichen Ausfertigungen ist für Chase nicht nur ein Blas-, vielmehr ein Ateminstrument. Das Atmen und nicht nur das Blasen mit den Lippen des Labialinstruments Flöte wird mit erweiterten Spielpraktiken zu einem musikalischen Experiment. Claire Chase ist 2017 Professorin für „Practice“ am Institut für Musik der Harvard Universität geworden und nimmt derzeit den namhaften Barbara Debs Composer’s Chair an der Carnegie Hall in New York für die Saison 2022-23 wahr.[1] Mit ihrem Programm Density 2036 dockt sie in der Musikgeschichte an Edgar Vareses Density 21.5 von 1936 an. Welche Implikationen bringt Density 2036 zum einhundertjährigen Jubiläum von Vareses Komposition mit?

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Varese hatte sich mit dem Titel auf die Dichte und das entsprechende Gewicht von 21,5 Gramm der Platinflöte von Georges Barrère bezogen.[2] Insofern wird die Mehrdeutigkeit von physikalischer wie musikalisch-kompositorischer Dichte von Chase für ihr Projekt aufgenommen. Im Deutschen lässt sich mit der Dichte ebenso an die Dichtung als Poesie denken. Barrère war 1936 bereits selbst zur Legende geworden, insofern als er 1894 in der Uraufführung von Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune die Flöte gespielt hatte. Statt einer Erzählung vom Faun komponierte Debussy nach seiner Formulierung „différentes atmosphères“.[3]

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Die Figur des Pans knüpft bei Claire Chase ebenfalls für die gleichnamige Komposition von Marcos Blatter als eine dem Faun verwandte an. Pan ist nicht nur als männliches Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock der Erfinder der Panflöte und Hirtengott aus der griechischen Mythologie, vielmehr schwingen in Pan bei Claire Chase und ihrer Performance auch Erotik und die knabenhafte Figur des Peter Pan von J. M. Barrie mit.[4] In Pan geht es Chase zugleich um das gemeinsame Musikmachen. Am 24. Februar 2023 hat sie mit Casa Circulo Cultural-Mitgliedern in der Soundbox der San Francisco Symphony zusammen mit Marco Balter Pan aufgeführt.[5] In der Kuppelhalle lud sie die Zuhörer*innen ebenfalls ein, einen Ton zu machen, der sich dann in der Halle veränderte. Chase hat im Musikinstitut der Havard Universität das Curriculum ganz grundlegend verändert.
“In the concert hall and in the classroom, she is equally attuned to “the art of doing, and also the play of doing and the rigor of doing,” she explains. “I think about those three things—the art, the play, and the rigor—as inseparable.””[6]

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Das Publikum wird an jenem Nachmittag nach dem Chase-Konzert nicht zuletzt durch Marisol Jiménez mit dem Gong im Hof der ehemaligen Feierhalle in die Klangpraxis anders einbezogen. Claire Chase beobachtete die Szene aufmerksam. Denn das Berliner Publikum aus Musiker*innen, Künstler*innen und Besucher*innen ließ ich augenblicklich von der Stille zwischen Gong und Klack faszinieren. Als sei für einen Moment die Zeit stehen geblieben, hielt das Publikum inne, um nur ja nicht Stille und Meditation zu stören. Die Konzentration der Meditation übertrug sich mit dem Schlag des Gongs. Das Publikum machte mit. Was als artifizielle Aktion mit gewöhnlichen Steinen stattfand, korrespondiert mit der fernöstlichen Tradition der „Klangsteine“, wie sie im September mit dem Gastspiel des National Gugak Centers aus Seoul beim Musikfest in der Philharmonie aufgeführt wurde.[7]

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Die unterschiedlichen Räume des Silent Green verwandelten sich wie die Rampe hinunter zur Betonhalle in temporäre Bühnen. Die taiwanische Performance-Künstlerin Liping Ting führte auf dem Weg zur Klangperformance von Rafał Ryterski Echoing Contemporary auf. Sound, Licht, Körperbewegungen wiederholen ablaufende Handlungen. Mit Silberfolien, die wie kleine Umschläge gefaltet sind, hüllt sich Liping Ting ein oder lässt sie im Raum rascheln. Diese Folien werden als Notfalldecken, Hitzefolien oder Wärmedecken verwendet. Sie sollen den Menschenkörper schützen und sind aus strapazierfähigem, isolierendem Mylar-Material, das von der NASA für die Weltraumforschung entwickelt wurde. Zugleich erzeugen sie mit der Licht- und narrativen Klanginstallation visuelle und akustische Effekte. Echoing Contemporary konzipiert Ting als „poésie d’action“, was sich als Poesie durch die Aktion ebenso wie poetische Aktion denken lässt.

