Pergamon – Kulturerbe – Schlammblase
Hephaistions Zettel
Zwischengedanken zur Fertigstellung des ersten Bauabschnitts der Grundinstandsetzung des Pergamonmuseums
Die ersten Besucher*innen des instandgesetzten Nordflügels im Museum werden im Frühjahr 2027 opferbereit die 30 Stufen des Pergamonaltars hinaufsteigen müssen, um Hephaistions Zettel im großformatigen – Höhe: 630 cm, Breite: 630 cm, Höhe: 370 cm, Breite: 370 cm – Bodenmosaik als künstlerisches Kleinod zu entdecken. Hephaistion hat mit seiner Gestaltung des Mosaiks eine Botschaft hinterlassen. Es ist eine Art Werbezettel für die Gäste seines wohlhabenden Auftraggebers aus der Zeit zwischen 200-151 vor Christus. ΗΦAIΣTIΩN EΠOIEI steht dort. Eine Zettelecke ist unten rechts – vielleicht von einem Windstoß – von seinem Untergrund abgelöst und übergeknickt. In lateinischen Buchstaben steht dort zu lesen IFAISTION EPOIEI, d.h. Hephaistion hat (dies) gemacht. Das Hephaistion-Mosaik bietet nicht nur den Zettel als visuell dreidimensionales Objekt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Ornamentstreifen mit geometrischen und floralen Mustern.

Das Hephaistion-Mosaik aus Pergamon soll für ein Speisezimmer gestaltet worden sein. Während der kurzen Blüte der Stadt Pergamon und ihres Herrschergeschlechts zwischen 200 und 133 vor Christus strebten die Attaliden mit Attalos I. 241–197; Eumenes II. 197–159; Attalos II. 159–138; Attalos III. 138–133 danach, die Stadt nach Athen zu einem neuen Zentrum der hellenistischer Kultur und Architektur zu machen. Heute heißt sie Bergama und liegt im Nordwesten der Türkei. Die im Pergamonmuseum zu sehenden Relikte aus dem um 1900 vergessenen und fast völlig zerstörten Pergamon sollten den Machtanspruch der Attaliden als hellenistisches Geschlecht im bereits römischen Reich mit Rom als politischem und künstlerischem Zentrum legitimieren. Weil die Attaliden zumindest Geld (gefunden) hatten, konnten sie die besten Bildhauer, Mosaikleger und Mythologen engagieren, um es einmal so zu formulieren.

Aufsehenerregend ist das Hephaistion-Mosaik mit dem Zettel oberhalb des Pergamonaltars schon deshalb, weil es bis zur Schließung und Instandsetzung im hellenistischen Vorraum eingelegt war. Das Mosaik ist also verrückt und restauriert worden. Es erhält mit der Neuordnung des Museums eine höhere Bewertung. Die sogenannte Grundinstandsetzung des Pergamonmuseums ist weit mehr als die Übermalung von ein paar Rissen. Denn als das Pergamonmuseum nach 1900, noch im Kaiserreich geplant und konstruiert wurde, kannten die deutschen Bauingenieure keine Grenzen und fühlten sich im Stande, auf dem unmöglichen Untergrund im Spreetal nicht nur Museen wie schon das Alte Museum[1] auf Holzstämmen im Flusssand bauen zu können. Sie fanden gar eine Lösung für eine große Schlammblase bis in über 30 Meter Tiefe, in die sich keine Holzpfähle rammen ließen. Das von Alfred Messel konzipierte und erst 1930 eröffnete Pergamonmuseum forderte die Bauingenieure heraus.

Der Museumsbau verdankt sich nicht zuletzt der Hybris des deutschen Kaiserreichs. Was heute mit Milliarden-Beträgen teuer gesichert und restauriert werden muss, entstand in Krisen- und Kriegszeiten. Nicht nur der zerstörte Pergamonaltar in seinen Einzelteilen sollte mit einem Mal zur Weltattraktion des Kaiserreichs werden, vielmehr sollte das um ihn herum gebaute Museum über einer riesigen Schlammblase zum Beweis der kaiserlich-deutschen Wissenschaft und Ingenieurkunst werden. Nicht nur zufällig stießen die kaiserlichen Ingenieure beim Bau der Hedschasbahn bis nach Medina und Mekka auf ein vermeintlich byzantinisches Schloss, die Mschatta-Fassade, das konserviert und mit Genehmigung des osmanischen Reiches nach Berlin gebracht wurde, sie transferierten auch die Fähigkeiten im Eisenbahnbrückenbauen mit einer Betondecke über der Schlammblase.

