Altes Museum – Antike – Wilhelm von Humboldt
Original und Antike
Zur Sonderausstellung Grundstein Antike – Berlins erstes Museum im Alten Museum
Vor 200 Jahren wurde von Friedrich Wilhelm III. der Grundstein zum Alten Museum gelegt, das mit seiner Eröffnung 1830 zu einem gänzlich neuartigen Museum mit der Berliner Antikensammlung werden sollte. Am 9. Juli 1825 sollte wirklich werden, was der König „am 12ten Januar 1824 im 27ten Jahre Seiner Regierung“ befohlen hatte, „den Bau eines Museums, um die von Ihm und Seinen Königlichen Vorfahren gesammelten Werke der Kunst in lehrreicher Aufstellung zu vereinigen“. Die handschriftliche Cabinets Order ist in der kleinen, aber feinen Sonderausstellung Grundstein Antike – Berlins erstes Museum am Ende des Rundgangs durch das Alte Museum im 1. Stock im Original zu sehen.

Angelika Walther hat die mit einigen Preziosen ausgestattete Ausstellung als Auftakt zum 200jährigen Jubiläum der Museumsinsel ganz auf den Museumsbau von Karl Friedrich Schinkel – „Schinkels Geniestreich“ – abgestimmt. Sie erwähnt auch Wilhelm von Humboldt als Leiter der „Commission des Museums“, zu dem ihn Friedrich Wilhelm III. am 8. Mai 1829 ernannt hatte. Humboldt sollte bestimmen, welche „gesammelten Werke“ in dem für damalige Verhältnisse sehr großen Museumsbau gezeigt werden sollten. Darüber hinaus hatte er den Begriff Bildung nicht zuletzt mit der Gründung der Berliner Universität 1810 für Preußen neu formuliert. Humboldt und Schinkel waren miteinander vertraut. Bereits am 2. Dezember 1803 hatte er als preußischer Gesandter am Hof des Papstes in Rom Schinkel und einen Herrn Steinmayer „freundschaftlich“ zum Mittagessen eingeladen.[1] Die Architekturschüler Karl Friedrich Schinkel und Johann Gottfried Steinmeyer befanden sich auf einer fast zweijährigen Italienreise.

Die Cabinets Order vom 12. Januar 1824 ist bedenkenswert, weil Friedrich Wilhelm III. den Begriff Bildung neben einer „lehrreichen Aufstellung“ in seinem Gründungschreiben verwendet. Die Debatten um die Bildung nach 1806, als Napoleon in Berlin und Preußen die Herrschaft übernommen hatte, werden von Wilhelm von Humboldt ab 1808 als Leiter der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ entscheidend geprägt. Sein Bildungsbegriff wird nach wie vor wissenschaftlich diskutiert. 2023 veröffentlichte Dietrich Benner Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang moderner Anthropologie, Gesellschaftstheorie und Bildungsreform.[2] Das neuartige Museum sollte mit der in der Nähe gelegenen Berliner Universität sozusagen als Flaggschiff zur Bildung des Volkes beitragen. Der König formulierte insofern seinen Befehl zum Museumsbau aus den Berliner Debatten um Bildung:
„Er gründete hierdurch ein neues Denkmal der Freigebigkeit, mit welcher Er die Bildung Seines Volkes förderte und Künste und Wissenschaften schützte. Heil Ihm und Seinem Königsstamme!“[3]

An der Sammlung insbesondere von griechischen und römischen Antiken wird das neuformulierte Verhältnis von Dynastie, Bildung, Künste und Wissenschaften deutlich. Das Museum wird noch vor Schinkels Plan zur Schnittstelle einer Volksbildung. Der König versteht sich als verantwortlich für die Bildung seines Volkes. Die räumliche Nähe Unter den Linden von Schloss, Universität und Museum ist nicht zufällig. Vielmehr wird an einem prototypischen, staatlichen Bildungszentrum gebaut. Es ist nicht nur die architektonisch-räumliche Planung durch Schinkel als „Geniestreich“, sondern ein Debattenraum über Staat und Bildung, der vom König knapp und treffend formuliert wird. Während seine „Königlichen Vorfahren“ wie insbesondere Friedrich II. im 18. Jahrhundert Antiken sammelten zur Legitimation ihrer Herrschaft und einem programmatischen Genuss wie gar Lust, um diese wie beim sogenannten Betenden Knaben in Sanssouci exklusiv auf königlichem Terrain aufzustellen und vor dem Volk verschwinden zu lassen, soll sich das Volk nun daran und möglichst danach bilden.

