Ruhm – Überleben – Kino
Mehr Ruhm!
Lothar Lambert zum 80. Geburtstag und seine Filmen Die Liebeswüste, Verbieten Verboten und Fucking City
Lothar Lamberts 41 Filme waren immer nah am Leben und galten dem Überleben in Berlin. Am 24. Juli feiert er in Berlin seinen 80. Geburtstag. 17 seiner Filme erlebten ihre Weltpremiere auf der Berlinale. 2024 erhielt er auf der Berlinale den Special Teddy Award für sein Lebenswerk. Bis 1. September läuft im ACUDkino, BrotfabrikKino, Bundesplatz-Kino, Klick und zusätzlich bei Hauptrolle Berlin im Zoo Palast die große Lothar Lambert/Dagmar Beiersdorf Retrospektive LoLa DaBei – Ein Sommer mit queerem West-Berliner Undergroundkino. Das kleine Kinomuseum in der Schönleinstraße 33 lädt an Samstagen zum LoLa DaBei Schwerpunkt ein. Bereits am 1. April feierte Dagmar Beiersdorf ihren 80. Geburtstag. Die Berlinerin wirkte als Autorin, Darstellerin, Regieassistentin und Ratgeberin an vielen seiner frühen Filme mit. Anders gesagt: Bei LoLas Filmen war sie dabei.
Die Filme von Lothar Lambert, die heute unter dem Begriff früher German Mumblecore, zu zählen wären, waren beispielsweise mit Die Liebeswüste (1986) so nah am Leben und der damaligen Filmtechnik, dass aus dem umfangreichen Verlust des Films im Kopierwerk, ein einzigartiger Film mit Resten am Schneidetisch mit Dagmar Beiersdorf, Lothar Lambert, Albert Heins und Ulrike S. entstand. Die legendäre Berlinale Fotografin und Lothars Superstar, Erika Rabau, platzt für ein Shooting in den Schneideraum. In dem Episodenfilm Verbieten Verboten von 1987, der im NDR ausgestrahlt wurde, taucht in einem winzigen Take der Grabstein von Heinrich von Kleist (*1777) am Kleinen Wannsee als Referenz für die Suizid-Episode mit Renate Soleymany als Stadtstreicherin auf. Wie die Kamera (Albert Kittler/Lothar Lambert) die Stadtstreicherin von hinten durch die Stadt verfolgt, nimmt sie die Ästhetik so manches Mobile Mystery Films von heute vorweg.
Die Episode mit Renate Soleymany als Stadtstreicherin gibt mit dem Titel Selten so gelacht einen Wink auf das Tragikomische als Erzählverfahren in den Filmen von Lothar Lambert. Die Stadtstreicherin zwischen den Geschlechtern mit Hut und Mantel wird mit schwankender Kamera und harten Schnitten zwischen dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten vor dem Schloss Charlottenburg, Mülltonnen, Kleist-Grabstein, Berliner 750-Jahr-Feier und Brücke über der Spree verfolgt. Zur 750-Jahr-Feier entsprach das nicht gerade dem Image von Fest-Berlin. Von der Brücke lacht die Figur schallend und verzweifelt nicht zuletzt über die 750-Jahr-Feier im in Ost und West geteilten Berlin, bis sie sich auf den Weg neben dem Fluss stürzt. – Genau das zeichnet die Inventionen und Innovationen von Lothar Lamberts Filmen aus. Mit größter Genauigkeit wird die Existenz einer Stadtstreicherin portraitiert, die 37 Jahre später nichts an ihrer Aktualität verloren hat.
Verbieten verboten mit seinem eingeblendeten Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, filmt sich’s völlig ungeniert. Variation eines deutschen Sprichworts“ knüpfte ästhetisch an Die Liebeswüste mit dem expliziten Motto „Kein Schwanz ist so hart wie das Leben. Berliner Toilettenspruch“ an. Denn es bezog sich auf die schwule Kultur der Kontaktaufnahme zu Männern auf den öffentlichen Herrentoiletten, Klappen oder dem Berliner Café Achteck, die aus dem öffentlichen Raum und der Queer Culture so gut wie verschwunden ist. LoLa und DaBei waren 43 und so sehr in der Berliner Filmszene vernetzt, dass Dieter Schidor und Ingrid Caven als, sagen wir, große Namen gleich in beiden Filmen ebenso beziehungsreich wie schonungslos ohne Gage mitwirkten. Beide Filme wurden am 19. Februar nacheinander im Klick in Anwesenheit von Lothar Lambert, Ulrike S. und Doreen Heins gezeigt und sie unterhielten sich mit dem Filmjournalisten und LoLa-Experten Jan Gympel.