Die unsichtbare Schlammblase des auf Sichtbarkeit angelegten Museums ließe sich zumindest als ein historisches Highlight darstellen, an dem sich nicht nur Antikensammlung mit Brüsten, durchtrainierten Pobacken und Gigantenkämpfen aus fernen Zeiten bestaunen lassen, sondern auch Architektur als Auseinandersetzung mit den natürlichen Gegebenheiten des problematischen Bauortes öffentlichkeitswirksam dokumentieren ließe. Was monumental und für die Ewigkeit gebaut aussieht, wurde auf höchst instabilen Grund gebaut. Es lässt sich denken, dass die Überbrückung der Schlammblase nun nach mehr als 100 Jahren mit aktuellen Messinstrumenten statisch nachjustiert werden musste. Schließlich bestand auch nach der Restaurierung des Museums durch DDR-Ingenieure die Gefahr, dass sich der Boden irgendwann auftun und nicht nur hellenistische Architektur, sondern ganz normale Museumsbesucher*innen in der Schlammblase versinken könnten. Aus statischen Gründen mussten riesige Kapitelle im hellenistischen Raum neben dem Altar verschoben werden.

Das königlich-kaiserliche preußische Kulturerbe des Pergamonmuseums und der ganzen Museumsinsel lässt sich nicht nur wie von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am 4. Dezember 2025 als „Weltstar unter den deutschen Museen“[2] bezeichnen. Es ist zugleich eine generationenübergreifende Aufgabe zur Einordnung der Kultur- und Baugeschichte in Vorder- oder Kleinasien bzw. der islamischen Welt und deren Kunst. Der UNESCO-Weltkulturerbe-Standort Museuminsel erfordert nicht nur touristische „Weltstars“ fürs ultimative Selfie, vielmehr geht es mit der Antikensammlung, dem Museum für Islamische Kunst und dem Vorderasiatischen Museum um die Darstellung von Weltgeschichte in einem globalen Rahmen. Das Pergamonmuseum als jüngstes unter den Bauwerken der Museumsinsel nimmt insofern eine besondere Scharnierstelle ein. Kaiser Wilhelm II. und seine Zeitgenossen dachten und bauten bekanntlich in einem kolonialen und rassistischen Weltmaßstab.[3] Die unsichtbare, aber durchaus reale Schlammblase ist für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung nicht die einzige Baustelle bei der Grundinstandsetzung.

Das Pergamonmuseum mit seinem namengebenden späthellenistischen Altar sollte nach 1900 gegenüber dem Alten Museum aus dem frühen 19. Jahrhundert die Geschichte der Antike neu ordnen. Anders, salopp formuliert: Die Akropolis in Athen ließ sich schlecht im „Spree-Athen“ (Berlin) nachbauen.[4] Aber den zertrümmerten Pergamonaltar als eine Art Erlebniswelt mit antikem Komikstrip als zentrales Ausstellungsstück konnte in Berlin als ein großes Puzzle auf höchst eindrucksvolle Weise zusammengesetzt werden. Deutsche Altertumsforschung und Altertumswissenschaft konstruierten einen begehbaren imposanten Raum, wie ihn kein Mensch je zuvor gesehen hatte. Zwar hatten selbst die Attaliden den Altarbau nicht abschließen können, was am Gesims auffällt, weil die üblichen Löwenköpfe nicht ausgeführt wurden. War der Pergamonaltar eine Bauruine geblieben? Aber die Reste ließen sich ergänzend für das 20. Jahrhundert zum Altar zusammen Der Fries nach dem Mythos der Gigantomachie umschloss auf der Rückseite den Altarsockel und wurde nun – quasi umgestülpt – zur Einschließung des Erlebnisraumes. In den Archiven des Museums lagerten andere umfangreiche Sammlungen. Doch erst nach der Generalinstandsetzung wird ein schlüssiges Konzept der Baugeschichten erstmals präsentiert werden.