Rom war um 1803 zum Zentrum für den Antikenhandel und zur Bildungsstätte für Bildhauer und Maler, Künstler geworden. Die Antikendebatte läuft, sozusagen, über Rom, wo Humboldt inmitten der Künstler und Bildungsreisenden mit seiner Frau Caroline zum gesellschaftlichen Mittelpunkt wird. Wir wissen nicht, was Humboldt und Schinkel Anfang Dezember 1803 in der Residenz des preußischen Botschafters am Heiligen Stuhl beim Mittagessen besprochen haben. Doch von Schinkels italienischer Reise sind 4.000 Zeichnungen erhalten.[4] Um die Katholische Kirche und den Papst wird es nur am Rande und institutionell gegangen sein. Zwar müssen die katholischen Landeskinder in Preußen vertreten werden und dabei geht es sicher auch um Bildung in den Schulen und Universitäten, aber Wilhelm und Caroline von Humboldt tauchen vielmehr in einen internationalen Debattenraum um die Antike, Kunst und Bildung ein.[5]

In Rom formuliert Wilhelm von Humboldt 1806 seine Schrift zur „Religion“ der Griechen mit seinem Antiken- oder Alterthumsbegriff.[6] Er geht zunächst praktisch vor, wie er dem „Alterthum“ zum „Genuss“ näherkommt. Man komme ihm näher, indem man zuerst die antike Literatur lese, dann die antike Kunst anschaue, weiterhin die antike Geschichte studiere und schließlich zum Genuss auf „classischem Boden“ lebe. Wilhelm wird mit Caroline das Landhaus in Tegel zum Schloss-Museum zwischen 1820 und 1824 von Schinkel umbauen lassen.[7] Chronologisch wird Tegel mit seiner Antikensammlung zum Vorspiel für den Museumsbau in Berlin. Ebenso geht der Umbau des Schlosses Glienicke durch Schinkel mit zahlreichen antiken Fragmenten und gar einer kleinen, antiken Ruinenlandschaft im Park 1825 dem Museumbau voraus. Schinkel macht Glienicke für den Prinzen Carl von Preußen zu einer römischen Villa.
„Es giebt einen vierfachen Genuss des Alterthums:
in der Lesung der alten Schriftsteller,
in der Anschauung der alten Kunstwerke,
in dem Studium der alten Geschichte,
in dem Leben auf classischem Boden. – Griechenland, Empfindungen tieferer Wehmuth. Rom, höherer Standpunkt, mehr Vollständigkeit der Uebersicht.“[8]

In der Eröffnungssequenz der zu Lebzeiten unveröffentlichten Schrift Latium und Hellas wird sich der Antike nicht über Bildung und Wissen, sondern über den Genuss genähert. Dieser „vierfache() Genuss“ bildet nicht zuletzt das „Individuum“. Im Genießen vergewissert sich das Individuum seiner selbst. Das Genießen gehört seit Mitte des 18. Jahrhunderts zum Wesen der Aufklärung. Für Wilhelm ist es ganz entscheidend, „dass die Beschäftigung mit dem Alterthume die Untersuchung nie zu einem Ende und den Genuss nie zur Sättigung führt“.[9] Die Antike wird so zu einem fortwährenden Gegenstand des Genießens für das Individuum. An ihr kann es sich im Genuss bilden. Bildung und Genuss sind sich in der Handschrift Humboldts ähnlich, insofern „dass Humboldts Formel von der höchsten und proportionierlichsten Bildung aller Kräfte zu einem Ganzen die Arbeit an menschlicher Bildung als eine individuell wie gemeinschaftlich unabschließbare Aufgabe definiert und sich sowohl auf die Entwicklung individueller Bildung und Kompetenzen als auch auf die Gesamtheit der Handlungsfelder und Bereiche der menschlichen Praxis bezieht“.[10]