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Die Poesie der Aktion entfaltet im wahrsten Sinne des Wortes zu unterschiedlichen Zwecken einsetzbare Silberfolien, die zwischen extraterrestrischer Raumfahrt und Lebensrettung auf Erden eingesetzt werden. Sie werden zweckentfremdet und zugleich verdichtet. Der Modus der Wiederholung korrespondiert mit dem der Kontrolle, wenn Liping Ting mit ihrem Körper arbeitet. Zugleich wird so von ihr die Performance als Meditation praktiziert. Denn sie kontrolliert ihre Bewegungen wie eine Extremsportlerin. Sie sagt, dass sie sieben Stunden meditiere, bevor sie ein Stunde performe, wie es im Programmheft heißt. Die Praxis der Meditation durch Wiederholung und Kontrolle in Kombination mit akustischen Ereignissen findet insofern auch hier statt. Einzelne Personen aus dem Publikum sind fasziniert, lassen sich in die Meditation hineinziehen. Andere gehen vorüber oder fotografieren die Lichteffekte.

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Rafał Ryterski reagierte 2021 mit Haphephobia zusammen mit Aleksander Wnuk programmatisch auf die Covid19-Pandemie. Die Haphephobie von dem griechischen Verb ἅπτειν (haptein) wie berühren, tasten oder kontaktieren wird von Ryterski mit politischem Statement aufgeführt. Die Angst vor der Berührung war 2020 nicht neu, woran Ryterski mit der Erinnerung an die AIDS-Pandemie aufmerksam machen will.[8] Als polnischer „LGBTQ+“-Aktivist und Komponist erinnert er nicht nur an die Pandemie, sondern ebenso an die Angst vor der Berührung von mit HIV infizierten Menschen in den 80er und 90er Jahren. Bekanntermaßen führte die Covid19-Pandemie zu Kontaktbeschränkungen in Deutschland und anderen Staaten. Ryterski hat für seine Performance eine Art Plexiglaskäfig bauen lassen, dessen Flächen mit Sensoren präpariert sind. Das Reiben, Schlagen oder Trommeln auf den Flächen wird elektronisch verstärkt und verarbeitet.

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Geschlecht und geschlechtliche Praktiken waren entscheidend für die Entstehung und den Titel der Komposition. Das Stück ist, wie Ryterski auf seiner Website schreibt, auf Anregung Jerzy Kornowicz für das WE’RE HERE-Konzert in Warschau 2021 komponiert worden. Es beginnt mit leisen, kaum wahrnehmbaren Tönen, durch das einzelne, zögerliche Berühren der linken Plexiglaswand mit einzelnen Fingern der linken Hand. Die zaghafte körperliche Berührung unter Menschen wird nicht zuletzt als erotische Praxis wahrgenommen. Es lässt sich ebenso daran denken, dass die erste Berührung von Angst vor einer Abweisung begleitet wird. Zwischen Angst vor Abweisung und Infektion durch einen Krankheitserreger lässt sich somit eine vieldeutige Haphephobie denken. Ryterskis Percussion Performance steigert sich in einen lauten, schnellen gesteigerten Tanz, nach dem er eine Wand öffnet und aus dem Plexiglaskäfig entflieht. Haphephobia wurde von der Ernst von Siemens Musikstiftung gefördert.

