Homosexuelle – Iran – Verleugnung
Und sie existieren doch!
The Ballery zeigt There are no homosexuals in Iran von Laurence Rasti
Im Iran werden Homosexuelle verleugnet. Der ehemalige Präsident der Islamischen Republik Iran Mahmud Ahmadinedschād wurde mit klaren Behauptungen berühmt und berücksichtigt. Am 24. September 2007 hielt er eine Rede an der New Yorker Columbia University, in der er behauptete: „In Iran, we do not have homosexuals like in your country.“ Laut Rick Noack in der Washington Post fragte am 10. Juni 2019 der Bild-Journalist Paul Ronzheimer auf der Pressekonferenz des deutschen und des iranischen Außenministers in Teheran: „Why are homosexuals executed in Iran because of their sexual orientation?“ Mohammad Javad Zarif, der Außenminister der Islamischen Republik Iran stritt die Exekution von Schwulen nicht ab, sondern argumentierte mit dem Respekt vor „moralischen Prinzipien“.[1]
Hätte es noch eines Grundes zur Flucht bedurft, ist den Homosexuellen im Iran nun offiziell bestätigt worden, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. Es gibt allerdings kein gemeinsames Kommuniqué von der Pressekonferenz, in der die mündliche Einlassung niedergeschrieben wäre. Es gibt auch kein Video von der Pressekonferenz, in der Frage und Antwort dokumentiert wären. Es gibt nur die Zeugenschaft des Journalisten, der den Vorfall in der Washington Post berichten durfte. Und man darf davon ausgehen, dass auch er, wie er von Paul Ronzheimer berichtet, schwul ist. Laurence Rasti hat bereits vor fast 6 Jahren ihr Foto-Buch-Projekt There are no homosexuals in Iran begonnen. Sie traf und interviewte dafür Homosexuelle, die nach Denizil zwischen Izmir und Antalya geflohen sind.
Die homosexuellen Flüchtenden sind illegal und existieren eben doch. Laurence haben sie gar ihre Geschichten erzählt und sich fotografieren lassen. Als Homosexuelle und Flüchtlinge in der Türkei sind sie selbstverständlich nicht willkommen. Die türkische Polizei ging in Istanbul auch in diesem Jahr wieder mit Tränengas und Wasserwerfern gegen eigene, türkische Lesben und Schwule vor, die am 30. Juni gegen ein Verbot der Stadt wegen der „Volksgesundheit“ friedlich protestierten.[2] Doch allein, dass in Istanbul, Izmir und Antalya Genehmigungen für eine Gay Pride Parade gestellt und verboten wurden, stellt eine gewisse Bestätigung der Existenz von stolzen Lesben und Schwulen in mehreren türkischen Städten dar. 2010 hatte Barbara Ehnes mit Istanbul Transgelinler am HAU auf das Schicksal von Transmenschen in Istanbul aufmerksam gemacht.
Simon Williams zeigt bis zum 27. Juli, dem Tag der CSD-Parade in Berlin, Laurence Rastis besondere Porträt-Fotografien. Das Besondere sind die Inszenierungen des Versteckens. Als Illegale dürfen die aus dem Iran Geflüchteten nicht erkannt werden. Sie müssen ihr Gesicht verbergen. Einige wenige der Portraitierten zeigen ihr Gesicht offen und stolz. Doch die meisten versteckt Laurence Rasti hinter hohem Gras auf einer Wiese, hinter bunten Luftballons, hinter Büschen und Ziergräsern vor einer Moschee im Hintergrund, hinter Blütenarrangements als Paar. Das Verstecken wird als stolze Praxis der Existenz inszeniert und dokumentiert. Das Verstecken ist kein heimliches.
Die Lesben und Schwulen aus dem Iran sind geflohen, weil ihnen nicht nur eine mehr oder weniger willkürlich verhängte Todesstrafe droht. Vielmehr droht ihnen auch eine Geschlechtsoperation als Praxis der gesellschaftlichen Normalisierung. Im Iran sollen mehr Geschlechtsoperationen als in Thailand ausgeführt werden, weil die Homosexualität damit allein auf die Genitalien ausgerichtet werden kann. Die geschlechtliche Transformation wird so auf paradoxe Weise zur Heilung der Homosexualität eingesetzt. In Anknüpfung an Bourdieu müsste man formulieren, dass die Homosexualität von Lesben und Schwulen in der Islamischen Republik Iran besonders stark verbreitet sein muss, weil die Gesundheitsbehörden den größten Aufwand betreiben, um das Regime einer binären Geschlechtlichkeit aufrecht zu erhalten.
Natürlich sind nicht die Lesben und Schwulen das Problem, sondern der zwanghafte Binarismus der Sexualität. Das Geschlecht muss korrigiert werden, wenn es nicht die ihm zugeschriebene Funktion erfüllt, damit die Geschlechterrollen stabil gehalten werden. Derart artikuliert sich die Verleugnung der weiblichen wie männlichen Homosexuellen durch Ahmadinedschād ebenso wie die Bestätigung der Todesstrafe durch Zarif. Die Binarität des Geschlechts lässt nur ein Entweder-Oder zu. Ein Dazwischen oder ein Sowohl-als-auch darf es nach den Wächtern des Geschlechts nicht geben, weil es das reine Geschlecht der Wächter angreifen würde. Die zwanghafte Binarität des Entweder-Oder beschreibt zugleich den Entscheidungsmodus der Algorithmen. Verleugnet wird ein Drittes oder Anderes, das nicht zugeordnet werden kann oder sich nicht zuordnen lassen will. Insofern stellt das staatliche Ordnungsprinzip der Islamischen Republik Iran nicht eine kulturelle und/oder religiöse Eigenart dar, sondern formuliert einen enorm vereinfachten Algorithmus.