Das Genießen wird bei Wilhelm von Humboldt zum Dreh- und Angelpunkt von Bildung. Denn sowohl die Praktiken des Lesens wie des Anschauens als auch des Studierens und des „Lebens auf classischem Boden“ setzen bereits eine Bildung als Vorwissen voraus, die sich das Individuum angeeignet hat. Altgriechisch und Latein sind nicht jedem in die Wiege gelegt. Auch wird erst durch die Wiederholung die Anschauung zum Genuss. Im Hintergrund des Museumsbaus spielen sich wie mit Latium und Hellas Debatten ab, die sich erst nachträglich um den Begriff Bildung kristallisieren.
„Dass den Griechen die Religion nicht bloss ein ärmliches Bedürfniss des Aberglaubens war, sondern dass sie ihren ganzen Geist und ihren ganzen Charakter in dieselbe verwebten, dass der Einzelne dazu in sich Bestreben fühlte, und die Staaten Freiheit gewährten, zeigt sich, wenn man sieht, wieviel der Grieche eigentlich in seiner Religion fand.“[11]

Die neuformulierte Religion der Griechen wird von Humboldt auf die Nation und Sprache zentriert, was unter den politischen Bedingungen in Europa und der Vorherrschaft Napoleons nicht nur eine bedenkenswerte Aktualität erhält. Vielmehr wird mit der Religion der Griechen ein Konzept der Nation gegen Napoleon formuliert. Über die Religion und die Sprache schreibt Humboldt ein neuartiges Konzept des Altertums mit den Griechen. Obwohl er die Schrift nicht veröffentlicht, lassen sich Spuren in Gesprächen und späteren Schriften denken. Friedrich Wilhelm III. nennt nur „Bildung Seines Volkes“ in seinem Befehl zum Museumsbau. Doch unterschwellig oder mehrdeutig geht es um ein Museum zur Bildung der Nation über die Antike und zuvörderst über die Griechen. Die Antike im Museum erhält eine neue Funktion.
„Die meisten das Leben einer Nation begleitenden Umstände, der Wohnort, das Klima, die Religion, die Staatsverfassung, die Sitten und Gebräuche, lassen sich gewissermassen von ihr trennen, es kann, selbst bei reger Wechselwirkung noch, was sie an Bildung gaben und empfingen, gewissermassen abgesondert werden. Allein einer ist von durchaus verschiedener Natur, ist der Odem, die Seele der Nation selbst, erscheint überall in gleichem Schritte mit ihr, und führt, man mag ihn als wirkend oder gewirkt ansehen, die Untersuchung nur in einem beständigen Kreise herum – die Sprache.“[12]

Was Friedrich Wilhelm III. dynastisch knapp formuliert, dient 1824 der Nationenbildung. In der Sonderausstellung Grundstein Antike formuliert Angelika Walther zu den „Anfänge(n) der Antikensammlung“ nicht zuletzt mit Napoleons Plünderung der Antikensammlung als „Kriegsbeute“ 1806 eine neuartige Verkopplung von Antiken und Kunst überhaupt mit der Nation. Napoleon lässt nicht nur die Quadriga vom Brandenburger Tor abmontieren und zerlegen, um sie als Trophäe nach Paris zu bringen.[13] Er lässt auch die Antikensammlung inklusive Betendem Knaben nach Paris in den Louvre bringen, um damit die Identität der preußischen Dynastie und Nation in der französisch-napoleonischen aufgehen zu lassen. Man könnte auch von moderner Raubkunst sprechen. Ab Juli 1814, nachdem Napoleon 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen worden war und die Preußen am 30. März 1814 ihn in Paris besiegt hatten, wurden nach Walther die Berliner Museumspläne unter gewissermaßen veränderten Vorzeichen erneut aufgegriffen. Die mythologische Rückführung der Berliner Kunstwerke wie Quadriga und Antiken wird zu einer nationalen Angelegenheit.