© Fabian Schellhorn

Es irritiert, dass im Programmheft von MaerzMusik der durch die sexualautoritäre Politik der polnischen Regierung relevante „LGBTQ+“-Hintergrund nicht erwähnt wird. Das Programmheft belässt es bei der Formulierung, dass Haphephobia, die „Angst berührt zu werden und andere zu berühren“ erkunde.[9] Natürlich ist Haphephobie nicht auf die „LGBTQ+“-Community in Polen beschränkt, aber Rytersky hat das Stück aus einem besonders sensibilisierten, queeren Wissen heraus komponiert. Rytersky spricht mutig und explizit die politische Situation in Polen an und rahmt damit seine Komposition deutlich. Wobei die Offenheit für weitere Interpretationen in der Musik immer gegeben sein mag. Dennoch es ist eben nicht „weniger“ wichtig, wenn der konkrete Entstehungskontext von Ryterski selbst herausgestellt wird. Vielmehr gehört es zum Diskurs der Musikgeschichte z.B. auch bei Karol Szymanowski, woran Yannick Nézet-Séguin erst im September mit den Philadelphians beim Musikfest erinnert hat, dass das Geschlecht in seiner Mehrdeutigkeit zur Marginalisierung von Komponist*innen beigetragen hat und im Konzertbetrieb weiterhin beiträgt.[10]
„On the other hand, year 2020 was a very difficult one in Poland and poles, regarding presidential elections, LGBTQ+ protests, Woman protests and many more. Ryterski wanted to create a piece, that would somehow embrace all these elements, while also remaining much more open for the interpretations.”

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Noa Frenkel präsentierte in ihrem neuen Liedkonzert Longing, Belonging wieder in der Kuppelhalle einerseits eine Reihe von Liedern und Texten, die von Sebastian Schottke mit Elektronik live bearbeitet wurden. Andererseits nennt sie die Lieder „Lost and Found Texts“. Die Kompositionen von Luigi Nono, Dániél Péter Biró, Yannis Kyriatkides, Alvin Lucier, Chaya Czernowin und Caroline Shaw setzen weniger auf eine Textverständlichkeit als vielmehr auf eine Befragung der Texte und ihrer Textlichkeit. Dániel Péter Bró, Yannis Kyrakides und Chaya Czernowin waren anwesend und traten zum Schlussapplaus mit auf, was insofern erwähnt werden soll, als es deutlich macht, dass das Festival MaerzMusik immer auch ein großes Treffen der Komponist*innen Szene für zeitgenössische Musik ist. Die Performer*innen und Komponist*innen hören sich oft gegenseitig ihre Stücke an. Das Festival ist immer zugleich eines für das Publikum und ein großes, zwangloses Treffen der Szene.

© Fabian Schellhorn

Noa Frenkel knüpft mit ihrem Programmtitel an einen Text aus John O’Donoghues Textsammlung Eternal Echoes an. Als irischer, theologischer Philosoph schrieb der mit 53 früh verstorbene O’Donoghue über die Zugehörigkeit und die Sehnsucht, dass sie zusammen gehörten. Die Zugehörigkeit biete der unstillbaren menschlichen Sehnsucht Schutz. „As memory gathers and anchors time, so does belonging shelter longing. Belonging without longing would be empty and dead, a cold frame around emptiness.”[11] Die Mezzosopranistin verfügt über ein breites Repertoire zwischen barockem Gesang und zeitgenössischer Musik. Das Wort in der Liedkomposition wird etwa in Dániel Péter Birós Hadavar (2011) mit einer einzigartigen Praxis der jüdischen Liturgie für heilige Texte befragt. Denn es geht hier weniger um das Textverständnis als um die Artikulationspraxis in der jüdischen Liturgie.

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Das Verhältnis von Text und Artikulationspraxis spielt für Noa Frenkel nicht zuletzt durch die Elektronik mit echoartigen Effekten eine wesentliche Rolle für ihr Liedprogramm. Seit der Romantik, wenn man so will, kommt es im deutschen Lied auf eine Textverständlichkeit an. Doch es gab und gibt in der Liedpraxis immer zugleich andere Praktiken. Das wird ebenso deutlich in Yannis Kyreakides Fire of Myself (2003) wie in Chaya Czernowins Shu Hai Miamen Behatalat Kidom (Shu Hai Practices Javdin) von 1997. Sie hat dazu formuliert, dass in der musikalischen Komposition der Gedichte alles weggeschnitten sei und „used to illuminate each other in an imaginery inner space (inner theater)“.[12] Es gibt Töne, aber keine verständlichen Worte. Durch die Vermeidung einer Verständlichkeit, was sie immer sein könnte, entsteht im Konzert von Noa Frenkel eher eine imaginäre oder meditative Atmosphäre.  