Die Berliner Antikensammlung und die bereits beim Bau des Berliner Schlosses bis 1705 vollzogene Anknüpfung an antike Formen, Skulpturen und Mythologien waren Machtpolitik der Herrschenden im Europa der Neuzeit.[5] Als Steigerung des Museumsbaus von Friedrich Karl Schinkel wird durch Alfred Messels visuelle und abstrakte Transformation des Pergamonaltars mit seinen beiden Seitenteilen zum Altertumsmuseum mit zwei Seitenflügeln für das Deutsche und das Vorderasiatische Museum und einem überragenden Mittelteil, auf dem noch die Wiederholung von Schadows Quadriga (Brandenburger Tor) vorgesehen war, zu einer prototypischen Architektur der Macht in Konkurrenz zum British Museum in London. Ludwig Hoffmann hat die Formen nach dem Tod Messels 1909 vereinfacht. Doch die Museumsarchitektur des Pergamonaltars diente nicht zuletzt Albert Speer als Vorbild für die gigantische Haupttribüne auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg.[6]

Auf Alfred Messels Entwurf für das Pergamonmuseum mit dem Kaiser-Friedrich- bzw. Bode-Museum auf der Spreespitze ist die Eisenbahntrasse, heute für S- und Fernbahn, zwischen den beiden Museen gut erkennbar. Museumsbauten und Verkehrsinfrastruktur der Metropole Berlin treffen hier nach 1900 zusammen. Heute gilt die Eisenbahntrasse mit den beiden Brücken über den Spreekanal und die Spree als selbstverständliche Normalität. Teile am Spreekanal sollen gar zum öffentlichen Flussbad Berlin werden. Auf der Spree dagegen herrscht reger Schiffsverkehr vor allem der Ausflugsschiffe und privaten Motorboote. Doch in Messels Entwurf mit der Eisenbahntrasse schimmert seine Technikfaszination hindurch. Denn er war einer der ersten Architekten, die nicht nur repräsentative Museen für das Kaiserreich bauten, vielmehr nutzte er als einer der Ersten Stahlkonstruktionen für den Bau von Geschäfts- und Wohnhäusern ebenso wie für erlebnisweltliche Warenhäuser wie das ikonische Wertheim am Leipziger Platz.

Für die Präsentation des Pergamonaltars war eine gebogene Glaskonstruktion wie für repräsentative Bahnhöfe der Kaiserzeit geplant. Heute ist das riesige Lichtdach über dem Altarraum flach. Wahrscheinlich eine Invention von Ludwig Hoffmann. Und ganz gewiss war das Flachdach mit seinen Milchglasscheiben statisch anspruchsvoller zu bauen als das gebogene. Durch die Grundinstandsetzung ist die Beleuchtungsstärke des Lichtdaches entschieden verbessert worden. Gleichwohl täuscht das Lichtdach eine natürliche Leichtigkeit vor. Denn über dem Dach erhebt sich heute noch ein riesiger, unsichtbarer und ungenutzter Raum, der in seinen Ausmaßen einer Bahnhofshalle gleicht, wie ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung versicherte. In der Architektur des Pergamonmuseums ist, ließe sich sagen, viel zeitgenössischer Bahnhof verbaut worden. – Als Anekdote passt, dass bei der Grundinstandsetzung Bahnschwellen aus Holz als Baumaterial gefunden wurden.

Der Entwurf im Aufschnitt macht es augenfällig, dass sich in der Konstruktion des Pergamonmuseums Kopfbahnhof und Museumsaltar überschneiden. Für den Architekten Alfred Messel ist es typisch, dass er die Eisen- und Stahlkonstruktionen der Bahnhöfe mit Schadows Quadriga als historisches Element kombiniert. Messels historistische Architekturen nutzten die Techniken der Moderne, um die Geschichte auf den Fassaden spielen zu lassen. In der Neugestaltung des Museumbaus durch den zwischenzeitlich verstorbenen Architekten Oswald Matthias Ungers und dessen Fortführung durch Jan Kleihues wird der Kopfbahnhof des 19. Jahrhunderts tendenziell verschwinden. Tatsächlich war in der so weit bekannten Literatur zu den weniger bekannten Architekten Alfred Messel und Ludwig Hoffmann der Kopfbahnhof als Konstruktion für einen modernen Museumsbau weniger beachtet worden. Um es einmal so zu formulieren: Volks-Kaffee- und Speisehallen-Gesellschaft (Chausseestraße)[7], Warenhaus Wertheim (Leipziger Straße) und AEG-Hauptverwaltung (Friedrich-Karl-Ufer) überlagern sich im Entwurf für das Pergamonmuseum.