Das neue Museum stellte Wilhelm von Humboldt als Kommissionsleiter schlechthin vor das Problem seiner Größe. Nach Walther waren bei der Eröffnung des Museums 1830 nur drei Säle im Hauptgeschoss fertig eingerichtet, obwohl der Nachfolger Humboldts als Botschafter in Rom, Christian Karl Josias von Bunsen, weitere Antiken angekauft hatte. Die Übergröße des Museums mit ihrer beeindruckenden Rotunde als Vorraum zur Einstimmung auf die Sammlung wurde mit der Balustrade eine Art gesellschaftlicher Genussraum. Nach den Plänen Schinkels sollte die Rotunde als ein öffentlicher Raum zum Schauen und Gesehenwerden genutzt werden. Der mit dem Namen „Zeus“ in der Rotunde aufgestellte 202 Zentimeter hohe „Juppiter“ (Asklepios im Typus Campana) wurde 1826 anscheinend von Bunsen in Rom für das im Bau befindliche Museum erworben. Ein Original? Nach der Objektbeschreibung handelt es sich bei der „Statue (…) ursprünglich (um) den bärtigen Asklepios (…); „modern (um 1800) ergänzt als Juppiter“.[14]

Die Originalität der antiken Statue mit dem Namen „ZEUS“ auf dem Ausstellungspodest ist nach der Objektbeschreibung durchaus schwankend. Etwas besser sieht es mit der Originalität des „SATYR“ in der Rotunde aus, bei dem es sich immerhin um eine römische „Kopie des 2. Jhs.n.Chr. nach einer griechischen Satyrfigur der Zeit um 340-330 v.Chr. (mit modernen Ergänzungen)“ handelt. „Der angelehnte Satyr des griechischen Bildhauers Praxiteles gehörte in der römischen Kaiserzeit zu den beliebtesten und am häufigsten kopierten griechischen Kunstwerken.“[15] Wann der SATYR erworben wurde und nach Berlin gelangte, ist nicht geklärt. Zu den zentralen Objekten des Museums gehört das Original der „Bronzestatue eines jungen Mannes (sog. Betender Knabe)“, das schon in der Renaissance gefunden durch mehrere Sammlungen wanderte und 1747 von Friedrich II. erworben wurde. „Ihre Arme sind phantasievoll ergänzt und geben der Statue den Namen. Stilistisch wird sie dem Umfeld des Bildhauers Lysipp von Sikyon zugeordnet. Seit 1830 an dieser Stelle, ist sie das Signet der Antikensammlung“[16], heißt es in der Objektbeschreibung.

Die Bronzestatue eines jungen Mannes, die seit der Eröffnung des Museums mit der Nummer „SK 2“ als „Signet der Antikensammlung“ gilt, lässt am entschiedensten über den neuartigen Begriff Original nachdenken. Humboldt hatte gefordert, dass im Museum anders als in Tegel nur Originale stehen sollten. Das Markenzeichen der Antikensammlung allerdings wurde schon früh nach seinem Auffinden „phantasievoll ergänzt“. Ohne Arme wäre die Bronzestatue nur halb so schön. Schon 1503 wird in Venedig erwähnt, dass sie in Rhodos ausgegraben wurde. Berühmtheit erlangte die Bronzestatue nicht zuletzt, weil sie von berühmten Sammlern wie Nicolas Fouquet, Finanzminister Louis XIV., für sein Château de Vaux-le-Vincomte erworben wurde.[17] Was wann genau ergänzt wurde ist Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Geht es mehr um ein Antiken-Ideal der Renaissance oder um eine Statue der Hellenistischen Zeit?