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Die Europäische Erstaufführung von Liza Lims Sex Magic als Reflektion weiblicher Sexualität durch Claire Chase mit großer Installation auf der Bühne war gewiss der Höhepunkt des zweiten Festivaltages. Liza Lim gehört aktuell zu den international wichtigsten Komponist*innen, die gesellschaftliche Themen und Diskurse in ihren Kompositionen verarbeiten. Sie ist seit 2022 gewähltes Mitglieder der Berliner Akademie der Künste. Lim positioniert ihre Kompositionen zwischen Transkulturalität, Anthropozän, Kapitalismuskritik und mit Sex Magic weiblicher Sexualität und ihrer transkulturellen Geschichtlichkeit. Das ist vor allem kein einfaches Themen, wenn es um eine Darstellung von Sexualität in der Musik und einer leicht misszuverstehenden Bühneninstallation geht. Auf andere Weise, um nur daran zu erinnern, geht es mit Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune ebenfalls um die Darstellung von Sexualität in der Musik. Zur Aufführung waren mit Rebekka Saunders, Chaya Czernowin, Gastkurator und Komponist Enno Poppe und vielen anderen bestimmt die wichtigsten Performer*innen und Komponist*innen in der Betonhalle zugegen.

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Weiblichkeit wird von Liza Lim mit der Bühne als machtvolles Arrangement aus Blumen, Früchten, Kontrabassflöte, Elektronik, Lichterketten, einer riesigen Trommel und Perlenschnüren visualisiert. Claire Chase wird auf einem erhöhtem Podium mit der Kontrabassflöte, die sie „Bertha“ nennt, zur Priesterin eines weiblichen Rituals. Das namentlich weibliche Geschlecht der Kontrabassflöte wird von Lim in der Partitur erwähnt. Die sonoren Töne der riesigen Kontrabassflöte werden durch Praktiken des Schlagens erweitert. Im zweiten Teil nach Pythoness für Kontrabassflöte mit dem Titel Oracles verwendet Lisa Lim zusätzlich Kaurimuscheln, eine „womb-bell“, eine Pedalbasstrommel, eine aztekische „death whistle“, ebenso wie eine Okarina und die Stimme.[13] Mit Pythoness knüpft Lim an die Figur der Pythia als Wahrsagerin in Delphi aus der griechischen Mythologie an. Wegen der Pandemie bedingten Beschränkungen, kann die Inszenierung und Aufführung vom 18. März auch als eine eigentliche szenische Uraufführung gedacht werden.

© Fabian Schellhorn

Die Elektronik wurde von Senem Pirler, die als Klangkünstlerin und Komponist*in in Brooklyn lebt und arbeitet gesteuert. Die Darstellung einer alternativen weiblichen Kultur ist der Komponistin ebenfalls so wichtig, dass sie sie als Konzept der Partitur vorausschickt und ausführlich erläutert. Insofern wird Liza Lim zu einer transkulturellen Forscherin, die sich in erweiterten Spielpraktiken und Klangräumen hören lässt. Der hohe Grad der Konzeptualisierung wird ebenso durch das Glossar der Partitur vermittelt.
“Cowrie shells have been widely circulated as a form of currency, particularly in the Arabic and African worlds taking on a raft of symbolic meanings including associations with fertility and pregnancy. Amongst their many uses, cowries have been employed in rituals for increase, for divination and healing, as amulets to ward off the evil eye, to pay for the passage of the dead, in dowries and love magic.”[14]

© Fabian Schellhorn

Liza Lim möchte mir ihrer Komposition nicht weniger als die Welt durch mehr Weiblichkeit verändern. Das ist ein hoher und nicht leicht einzulösender Anspruch. Sex Magic endet mit einem Zitat aus dem Gedicht Ulysses von Alfred Tennyson als sechstem Teil der Komposition unter dem Titel Telepathy. Die Emphase des 1842 veröffentlichten Gedichts formuliert als dramatischen Monolog die Hoffnung auf eine neue Welt. Lin nimmt damit eine fast schon befremdliche Form der Utopie im 19. Jahrhundert für das 21. Jahrhundert auf.
„The long day wanes
the slow moon climbs
Come, my friends
Tis not too late to seek a newer world.”