Die Gigatomachie, die am Pergamonaltar visuell und plastisch dargestellt ist, wird Apollodor von Athen zugeschrieben, der zur Zeit der Datierung des Bauwerks in Pergamon lebte. Da sich in den Sequenzen des Frieses die knappen Szenen aus dem Text recht deutlich identifizieren lassen, lässt sich davon ausgehen, dass die Skulpturengruppen nach dem Text Apollodors aus seiner Kosmogonie entstanden sind. Seine Chronika oder Kosmogonie hat er Attalos I. von Pergamon gewidmet. Der Grammatiker Apollodor wird somit zum Geschichtsschreiber für die Attaliden, die sich mit den Giganten identifizieren konnten.
„(1,34) Über Demeter erzählt man sich also dies. Ge aber gebiert in ihrem Ärger wegen der Titanen von Uranos die Giganten (Taf.1.1), unübertrefflich an Körpergröße und unbezwingbar an Kraft. Sie machten einen schrecklichen Eindruck: von Kopf und Kinn hing lang das Haar herunter, sie hatten Schuppenfüße von Drachen. Sie entstanden, wie einige sagen, in Phlegrai, wie andere, in Pallene. Sie schleuderten Felsbrocken gegen den Himmel und brennende Eichen.“[8]

Das rekonstruierte, bruchstückhafte Fries der Gigantomachie ist nun gereinigt und überarbeitet worden. Die sterblichen Giganten rebellieren gegen die Götter unter der Leitung des Göttervaters Zeus. Sie sind nach Apollodor irdische, übergroße Mischwesen mit „Schuppenfüße(n) von Drachen“. Bei der Rekonstruktion des Frieses hielten sich die Wissenschaftler an den Text Apollodors. Auffällig an der Gigantomachie ist die irdische Herkunft des Geschlechts, das es wagt, eindrucksvoll gegen die Götter zu rebellieren, um letztlich doch von ihnen besiegt und vertrieben zu werden. Die Verkettung der Namen von Göttern und sterblichen Giganten funktioniert als Legitimation irdischer Herrschaft an unterschiedlichen Orten:
„Porphyrion aber griff im Kampf Herakles und Hera an. Zeus aber weckte in ihm Verlangen nach Hera, die, als er ihr die Kleider herunterzerrte und sie vergewaltigen wollte, nach Helfern rief. Zeus traf ihn mit seinem Blitz (1,37) und Herakles erschoss ihn. Von den übrigen schoss Apollon Ephialtes in das linke Auge, Herakles aber in das rechte. Den Eurytos tötete Dionysos mit dem Thyrsos, den Klytios Hekate mit ihren Fackeln, aber eher noch Hephaistos, der glühende Metallbrocken warf. Athena warf auf Enkelados, der fliehen wollte, die Insel Sizilien.“[9]

Der Gigant Porphyrion wagt es, den Sohn des Zeus und Persiden Herakles und die Göttin Hera anzugreifen. Deshalb wird ihm eine besondere Tapferkeit zugeschrieben[10], während Zeus in ihm ein desaströses „Verlangen“ oder Begierde nach Hera weckt. Anders gesagt: Zeus beherrscht nach der Mythologie den „Trieb“ der Giganten. Doch weil die Giganten als Mischwesen menschenähnlich sind, wird das männliche Begehren paradoxerweise auch sanktioniert. Gestoppt wird das Begehren wiederum nur durch die konkurrierenden männlichen Götter. Die altertumswissenschaftliche Benennung Porphyrions als „tapfersten Giganten im Kampf gegen die Götter“ dürfte durch den Wunsch nach Identifikation zumindest schwierig ausfallen. Doch die Elastizität der Gigantomachie von Apollodor lädt durchaus im 20. und 21. Jahrhundert zu derartig problematischen Identifikationen ein.