Wilhelm von Humboldt hatte in Rom den Bruder der Königin Luise, Erbprinz Georg von Mecklenburg-Strelitz, in einem Brief vom 31. Mai 1806 hinsichtlich einiger Kopien beraten. Obwohl er sich dem Erbprinz persönlich verbunden fühlt, wird der Brief zu einem Exempel zeitgenössischer Kalkulation von Kauf und Transport nach Berlin. Originale sind eine Frage der verfügbaren Mittel.
„… Nach diesem Plane käme dann, um nur sehr große uns sehr berühmte Sachen zu nennen, von dem, was Rehberg nicht hat, von hier der Farnesische Hercules, der Barberinische Faun, die Giustinianische Pallas, u.s.w. und von Florenz die Niobe die Mutter, der Apollin, die Ringer, der Hermaphrodit, der Schleifer u.s.f. hinzu. Von den übrigen Statuen der Familie der Niobe will Rehberg bloß noch einige schöne Köpfe nehmen; die ganzen Figuren sind, sagt er, theils zu theuer, theils nicht merkwürdig genug. Ich habe zwar Erinnerungen dagegen gemacht. Allein da er Künstler ist, und Ew. Durchlaucht ihm ausdrücklich die Auswahl überlassen, so habe ich mich in dieses détail nicht mischen mögen. Auch ist dies ja nur ein erster Vorschlag, in dem noch alles geändert werden kann. Von den Colossen kommen die Köpfe. Der eine ganze, der allein hier zu haben ist, würde bis Berlin wenigstens auf 1500 rth. zu stehen kommen.“[18]

Angelika Walther zeigt in der Ausstellung erstmals wieder Fälschungen, die nach Eröffnung des Museums sehr bald erkannt wurden, „in den Depots verschwanden und seither nie wieder öffentlich ausgestellt wurden“.[19] Denn im 17. und 18. Jahrhundert hatte sich in Rom eine „auf Hochtouren laufende Produktion von Kopien berühmter Skulpturen in allen Formaten“ herausgebildet. Der Besitz von Antiken – und was man dafür hielt – führte zu einem Wettbewerb unter den genusssüchtigen Sammlern, der die Sammlungen auch beschädigen konnte. Das Original wird nicht zuletzt als Wissensfrage deutlich. Das Wissen Friedrich II. war ein anderes, als das, welches 1829 und danach zum Zuge kommen sollte. Wer nicht genug von der Antike weiß, wird vom Markt getäuscht. Schon 1796 hatte Napoleon von seinem Feldzug in Italien reichlich Antiken nach Paris bringen lassen. Humboldt erwähnt in seinem Brief an Erbprinz Georg die griechische Muse der Tragödie Melpomene, die sich noch immer in Paris befindet. Wahrscheinlich müsste man noch einmal genauer nachforschen, welches Antikenbild Napoleon mit seinen Beutestücken verband.

An dieser Stelle kann zumindest formuliert werden, dass die Antikensammlung und der Museumsbau einer Bildung diente, die von Politik durchdrungen war. Stefan Willer hat darauf aufmerksam gemacht, dass das seit 1793 als öffentliches Museum zugänglich gemachte Palais du Louvre „zum universalen Kulturort mit enzyklopädischem Anspruch“ gemacht wurde. Das Museum sollte „planmäßig mit Artefakten aus anderen Ländern bestückt“ werden.[20] „Die dahinterstehende Ideologie, insbesondere in ihrer republikanischen Variante, beruhte auf dem folgenden Syllogismus: Das revolutionäre Frankreich verstand sich als Vaterland der Freiheit, als einziger Staat in Europa; die Kunst galt traditionell ebenfalls als frei; folglich hatte sie ihre einzige angemessene Bleibe in Frankreich.“[21] Zeitlich übernimmt Napoleon die revolutionäre Ideologie, wenn er Italien und Berlin plündert, um das Louvre-Museum zu „bestücken“.