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Die Aufführung von Sex Magic und ihre Performer*innen wurden ausgiebig gefeiert, obwohl die Direktheit der rituellen Darstellung von Weiblichkeit manch einer Komponisten-Kollegin vielleicht auch zu direkt oder gar komisch vorkam. Dennoch erweitert Liza Lim mit dem breiten Klangspektrum und dem vielschichtigen Spiel der Narrative und Versprechen die Debatte um Weiblichkeit in den Künsten. Liza Lim ist als internationale Komponist*in äußerst produktiv und will sich in aktuelle Debatten einmischen. Damit werden ihre Kompositionen zu musikalischen Statements, die vor allem bei jüngeren Menschen ankommen könnten. Als Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg 2021-22 hat Liza Lim an ihrem Projekt Post-Human Songs for the Anthropocene gearbeitet.  

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Als eine Art Late-Night-Performance führte PHØNIX16 im Rahmen von Grenzraum HÖREN 8 eine etwas schwierige Form der Meditation durch Pauline Oliveros Sonic Meditations von 1971 auf. Das Schwierige daran war vor allem die körperbedrohende Lautstärke der Aufführung. Pauline Oliveros mag eine Pionierin der Elektronik sein, doch Ohrstöpsel halte ich immer noch für ein musikfeindliches Requisit. Wahrscheinlich waren die Dezibel genau kalkuliert und das Experiment lockte auch viele Hörer*innen an. Aber der Berichterstatter musste die Betonhalle wegen der Lautstärke nach kurzer Zeit verlassen.

Torsten Flüh

MaerzMusik im Radio

31. März, 20:03 Uhr
asamisimasa-zyklus“ von Mathias Spahlinger
(22. März, Kammermusiksaal der Philharmonie)
Deutschlandfunk Kultur

6. April 2023, 00:05 Uhr
ensemble mosaik
(21. März, Haus der Berliner Festspiele)
Deutschlandfunk Kultur


[1] Siehe: Claire Chase: Professor of the Practice, Harvard University Department of Music: DACA Seminar.

[2] Siehe: Wikipedia (englisch): Density 21.5.

[3] Debussy zitiert nach: Wikipedia: Prélude à l’après-midi d’un faune.

[4] Zur Figur Peter Pan siehe auch: Torsten Flüh: Kindsein bittersüß. Robert Wilsons gefeierter Peter Pan mit Musik von CocoRosie. In: NIGHT OUT @ BERLIN April 19, 2013 18:29.

[5] Siehe: Claire Chase: Pan.

[6] Lucy Caplan: “The Art, the Play, and the Rigor” Flutist Claire Chase marks a key change for Harvard music. In: HAVARD MAGAZIN May-June 2018.

[7] Siehe: Torsten Flüh: Faszinierende Lebenspraxis und Kosmologie Koreas. Zur begeistert aufgenommenen Vorführung von Jongmyo Jeryeak des National Gugak Centers in Seoul beim Musikfest Berlin 2022. In: NIGHT OUT @ BERLIN 16. September 2022.

[8] Siehe: Rafał Ryterski: Haphephobia.

[9] Berliner Festspiele (Hg.): Paul Rabe (Redaktion): MAERZMUSIK 18.3.2023. Berlin 2023, S. 7.

[10] Siehe Torsten Flüh: Starke Geschlechter über Grenzen hinweg. Zum gefeierten Konzert des Philadelphia Orchestras mit Lisa Batiashvili unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. September 2022.

[11] Zitiert nach: Noa Frenkel: Longing, Belonging. Lost and Found Texts. Berlin 2023.

[12] Ebenda S. 3.

[13] Partitur: Liza Lim: Sex Magic. Berlin: Ricordi, 2020. (Online)

[14] Ebenda.

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