Es ist nicht nur die Größe des Altars, seiner Darstellungen und der agierenden Giganten, vielmehr geht es um ein Narrativ der Größe und eine Gewaltdarstellung als Vorbild der Geschlechter aus der Altertumswissenschaft und Antikensammlung für die Neuzeit. Ein normatives Bild der Männlichkeit, das von Johann Joachim Winckelmann im 18. Jahrhundert aus der Antike entwickelt und kolportiert worden war[11], bricht mit gesteigerter Gewalt in der Gigantomachie hervor. Es geht um Männlichkeit als geschlechtliche Größe. Weibliche Giganten gibt es nicht. In der altertumswissenschaftlichen Rezeption wird die Schlacht zwischen den Giganten und Göttern zu einer Frage der maskulinen Tapferkeit als Chiffre der Männlichkeit. Obwohl die Giganten die Schlacht verlieren, werden sie zu Vorbildern des männlichen Heldentums.

Aktuell wird das Narrativ der Größe auf erschreckende und komische Weise von der MAGA-Bewegung (Make America Great Again) und Donald Trump als Waffe reproduziert. Zwischen Ballsaal am Weißen Haus, Kriegsministerium und neuer Kriegsflotte wird permanent das Narrativ der Größe eines körperlich hochgewachsenen Präsidenten bemüht. In der Gigantomachie steckt auch MAGA. Eine ahistorische, auf die reine Größe ausgerichtete Präsentation des Pergamonaltars und seines Museums müsste ab 2027 mit einer kritischen Re-Lektüre verknüpft werden. Die Besucher*innen sollten nicht einfach nur Staunen vor der Größe und der Gigantomachie als Literatur- und Bildungserbe, vielmehr sollte die ambivalente Historizität des Museumshighlights reflektiert werden können. Das ursprüngliche Ausstellungsprogramm mit dem Deutschen Museum als Erfüllung architektonischer Größe, sollte transparent gemacht werden. Anderenfalls könnte wiederum das Versprechen auf Größe und „Weltstar“ in eine reaktionäre Katastrophe führen.

Für 2027 zeichnet sich eine stärkere Gewichtung der Islamischen Kunst mit der Mschatta-Fassade ab. Der Bau der Eisenbahnlinie von Damaskus über Amman (Mschatta) bis nach Medina und Mekka, die Hedschasbahn, gehörte nach 1900 neben der Bagdadbahn von Istanbul über Mosul und Bagdad bis nach Kerbala und Basra am Persischen Golf zu den großen, deutschen Eisenbahnprojekten in Arabien. Der Bankier Arthur von Gwinner war bei der Finanzierung der Bagdadbahn im Osmanischen Reich maßgeblich beteiligt. Bereits 1886 hatte er den Torre de las Damas der Alhambra in Granada gekauft. So gelangte die Alhambra-Kuppel aus der Zeit um 1320 im Jahr 1891 als Ausstattung seiner Privatwohnung von Granada nach Berlin. 1904 wurde die Islamische Abteilung der Museen Preußischer Kulturbesitz gegründet. Die Alhambra-Kuppel wurde zum Musemsstück.

Der Eisenbahnbau nach 1900 in Arabien generierte mit der Mschatta-Fassade aus der heutigen Hauptstadt Jordaniens, Amman, weitere Sammlungsstücke der Islamischen Kunst. Das Museum für Islamische Kunst, das weltweit das erste seiner Art war, war eng mit einem Orientalismus bei Berliner Sammlern und Künstlern verknüpft. Nicht zuletzt war die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße 1866 im Maurischen Stil der Alhambra erbaut worden. Das Osmanische Reich stellte erst 1906/07 Kunstwerke aus islamischer Zeit unter Schutz. Die Eisenbahnlinien als Schub der Modernisierung auf der arabischen Halbinsel wurden von den Regierenden begrüßt. Arthur von Gwinner gehört beispielhaft zu den deutschen Wirtschaftsakteuren, die bei der Modernisierung Arabiens aktiv wurden. Nicht zuletzt arbeitete er mit der AEG Emil Rathenaus und Siemens als den führenden Technikkonzernen in Berlin zusammen. Die Bagdadbahn sollte durch Aktien der Kaiserlich Ottomanischen Gesellschaft der Bagdadbahn in Deutsch, Französisch und Arabisch finanziert werden.[12]