Willer sieht in der Inschrift am Museum zum Lustgarten eine Fortschreibung der Idee einer „National- und Universalkultur“ als „Kontinuum“. „Friedericus Guilelmus III. studio antiquitatis omnigenae et artium liberalium museum constituit“ – „Friedrich Wilhelm III. stiftet dieses Museum dem Studium jeglicher Art von Altertümern und der freien Künste.“[22] Im Kontrast zur Cabinets Order von 1824 wird die Inschrift in der „universalen“ Bildungssprache Latein formuliert. Auf dem Dachrand über der Inschrift sind „18 sich paarweise zuwendende Adler“ aus Sandstein von Friedrich Tieck nach Vorgabe von Friedrich Schinkel aufgestellt.[23] Ein Exemplar ist in der Ausstellung zu sehen. Warum „sich paarweise zuwendende Adler“? Es wird gleichsam ein Spiegelverhältnis der sonst nicht als sonderlich kommunikativen Greifvögel inszeniert. Der Adler ist zugleich der Bote des Göttervaters Zeus (siehe Skulptur in der Rotunde etc.) und seit 1701 das Wappentier des Königreiches Preußen. – Zufall?
Torsten Flüh
Grundstein Antike
Berlins erstes Museum
Altes Museum
bis 3. Mai 2026
[1] Wilhelm von Humboldt an Schinkel in: Wilhelm von Humboldt: Politische Briefe. (Herausgegeben von Wilhelm Richter) 1. Band 1802-1813. Berlin und Leipzig: B. Behrs Verlag, 1935, S. 31-32.
[2] Dietrich Benner: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang moderner Anthropologie, Gesellschaftstheorie und Bildungsreform. Weinheim Basel: Beitz Juventa, 2023.
[3] Zitiert nach Ausstellung.
[4] Staatliche Museen zu Berlin: Karl Friedrich Schinkel: Die italienische Reise 1803-1805.
[5] Schon Mitte März 1803 schreibt Humboldt an seinen Vorgänger Uhden:
„… und meine Lage gefällt mir gut. Wir leben wie Sie es Sich denken können. Die schlimmen Tage zu Hause, die schönen in Gallerien und unter den Ruinen. Mitttwoch und Sonntag Abend sind wir immer zu Hause und haben meist alle deutschen Künstler, und seit einiger Zeit auch mehrere Personen aus der Römischen Gesellschaft bei uns…“
Wilhelm von Humboldt: Politische … [wie Anm. 1] S. 17.
[6] Wilhelm von Humboldt: Latium und Hellas. Entstanden 1806 oder 1807. Erstdruck in: Sechs ungedruckte Aufsätze über das klassische Altertum von Wilhelm von Humboldt, herausgegeben von Albert Leitzmann, Leipzig 1896. Handschrift (58 halbbeschriebene Quartseiten) im Archiv in Tegel. Zitiert nach: Wilhelm von Humboldt: Latium und Hellas. (Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften) Band 3 herausgegeben von Albert Leitzmann. Berlin: B. Behr’s Verlag, 1904. S. 136-170.
[7] Siehe: Torsten Flüh: Eros im Schloss Tegel. Zu einem geheimnisvollen Album in der Kartenabteilung der Staatsbibliothek. In: NIGHT OUT @ BERLIN 17. Juli 2025.
[8] Wilhelm von Humboldt: Latium … [wie Anm. 5] S. 136.
[9] Ebenda.
[10] Dietrich Benner: Wilhelm … [wie Anm. 2] S. 43.
[11] Wilhelm von Humboldt: Latium … [wie Anm. 5] S. 152.
[12] Ebenda S. 166.
[13] Zur Quadriga siehe: Torsten Flüh: Vom vermessenen Augenblick. Zur Ausstellung Johann Gottfried Schadow – Berührende Formen in der Alten Nationalgalerie. In: NIGHT OUT @ BERLIN 17. Februar 2023.
[14] Staatliche Museen zu Berlin: Antikensammlung: „Juppiter“ (Asklepios im Typus Campana) Statue, bekleidet, stehend Mitte 5. Jh.v.Chr. Ident. Nr.: SK 290.
[15] Ebenda: Angelehnter Satyr, Statue, nackt, stehend, 3. Viertel 4. Jh.v.Chr. Ident. Nr.: SK 258.
[16] Ebenda: Bronzestatue eines jungen Mannes (sog, Betender Knabe) Statue, nackt, stehend, Ende 4. Jh.v.Chr.. Ident. Nr.: SK 2.
[17] Siehe: Wikipedia: Berlin Adorant.
[18] Wilhelm von Humboldt: Politische … [wie Anm. 1] S. 54.
[19] Zitiert nach Ausstellungstext: Fälschungen und Kurioses.
[20] Stefan Willer: Kulturelles Erbe. Tradieren und Konservieren in der Moderne. In: Stefan Willer, Sigrid Weigel und Bernhard Jussen (Hrsg.): Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur. Berlin: Suhrkamp, 2013, S. 196.
[21] Ebenda.
[22] Ebenda S. 197.
[23] Zitiert nach Ausstellungstext.

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