Der Film entsteht am Schneidetisch, als Slogan für Lothar Lamberts Filmpraxis war bereits im Februar mit Die Magie der Schnitte in NIGHT OUT @ BERLIN besprochen worden.[1] In Die Liebeswüste spielt der Schneidetisch gewissermaßen die Hauptrolle. Vor allem Lambert, Beiersdorf und Heins werden dabei gefilmt, wie sie die Filmreste sichten und kommentieren. Der Film in einem Handlungsstrang ist verloren. Es geht darum, zu sichten, was sich retten lässt. Damit wird unter der Hand zugleich das vorhandene Filmmaterial stärker in den Vordergrund geschoben. War das stringente Erzählen einer Filmhandlung überhaupt noch möglich? Ging es beim Underground und Mumblecore nicht genau darum, dass nicht mehr mit der Einfalt u.a. der Fernseh-Krimiserien Derrick und Der Alte, in denen Dieter Schidor mitwirkte, erzählt werden konnte? 1982 hatte Rainer Werner Fassbinder Jean Genets tagebuchartigen Roman Querelle de Brest verfilmt.
Die Erzählung im Medium Film war und ist bis heute an gesellschaftliche Narrative geknüpft. Im Kino oder Fernsehprogramm, heute auch Streamingdienst, wird erzählt, was sich an Narrative andocken lässt. Während in den Literatur- und Medienwissenschaften das Erzählen in den 80er Jahren thematisiert und dekonstruiert wird, entsteht also ein Lothar-Lambert-Film der nur noch Erzählelemente von der Suche nach Liebe aufblitzen lässt. Dazu trägt 1986 nicht zuletzt die erste Welle der AIDS-Epidemie in West-Berlin bei, die die Lebensentwürfe und Lebensversicherungen von Männern bombardierte. Plötzlich werden die Schwulen nicht mehr alt, sondern sterben wie Dieter Schidor ein Jahr später jung mit 39. Bei Lothar Lambert durfte der bekannte Schauspieler seine Sehnsüchte und Todesängste ausagieren. Dabei ging er entschieden weiter als auf dem Still. Eine Penetration mit einem Baumstamm wird blutig dargestellt.
Erhalten geblieben sind trotz des Filmwerkkopierfehlers Szenen mit Ulrike S. als stumme Frau, die unter ihrem Trenchcoat nackt durch Berlin irrt. Sie verkörpert die klassische Figur der Närrin. – Das Kinomuseum von Schoppi widmet sich auch den Filmkopierwerke(n). – Die Närr*innen der Moderne sitzen indessen nicht mehr an der Seite eines Herrschers, sondern werden in den 80er Jahren in der Psychiatrie weggeschlossen. Ob Lothar Lambert und Dagmar Beiersdorf Gilles Deleuze und Felix Guattaris Buch Mille Plateaux – Capitalisme et Schozophrénie [2] von 1980 gelesen hatten oder die Kapitalismus- und Psychiatriekritik nur vom Hörensagen in die Berliner Szene geschwappt war, lässt sich kaum verifizieren. Immerhin lag für den promovierten Juristen Schidor und den Star Ingrid Caven Paris um die Ecke. Seit Ende der 70er Jahre feierte sie als Chansonsängerin und Diva u.a. im Olympia in einem von Yves Saint-Laurent entworfenen schwarzen Samtkleid Erfolge und war die Witwe von Rainer Werner Fassbinder.