Anders als die Antikensammlung mit dem Pergamonaltar verdankt sich die Sammlung der Islamischen Kunst nicht allein einer kunst- und kulturhistorischen Wissenschaft, sondern der Wirtschaftsmacht des Kaiserreichs und dem Projekt einer Modernisierung durch Industrialisierung. Die Provenienz der Sammlung sollte nicht nur als eine rechtliche Frage der Ankäufe und Schenkungen dokumentiert werden, vielmehr sollte sie als kulturgeschichtliche Modernisierung dargestellt werden. Es reicht heute für einen „Weltstar“ der Museumskultur nicht mehr, dass das kunsthistorische Artefakt kommentarlos präsentiert wird. Wie an dem Museum für Islamische Kunst besonders deutlich wird, stellt eine Provenienz-Dokumentation kulturhistorische Kontexte her, die für die Sammlungen existentiell geworden sind. – Wir dürfen auf das Frühjahr 2027 schon jetzt gespannt sein.
Torsten Flüh
[1] Zur Baugeschichte des Alten Museums mit der Antikensammlung siehe: Torsten Flüh: Original und Antike. Zur Sonderausstellung Grundstein Antike – Berlins erstes Museum im Alten Museum. In: NIGHT OUT @ BERLIN 1. August 2025.
[2] Staatsminister für Kultur und Medien Wolfram Weimer zitiert nach Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Pressemitteilung: Meilenstein bei der Sanierung des Pergamonmuseums erreicht. 4. Dezember 2025.
[3] Siehe auch Torsten Flüh: Schloß Berlin Zimmer Nr. 669 und der private Kolonialismus des Kaisers. Zum ORTS-Termin Die koloniale Weltsicht Wilhelm II. mit Gästen des Museums Huis Doorn. In: NIGHT OUT @ BERLIN 20. Dezember 2024.
[4] Der Begriff Spree-Athen wurde staatskonform und spät-barock ein Jahr nach der Erbauung des Berliner Schlosses durch den nun zum König selbstgekrönten Friedrich I. 1706 von Erdmann Wircker geprägt. Es schimmert in der Spree-Athen-Strophe („Daß ganz Europa nicht von einem Fürsten hört!/Der so der Künste Kern als König Friedrich liebet./Die Fürsten wollen selbst in deine Schule gehen/Drumb hastu auch für Sie ein Spree-Athen gebauet,/Wo Prinzen in der Zahl gelehrter Musen stehn/Da wird die Weisheit erst in rechter Pracht geschauet.“) jener Machtanspruch Friedrich I. nach dem Vorbild Ludwig XIV. durch, der das Kurfürstentum Brandenburg zum Königreich Preußen transformierte.
Und: Wikipedia: Spree-Athen.
[5]Siehe zum Schlossbau: Torsten Flüh: Angenommen. Zur Architektur und den ersten 100 Tagen des Humboldt Forums sowie Durchlüften – Open Air im Schlüterhof. In: NIGHT OUT @ BERLIN 6. August 2021.
[6] Siehe Wikipedia: Pergamonaltar.
[7] Für meine Stadtführung zur Architektur-Geschichte der Chausseestraße habe ich auch zum Gebäude der Volks-Kaffee- und Speisehallen-Gesellschaft von Alfred Messel geforscht: Architektur.
[8] Landesbildungsserver Baden-Württemberg: Gottwein: Apollodor 1,4,3,1 – 1,6,3,12.
[9] Ebenda.
[10] Siehe Gottwein: Porphyron.
[11] Siehe zur Männlichkeit bei Winckelmann: Torsten Flüh: Zur Verfertigung der Wissenschaft mit Briefen. Die Weimarer Ausstellung und der Katalog Winckelmann. Moderne Antike und die aktuelle Winckelmann-Forschung. In: NIGHT OUT @ BERLIN 31. Juli 2017.
Und: Torsten Flüh: Zurück zur Männlichkeit? George L. Mosses Kritik des Männlichkeitsbildes nach Johann Joachim Winckelmann und die Rückeroberung der Geschlechter durch die Neue Rechte. In: Janin Afken, Jan Feddersen, Benno Gammerl, Rainer Nicolaysen, Benedikt Wolf (Hrsg.): Jahrbuch Sexualitäten 2019. Göttingen: Wallstein, 2019, S. 43-70.
[12] Siehe Arthur von Gwinner: Aktie der Bagdadbahn.