Die Struktur der Formulierung Ahmadinedschāds entspricht jener der Verleugnung. Laurence Rasti paraphrasiert sie ironisch als Titel für ihr Foto-Buch-Projekt. Der Begriff der Verleugnung wurde von Sigmund Freud erstmals in dem Aufsatz Fetischismus für den Almanach der Psychoanalyse 1928, veröffentlicht 1927, formuliert. „Will man in ihm (dem Wort Verdrängung, T.F.) das Schicksal der Vorstellung von dem des Affekts schärfer trennen, den Ausdruck »Verdrängung« für den Affekt reservieren, so wäre für das Schicksal der Vorstellung »Verleugnung« die richtige deutsche Bezeichnung.“[3] Im Fetischismus-Aufsatz beschreibt Freud bekanntlich eine paradoxe Figur des Ersetzens. „… unsere Situation zeigt …, daß die Wahrnehmung geblieben ist und daß eine sehr energische Aktion unternommen wurde, ihre Verleugnung aufrechtzuhalten.“ Verleugnet wird, dass das Weib keinen Penis hat.
Mit „we do not have“ und “there are no” könnten auch die Struktur der Verneinung beschrieben werden. Doch die Besonderheit der Verleugnung liegt darin, dass das Kind „den Glauben an den Phallus des Weibes“ „bewahrt, aber auch aufgegeben“ hat.[4] Der fehlende Penis wird zwar als Leere wahrgenommen, aber er wird durch einen Fetisch, auf den der Glaube an den Phallus übertragen wird, ersetzt. Der Fetisch kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Bei der Verneinung geht es nach Freud um „das unbewußte Verdrängte“[5], das eine Nicht-Identität z. B. mit der Formulierung „die Mutter ist es nicht“ behauptet. Doch diese Struktur korreliert nicht mit „we do not have“. Verleugnet wird die Existenz von Homosexuellen, während Ahmadinedschād sehr wohl weiß, dass potentielle Homosexuelle zur Geschlechtsoperation gezwungen werden.
Beim Phallus geht es bekanntlich nicht um den Penis, sondern um die Macht, die dem Penis zugeschrieben wird. Freud benutzt Penis und Phallus nicht synonym. Doch wenn die Macht auch ohne Penis erhalten bleiben kann, dann sichert er nicht allein die Macht ab. Und darin gibt sich das eigentliche Problem in der Islamischen Republik Iran zu erkennen. Durch die besonders starke Bindung der Knaben an die Mutter, durch die immense Belohnung für die Geburt eines Sohnes wird der Frau als Mutter alle Macht über das Geschlecht zugeschrieben. Der Fetisch schützt nach Freud vor der Homosexualität. Anders formuliert: Ahmadinedschād muss den weiblichen Körper fetischisieren, damit er nicht homosexuell wird. Er wird zutiefst von der Homosexualität affiziert, weshalb er das binäre Geschlecht um jeden Preis aufrechterhalten und recht eigentlich erst verschleiert herstellen muss. Denn die Funktion des Schleiers als Kopftuch liegt nach Lacan darin, das Begehren nach dem geschlechtlichen Bild anzustacheln.
Die Wächter- und Männerherrschaft im außerordentlich diversen Islam muss aufrecht erhalten bleiben. Deshalb erregte die Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin durch die Kopftuchkritikerin, Anwältin und Imamin Seyran Ateş 2017 aller größte Kritik der Männerwelt der Imame und Revolutionswächter. Seyran Ateş wollte, wie sie 2018 in ihrer Martin-Luther-King-Lecture in St. Marien sagte, schon als Mädchen Fußballspielen. Aber sie durfte es nicht. Es wurde ihr aufs schärfste verboten. Aber sie hatte einen Traum. Und natürlich war dieser Traum für die instabile Männlichkeit vieler islamischer Männer eine höchste Bedrohung. Dass die Imamin Seyran Ateş seither unter Polizeischutz leben muss, bestätigt letztlich die händeringende Funktion der Verleugnung.
Wie sehen die Homosexuellen aus dem Iran bei Laurence Rasti aus? Sie drehen sich weg oder sie verschwinden in einer Landschaft, bis Unregelmäßigkeiten einen oder zwei Körper erahnen lassen. Sie existieren in einem strategischen Versteck, das zugleich ihre Existenz bezeugt. Die Geschichten, die Laurence Rasti als Interviews aufgeschrieben und im Buch veröffentlicht hat, sind individuell, durch Bedrohung und Flucht auch einzigartig und bedrückend. Doch die Flucht wendet sich einer besseren Zukunft zu. Deshalb sind die Fotos vor allem voller Hoffnung, Zuversicht und einer gewonnenen Freiheit.
Torsten Flüh
Laurence Rasti
There are no homosexuals in Iran.
bis 27. Juli 2019
@The Ballery
Nollendorfstraße 12
10777 Berlin
Mittwoch – Samstag 13:00 – 19:00 Uhr
Sonntag – Dienstag nach Vereinbarung
[1] Rick Noack: With the help of his boyfriend, a German reporter asked Iran’s foreign minister why the country executes people for being gay. In: Washington Post June 12 2019.
[2] Siehe Tagesschau vom 30. Juni 2019, 19:59 Uhr.
[3] Sigmund Freud: Almanach der Psychoanalyse 1928, Wien 1927, S. 17-24. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 311-7.
[4] Ebenda.
[5] Sigmund Freud: Imago, Bd. 11 (3), 1925, S. 217-21. — Gesammelte Werke, Bd. 14, S. 11-5.