Die Figur der Närrin als aus der Psychiatrie entwichene stumme Frau spielt Ulrike S. brillant und überaus mutig. Am Schluss steht sie vor dem Tor einer Berliner Psychiatrie des Deutschen Roten Kreuzes. Der Befreiungsversuch in die Welt endet, so schlägt es der Schnitt syntagmatisch vor, in der Freiheit der geschlossenen Abteilung. Gut könnte der Film-Rest heute in einem großen Arthouse-Film mit Kristen Stewart etc. umgesetzt werden. Doch dann würde die Katastrophe der Einsamkeit und Liebe unter aufwendigen Kostümen und Bühnenbildern verschüttet werden. In der Eröffnungssequenz steigt die Närrin mit einem alten Fotoalbum unter dem Arm über eine Mauer und Müllkästen. Das Fotoalbum, das sie in allen Szenen mit sich führt, ließe sich in einige Richtungen kontextualisieren. Doch die Nacktheit der Frau unter dem Trenchcoat, wie er sonst vom klassischen Exhibitionisten genutzt wird, gibt sowohl einen Wink auf ihre Schutzlosigkeit wie ihre Existenz am Rande der Gesellschaft, wenn sie gleich zu Anfang mit einer „Dame“ im Pelzmantel kontrastiert wird.
Lothar Lambert nutzt in Die Liebeswüste den Schneidetisch als gesellschaftlichen Echoraum für den Blick auf die Figur der Närrin und die verzweifelte Suche nach körperlicher Liebe als Erfüllung des Begehrens. In den Mienen und Kommentaren von Dagmar Beiersdorf und Albert Heins werden die vorherrschenden gesellschaftlichen Reaktionen gespiegelt. Wiederholt muss sich Lothar Lambert für Szenen rechtfertigen, warum sie so im Film vorkommen müssen. Das ist eben auch hochkomisch und ironisch, weil die Protagonisten sehr wohl wissen, welch stereotype Narrative sie kolportieren. In der vermeintlichen Liebesszene zwischen Abbas Kepekli und Doreen Heins schaut sie eher gelangweilt direkt in die Kamera, während sich der junge Türke mehr oder weniger lustvoll zum Orgasmus abmüht. Auf diese Weise wird das Genre der Liebes- und Sexszene als Höhepunkt der Zweisamkeit im Kino entstellt. Lambert hatte immer das Glück, dass sich seine Darsteller*innen mutig auf die Szenen einließen. Dagmar Beiersdorf und Albert Heins lieferten treffend die Erwartungshaltungen an das Kino in ihren Kommentaren und Mienen. Das zeigt man doch nicht im Kino! Genau! Mehr noch als durch die Szenen selbst werden auf diese Weise die Konventionen des Kinos und der Narrative offengelegt und fragwürdig.
Das Komische in den Filmen von Lothar Lambert ist keinesfalls lustig. Es ist in dem Maße wie es aus der glokalen[3], globalen wie lokalen Szene West-Berlins in den 80er Jahren entspringt, zugleich unheimlich. Es bedroht die vorherrschende Ordnung, die zumindest als eine genetisch deutsche imaginiert wurde. Die Mitwirkenden türkischer Herkunft lassen sich auf gesellschaftlichen Reibungen ein. Eine Debatte über den nationalistischen, sexistischen und rassistischen Wolfsgruß mit großem türkischem Engagement war undenkbar, obwohl 1984 die Anwältin Seyran Ateş während eines juristischen Beratungsgesprächs mit ihrer Klientin lebensgefährlich verletzt wurde. Der mordende türkische Mann war Mitglied der Grauen Wölfe und Auftragskiller für Ehrenmorde. Die bereits erwähnten Namen und der weiteren Darsteller*innen – Jessica Lanée, Hans Marquardt, Friederike Menche, Stefan Menche, Dorothea Moritz, Semra Uysallar – geben einen Wink auf die vielfältige Herkunft. Einerseits wird der Liebesakt als komisch dargestellt, andererseits wird das ostentative Nicht-Mitmachen oder Machenlassen unheimlich. Liebemachen hat nicht zuletzt mit dem Mitmachen als Modus der Spiegelung zu tun. Die Spiegelung wird verwehrt oder wie Slavoj Žižek es einmal für das Kino formuliert hat: Es muss gezeigt werden, was wir begehren sollen.
Die Liebeswüste und Verbieten Verboten sind kleine Meisterwerke des Kinos, die aus der Situation heraus das Medium und gesellschaftliche Narrative sezieren. Fucking City (1981) in der wiedergesehenen Fassung von Verdammt noch mal Berlin – Fucking City revisited (2016/2017), wie er im Zoo Palast gezeigt wurde, zitiert ebenfalls Szenen aus den beiden Filmen. In Fucking City (1981) hatte Lothar Lambert bereits seine Kritik am Kino filmisch formuliert. In Verbieten Verboten mit dem Epilog „Die Peep Show ist tot, es lebe die Peep Show!“ stehen ein Mann (Dieter Schidor) und eine Frau (Ingrid Caven) vor dem Eingang zum Theater des Westens, ein weiterer sitzt auf den Stufen (Klaus Marner). Sie blicken auf die andere Seite der Kantstraße, wo der Nachkriegsflachblau mit der Peep Show von Baggern abgerissen wird. Die Stadt soll zum 750-Jahr-Jubiläum „sauberer“ werden. Es entspinnt sich ein Dialog über Peep Show und Subventionen. Schidor sagt zur Caven, die auf einem Theaterplakat im Schaukasten zu sehen ist, dass sie wegen der „dummen 750-Jahrfeier“ abgerissen werde, während das Theater „mit Millionensubventionen“ werde, indem „du als Superstarnutte umjubelt wirst“.
Schärfer ließ sich 1987 keine Kritik an Städtebau und Subventionen, Sexpraktiken und Gesundheitspolitik formulieren. Das improvisierte Gespräch zwischen Schidor und Caven konnte kaum paradoxer enden als mit einer Schachtel Tabletten, die er aus einer Plastiktüte zog: „Die brauch ich als Sicherheit für die Verzweiflung.“ In der letzten Einstellung steht Schidor die Plastiktüte in einer Showgeste schwenkend im Eingang der Peep Show. Der Fatalismus des angekündigten Suizids ließ sich kaum divenhafter inszenieren. Wenige Tage später nahm er die Tabletten aus Angst vor seiner AIDS-Erkrankung. Lothar Lambert hatte Dieter Schidor den großen, letzten Auftritt bereitet. Für das Publikum, sofern es nicht aus queeren Menschen bestand, dürfte Verbieten Verboten etliche Grenzen überschritten haben. Zugleich werden von Ingrid Caven der Ruhm als Superstar und das Begehren kommentiert. Allein schon deshalb, weil sie im legendären Theater des Westens auf der Bühne stand. Lothar Lambert ist wegen seiner im Gespräch schlagfertigen Bescheidenheit vom Ruhm nicht verwöhnt worden, aber einer der größten Regisseure in der Geschichte des Queer Movie. Zum Ruhm in der Literatur hat schon der Schriftsteller Friedrich Kröhnke 2015 in seiner Erzählung Diebsgeschichte beigetragen:
„In losen Variationen sitzen gelegentlich weitere Herrschaften dabei, unter ihnen der Filmregisseur Lothar Lambert, in dessen Filmen Frau Gropp gespielt hat, ferner eine Richterin aus Luxemburg, die ihre Urlaube in Berlin verbringt…“[4]
Happy Birthday, Lothar!
Torsten Flüh
Die Liebeswüste (1986)
Verbieten Verboten (1987)
So. 11. August 2024 15:30 Uhr
Bundesplatz-Kino
Begegnung mit Lothar Lambert
Überraschungsprogramm
Sa. 3. August 2024, 15:30 Uhr
Sa. 17. August 2024, 15:30 Uhr
Sa. 31. August 2024, 15:30 Uhr
Das kleine Kinomuseum
Schönleinstraße 33
LoLa DaBei
Ein Sommer mit queerem West-Berliner Undergroundkino
Programm bis 1. September 2024
[1] Torsten Flüh: Die Magie der Schnitte. Zu Lothar Lamberts Schnitt des Films Stellenweise superscharf im Klick-Kino. In: NIGHT OUT @ BERLIN 11. Februar 2024.
[2] Gilles Deleuze, Félix Guattari: Mille Plateaux – Capitalisme et Schizophrénie. Paris: Minuit, 1980. Deutsch: Gilles Deleuze, Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin, Merve, 1992, S 12.
[3] Zum Glokalismus siehe: Torsten Flüh: Vom Vorteil des Schlafens auf der Nilinsel Elephantine. Zur begeisternden Ausstellung Elephantine. Insel der Jahrtausende in der James Simon Galerie. In: NIGHT OUT @ BERLIN 17. Juli 2024.
[4] Friedrich Kröhnke: Diebsgeschichte. Salzburg – Wien – Berlin: müry salzmann, 2015, S. 19.
Ein Kommentar